Von der Lern-Kette zum Lern-Kreislauf
eLearning wird Teil einer ganzheitlichen Arbeitsschutz-Prävention

Datenintelligenz hilft Leben retten – Die Erfassung der Daten, auch zu jedem kleineren Vorfall, trägt dazu bei, dass das ganze Arbeitssicherheitssystem intelligenter wird. Informationen, auf die früher niemand geachtet hat, gelangen auf diese Weise schnell und direkt zu den Verantwortlichen für die Arbeitsschutz-Schulungen.

„In Waldbrunn wurden mehrere Mitarbeiter einer Entsorgungsfirma durch Giftstoffe teils schwer verletzt. Die Polizei hat nun neue Details veröffentlicht. Die giftigen Gase waren aus einem noch nicht vollständig gereinigten Arbeitsgerät ausgetreten. Von neun verletzten Personen seien zwei noch nicht wieder arbeitsfähig, ein Mitarbeiter der Firma werde noch im Krankenhaus behandelt.“ Soweit der Bericht der Lokalzeitung. Wie kann hier eLearning helfen?

Die Polizeimeldung verweist auf einen klassischen Fall für den Arbeitsschutz. Nach diesem dramatischen Unfall wird sicherlich das Schulungsprogramm verändert werden, aber eben erst im Nachhinein. Bisher sind die zwei relevanten Prozesse voneinander getrennt: Auf der einen Seite werden Unfälle in einem sogenannten Verbandbuch laufend registriert, auf der anderen Seite gibt es Arbeitsschutz-Schulungen, die von oben geplant sind.

Was es bisher noch nicht gab, ist ein ganzheitliches Arbeitsschutz-Managementsystem (AMS), das die Meldung von Unfällen oder auch nur Vorfällen direkt mit der Schulungsplanung koppelt. Die notwendigen Software-Voraussetzungen für ein solches System erstmals zu entwickeln und zu testen, war das Ziel eines Projekts, das der Anbieter Transgate mit dem Entsorgungsunternehmen Avea durchführte.

Lernbedarfe

Der Lernbedarf bei Unternehmen wie Avea ist klar: Alle relevanten Gefahrensituationen, die im laufenden Betrieb erkannt werden, sollten sofort zu veränderten Schulungen führen. Die Lernenden können dann davon ausgehen, dass ihre Sicherheit und Gesundheit bestmöglich geschützt ist. Im obigen Beispiel gab es offenbar eine Lücke beim Reinigungsvorgang eines Arbeitsgeräts. Vielleicht ist aber vorher schon einmal ein kleinerer Vorfall aufgetreten, aus dem man schon hätte lernen können. Genau diese Verbindung soll das digitale Prevenio®-Präventionssystem gewährleisten.

Die Vorgeschichte: Bisher gab es zwei komplementäre, aber unverbundene Software-Lösungen im Unfallschutz: Prevenio® und das Unterweisungssystem UWEB2000®. Die beiden Anbieter schlossen sich deshalb jetzt zusammen, um ein ganzheitliches System anbieten zu können. Die Avea GmbH ist ein Kunde, der UWEB2000® bereits seit Jahren erfolgreich einsetzte. In einem neuen Projekt sollte nun dort auch das digitale Prevenio®-Verbandbuch eingeführt und mit dem Unterweisungssystem verschmolzen werden.

Avea ist ein Entsorgungsunternehmen, das Gewerbeabfälle und Privatabfälle annimmt. Diese werden sortiert, geprüft, sicher verpackt, gelagert, wenn nötig behandelt und dann verwertet oder beseitigt, in einer Verbrennungsanlage oder einer sicheren Deponie. An vielen Stellen dieser Kette können Arbeitsunfälle auftreten, die für die Berufsgenossenschaft schriftlich aufgezeichnet und gemeldet werden müssen, und zwar unabhängig von der vermeintlichen Schwere der Verletzung. Dieses „Verbandbuch“ dient dann als Nachweis, dass ein Gesundheitsschaden bei einer versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

Immer noch werden einfache Verbandbücher in Heftform oder als Zettelblock dafür benutzt, aber das hat schwerwiegende Nachteile: Die Auswertung von Vorfällen stellt sich dann schwierig dar und gerade die Einbeziehung von Beinahe-Vorfällen und gefährlichen Situationen unterbleibt oft.

Das digitale Prevenio®-Verbandbuch erlaubt es nun, die Daten besser zu erfassen, rechtssicher darauf zuzugreifen und sie auch bei kleineren Vorfällen für Schulungen direkt auszuwerten, ohne eine umständliche und unzuverlässige Meldekette. Bisher unerkannte Risiken können dadurch sofort analysiert und bei der Schulung berücksichtigt werden.

Projektumsetzung

Prevenio® und UWEB2000® bestehen aus Softwaremodulen, die nach der Fusion der beiden Anbieter nun vereinheitlicht worden sind. Die Gesamtlösung wurde 2021 beim Projektpartner Avea zum ersten Mal eingeführt und unter Praxisbedingungen erprobt.

Das neue System sollte bereits die Aufnahme von Unfällen so gestalten, dass sich schon daraus Daten und Auswertungen ergeben, die dann direkt für geeignete Maßnahmen berücksichtigt und durch eLearning so schnell wie möglich an die Mitarbeitenden weitergegeben werden können. Ziel war eine viel besser abgestufte und effektivere Vermeidung von gefährlichen Situationen. Auf diese Weise werden auch Beschäftigte von Fremdfirmen oder Besucherinnen und Besucher in die laufenden Arbeitsschutz- und Präventionsprozesse integriert.

Die Herausforderung bestand unter anderem darin, den Übergang so fließend und reibungslos wie möglich zu gestalten. Für die Anwenderinnen und Anwender sollte es keine großen Umstellungen oder Brüche geben.

Erster Schritt war die Erstvorstellung des ganzheitlichen Arbeitsschutz-Management-Systems für alle zuständigen Entscheider. Das Software-System und die damit verbundenen Prozesse wurden auf Bedürfnisse des Kunden abgestimmt. Dann wurde die Erweiterung um das Verbandbuch in einem Demobetrieb getestet und nach und nach auf alle Betroffenen erweitert.

Am Ende stand die unternehmensweite Einführung. Schulungspläne können nun schnell und übersichtlich erstellt werden, mit aktuellen und auf das Unternehmen genau zugeschnittenen Inhalten. Auch kurzfristige Aktualisierungen sind jederzeit möglich. Jeder Lernende kann dann mit freier Zeiteinteilung und im eigenen Lerntempo die eLearning-Schulungen nutzen, im Interesse der eigenen Sicherheit und Gesundheit. Und an jeder Stelle lassen sich Rückfragen an Vorgesetzte platzieren, die dann auch wieder zur kontinuierlichen Verbesserung des Gesamtsystems beitragen können.

Lernerfolg

Bereits in den Jahren, in denen Avea nur das Unterweisungssystem benutzte, konnte der stetige Wissensausbau der Belegschaft nachgewiesen werden. Durch die Verschmelzung mit dem digitalen Verbandsbuch werden nun Analysen und Betrachtungen erst möglich, die dann am Ende eines beschleunigten Wissenstransfers bei den Mitarbeitenden ankommen. Vorgesetzte werden sich sicherlich auch schon vor der Einführung von Prevenio® mit der Analyse und Ursachensuche beschäftigt haben. Das Programm bietet nun aber die Möglichkeit, diese ersten Schritte zu dokumentieren und sichtbar zu machen. Eine weitere Bearbeitung und Zusammenarbeit ist damit einfacher und schneller möglich.

Dadurch eröffnen sich weitere Möglichkeiten: Zum Beispiel werden jetzt die in UWEB2000® erfassten Personaldaten automatisiert an Prevenio® übertragen und aktualisiert. Der nächste Schritt wird es dann sein, nicht nur die Software-Schnittstellen, sondern auch das Verhalten der Beteiligten in den Prozessen weiterzuentwickeln. Durch das neue Gesamtsystem haben alle nun diese Möglichkeiten und Ziele direkt vor Augen. Im regelmäßigen Austausch zwischen Anbieter und Anwender lassen sich weitere Potenziale freisetzen.

Das ganzheitliche Präventionssystem, das so entwickelt wurde, ist nicht nur in der Entsorgung einsetzbar, sondern in allen Branchen und für alle Unternehmensgrößen. Der modulare Aufbau macht es sehr flexibel einsetzbar. Je nach Einsatzschwerpunkt können Anwender die erforderlichen Module auswählen, anpassen und somit individuell die eigenen Bedürfnisse abbilden. Das Gesamtsystem bietet Lösungen für Aufgaben aus den Bereichen Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit. Es gibt Module für die Dokumentation von fortlaufenden Gefährdungsbeurteilungen sowie die Katalogisierung von Betriebs- und Gefahrstoffen inkl. entsprechender Betriebsanweisungen oder Wartungsberichten. Auch Vorsorge- und Eignungsuntersuchungen lassen sich mit Prevenio® terminieren und dokumentieren, um nur einige Beispiele zu nennen.

Fazit

Das Projekt von Transgate und Avea zeigt: eLearning kann Leben retten, wenn es organisch in Unternehmensprozesse eingebunden ist. Dazu muss sich das Unternehmen selbst zu einer lernenden Organisation verwandeln, die als Ganzes klüger ist als die Summe der einzelnen, die darin mitarbeiten. Dafür ist künftig Daten-Intelligenz eine wichtige Voraussetzung.

Das neue Prevenio®-System setzt neue Potentiale, Unfälle und gefährliche Situationen zukünftig eher zu erkennen und so zu vermeiden, frei. Dadurch wird eine direkte Verbindung nicht nur auf der digitalen Ebene, sondern auch in den Köpfen der Beteiligten hergestellt: Die bereits geschulten Mitarbeitenden können sich künftig bei der Datenaufnahme beteiligen. Aus einer Kette wird ein Kreislauf – nicht nur bei der Entsorgung, sondern auch beim Lernen. Diese Leistung zeichnet die Jury mit dem eLearning AWARD 2022 in der Kategorie „Arbeitssicherheit“ aus.


Vorgaben & Besonderheiten

Vorgaben:
In einem Entsorgungsunternehmen sollte die Erfassung und Auswertung der sicherheitsrelevanten Vorfälle verbessert werden, insbesondere für die möglichst schnelle und passgenaue Prävention.

Besonderheiten:
Zwei getrennte Prozess-Systeme wurden zusammengeführt: Unfallerfassung und Arbeitsschutz-Schulung. Jetzt fließen Daten und Informationen direkt vom Ort des Vorfalls ins eLearning-System.


Projektverantwortliche

Avea GmbH & Co. KG

Thomas Mercier
Sicherheitsingenieur

Avea GmbH & Co. KG
Im Eisholz 3
D-51373 Leverkusen

info@avea.de
www.avea.de

TransGate GmbH

Jürgen Baars
Geschäftsführer

TransGate GmbH
Georgstr. 47a
D-49809 Lingen(Ems)

info@transgate.de
www.transgate.de