Vertrauen, Commitment und Begeisterung für neues Lernen entfachen

E-Learning-Verantwortliche müssen Überzeugungstäter sein. Sie müssen mehrere Zielgruppen ansprechen, unterschiedliche Interessen bedienen und Konsens für neue Projekte erzielen. Stakeholder-Management wird zur Königsdisziplin, die wichtiger ist als technische oder didaktische Expertise.

Autor: Dr. Lars-Peter Linke

Abb. 1: Die Relevanz-Matrix sortiert verschiedene Stakeholder in punkto Einfluss und Beeinflussbarkeit.

Oft läuft es in Unternehmen nach dem gleichen Drehbuch ab: In aufwendiger mühevoller Kleinarbeit setzt die HR-Abteilung alles auf die Einführung eines neuen E-Learning-Angebotes. Monatelang werden Bedarfe ermittelt, der Markt sondiert, Leistungen ausgeschrieben, Angebote begutachtet, Plattformen und Webinare getestet, Anbieter konsultiert, Berater beauftragt, Systeme integriert und schließlich die neue Lernplattform gelauncht. Nicht immer mit einem großen Knall, aber auf alle Fälle mit großen Hoffnungen. Leider werden diese oft nicht mal ansatzweise erfüllt.

Im schlimmsten Fall hält sich die Zahl der Menschen, die sich einloggen, um von den neuen Lernangeboten zu profitieren, in engen Grenzen. Das kann eine Folge von langweiligen Themen, mangelnder Interaktivität und praxisfernen Inhalten sein. Muss es aber nicht. Auch perfekt auf die Zielgruppen zugeschnittenen Angebote können an mangelnder Akzeptanz und niedriger Resonanz scheitern, wenn sie schlecht kommuniziert werden. Um so wichtiger ist die treffende und wohl-dosierte Kommunikation mit allen, die in irgendeiner Form von der Lernplattform betroffen sind. Diese Stakeholder (von englisch „to hold a stake“ = beteiligt sein“): Das braucht Zeit, Aufmerksamkeit und einen Plan. Vor allem viel Vorbereitung.

Wenn HR-Verantwortliche dem Stakeholder-Management bei der Einführung zu wenig Aufmerksamkeit schenken, kann das mehrere Gründe haben. Manche halten Kommunikation für einen Selbstläufer und hoffen, dass sich die Qualität ihres Bildungsangebots von selbst „verkauft“. Andere fühlen sich unsicher, rechnen mit Gegenwind und möchten möglichst lange im Verborgenen arbeiten, um dann schlussendlich eine Lösung zu präsentieren, die allen Interessen und allen Bedarfen gerecht wird. Leider findet sich so eine Lösung höchst selten. Angesichts von Budgetverantwortungen in sechsstelliger Höhe – ganz abgesehen vom strategischen Gewicht des Corporate Learnings für die Überlebensfähigkeit des Unternehmens – sollte es sich von selbst verstehen, dass Kommunikation und internes Marketing einen Großteil des Arbeitstages und auch des Budgets der Lernverantwortlichen ausmachen. Schließlich geht es bei der Einführung einer neuen Lernplattform um viel: Wenn Menschen nicht nur Neues lernen, sondern auch das Lernen neu lernen sollen, wird von ihnen eine mittelschwere Verhaltensänderung erwünscht. Ihr Verhalten ändern Menschen aber äußerst ungern. Sucht-Therapeuten, Ernährungsberater und Change-Manager und Marketingprofis können ein Lied davon singen. Von ihren Erfahrungen, Routinen und Erfolgsrezepten für gutes Stakeholder-Management können Lernmanager und HR-Verantwortliche einiges lernen.

Im Fokus: Einfluss und Interesse der Beteiligten

Die Stakeholder-Matrix, die alle Beteiligten und Betroffenen in einer Matrix anordnet, kennen HR-Verantwortliche, wenn ihr Unternehmen Projektmanagement-Seminare oder -Zertifizierungen anbietet. Projektmanager sind es gewohnt, die unterschiedlichen Stakeholder auf zwei Skalen oder hinsichtlich zweier Fragen anzuordnen: Wie hoch ist ihr Einfluss und wie hoch ist ihr Interesse?

So lassen sich Mitarbeiter, Vorgesetzte, Führungskräfte, Fachverantwortliche und andere Interessenvertreter (Betriebsrat, Compliance-Beauftragte) nicht nur hinsichtlich ihrer Funktion einordnen, sondern auch hinsichtlich ihres Wohlwollens und ihrer Unterstützungsbereitschaft für das neue Projekt. Man weiß besser, mit wem man es zu tun hat. Und wie man mit Kommunikation frühzeitig gegensteuern kann, bevor ein Projekt offen oder verdeckt Gegenwind erfährt. Die unterschiedlichen Zielgruppen lassen sich gewichten, um die Kommunikation punktgenau abzustimmen:

  • A-Stakeholder: bieten sich für eine strategische Partnerschaft an. Kommunikation mit A-Stakeholdern ist Chefsache, um sie zu Multiplikatoren und „Evangelisten“ zu befördern. In der Praxis sind dies oft Verantwortliche aus Unternehmensbereichen, die sich besondere Vorteile durch neue Lernformen erhoffen und großen Change-Bedarf für ihren Bereich ausgemacht haben.
  • B-Stakeholder: haben hohen Einfluss für das Unternehmen, sind bisher aber noch nicht als Fürsprecher des Projekts in Erscheinung getreten. Diese Personenkreise stufen Stakeholder-Manager oft als Risikogruppen ein: Man weiß nicht, wie sie reagieren. Aber man kann sich sicher sein, dass sie, sobald sie sich gegen das Projekt wenden, die Folgen spürbar sind. Um so wichtiger ist es, diese Personen frühzeitig einzubinden und mit Argumenten zu gewinnen, für die sie empfänglich sind. Ein Finanzvorstand zum Beispiel lässt sich immer noch am besten mit Zahlen überzeugen…
  • C-Stakeholder: Manche Gruppen können es kaum erwarten, dass ein Lernprojekt endlich online geht und freuen sich über jede Information. Ihr Engagement ist wohltuend. Aber aufgepasst: Fans können auch Zeit- und Ressourcenfresser sein.
  • D-Stakeholder zeichnen sich weder durch hohen Einfluss noch durch großes Interesse aus. Sie stehen nicht im Mittelpunkt der Kommunikationsstrategie. Vergessen oder vernachlässigen sollte man sie jedoch nie…
Abb. 2: Soziale Normen und die bildung von Vertrauen und Misstrauen.

Information reicht nicht, Kommunikation ist das Ziel…

Wie so viele Matrix-Darstellungen und Indices ist auch die Stakeholder-Matrix nie der Weisheit letzter Schluss und täuscht durch die Darstellung von Vermutungen und Einschätzungen oft mehr Einblick in die Interessen der Stakeholder vor als man tatsächlich hat. Ist der Betriebsrat wirklich so engagiert? Hat der Finanzvorstand wirklich kein Interesse an den Inhalten der neuen Lernprogramme? Man weiß es nicht. So lange nicht, bis man fragt und mit den Parteien ins Gespräch kommt. Genau dafür leistet die Stakeholder-Matrix gute Dienste. Sie rückt ins Bewusstsein, dass unterschiedliche Stakeholder eigene Interesse verfolgen und unterschiedlich angesprochen werden wollen. Mittel der Wahl ist der Dialog, der unterschiedliche Meinungen zu Tage fördert und nebeneinander bestehen lässt.

Währungen für geglückte Stakeholder-Kommunikation. Vertrauen, Reputation und Commitment

Die Kommunikationsstrategien für neue Lernideen sollte immer mehr als auf reine Information setzen: Information der Stakeholder ist Einbahnstraßenkommunikation, die die Stakeholder lediglich zu Empfängern von Nachrichten und Ankündigungen macht. Ein Dialog dagegen schafft Verbindungen und Kontakt – und das am besten lange bevor die neue Lernplattform zum Einloggen bereitsteht. Wenn also zum Beispiel vor Einführung einer neuen Lernplattform auch Skepsis und ablehnende Argumente im Raum stehen – vom Datenschutz über Angst vor Einsparungen bis zu nostalgischer Treue für lieb gewonnene Lernformate und Lernpartner –, dann sollten Lernverantwortliche diesen Argumenten Raum und Bühne geben. Nur im Dialog können die drei Währungen geglückter Stakeholder-Kommunikation ihren Wert entfalten: Vertrauen, Reputation und Commitment.

Abb. 3: Commitment ist das Ergebnis einer einfachen Rechnung: Zufriedenheit + Investitionen – Alternativen.

Vertrauen ist immer wichtig, wenn Menschen dazu bewegt werden sollen, Neues zu akzeptieren und zu unterstützen. Wenn im Zuge von Learning Analytics, Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung des Lernens gar ein wahrer Vertrauenssprung anvisiert ist, potenziert sich die Bedeutung des Vertrauens noch einmal: Vertrauen in Lernsysteme, Vertrauen in Lernstrategien und nicht zuletzt Vertrauen in die Menschen, die für dieses neue Lernen stehen. Zum Glück hat sich mittlerweile die wissenschaftliche Disziplin der Vertrauenswissenschaft entwickelt. Ihre Bedeutung boomt. Die Vertrauenswissenschaftler haben zum Beispiel identifiziert, was den Aufbau von Vertrauen in Stakeholder-Beziehungen bestimmt: Offenheit, Ehrlichkeit, Toleranz, Reziprozität und Fairness:

  • Offenheit: Die Programmierer der Corona-App haben gezeigt, wie es geht: Sie haben den Quellcode der App vor der Veröffentlichung vollständig offengelegt. Also besser keine Geheimnisse über Systemanforderungen, Anbieterauswahl oder sonstiges bei der Einführung einer neuen Lernplattform oder neuer Lernprogramme…
  • Ehrlichkeit: Keine bewusste Verfälschung, keine falschen Versprechen. Weder technisch noch inhaltlich könnte eine Lernlösung die Ansprüche und Anforderungen aller lösen. Dazu sind die Interessen der Stakeholder viel zu unterschiedlich. Also lieber gleich offenlegen, was nicht geht…
  • Toleranz: Toleranz ist ein weites Feld, das in vielen Unternehmenskulturen erst noch eingeübt sein will. Ganz im Einklang mit dem Eintreten für Vielfalt in jeglicher Perspektive sollten Lernverantwortliche sich auch in Toleranz für Vorlieben für Lernformen üben, die bei ihnen gerade nicht hoch im Kurs stehen. So sehr selbstgesteuerte Lernformate und agiles Lernen momentan auch angesagt sein mögen – es gibt auch Menschen, die Frontalunterricht und klassische Lernformate gar nicht schlecht finden. Und das ist ihr gutes Recht… Diese Menschen darf man nicht durch falsche Ansprache („Wording“) und unbewusstes Ausschließen verlieren.
  • Reziprozität: Vertrauen gewinnt man leichter, wenn man in Vorleistung geht. Neue Lernprogramme geben den Mitarbeitern viel: Wissen, Inspiration, Einsichten, Spaß. Aber sie verlangen auch viel: Zeit (eventuell sogar Freizeit) Mut, Anstrengung…. Bleibt die Frage: Wie lässt sich in punkto Vertrauen in Vorleistung gehen? Sicher nicht in Form schriftlicher Vereinbarungen, die den Mitarbeiter über Pflichten aufklären und harte Deadlines setzen. Vielleicht kann man symbolisch oder real etwas vorschießen, weil man darauf vertraut, dass die Mitarbeiter sich einbringen und ihr Lernpensum erfüllen werden?
  • Fairness: Der Begriff aus dem Sport beschreibt die Art und Weise, wie Leistung und Gegenleistung zustande kommen. Vertrauen kann nicht entstehen, wenn sich eine Seite über den Tisch gezogen fühlt. Für das Thema Lernen heißt das: Mitarbeiter sollten nicht den Eindruck gewinnen, dass durch die Einführung von Online-Angeboten andere „Goodies“ wie Präsenz-Seminare oder Team-Events entfallen oder das Lernen stillschweigend in die Freizeit verlagert wird.

Offenheit, Ehrlichkeit, Toleranz, Reziprozität und Fairness sind wichtige Grundlagen für Vertrauen in neue Lernkulturen und neue Lernangebote. Leider fährt der Zug auch in die andere Richtung: Jeder Mangel an einem dieser Faktoren erhöht das Misstrauen und läutert das Scheitern eines Lernprojektes ein, bevor es überhaupt offiziell gestartet ist.

Fast für immer und ewig: Commitment ist eine Frage der Beziehung

Mitarbeiter sollen sich nicht nur anfänglich für eine neue Lernplattform begeistern, sondern für immer: langfristig und mit ganzem Herzen. Leider ist die Konkurrenz immens groß. Nicht nur, dass andere Unternehmen auch schöne Lernplattformen haben. Auch Youtube, LinkedIn, TED und Co locken mit Content und Lernangeboten, die aktuell, professionell, cool und in vielen Fällen sogar gratis sind. Wie lässt sich in diesem Wettbewerb garantieren, dass die Mitarbeiter mit ganzem Herzen dabei sind und nichts auf ihre Lernplattform kommen lassen? Was garantiert ihr Commitment? Die Antwort ist einfach, aber ernüchternd: Commitment lässt sich weder in einer Paarbeziehung noch im Verhältnis zu einer Lernplattform garantieren. Aber es lässt sich berechnen. „Commitment = Zufriedenheit plus Investitionen minus Alternativen“. So lautet die brutal einfache Rechnung, die die Psychologin Caryl Rusbult für romantische Beziehungen aufgestellt hat. Sie lässt sich auf jede Stakeholder-Beziehung übertragen: Das Commitment für eine Beziehung ist um so ausgeprägter, je zufriedener eine Person mit dieser Beziehung ist. Es sinkt, wenn andere Alternativen zur Verfügung stehen. Aber, und das ist die gute Nachricht, die in dieser Rechnung liegt: Das Commitment steigt, wenn Menschen selbst viel in diese Beziehung investiert haben: Zeit, Ressourcen und Energie. Genau deshalb lohnt es sich, möglichst viele Stakeholder rechtzeitig und umfassend in die Planung des Lernangebots einzubinden: Das macht das Angebot einzigartig. Das gibt dem Lernen das wertvolle Gefühl der Gemeinsamkeit. Es macht das Angebot richtig wertvoll. Wer kann dazu schon Nein sagen? Professionelles Stakeholder-Management ist mindestens ebenso erfolgsentscheidend wie Software und Lerninhalte. Letztere Parameter kann man übrigens ändern oder wechseln, wenn sich ersehnte Erfolge nicht wie gewünscht einstellen. Ein Aufsetzen oder ein Neustart des Stakeholder-Managements wäre dann schon weitaus schwieriger…

 


Der Autor:

Dr. Lars-Peter Linke

besitzt über zwanzig Jahre Erfahrung in der Erwachsenenbildung und in der Personalentwicklung. Heute berät er mit seiner Agentur für Bildungskommunikation CORPORATE LEARNING COMMUNICATION Akademien, Bildungsanbieter und Personalabteilungen in allen Fragen rund um Kommunikation, Vermarktung und Positionierung.

 


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