Vom klassischen Kurs zum situationsbezogenen Lernen
Workplace Learning für Ausbildungsbeauftragte

Modularer Aufbau – Das Training besteht aus vielen kleinen Lerneinheiten, die in sich abgeschlossen sind. Um den eigenen Fortschritt zu dokumentieren, kann man einen „Nano-Degree“ erwerben, also ein sehr kleines Mini-Zertifikat, das Thema und Zeitpunkt nachweist.

Wenn Azubis draußen in Filialen oder anderen Arbeitsorten eingesetzt werden, ist es für die Ausbildungsleitung schwer, einen einheitlichen Standard der Ausbildung zu gewährleisten. Vor Ort werden sie nicht von hauptberuflichen Ausbildern betreut, sondern von Praktikern und Praktikerinnen vor Ort, die dafür ihre eigentliche Tätigkeit unterbrechen müssen. Für sie ist es schwer, schnell die Rolle zu wechseln und sich zuverlässig an den betrieblichen Standards zu orientieren.

Die duale Ausbildung gilt als besondere Stärke der deutschen Wirtschaft. Dabei wird das Ausbilden im Betrieb, direkt am Arbeitsplatz, immer wichtiger. Durch immer kürzere Innovationszyklen und entsprechende Veränderungen in den Organisationsstrukturen der Unternehmen verändern sich laufend die Berufs- und Arbeitsbedingungen – für die Auszubildenden wie auch für die Ausbilder selbst. Die Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) legt fest, was IHK-geprüfte Ausbilder können müssen. Doch so etwas gibt es nicht für die verschiedenen „Ausbildungsbeauftragten“, also für die Fachleute, die die Azubis nebenamtlich vor Ort betreuen. Diese Lücke füllt jetzt AEVO Digital+, das in einem Projekt mit RTL Deutschland entwickelt wurde.

Lernbedarfe

RTL Deutschland ist ein großes Unternehmen mit ca. 7.500 Mitarbeiter:innen und verteilten Standorten. Hier, wie etwa auch in großen Filialunternehmen, durchlaufen Azubis abteilungs- und standortübergreifend verschiedene betriebliche „Versetzungsstellen“. Dort werden sie nicht von den hauptberuflichen Ausbildern betreut, sondern von Praktiker:innen vor Ort, am Arbeitsplatz: eben von Ausbildungsbeauftragten.

Für eine möglichst praxisnahe Fachausbildung ist das gut und wichtig, aber es wirft ein Problem auf: Auf diese Weise folgt ein großer Teil der Ausbildung nicht einheitlichen Standards. Die Ausbildungsbeauftragten und Fachausbilder:innen sind der rechte Arm der Ausbildungsleitung, aber für sie gibt es keine verpflichtenden Weiterbildungen. In vielen Unternehmen sind sie auf sich allein gestellt, weil es dafür kaum Budget gibt. Bei RTL gab bisher dafür mehrtägige Präsenzkurse. Von dort kehrte man dann mit einer großen Menge an Informationen zurück an den Arbeitsplatz, aber der Nutzen blieb oft gering, weil kein direkter Praxistransfer in den Arbeitsalltag erfolgte.

Vor diesem Hintergrund hat die AEVO Digital GmbH, einem Joint Venture der CLC GmbH und Vocanto GmbH, sowohl beim langjährigen Partner RTL aber darüber hinaus durch entsprechende Rückmeldungen anderer Unternehmen im Markt den Bedarf für ein „Learning-on-Demand“-System für Ausbildungsbeauftragte erkannt. Das war der Startschuss für das Projekt AEVO Digital+. Da die RTL Deutschland für die Ausbildung ihrer Ausbilder bereits den Online-Kurs „AEVO Digital“ nutzte, war das Unternehmen gleich dazu bereit, als Pionier-Anwender am Projekt der AEVO Digital+ mitzuwirken.

Hierbei sollte es sich nicht um Prüfungslernen handeln, sondern um Workplace Learning: Man greift genau dann auf Lerninhalte zu, wenn man sie unmittelbar benötigt. Will man zum Beispiel ein Feedbackgespräch mit einem Azubi durchführen, kann man sich vorher das passende Video ansehen, die Übungsaufgaben durchgehen und dann noch eine Checkliste herunterladen, die das anschließende Gespräch erleichtert. Weitere relevante Themen sind etwa Zeitmanagement, Generationen und/oder der tolerante Umgang mit kultureller Vielfalt.

Projektverlauf

Von der ersten Idee bis zur Umsetzung hatte das Projekt einen zeitlichen Umfang von sieben Monaten. Aus den Ausbilder-Kursen gab es bereits Inhalte und Medienbausteine, aus denen man auswählen konnte, aber das musste nun aus der Nutzerperspektive der Praktiker:innen ganz neu überdacht und strukturiert werden.

Ausgangspunkt waren Interviews mit Personen aus der potenziellen Zielgruppe, um aus deren Sicht den „Problemraum“ besser zu erfassen. In Workshops nach der Design Thinking-Methode erstellte AEVO Digital dann zwei Prototypen mit unterschiedlichen Herangehensweisen an das arbeitsplatznahe Lernen. Nach der Auswahl durch RTL wurde eine Vorab-Version mit rudimentären Funktionen gebaut: ein „Minimum Viable Product“ (MVP), also das kleinste und einfachste Produkt, das bereits die Grundfunktionen erfüllt. Das wurde bereits direkt mit der Zielgruppe getestet.

Diese Nähe zu den Nutzer:innen war auch bei der weiteren Entwicklung entscheidend: Alle Lern-Nuggets und Bausteine mussten so beschaffen sein, dass sie sich in die praktischen Abläufe an sehr unterschiedlichen Arbeitsplätzen einfügen. In vielen Iterationsschleifen wurde die Erfahrungen und Beobachtungen laufend zurückgespeist.

Am Ende stand ein System, das genau an die Bedürfnisse des Workplace Learning angepasst ist. Inhaltlich und didaktisch ist es aus Modulen aufgebaut, die von den AEVO Digital-Expert:innen entwickelt wurden. Da diese selbst lange Zeit als Ausbilder:innen oder Trainer:innen tätig waren, verfügten sie über das nötige Know-how, um die Lerninhalte für die Ausbildungsbeauftragten maßzuschneidern – so tiefgehend wie nötig, so praxisnah und anwendbar wie möglich.

Über PC oder Smartphone ist die Plattform AEVO Digital+ bei Bedarf jederzeit zugänglich. Kleine Lerneinheiten (Learning Nuggets) und der didaktisch sinnvolle Mix aus Videos, Quiz und Checklisten ermöglichen es, das passende Modul aus der jeweiligen Situation heraus aufzurufen und sich dann in einer halben Stunde vorzubereiten oder in ein paar Minuten das Wissen noch einmal aufzufrischen.

Typische Elemente von herkömmlichen eLearning-Kursen wie Transferaufgaben oder Lernerfolgskontrollen wurden nun so gestaltet, dass sie das Selbstlernen der Praktiker:innen direkt unterstützen. Um den eigenen Fortschritt zu dokumentieren, kann man nach der Beschäftigung mit einem Nugget, wenn man will, einen „Nano-Degree“ erwerben, also ein sehr kleines Mini-Zertifikat, das Thema und Zeitpunkt nachweist. Für die Ausbildungsleitung ist im Backend ersichtlich, wie viele Teilnehmende welche Nuggets aufgerufen und welche Nano-Degrees sie erworben haben.

Zu jeder Lerneinheit gehört eine Checkliste oder ein Bündel von konkreten Tipps, um den Transfer in die Praxis zu erleichtern. An geeigneten Stellen wird durch Diskussions- und Impulsfragen zum Austausch mit den Kolleg:innen angeregt. Auf diese Weise kann allmählich ein unternehmensbezogener Pool von Hinweisen entstehen, der sich ständig weiter anreichert.

Lernerfolg

Für den Rollout wurde das Jahrestreffen der Ausbildungsbeauftragten genutzt, ergänzt durch Live-Online-Formate, um Rückfragen schnell zu beantworten. Kurze Videos zu möglichen Szenarien im Ausbildungsalltag verdeutlichten den Nutzen für die täglichen Ausbildungsarbeit. Durch die Rückmeldungen entstand ein Q&A-Fragenpool, der jederzeit aufrufbar ist. Nach etwa zwei Monaten war das System im Arbeitsalltag angekommen. Die Fragen zur Bedienung gingen stark zurück. Interne Auswertungen bestätigten, dass AEVO Digital+ von der Zielgruppe genutzt wird und einen wichtigen Baustein in der Arbeit mit Auszubildenden darstellt.

Fazit

Ausbildungsbeauftragte sind Praktiker:innen, die sich am Arbeitsplatz zusätzlich zu ihren vielfältigen Fach-Aufgaben um die Azubis kümmern. Sie sind darauf angewiesen, dass Lernphasen und die praktische Anwendung so nah wie möglich zusammenrücken. Das erfolgreiche Projekt von AEVO Digital und RTL, aus dem die AEVO Digital+ Plattform hervorging, zeigt einen Weg auf, wie man Lernprozesse und so weit wie möglich in den Prozess der Arbeit integrieren kann. Die Vorteile für alle Beteiligten liegen auf der Hand:

  • Die unmittelbare Praxisnähe führt zu einem viel größeren Transfererfolg.
  • Die Lernerfahrung ist viel organischer. Die Ausbildungsbeauftragten lernen in ihrem eigenen Tempo und entscheiden selbst, welche Informationen für sie relevant sind.
  • Auszubildenden durchlaufen abteilungs- und standortübergreifend eine gleichwertige Ausbildung, sie werden fair beurteilt und konsistent betreut.
  • Das Unternehmen profitiert vom einheitlichen Qualitätsstandard, weil Unterschiede in der Ausbildungsbetreuung zwischen einzelnen Filialen, Standorten oder Abteilungen verkleinert werden.

Diese exemplarische Lösung prämiert die Jury des eLearning AWARD 2022 mit einem „SonderAWARD: eLearning-Innovation“.


Vorgaben & Besonderheiten

Vorgaben:
Standardisierung der Ausbildung draußen im Feld, Learning on Demand sowie unkomplizierter Zugriff mit allen Geräten.

Besonderheiten:
Learning Nuggets mit direktem Praxisbezug, Nano-Degrees, Praxiserfahrungen reichern den Inhalt an.


Projektverantwortliche

AEVO Digital GmbH

Johannes Schulte
Geschäftsführer

AEVO Digital GmbH
Otto-Lilienthal-Straße 11
D-50259 Pulheim

j.schulte@aevo-digital.de
www.aevo-digital.de

 

CLC – Corporate Learning & Change GmbH

Josef Buschbacher
Geschäftsführer

CLC – Corporate Learning & Change GmbH
Viergiebelweg 24
D-70192 Stuttgart

j.buschbacher@clc-learning.de
www.clc-learning.de