Trotz Feuer und Wassereinbruch einen kühlen Kopf bewahren
Mit dem VDC-Trainer werden Marinebesatzungen noch besser auf den Ernstfall vorbereitet

Game Over – Aber trotzdem Erfahrung gewonnen – In dem VDC-Training können auch Situationen trainiert werden, welche in herkömmlichen Simulationen nicht denkbar wären. Dabei können die Avatare der Trainierenden auch zu Schaden – oder gar zu Tode – kommen. Dies dient am Ende auch den Nutzer:innen, Situationen später richtig einzuschätzen.

Jederzeit und an jedem Ort kann es für Mannschaften von Marineschiffen zu Notfallsituationen kommen. Egal, ob vor heimischen oder in fremden Gewässern. Wichtig ist dabei, dass die Crew bestens darauf vorbereitet ist und auch mit Extremstsituationen zurechtkommt. Um dies zu ermöglichen wurde bei thyssenkrupp Marine Systems ein neues Serious Game entwickelt, welches über Routineszenarien hinausgeht.

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine:r der Soldat:innen auf einem von vielen, deutschen Schiffen der Marine. Dann bricht auf einmal ein Feuer aus. Diese Situation haben Sie schon viele Male in Simulationen trainiert, doch aus irgendeinem Grund ist dieses Feuer anders, als Sie es gelernt haben. Es verläuft anders, als Sie es kennen. Möglicherweise geraten Sie sogar in Panik, weil es nicht so ist, wie Sie es kennengelernt haben.

Um Soldat:innen zur See noch besser auf Katastrophenfälle vorzubereiten, hat die thyssenkrupp Marine Systems GmbH das Projekt „Virtual Damage Control Trainer (VDC-Trainer)“ in die Welt gerufen. Denn egal, wo sich die Mannschaften der Marine auf der Welt befinden, können Notsituationen entstehen.

Bei dem VDC-Trainer handelt es sich, wie die Projektbezeichnung bereits preisgibt, um ein Training, welches Soldat:innen zur See erlaubt, Sicherheitstrainings in einem komplett neuen Feeling zu erleben. Simulationen gehören schon seit Längerem zum Training von Katastrophensituationen. Die Herausforderung dabei ist jedoch, dass die meisten Simulationen zu abstrakt und vereinfacht dargestellt werden müssen. Allerdings entstehen Notsituationen nicht nach einem Muster und halten sich auch nicht an steife Trainingssimulationen. Mit dem VDC-Trainer wird dieser Umstand negiert.

Lernbedarfe

Damit Soldat:innen zur See noch authentischer auf Gefahrensituation vorbereitet sind, sollte eine 3D-Simulation als Training erstellt werden. Bisher fanden Trainings im realen Raum statt, dies bot allerdings wenig Möglichkeiten, sich allumfassend auf eben diese Situationen einzustellen. Die Trainierenden sollen auf die besonderen Situationen eingestellt werden und Bewegungsabläufe so einstudieren, dass sie diese „im Schlaf“ anwenden können. Simulationen in nachgebildeten Schiffkomplexen besitzen zwar eine realere Haptik, allerdings besteht das Equipment in diesen häufig nur aus Attrappen. Außerdem ist es nicht möglich, dass ganze Mannschaften in solchen Katastrophenseminaren trainiert werden können. Hinzu kommt, dass die Varianz der Trainingsbestandteile sehr eingeschränkt ist. Notfallsituationen werden in der Regel in immer gleichen Bedingungen durchgeführt. Dies kommt einer Realsituation allerdings nicht nahe. Daher wurde ein Training entwickelt, welches sich didaktisch an der Trialen Kompetenz-entwicklung von Erpenbeck und Sauter orientiert. Nach diesem Prinzip sollen Lernende selbständig lernen, Aufgabenstellungen eigenverantwortlich lösen, Assoziationen bilden und Erfahrungen in Folge von Fehlern und Nachjustierungen gewinnen. Auf diese Weise soll eine umfassende Handlungskompetenz bei den Soldat:innen entwickelt werden, auf verschiedenste Notsituation angemessen reagieren zu können.

Zur Notfallbekämpfung sollten den Lernenden verschiedenste Möglichkeiten geboten werden. Gleichzeitig sollte es den Ausbildern möglich sein, während des Geschehens noch weitere Ereignisse hinzuzufügen. Gleichsam wichtig war aber auch die Simulation von Verletzungen. Während der Bekämpfung in der Realität können Unfälle wie Verbrennungen passieren; Rauchentwicklung hat ebenfalls Einfluss auf die Personen. Dies und noch mehr sollte bedacht werden und somit eine allumfassende Simulation auf Basis der Unreal Engine 5 – eine der bekanntesten Game-Development-Engines – in der Umgebung einer Fregatte der Baden-Württemberg-Klasse (F125) entstehen.

Projektverlauf

Das Projekt wurde in vier verschiedene Phasen unterteilt: 1. Vorbereitung, 2. Detail Design, 3. Realisierung und 4. Abnahme. Diese Aufteilung basiert auf dem V-Modell XT, einem flexiblen Prozessmodell für die Durchführung von linearen und agilen IT-Projekten. Dieses Modell wurde von Expert:innen aus Forschung, freier Wirtschaft und öffentlicher Hand für die Bundesrepublik Deutschland entwickelt und wird insbesondere zur Entwicklung von Softwaresystemen verwendet.

Zunächst wurde in diesem Zusammenhang eine Feldstudie durchgeführt, nach deren Analyse der Bedarf eines virtuellen Trainings für verschiedene Notfallsituationen identifiziert wurde. Auf Basis der dabei in der Studie analysierten Anforderungen wurde die System- und Softwarearchitektur grob festgelegt; diese wurde im weiteren Verlauf des Projekts sukzessive weiterentwickelt und spezifiziert.

Im Detail Design wurde der Rahmen, für die einzelnen Softwarekomponenten spezifischen Konzepte, entwickelt. Dies betrafen u.a. Kommunikationssysteme, Ausbildersoftware und die Übungssoftware selbst.

In der dritten Phase wurden in agiler Produktionsform die Funktionen der Softwarekomponenten entwickelt. Für die gemeinsame Umsetzung bzw. Implementierung der Anwendungen konnte die Firma Cininet UG aus Kassel gewonnen werden, welche bereits umfassende Erfahrungen und Ressourcen im Bereich der Katastrophensimulation verfügte. Dies passierte zunächst in abstrakten Testleveln, damit die Grundfunktionalität gemäß den Anforderungen abgeglichen werden konnte. Zur selben Zeit wurden die Arbeitspakete des Unterauftragnehmers in verschiedenen Reviews besprochen und abgenommen. Nachdem die Komponenten- und Funktionstests positiv ausfielen, wurden die Softwarekomponenten sukzessive miteinanderer verbunden und integriert. Hierbei erwies sich, dass zu große Sprints eine höhere Fehlerbasis ergaben.

Die Abnahme des gesamten Systems wiederum erfolgte in zwei Schritten: Erst wurde eine Vorabnahme durchgeführt, wo alle Anforderungen zum ersten Mal auf Basis von Prüfprozeduren abgenommen wurden. Erst dann konnte die Produktreife des Systems festgestellt werden.

Projektergebnis

Die thyssenkrupp Marine Systems GmbH hat in Zusammenarbeit mit der Cininet UG mit dem VDC-Trainer ein Produkt entwickelt, welches in authentischer Weise es den Trainierenden ermöglicht, virtuell zu lernen. Durch die Darstellung variabler und variierender Notfallsituationen können die Soldat:innen zur See nun noch realistischer und immersiver lernen. Auf Grund des Lernziels wurde für dieses Ausbildungsmittel eine „klassische“ W-A-S-D-Steuerung ausgewählt, da in einem Fire Fighting/ Damage Control Szenario das prozedurale Arbeiten und die Kommunikation im Mittelpunkt stehen. Sofern sich die Trainings in Richtung „Haptik“ entwickeln (wie z.B. in bereits ausgelieferten Produkten eingesetzt), ist der Einsatz von VR/ AR für den VDC-Trainer gut vorstellbar.

Spannend dabei ist, dass dieses Training sich gewissermaßen wie ein Spiel verhält, was nicht zuletzt der Unreal Engine geschuldet ist. Tatsächlich aber orientiert es sich an der Realität. Dies äußert sich zum einen am Schadensmodell, in dem sich die Katastrophenbedingungen dynamisch ausbreiten und somit mit jedem Trainingsdurchgang andere Dimensionen einnehmen können. Das bedeutet auch, dass Systeme und Subsysteme im Trainingsraum Schaden nehmen und sogar zerstört werden können. Aber auch der Avatar des Trainierenden kann Schaden nehmen, sich also verletzen oder zum Beispiel durch das Einatmen von Rauch schwer vergiften. Damit diese Erfahrung so realitätsgetreu wie möglich ist, können Nutzer:innen ihren Avatar anpassen, Angaben zu Körpergröße, Gewicht oder Alter angeben; das hat Einfluss auf die Handlungsfähigkeit und -möglichkeit des Avatars.

Durch den Einsatz von Mixed Reality – etwa der Verbindung eines Puls-Messgeräts mit dem System – ermöglicht es den Trainierenden, Auswirkungen von Stress und Ängste in komplexen Notsituationen zu erfahren. Besonders wichtig ist aber auch der Multiplayeransatz, wodurch diese Trainingsmaßnahme es ermöglicht, dass auch größere Gruppen bzw. Mannschaften in derselben Situation trainieren können. Dadurch wird die Möglichkeit von Kooperation und kollaborierender Arbeit in Gefahrensituation simulierbar.

Für Ausbilder wiederum bietet der VDC-Trainer größte Möglichkeiten, die Gefahrensituationen zu steuern und somit die Situationen zu verändern: Einspielen von (weiteren) Fehlstörungen, Feuer, Rauch oder Wassereinbruch an beliebigen Orten im Schiff. Auch die Dynamik und Größe der Schadensnahme ist individualisierbar. Da Avatare in diesem Trainingsrahmen sogar sterben können (z.B. durch Ersticken bei Rauchentwicklung), hat der Ausbilder zudem die Möglichkeit, verstorbene Avatare wiederzubeleben. Durch das integrierte Kommunikationssystem zwischen Trainierenden und Ausbildern, können zudem Abläufe der Notkommunikation einstudiert und trainiert werden.

Fazit

Ist es ein Training, ist es ein Spiel oder ist es nicht sogar irgendwie beides. Klar ist eigentlich schon seit längerem, dass Gamification und Serious Games eine sehr gute Möglichkeit bieten, Lernende mit Wissen zu bestücken. Im Fall der Notfallbekämpfung kann man eigentlich sogar von „Very Serious Games“ sprechen, denn genauso wie das originale Pendent der Rettungssimulation mit Attrappen in nachgebildeten Räumen bildet das VDC-Training der thyssenkrupp Marine Systems GmbH eine ideale Basis. Dies dient der Sicherheit der Soldat:innen zur See, denn auf dem offenen Meer sind sie wohlmöglich alleine daran beteiligt, die Gefahrensituation beseitigen zu müssen.

Das komplette Training ist ein wichtiger Schritt zur Gefahrenbeseitigung in Notsituationen und wird in Zukunft vielen helfen, sich im Ernstfall angemessen und routiniert zu verhalten, um sich und ihre Kameraden zu schützen. Die Jury des eLearning AWARD 2024 freut sich daher über dieses beispielhafte Serious Game und ist gespannt auf die Neuerungen und Weiterentwicklung – wie der VR-Funktion – welche in Zukunft noch folgen sollen. Daher geht der Award in der Kategorie „Serious Game“ in diesem Jahr an thyssenkrupp Marine Systems GmbH.


Vorgaben und Besonderheiten:

Vorgaben:
Gestaltung eines Trainings, in dem Notfallsituationen zur See mit einer höheren Varianz und einer dynamischen Entwicklung trainiert werden können. Hierbei sollten die Trainingsumgebungen 1:1 originalgetreu sein und – anders als den üblichen Simulationsräumen, welche vor allem aus Attrappen bestanden – funktional sein.

Besonderheiten:
Verwendung eines Schadenssystems, das sowohl das simulierte Schiff (eine Fregatte der Baden-Württemberg-Klasse) betrifft als auch die Avatare. Damit die Möglichkeit, Gefahren und deren Konsequenzen für die Mannschaft genauestens darzustellen, ohne die echte Person dafür in echte Gefahr zu bringen.


Projektverantwortliche:

thyssenkrupp Marine Systems GmbH

Viktoria Christofolini
Produktmanagerin

thyssenkrupp Marine Systems GmbH
Werftstraße 112-114
D-24143 Kiel

viktoria.christofolini@thyssenkrupp.com
www.thyssenkrupp-marinesystems.com

Marco Kubisch
Leitung Konzeption – Digital Training & Media

thyssenkrupp Marine Systems GmbH
Werftstraße 112-114
D-24143 Kiel

marco.kubisch@thyssenkrupp.com
www.thyssenkrupp-marinesystems.com