Vom Arbeitsplatz zum Lernplatz: Wie informelles Lernen mit Microlearning Modulen gesteigert werden kann

Spätestens seit dem 70-20-10-Modell ist allgemein bekannt, welch große Rolle informelles Lernen für einen erfolgreichen Lernprozess und auch für lebenslanges Lernen spielt. So wird dieses auch im Kontext der betrieblichen Bildung immer wichtiger und sollte gezielt unterstützt bzw. gefördert werden. In ihrem Vortrag auf der LEARNTEC präsentieren Katja Häußermann und Marcel Domanski Ansätze und Methoden, um informelles Lernen zu erkennen, zu fördern und in den Arbeitsalltag zu integrieren. In diesem Zuge stellen sie das BMBF-geförderte Projekt LIMo vor, in dem Microlearning Module entwickelt wurden, mit denen ein verstärktes Bewusstsein für informelles Lernen geschaffen wird. Zugleich liefern sie einen Einblick in Projektverlauf und -ergebnisse und stellen diese anhand des Projektpartners TÜV Nord in der Praxis vor.

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eLearning Journal: Guten Tag Frau Häußermann, guten Tag Herr Domanski. Können Sie zunächst sich und Ihre Tätigkeiten kurz vorstellen?

Marcel Domanski: Ich bin gelernter Medieninformatiker und als Fachreferent für produktives Lernmanagement bei der TÜV NORD Mobilität GmbH & Co. KG tätig. Als solcher bin ich u.a. zuständig für die Bereitstellung von digitalen Lernangeboten für unsere interne Aus- und Weiterbildung.

Katja Häußermann: Ich bin Wirtschaftspsychologin und arbeite als Doktorandin in der Lehr-und Lernforschung bei Prof. Dr. Tina Seufert an der Universität Ulm. Fasziniert bin ich vor allem von Lernprozessen bei beruflichen Lernenden am Schreibtisch, die eingequetscht zwischen vollen Terminkalendern stattfinden.

eLearning Journal: Ihr Vortrag trägt den Titel „Wie können informelle Lernprozesse sichtbar gemacht werden?“. Warum ist informelles Lernen in der aktuellen Zeit wichtig und inwiefern wirkt sich dieses auf die Arbeitsleistung der Mitarbeitenden aus?

Klassischerweise wird in Unternehmen in formelle Weiterbildung investiert. In Anbetracht der Schnelllebigkeit unserer Zeit, in der ständig neue Kompetenzen erworben werden müssen, ist die Entwicklung formeller Trainings allerdings aufwändig, teuer und nicht schnell genug, um auf individuelle und kurzfristige Bedarfe zu reagieren. Außerdem ist der Transfer in die Praxis oft mit Hürden verbunden. Wer jedoch nicht up to date ist, ist nicht attraktiv für den Arbeitsmarkt. Hier kommt das informelle Lernen ergänzend zur formellen Weiterbildung ins Spiel. Es ist das Lernen, das während der Arbeit stattfindet – ganz ohne Lehrperson und von Lernenden selbst gesteuert. Dabei wird bei Bedarf im Kollegium Rat gesucht, eigene Vorgehensweisen werden reflektiert und optimiert, ein Videotutorial angeschaut, im Internet recherchiert, etc. Wer diese täglichen Lernaktivitäten für sich sichtbar – also bewusst – macht, und sich Zeit nimmt, eigene Arbeitsabläufe zu optimieren, arbeitet effizienter.

eLearning Journal: Können informelle Lernprozesse in Unternehmen überhaupt gemessen und somit sichtbar gemacht werden?

Es gibt keine Kennzahlen für informelles Lernen, daher versuchen wir ein allgemeines Bewusstsein für informelle Lernprozesse zu schaffen. Nur wenn Mitarbeitende selbstständig Lernbedarfe erkennen und konkrete Lernaktivitäten umsetzen, werden positive Effekte wie eine Leistungssteigerung, höhere Arbeitszufriedenheit und verbesserte jobspezifische Fähigkeiten erreicht. Um Bewusstsein zu schaffen, erproben wir im Forschungsprojekt LIMo verschiedene Ansätze, beispielsweise ein Training informeller Lernaktivitäten zur Erhöhung der Anwendung. Was wir am Ende messen, ist Wissen sowie die selbsteingeschätzte Anwendung von Lernaktivitäten im Vergleich zum Studienbeginn. Neben dem Training gibt es bei TÜV NORD einen „Expertenfinder“, in dem Mitarbeitende ihr eigenes Wissen anbieten und per Stichworteingabe Hilfe suchen können. Darüber hinaus ist eine Studie in Planung, bei der Arbeitnehmende während ihrer Arbeit immer wieder dazu befragt werden, welche Arbeitsaufgaben sie gerade erledigen und wie sie dabei informell lernen.

eLearning Journal: Unter anderem stellen Sie das in dem Projekt LIMO entwickelte Online-Training zur Förderung informellen Lernens vor. Können Sie kurz erklären, welche Ziele bei dem Projekt verfolgt werden und inwiefern die Micro-Learning Module im Training beitragen, ein Bewusstsein für informelles Lernen zu schaffen?

LIMo steht für „Learning Journey. Individuell. Informell. Mobil.“ und ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt. Wir arbeiten als interdisziplinäres Team aus Informatiker/innen, (Lern-)Forscher/innen und Anwendungsunternehmen daran, bedarfs- und nutzerorientierte Weiterbildung anzubieten. Dazu gehören beispielsweise eine verbesserte Suchfunktion für Lernangebote auf der ILIAS-Plattform, die mobile Darstellung von E-Learning Inhalten und die Förderung informellen Lernens.

In dem entwickelten Online-Training zum informellen Lernen zeigen wir die Relevanz informeller Lernprozesse auf und geben einen Überblick darüber, welche Lernaktivitäten dazu gehören. Da das Training Teil einer experimentellen Studie ist, in der wir die Anwendung informeller Lernaktivitäten erhöhen wollen, teilen wir unsere Lernenden auf. Alle erhalten das Basistraining, aber die Lerntiefe variiert. Manche Teilnehmende erhalten also zusätzlich Leitfragen, die dabei helfen, Bezug zum eigenen Arbeitsalltag herzustellen. Andere reflektieren angeleitet über mögliche Anwendungshürden und deren Lösung. Es folgt eine selbstständige einwöchige Anwendungsphase bei der Arbeit.

Die Reaktionen auf das Training zeigen sowohl, dass viele Arbeitnehmende bereits bewusst informell lernen und sich darin bestärkt fühlen, anderen hingegen eröffnet es eine neue Entwicklungs-Perspektive. Sie fangen an, sich Gedanken darüber zu machen, wo sie derzeit stehen und an welchen Aufgaben sie immer wieder hängen bleiben und sich überfordert fühlen.

eLearning Journal: Welche Ergebnisse kamen beim Testen der Lernmodule in der Praxis heraus? Wie können die gewonnenen Erkenntnisse auf andere Unternehmen und deren Lernkultur übertragen werden?

Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Wissen zum informellen Lernen bei allen Teilnehmenden erhöht, vor allem bei denen, die bereits etwas Vorwissen mitbringen. Die Anwendung ändert sich nicht, was sowohl daran liegen kann, dass informelles Lernen bereits häufig verwendet wird, oder weil die Anwendungsphase von einer Woche zu kurz ist, um offensichtliche Veränderungen aufzuzeigen. Da das Training ein freiwilliges Angebot ist, holen sich Interessierte damit neue Impulse. Eine künftige Herausforderung wird sein, auch diejenigen zu erreichen, die bisher kaum mit informellem Lernen in Berührung gekommen sind. Um Raum für Individualität und Flexibilität zu lassen, stellen wir das Training unseren Projektpartnern künftig in Form von kurzen Micro-Learning-Blöcken auf ILIAS zur Verfügung, die auf Unternehmens- oder Lerner-Ebene nach Bedarf zusammengefügt werden können.

Vielfältige Maßnahmen können unabhängig des Unternehmens allein dadurch ein Bewusstsein schaffen, dass Lernende bei Berührung mit einer Maßnahme anfangen, über ihr Lernverhalten zu reflektieren. Reflektionsfähigkeit ist entscheidend, um hier zu profitieren. Voraussetzung für informelles Lernen ist außerdem, Mitarbeitende zum selbstständigen Lernen zu befähigen und zu ermutigen. Es kann beispielsweise helfen, Raum für Austausch zu schaffen.

eLearning Journal: Zum Abschluss: Warum sollte man Ihren Vortrag auf der LEARNTEC 2023 auf keinen Fall verpassen?

Wir werden mehrere Ansätze vorstellen, die wir erprobt haben, um informelles Lernen sichtbar zu machen. Sie können also von unseren Erfahrungen in mehreren KMUs und im TÜV NORD-Konzern profitieren und Impulse für Ihren Arbeitsalltag mitnehmen, egal ob Sie dabei durch die Brille des/r Lernenden oder die Ihres Unternehmens schauen. Gerade weil informelle Lernprozesse oft nebenher ablaufen, beschert es uns einen Aha-Moment samt effizienterer Arbeitsweisen, wenn wir uns näher damit befassen.

Kontakt:

Katja Häußermann
Universität Ulm

katja.haeussermann@uni-ulm.de
www.uni-ulm.de

Marcel Domanski
TÜV Nord

madomanski@tuev-nord.de
www.tuev-nord.de