Erstellen eines Business Case für Learning Systeme

In der aktuellen Corona-Zeit erfährt digitales Lernen eine große Aufwertung. Es ist noch nicht lange her – es war Anfang Februar 2020 – da sahen 90% der europäischen Unternehmen erhebliche Qualifikationslücken in ihrer Organisation, und 79% sahen in der Entwicklung neuer Kompetenzen eine hohe Priorität.1

Momentan spüren jedoch viele Unternehmen den Druck effizient zu wirtschaften, die Kosten zu senken und verstärkt ihre Cashflow-Position zu verteidigen. Es liegt also nahe, bei größeren Investitionen die Pause-Taste zu betätigen, und grundsätzlich bilden auch die Ausgaben für betriebliche Bildung hierbei keine Ausnahme. Im Rahmen dieser Diskussion verweist mancher Finanzchef mitunter auf den derzeitigen Angebotsüberhang auf dem Arbeitsmarkt. Und während es für einige Jobs tatsächlich eine kurzfristige, vorübergehende Erleichterung geben könnte, werden Fachkräftemangel und Qualifikationslücken jedoch nicht wirklich verschwinden. Denn sobald sich die Volkswirtschaften in den nächsten Monaten stabilisieren und wieder zu wachsen beginnen, werden die übergreifenden Trends wieder auftauchen.

Als Reaktion auf den COVID-19-Lockdown haben eine Vielzahl von Organisationen ihre Ausgaben für digitales Lernen insbesondere in den Bereichen der Inhalte, der Learning-Plattformen und der digitalen Learning Services erhöht.2 Die Studie der Fosway Group zeigte auch: das Top-Management fragt digitales Lernen nach: 82% erkennen den Wert, den digitales Lernen derzeit für ihr Unternehmen bieten kann. 10% der befragten Unternehmen gaben sogar an, als Reaktion auf die Pandemie unmittelbar einen Beschaffungsprozess durchlaufen zu haben, um die Einsatzmöglichkeiten für digitales Lernen im Unternehmen zu verbessern.3

Es steht natürlich außer Frage, dass digitales Lernen in diesem Zusammenhang so viel mehr sein muss, als nur ein digitaler Inhalt. Für den Erfolg ist es unabdingbar, dass kollaboratives Arbeiten und Lernen, Coaching, Feedback und Reflexion gefördert werden, um den Mitarbeitern zu helfen, mit den seismischen Veränderungen zurechtzukommen, die wir alle aktuell erleben.

Verbreitungsgrad verschiedener Ansätze zur Verringerung von Skill-Gaps. | Quelle: Fosway Group – Learning Realities Survey, Februar 2020.

Wie sichern Sie sich das Investment in schweren Zeiten?

Die potenzielle Unterstützung Ihrer hochrangigen Stakeholder ist Ihnen also gewiss. Der Business Need ist ebenfalls offensichtlich. Sie müssen sich aber immer noch das endgültige Buy-in für eine Investition sichern und dies während eines wirtschaftlichen Abschwungs und einer ungewissen Zukunft? Wie machen wir das?

Das Erstellen eines Business Cases ist für L&D-Experten keine neue Herausforderung. Aber in diesen Zeiten einen erfolgreichen Case zu präsentieren, der sicherstellt, dass das Lernen am Arbeitsplatz nicht aus dem Fokus gerät, könnte sich als ein kritischer Punkt für das Überleben der Organisation herausstellen. Die Erkenntnis, dass Lernen Priorität hat oder dass beim Top-Management hier eine Nachfrage besteht, ist leider nicht gleichbedeutend damit, dass Ihre wichtigsten Stakeholder einer Investition zustimmen.

Im Rahmen unserer Corporate Research-Aktivitäten sehen wir buchstäblich Hunderte von Business Cases für Learning Systeme. Während Unternehmen häufig Standardvorlagen für die interne Einreichung eines Business Cases haben, verfügen die besten immer über eine einfache und klare Struktur. Insbesondere enthalten sie in der Regel einen Executive Summary, der den vielbeschäftigten Entscheidern eine Übersicht des Cases samt der wesentlichen Zahlen präsentiert.

Darüber hinaus muss der Business Case eine detaillierte Beschreibung und Analyse des Investitionsvorhabens enthalten, die Gründe darlegen, warum Sie es durchführen möchten, die finanziellen Vorteile aufzeigen und beschreiben, wie und in welchem Zeitrahmen Sie ihn umsetzen möchten, und welche Risiken bestehen. Aber letztendlich ist ein großartiger Business Case nicht viel wert, wenn es kein wirkliches Verständnis dafür gibt, was Sie vorschlagen!

Dies mag verblüffend offensichtlich klingen, aber Sie wären erstaunt wie viele Business Cases wir lesen mussten, die dies in undurchsichtigen Begriffen und Beratersprache verklausulieren. Machen Sie es einfach und machen Sie klar, was Sie vorschlagen!

Verknüpfung zu echten Nutzenaspekten für das Business

Fosway Business Case – 3-Schichten-Modell zur Strukturierung eines Business Cases.

Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist es, die Ziele Ihres Vorhabens und die damit verbundenen Lernziele mit relevanten Kennzahlen zu den wesentlichen Treibern des Geschäfts zu verknüpfen. Dies können zum Beispiel sein:

  • Das Geschäftsergebnis und die Effektivität der Geschäftstätigkeit inklusive, Umsatzwachstum, Gewinn, Kundenzufriedenheit, durchschnittliches Auftragsvolumen, Kundenbindung, Produktivitätskennzahlen, usw.
  • Mitarbeiterzufriedenheit und Führung, inklusive Mitarbeiterzufriedenheit, Fluktuationsraten, interne Rotationsmöglichkeiten, etc.
  • Compliance und Risikoreduktion, wie beispielsweise die Einhaltung von Vorschriften, Schulungsnachweise, Reduktion von Arbeitsunfällen, Erbringung behördlicher Nachweise/ Aufzeichnungen, usw.
  • Speed-to-Performance, die Verkürzung der Zeit, mit der Mitarbeiter neue Skills erlernen, ihre Arbeitsleistung verbessern oder sich an Veränderungen am Arbeitsplatz anpassen.

Diese Treiber wirken sich entweder direkt auf das Geschäft aus oder können als indirekte Faktoren verstanden werden (z.B. Mitarbeiterengagement, Prozess- oder Performance-Kennzahlen). Die wichtigsten Faktoren sind für die Entscheider dabei diejenigen, die sich direkt auf das Geschäftsergebnis auswirken –dies gilt besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Allerdings ist es für L&D nicht immer einfach, die direkten Einflussfaktoren auf den Geschäftserfolg seriös monetär zu bewerten. Daher wird der finanzielle Teil des Business Case oft auch von indirekten Einflussfaktoren abgeleitet, wie z.B. der (verkürzten) Zeit bis zu der Mitarbeiter voll produktiv tätig sein können. Das folgende Bild zeigt schematisch wie sich monetäre Nutzenaspekte und die für Entscheider relevanten Geschäftstreiber über die drei Ebenen typischerweise verteilen.

Die Nutzenaspekte neuer Learning Systeme werden oftmals auf den unteren Ebenen des Modells hergeleitet, insbesondere:

  • Organisation & Prozesse: Nutzenaspekte, die in Bezug auf die Organisation, die Mitarbeiter, oder die Prozesse zu realisieren sind
  • Systeme & IT-Betrieb: Nutzenaspekte, die im Bereich der Systeme und des IT- Betriebs im Hinblick auf die einzusetzende Technologie zu realisieren sind.

Verbesserungen für Organisation und Prozesse ergeben sich beispielsweise dadurch, dass Mitarbeiter Zeit in Compliance-Schulungen investieren und so Unfallhäufigkeiten und Fehlzeiten zurückgehen, oder dadurch, dass Mitarbeiter flexibler an mehreren Arbeitsstationen eingesetzt werden können. Insbesondere ergeben sich Vorteile durch eine Verringerung der Kosten oder einer besseren Skalierbarkeit aktueller Prozesse, aber auch aus den Kosten zur Behebung von Qualitätsmängeln und Nacharbeit oder aus den Opportunitätskosten bei fehlenden Prozessen. Darüber hinaus können Nutzenaspekte aus dem Bereich der Organisation und der Prozesse auch aus den zurechenbaren Kosten für Management und Administration stammen.

Nutzenaspekte, die im Bereich der Systeme und des IT-Betriebs zu realisieren sind, stammen von den tatsächlichen Kosten für Lizenzen und den operativen Systembetriebskosten. Dabei sind die Gesamtbetriebskosten (TCO) zu berücksichtigen, die über die initialen Lizenzkosten oder die Nutzungsgebühren hinausgehen. Somit sind Kosten für Hosting, Integration, IT-Betrieb, sowie Supportkosten zu berücksichtigen. Für neu eingeführte System sind zudem Effekte einer möglichen Systemkonsolidierung oder die Abschaltung älterer Systeme zu berücksichtigen.

Der Kopf und das Herz

Die echten Business Driver ihres Learning Systems sind möglicherweise nicht die, die Sie im Business Case monetär bewerten werden. Stellen Sie sich das als Problem von „Kopf oder Herz“ vor. Die wahren Gründe für Ihr Vorhaben – der emotionale Case (oder das Herz) – besteht in der Regel darin, die Performance der Organisation zu beeinflussen. Deren Bewertung ist allerdings oft aufgrund eines fehlenden, eindeutigen Wirkungszusammenhangs bei der Attribution der Nutzenaspekte schwierig. Demgegenüber ist der Kopf-Teil, also der finanzielle Business Case oftmals leichter auf messbare, transaktionale Verbesserungen oder Vorteile im Systembetrieb zurückzuführen.

Die andere Schlüsseldimension eines Business Cases ist übrigens eine Betrachtung der zeitlichen Dimension, also wie und wann Sie erwarten, dass die potenziellen Nutzenaspeke tatsächlich eintreten. Der Ansatz für den System-Rollout und dessen Timing sind daher ebenfalls für den Business Case sowie für die Glaubwürdigkeit Ihre Plans von entscheidender Bedeutung.

Big-Bang oder Deployment in Phasen

Besonderer Bedeutung kommt der Frage zu, ob das Deployment des Learning Systems in Phasen oder als Big-Bang erfolgt.

Wenn Sie ein neues Learning System implementieren, müssen Sie entscheiden, ob alle Mitarbeiter gleichzeitig auf alle Funktionen und Prozesse Zugriff erhaltenen sollen, oder ob Sie diese sukzessive aktivieren möchten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nutzungsgebühren bei Cloud-Verträgen typischerweise dann fällig werden, wenn Sie den Nutzungsvertrag unterschreiben und nicht erst dann, wenn die Mitarbeiter das System zu nutzen beginnen. Dies ist eine wichtige Überlegung, da die Vorteile durch die Nutzung des Systems erst dann entstehen, wenn es von den Benutzern eingesetzt wird. Aber Achtung: dies führt häufig zu der simplen Annahme, dass ein Big-Bang-Ansatz der beste – oder schnellste – Weg ist, um einen vorteilhaften Business Case zu erzielen. Aber leider ist dies in der Realität eher in Ausnahmefällen richtig, weswegen Sie gerade diesen Aspekt gründlich bei der Strukturierung ihres Plans betrachten sollten und mitunter mehrere Alternativen betrachten sollten.

Und obwohl es offensichtlich sein sollte, aber betrachten Sie auf jeden Fall auch die Kosten und Nutzenaspekte, die für Change Management und für Systemschulungen zu berücksichtigen sind, denn diese sind mindestens genauso wichtig, um die im Business Case erwarteten Effekte realisieren zu können. In vielen Business Cases sind gerade die Kosten für diese beide Positionen häufig zu niedrig angesetzt. Sie können auch selten zu viel dafür ausgeben!

Der Trick beim Aufbau eines Business Cases für eine Investition in neue Learning-Technologie besteht darin, die Auswirkungen des Lernens auf die Leistung Ihrer Mitarbeiter und Ihres Unternehmens gut zu verstehen. Von einem gesicherten Standpunkt aus können Sie die geschäftlichen Prioritäten und Treiber für das Lernen und ihre tatsächlichen Auswirkungen besser artikulieren, zusammen mit einem soliden finanziellen Case. Da die Monetarisierung von Vorteilen aus L & D-Initiativen unweigerlich schwierig sein kann, hängt der finanzielle Case häufig auch von den pragmatischeren Nutzenaspekten für Organsiation und Prozesse oder dem System oder IT-Betrieb ab.

Die zentralen Thesen:

  • Richten Sie sich an den tatsächlichen Prioritäten des Geschäfts und dessen Werttreibern aus und erstellen Sie einen unterstützenden transaktionsbezogenen Case, der Bezug zu Verbesserungen auf Seiten der Organisation und Prozesse nimmt und mit den Vorteilen bei System und IT-Betrieb verknüpft ist.
  • Es ist einfacher monetär bewertbare Nutzenaspekte auf den Ebenen von Organisation und Prozessen oder System & IT-Betrieb zu identifizieren. Allerdings begründet sich damit meist noch nicht, weswegen Ihr Vorhaben gegenüber anderen Vorhaben vorgezogen werden sollte. Sie müssen neben einem soliden finanziellen Case auch einen emotionalen Case aufbauen und beide Aspekte ansprechen.
  • Der Umsetzungsfahrplan ist sowohl für den Business Case als auch für die zu erzielenden Ergebnisse von entscheidender Bedeutung. Seien Sie glaubwürdig, realistisch und ehrgeizig.
  • Während die meisten Nutzenaspekte erst im Laufe eines Projekts im Anschluss an ein erfolgreiches Deployment zum Tragen kommen, entstehen die Lizenzkosten oftmals schon zu Beginn des Projekts. Hierdurch sollten Sie sich nicht zu einem einfachen Big-Bang-Ansatz verleiten lassen, da dies Projektrisiken vergrößern kann und es mitunter schwieriger macht, diese zu managen.
  • Denken Sie daran, dass Nutzungsgebühren für Cloudlösungen, sofern nicht anders verhandelt, häufig schon zu Beginn der Vertragslaufzeit und nicht erst nach einer erfolgreichen Systemabnahme anfallen.

Quellen:

1 Fosway Group, Digital Learning Realities Research.
2 Fosway Group, Wie verändert COVID-19 die betriebliche Weiterbildung?
3 Fosway Group, Wie verändert COVID-19 die betriebliche Weiterbildung?


Kontakt:

Dr. Sven Elbert
Fosway Group

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