Bordservice auf dem nächsten Level
Immersives Trainingsszenario für bahnbrechende Barrierefreiheit

Für jede Situation gerüstet – In der innovativen Trainings-App erlernen die Zugbegleiter:innen entweder in einer Guided Tour oder im Trainingsmodus Schritt für Schritt die Funktionen und Bedienungsabläufe des Hubliftes – im Regelfall wie auch bei technischen Problemen.

Seit der Ausstattung des neuen ICE 3neo mit integrierten Einstiegshilfen wird mobilitätseingeschränkten Reisenden der Ein- und Ausstieg aus den DB-Zügen erheblich erleichtert. Um das Personal des Bordservice verlässlich in der Bedienung des Hubliftes zu qualifizieren, entwickelte die DB Fernverkehr AG ein realitätsnahes Trainingspaket mit einem ganzheitlichen Blended Learning-Ansatz. Dieser umfasst eine mobile AR-Trainings-App sowie ein WBT, mit dem das Bordpersonal flexibel und virtuell den technischen Umgang mit dem Hublift trainieren kann.

Seit Dezember 2022 hat die DB Fernverkehr AG die neuen ICE 3neo-Züge mit in den Fahrgastbetrieb hinzugezogen. Diese sind als neues Feature unter anderem mit einer neuen integrierten Einstiegshilfe für mobilitätseingeschränkte Reisende (MER) in Form eines Hublifts ausgestattet, um den Bahnverkehr für MER deutlich einfacher und angenehmer zu gestalten. Der pneumatisch betriebene Hublift kann von den Zugbegleiter:innen mit wenigen Handgriffen elektronisch bedient werden – doch was passiert bei technischen Störungen oder einem Stromausfall im Zug? Um sowohl in Standard- als auch Ausnahmesituationen MER den Ein- und Ausstieg zu ermöglichen und den Hublift ggf. manuell zu betreiben, sieht die DB Fernverkehr AG eine entsprechende Einweisung und Schulung des Bordpersonals im Zug als notwendig an.

Lernbedarfe

Vor diesem Hintergrund bestand das Hauptziel des Projektes darin, Zugbegleiter:innen des Bordservice der Deutschen Bahn im Umgang für den neuen Hublift im ICE 3neo zu trainieren. In kürzester Zeit sollte hiermit für alle betroffenen Mitarbeitenden eine große Handlungssicherheit mit dem neuen Hublift geschaffen werden, sodass dieser nicht nur im Normalbetrieb problemlos bedient werden kann, sondern auch im Fall von technischen Störungen das Zugpersonal nicht nur informiert, sondern auch im Umgang mit Störungen handlungsfähig ist. Darüber hinaus verfolgte die DB mit diesem Projekt das Ziel, den Bordservice ebenfalls für einen respektvollen Umgang mit MER zu sensibilisieren und optimal zu befähigen. Zusammengefasst verfolgte die DB also die Entwicklung eines Blended Learning-Ansatzes, der eben nicht nur die technischen Fähigkeiten des Zugpersonals trainiert, sondern auch auf die Verhaltensaspekte einzahlt. Es ist auf das firmeneigene Gastgeberkonzept abgestimmt und trägt dazu bei, die Mission zu unterstützen, Deutschland bester Gastgeber zu werden.

Die Zielgruppe umfasste zum einen rund 5.000 Zugbegleiter:innen und Zugchef:innen, die zum Zugpersonal gehören, zum anderen sollten auch die Praxistrainer:innen, Gruppenleitende und allgemein Qualifizierungsverantwortliche für den Bordservice darin unterwiesen werden.

Die größte Herausforderung im Zusammenhang mit der Entwicklung eines geeigneten Trainings bestand in der sofortigen Integrierung der neuen ICEs in den Fahrgastbetrieb, sodass lediglich ein sehr kleines Zeitfenster für Qualifizierungszwecke der großen Zielgruppe direkt am Zug vorgesehen werden konnte. Um den Lernprozess trotz der mangelnden Zeit am „realen“ Hublift maximal verlässlich und effektiv durchzuführen, sollte im Rahmen dieses Projektes mit der Entwicklung einer hochmodernen AR-Anwendung das „Lernen am Objekt“ – dem Hublift – ermöglicht werden, auch wenn es sich dabei um ein virtuelles Objekt handelt. Dieses digitale Trainingsszenario sollte zugleich orts- und zeitunabhängig absolviert werden können. Es sollte zudem mit einem klassischen Web Based Training (WBT) als zweites Lernmedium korrespondieren, das wiederum auf einen wertschätzenden Umgang mit MER eingeht.

Projektverlauf

Mit dem definierten Blended Learning-Ansatz der DB Fernverkehr AG, der aus AR-Anwendung für den technischen Umgang und dem klassischen WBT für die Verhaltensweisen/ dem respektvollen und wertschätzenden Umgang mit MER bestand, wurden zwei Ereignis- bzw. Entwicklungsstränge identifiziert, die parallel abliefen. Insgesamt nahm die Durchführung des Projektes von der Beauftragung über die Entwicklung bis zum Rollout etwa 10 Monate ein. Für beide Lernmedien gab es je ein Team für die Entwicklung bzw. Durchführung, die jedoch auch gestalterisch und didaktisch eng miteinander zusammengearbeitet haben.

Zum Start des Projektes stand die Suche und Beauftragung eines geeigneten Dienstleisters auf dem Programm. Im Rahmen der Prototyp- und Konzeptentwicklung von AR-Anwendung und WBT wurde für beide Lernmedien jeweils ein Drehbuch für die Lerninhalte verfasst. Insgesamt war die Entwicklung der App deutlich aufwendiger als die standardisierte Produktion des WBTs, das mithilfe eines Standard-Autorentools deutlich weniger Zeit und Arbeit in Anspruch nahm.

Die Entwicklung der AR-Anwendung war eingangs durch eine erste Prototyp-Phase geprägt, in der unter anderem das gesamte Einsatzkonzept anhand der realen Hard- und Software-Gegebenheiten und der Live-Einsatzumgebung am Zug überprüft wurden. In Verbindung dazu fanden auch mehrere Vor-Ort-Termine in einem Zug statt, um insbesondere in Bezug auf die App-Entwicklung das korrekte Verhalten der AR-Funktionen in der realen Anwendungsumgebung sicherzustellen. Im Anschluss wurde in verschiedenen Workshops mit den Projektverantwortlichen das inhaltliche und technische Konzept verfeinert. Hier wurde auch frühzeitig das fachliche Feedback von Praxistrainer:innen einbezogen – weiteres Feedback wurde auch im Rahmen verschiedener Qualifizierungsveranstaltungen von Anwender:innen eingeholt, das wiederum zur Optimierung des Konzeptes genutzt wurde.

Nach dem Abschluss der Prototyp- und Konzeptentwicklung ging das Projektteam in die Implementierung einer Beta-Fassung der App über. Diese erste Testversion wurde zunächst von internen Pilotgruppen ausführlich ausgetestet und deren Feedback dann in der finalen Implementierung berücksichtigt. Ebenfalls wurden vor der Freigabe der App zahlreiche technische Security-Tests und die Qualitätsschleifen durchgeführt, unter anderem Datenschutz- und IT-Checks, die für alle DB-Apps obligatorisch sind.

Nach der fachlichen und sicherheitstechnischen Freigabe wurde die Anwendung in einem zweistufigen Launch in dem internen DB-Store bereitgestellt. Während des Soft-Launches wurde die App im DB-Store geräuschlos, das heißt: ohne Kommunikationsaktivitäten, veröffentlicht. Diese wiederum erfolgte erst mit dem Live-Push, mit dem die App automatisch auf die Endgeräte der Zielgruppe geladen wurde. Von einer großangelegten Marketing-Aktion sah man ab, da nicht das gesamte DB-Zugpersonal betroffen war. Vielmehr informierte man die betroffenen Mitarbeitenden kurz vor dem Rollout mittels des internen Kommunikationstools, in welchem zudem auf die vorgelagerte, in Präsenz stattfindende Ersteinweisung hingewiesen wurde.

Parallel erstellte man für das WBT eine Reihe von 360-Grad-Panoramen erstellt. Dieses stellte man schließlich nach Fertigstellung und Freigabe in der DB-Lernwelt, der internen Lernplattform, bereitgestellt.

Projektergebnis

Bereits wenige Wochen nach dem Rollout stieß der innovative Blended Learning-Ansatz von AR-App und klassischem WBT bei den Lernenden auf hohe Akzeptanz, wie unter anderem aus dem Feedbackbogen der internen DB Lernwelt als auch aus dem Trainer:innen-Feedback während der Erstunterweisung hervorgeht. Über ihre mobilen Endgeräte können die Lernenden auf die AR-Anwendung zugreifen und somit orts- und zeitunabhängig den technischen Umgang mit dem Hublift erlernen. Das Highlight der entwickelten App besteht darin, dass die Lernenden den virtuellen Hublift in der realen Welt dank Immersion und zusätzlichem Offline-Modus an jeden Ort stellen und daran trainieren können – er verhält sich wie ein realer Hublift. Das bedeutet, die Lernenden können ihn auch beim Herumgehen in einer 360Grad-Sicht betrachten. In diesem Kontext kann je nach Lerntyp zwischen zwei Lernmodi gewählt werden – der geführten Guided Tour oder der explorativen Trainingssimulation. In dem Modus „Live am Zug“ kann mithilfe der modernen Bilderkennung der virtuelle Hublift zudem an die realen Türen jedes ICEs angefügt werden, um das Szenario in alltäglicher Umgebung zu erproben. In jedem Lernmodus werden alle Bedienvorgänge des neuen Hublifts vorgestellt bzw. sie können erkundet und erprobt werden. Darüber hinaus wird den Lernenden innerhalb der App ein interaktives Handbuch bereitgestellt, in welchem verschiedene Komponenten des Hublifts dank 3D-Visualisierungen und interaktiven Übungen nochmals nachgeschlagen werden können.

In Ergänzung zu der AR-Anwendung konzentriert sich das WBT auf die Vermittlung der richtigen Verhaltensweisen des Bordpersonals im Umgang mit MER im Zugbetrieb. Dieses kann über die DB-interne Lernplattform abgerufen werden. Hier werden die Lernenden innerhalb des 30-minütigen Lernprogramms insbesondere für die Anforderungen und Besonderheiten im Umgang mit MER sensibilisiert und erlernen, wie diesen der Ein- und Ausstieg so angenehm und einfach wie möglich gestaltet werden kann. Für eine effektive und anschauliche Wissensvermittlung wird auch hier auf moderne immersive Medien wie 360°-Panoramen zurückgegriffen.

Fazit

Das neue, realitätsnahe Qualifikationspaket trifft bei den Zielgruppen auf solch große Zustimmung, dass bereits Nachfragen nach weiteren Modulen für andere Qualifizierungsthemen gestellt wurden. Mit seinem innovativen und hochmodernen Ansatz bereichert es nicht zuletzt auch nachhaltig das Onboarding neuer Mitarbeitender im Bordservice und trägt zu einer größeren Attraktivität der DB Fernverkehr AG als Arbeitgeber bei. Mithilfe der intuitiv bedienbaren App mit immersivem Anteil können die Zugbegleiter:innen die Lerninhalte rund um die technische Bedienung der ICE 3neo-Einstiegshilfe für ihre tägliche Arbeit nutzen und fühlen sich zugleich sicherer im Umgang durch erprobte Handlungssicherheit. Mit diesem Projekt ist es gelungen, trotz begrenztem Zeitfenster und großer Zielgruppe ein effizientes Training zu gestalten, in dem die Lernenden dank modernster AR/3D-Technologie noch nicht einmal auf die physische Verfügbarkeit des Hubliftes angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass bereits Nachfragen nach weiteren Trainingsbereichen gefallen sind – zumal sich das hier entwickelte Lernszenario laut den Projektverantwortlichen Nicole Szabo, Sven Panjas und Stephan Albrecht leicht auf andere Schulungsgegenstände im Bahnbetrieb übertragen lassen. Aus diesen Gründen freut sich die Jury, das Projekt „Innovatives Trainingsszenario zum barrierefreien Einsteigen in den ICE 3neo“ mit dem eLearning AWARD 2024 in der Kategorie „Augmented Reality“ auszuzeichnen. Herzlichen Glückwunsch!


Vorgaben & Besonderheiten

Vorgaben:
Die Entwicklung eines realitätsnahen Qualifizierungskonzeptes, das aus einer mobilen AR-Trainings-App und einem klassischen WBT besteht. Hier sollen die technischen Aspekte für die Bedienung des neuen Hubliftes im ICE 3neo ebenso wie ein wertschätzender Umgang mit MER trainiert und somit eine hohe Handlungssicherheit des Bordpersonals sichergestellt werden.

Besonderheiten:
Dank der modernen Bilderkennung der AR-Anwendung verschmelzen im Trainingsmodus die reale und virtuelle Welt miteinander. Mithilfe der Kamera kann ein immersives Lernerlebnis geschaffen und der virtuelle Hublift immer und überall in die aktuelle Umgebung projiziert und der Umgang erprobt werden.


Projektverantwortliche:

DB Fernverkehr AG

Nicole Jung
Leiterin Qualifizierung

DB Fernverkehr AG
Bordservice – Qualifizierungsmanagement und Lerntransformation P.FVB 47
Europa-Allee 78-84
D-60486 Frankfurt am Main

nicole.jung@deutschebahn.com
www.bahn.de

Nicole Szabo
Referentin Qualifizierung Bordservice

DB Fernverkehr AG
Bordservice – Qualifizierungsmanagement und Lerntransformation P.FVB 47
Europa-Allee 78-84
D-60486 Frankfurt am Main

nicole.szabo@deutschebahn.com
www.bahn.de