Do’s and Don’ts bei der Auswahl von Bildungstechnologien in KMU und Mittelstand

Die Pandemie hat dazu geführt, dass sich insbesondere auch KMU und mittelständische Unternehmen zunehmend mit dem digitalen Lernen auseinandersetzen mussten. Studien, wie unsere eLearning BENCHMARKING Studie, zeigen, dass diese Zielgruppe sowohl in Lerninhalte als auch in Bildungstechnologie investiert und weiter investieren will. Doch während Großunternehmen die personellen und finanzielle Ressourcen haben, um eine umfassende Infrastruktur für digitales Lernen aufzubauen, in der es auch mal mehrere LMS oder Autorentools geben kann, sehen sich kleinere Unternehmen oftmals mit mehr Limitierungen und Einschränkungen konfrontiert. In unserem Expertenpanel geben ausgewählte eLearning-Dienstleister deshalb konkrete Tipps und Hinweise, was KMU bei der Auswahl von Bildungstechnologien beachten sollten.

1. Welche Fragen sollte sich ein KMU vor der Anschaffung einer Bildungstechnologie stellen?

Wenig überraschend gibt es natürlich nicht DIE eine Frage, die man sich als Unternehmen vor der Anschaffung einer Bildungstechnologie stellen sollte. Dennoch sollte ganz am Anfang dieses Prozesses vor allem die Frage des „Warum?“ im Mittelpunkt stehen. „Viel wichtiger ist jedoch die Frage nach dem WARUM: Warum brauche ich die neue Bildungstechnologie? Was möchte ich damit erreichen? Was sind die häufigsten Use Cases? D.h. wofür möchte ich das Tool konkret einsetzen?“, so Melanie Lüers von der bit media e-solutions GmbH. Ähnlich äußerte sich auch Michael Grotherr von Cornerstone OnDemand: „Die Kernfrage [lautet], was ein Unternehmen mit einer bestimmten Lösung überhaupt erreichen will. Geht es darum, Bildung und Trainingsangebote komplett neu aufzusetzen – oder sollen bestehende Angebote digitalisiert werden?“.

Um diese und ähnlich grundlegende Fragen vorab zutreffend beantworten zu können, empfiehlt sich laut Luise Ludwig von der mastersolution AG die Erstellung von Userstories. „Wir empfehlen, mit Userstories, also Beschreibungen des Wunschszenarios zu arbeiten, um den konkreten Bedarf zu ermitteln. In den vielfältigen Projekten, die wir begleiten durften, war das unabhängig von der Unternehmensgröße ein Schlüsselfaktor für erfolgreiche Anschaffungen und zufriedene Kunden. Kurzum: Kann das KMU die Fragen ‚WER braucht WAS, um welchen Mehrwert (WARUM) zu erzielen?‘ beschreiben, ist schon viel gewonnen. Denn daraus kann der konkrete Bedarf abgeleitet werden und die Anschaffung passt auf das intendierte Einsatzszenario“, so ihre Erfahrung.

Im Rahmen des Expertenpanels hat sich durch die Befragung der Experten eine umfangreiche Liste von relevanten Fragen ergeben, die sich Unternehmen allgemein, aber auch KMU vor der Anschaffung einer Bildungstechnologie stellen können. Die nachfolgende Übersicht basiert auf den Rückmeldungen und Erfahrungen von Dr. Michael Roll von der time4you GmbH sowie Lea Kleinendonk von der ELEARNINGFORGE GmbH (LMS365).

2. Was ist der größte Fehler, den KMU typischerweise bei der Auswahl einer neuen Bildungstechnologie machen?

Die relative (Un-)Zufriedenheit von Unternehmen, von klein bis groß, mit den eigenen Bildungstechnologien war über die letzten Jahre ein Dauerthema, welches von L&D Professionals beispielsweise auf unserer eLearning SUMMIT Tour immer wieder angesprochen und auf die Agenda gesetzt wurde. Denn Fehler oder Defizite, die bei der Anschaffung einer Bildungstechnologie gemacht wurden, können sich schlimmstenfalls jahrelang negativ auf die betriebliche Bildung auswirken und haben in der Vergangenheit immer wieder „verbrannte Erde“ im Bezug auf eLearning hinterlassen. Besonders gravierend können die Folgen bei KMU sein, bei denen aufgrund begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen eine Fehlinvestition nicht ohne weiteres abgeschrieben werden kann.

Einen typischen Fehler, den die befragten Experten in diesem Kontext bei der Auswahl von Bildungstechnologien erkennen, ist die Tatsache, dass sich KMU zu oft nur auf die Bedarfsliste und den Funktionsumfang einer Lösung konzentrieren. Dabei wäre es gerade für KMU oftmals die bessere Strategie, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, so die Erfahrung von Lisa Eisele von der Cornelsen eCademy & inside GmbH: „Ein Problem ist sicherlich, dass sich viele ‚Entscheider‘ von einem großen Funktionsumfang blenden lassen und ein Tool auswählen, das sehr komplex ist und viele Anwender überfordert. Gerade deshalb ist es wichtig, sich vorab genau zu überlegen, was konkret benötigt wird, denn die Erfahrung zeigt, dass viele Funktionen oft gar nicht gebraucht werden und nicht nur die Einarbeitung, sondern auch das tägliche Doing erschweren. Weniger ist hier oft mehr, gerade wenn eine Technologie auch von ‚Einsteigern‘ genutzt werden soll“. Ähnlich äußert sich auch Iris Kaufmann von der Know How! AG. „Ein typischer Fehler besteht darin, dass bei der Auswahl einer neuen Technologie der Funktionsumfang des Produktes oder ein Kriterien-Katalog zu sehr im Mittelpunkt stehen. Nur weil eine Funktion in einem Tool vorhanden ist, weiß man noch nicht, ob die Qualität und Eigenschaften den Anforderungen des Unternehmens gerecht werden“, so ihre Erfahrung.

Ein weiterer typischer Fehler von KMU ist der reine Fokus auf die Hardware, ohne im Auge zu behalten, wie die Bildungstechnologie im Unternehmen tatsächlich genutzt werden soll. „Ich beschäftige mich seit 2010 in verschiedenen Positionen mit verschiedenen Zielgruppen und deren Bestrebungen, Bildungstechnologien einzusetzen. Was mir dabei immer wieder begegnet ist, es wird von der Anschaffung (Hardware) her gedacht und nie vom Nutzenkonzept. Damit ist der Blick zum einen nicht für die offen, die es einsetzen bzw. nutzen sollen und zum anderen wird nicht der gesamte Prozess in den Blick genommen. Bspw. wenn ich mir vornehme, künftig Erklärvideos statt Präsenzschulungen für meine Einarbeitungsprozesse nutzen zu wollen, reicht es nicht, nur eine Kamera und ein Stativ zu kaufen und den Kollegen hinzustellen“, so die Einschätzung von Luise Ludwig.

Darüber hinaus klammern KMU allzu oft die eigentlichen Bedürfnisse und die Perspektive der späteren Nutzer, also der eigenen Mitarbeiter, aus, was sich später in der Form einer mangelnden Akzeptanz und geringer Zugriffszahlen rächen kann. „Den größten Fehler sehe ich darin, dass ein Arbeitgeber sich überlegt, was er glaubt, dass seine Mitarbeiter lernen müssten. Der Prozess läuft aber im Zeitalter der ‚Employee-Centricity‘ genau andersherum: Unternehmen müssen sich heute damit auseinandersetzen, welche Potenziale Mitarbeiter bei sich selbst sehen und wohin sie sich entwickeln wollen. Daher ist es das Gebot der Stunde, nach technologischen Lösungen zu suchen, die dem Mitarbeiter eine Mitsprache im Prozess ermöglichen“, bringt Michael Grotherr die Situation auf den Punkt. Einen ähnlichen Ratschlag gibt auch Katharina Kunz von der imc information multimedia communication AG: „Ein großer Fehler ist auch, die zukünftigen Nutzer des Systems, die Stakeholder, bei der Einführung und späteren Nutzung nicht in den Auswahl- und Rollout Prozess einzubinden. Ohne die zukünftigen Nutzer des Systems ausreichend zu beteiligen, steigt das Risiko massiv, am Ende die gewünschte Nutzung und das erhoffte Engagement nicht zu erreichen. Dabei sollte man auch Administratoren betrachten, die später viel Zeit mit dem System verbringen. Wirkliche Skalierung bei der Nutzung des Lernangebots (und neuen Impulsen fürs Lernen im Unternehmen insgesamt) erreicht man aber nur über die Lernenden. Die Lernenden entscheiden am Ende, ob meine Systemeinführung ein Erfolg wird. Deshalb sollten die Mitarbeiter*innen und deren Bedürfnisse nie aus den Augen verloren werden“.

3. Was sind in KMU typischerweise die größten Hürden bzw. Hindernisse bei der Anschaffung einer neuen Bildungstechnologie?

In vielerlei Hinsicht lassen sich die Antworten auf diese Frage in einem Wort zusammenfassen: Ressourcenknappheit. In finanzieller Hinsicht verfügen insbesondere Kleinst- und Kleinunternehmen nicht mal annährend über vergleichbare Budgets für die Anschaffung von Bildungstechnologien, wie es bei Großunternehmen oder Konzernen der Fall ist. Aber auch die personellen Ressourcen können oftmals eine große Hürde darstellen. Nicht selten sehen sich in KMU Generalisten und nicht Spezialisten mit dieser Herausforderung konfrontiert, die möglicherweise „mehrere Hüte“ aufhaben und sich im Unternehmensalltag ggf. nur nebenbei mit digitalem Lernen beschäftigen. „Bei KMUs gibt es typischerweise nur sehr begrenzte Ressourcen und Erfahrungen im Bereich Bildungsmanagement und Bildungstechnologien. Dadurch kann es passieren, dass nur in eine Teillösung investiert oder wichtige Aspekte, wie z.B. die Gestaltung von modernen Lernangeboten, nicht beachtet werden. Die Hoffnung dabei ist oft, Kosten zu sparen, doch erzielt wird dadurch oft genau das Gegenteil. Die Lösung bleibt weit hinter den Erwartungen zurück“, so bringt Katharina Kunz die Problematik treffend auf den Punkt.

Auch Luise Ludwig hat die Erfahrung gemacht, dass in KMU anfänglicher Enthusiasmus aufgrund fehlender Ressourcen und mangelnder Prozesse in Frust und Enttäuschung münden kann. „[Die größten Hürden und Hindernisse für Unternehmen sind], dass sie die gesamten Kosten und Erfordernisse nicht einschätzen können. Sie benötigen Unterstützung und Begleitung mit Know-how und erprobten Konzepten. Ich erlebe Unternehmen offen gegenüber neuen Ideen und Technologien und sehr begeisterungsfähig. Aber die mit viel Enthusiasmus begonnenen Leuchttürme wurden zu häufig zu Heulbojen. Als wiederholt auftretende Hemmnisse konnten fehlende Prozesse, fehlende auf Dauer angelegte Einsatzkonzepte, Ressourcendefizite oder das ‚Einzelkämpfer-Phänomen‘ identifiziert werden. Angebote für KMU sollten überschaubar von Zeit- und Kostenrahmen beginnen, zukunftsfähig und skalierbar sein“. Denn gerade bei der Marktrecherche können begrenzte personelle Ressourcen gepaart mit Unerfahrenheit schnell zu einer Überforderung führen, wie Andreas Gerster von CC.Buchner21 anhand eines Beispiels zu bedenken gab. „Die größten Hürden bestehen darin, sich einen systematischen Marktüberblick zu verschaffen und eine geeignete Wahl zu treffen. Es gibt über 200 Lernmanagementsysteme, die alle unterschiedlichen Funktionen und Eigenschaften haben. Da verliert man schnell den Überblick […]“, so sein Input.

Nicht immer muss die Anschaffung einer Bildungstechnologie jedoch nur am Budget oder mangelnder Zeit scheitern. Denn trotz eines Digitalisierungsschubs während der Pandemie gibt es noch immer viele Vorurteile und Bedenken, wenn es um den Einsatz von Technologie in der betrieblichen Bildung von KMU und mittelständischen Unternehmen geht, diese Erfahrung hat Lisa Eisele gemacht: „Meiner Meinung nach befindet sich die größte Hürde in den Köpfen der Menschen. Es gibt nach wie vor in vielen Unternehmen – gerade bei den Entscheidern – Technologieängste, die es zu überwinden gilt. Deshalb ist es wichtig, Führung und Mitarbeitende frühzeitig abzuholen, sie bei der Einführung der neuen Technologie umfassend zu begleiten und zu unterstützen und ein Bewusstsein für den Nutzen und auch die Notwendigkeit zu schaffen“.

4. Was ist Ihrer Erfahrung nach die wichtigste Bildungstechnologie, in die ein KMU zum Einstieg in digitales Lernen investieren sollte? Führt weiterhin kein Weg am LMS vorbei?

Alles in allem lassen sich die Rückmeldungen der befragten Experten grob in zwei Aspekten zusammenfassen. Nein, für den Einstieg in digitales Lernen braucht es nicht unbedingt gleich ein Learning Management System (LMS), denn für den Start sind vor allem ansprechende Lerninhalte wichtig, die sich auch mit anderen Mitteln an die Frau bzw. den Mann bringen lassen. Nach einer Startphase führt mittel- und langfristig allerdings kein Weg an einem LMS bzw. einer LXP vorbei, um die Bildungsprozesse adäquat zu managen, zu messen und zu dokumentieren.

Dass der eLearning Einstieg nicht zwingend über ein LMS erfolgen sollte, fasst Sven R. Becker von der imc information multimedia communication AG treffend zusammen. „Pointiert muss ich sagen, dass die Frage falsch ist. Die erste Investition muss in die Kultur gehen. Nur wenn man erkennt, dass Lernen für die Organisation und für einen selbst gewinnbringend ist, funktioniert es. Wenn man das erreicht hat, kann man über Technologie als Treiber nachdenken. Und da würde ich simpel bleiben. Kleine Schritte mit großem Effekt. Gute Standard-Trainings, die begeistern. Damit zeigt man, dass digitales Training beeindruckend sein kann und macht Hunger auf mehr. Und mit dem Hunger wird die Restaurant-Straße benötigt, damit der Hunger gestillt werden kann. Da sind wir beim LMS“, so seine Einschätzung.

Auch Melanie Lüers ist der Ansicht, dass der Einstieg ins digitale Lernen nicht unbedingt über ein LMS erfolgen muss. „Auch wenn ein Tool zur Verwaltung der Lerner:innen und Lerninhalte den administrativen Schulungsaufwand enorm erleichtert, muss der Einstieg ins digitale Lernen nicht zwingend über die Anschaffung eines eigenen LMS passieren. Mobile Apps zur Bereitstellung von Microlearning-Inhalten oder aber Online-Lernplattformen, die hochwertige Content-Bibliotheken im Abo-Modell anbieten, ermöglichen einen einfachen und unkomplizierten Einstieg in die digitale Aus- und Weiterbildung“, so ihre Einschätzung.

Eine andere Position vertritt dagegen Lisa Eisele. Dass der eLearning-Einstieg oftmals am besten über die Inhalte gestaltet werden sollte, wurde von mehreren Experten angeführt. Doch wo kommen diese Inhalte her? Mit einem Einstieg via eines Autorentools könnten KMUs möglicherweise von Anfang an die Lerninhalte selbst produzieren und dadurch einerseits dafür die eigene Expertise aufbauen und ggf. Kosten sparen. „Ich halte ein Autorentool für die sinnvollste Investition, denn damit sind KMUs in der Lage, eigenständig, effizient und günstig eigene Lerninhalte zu erstellen und zu pflegen. Dabei sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass die Bedienung des Tools intuitiv und einfach ist, sodass auch Mitarbeitende ohne didaktische Vorkenntnisse hochwertige Ergebnisse erzielen können. Ein LMS ist heute nicht mehr zwangsläufig notwendig: Einige Autorentools verfügen über sehr gute integrierte Lernportale mit umfassenden Auswertungsmöglichkeiten. Das ist gerade für KMUs sehr interessant, da die Lerninhalte ganz einfach und mit wenigen Klicks zur Verfügung gestellt werden können und es ist natürlich wesentlich günstiger ist als ein externes LMS“, so ihre Empfehlung.

Trotz der verschiedenen genannten Alternativen bedeutet es allerdings nicht, dass ein eLearning-Einstieg mittels eines LMS falsch oder weniger optimal ist. Möchte eine KMU nachhaltig und langfristig digitales Lernen etablieren, dann ist über kurz oder lang die Anschaffung eines LMS vermutlich sinnvoll. Diese Position vertritt auch Dr. Norbert Bromberger von der Qualitus GmbH: Aus meiner Sicht sind LMS in Organisationen – unabhängig ob große Unternehmen oder KMU – auch auf lange Sicht weiterhin unersetzlich. Nur in einem zentralen System kann Lernerfolg dokumentiert, für unterschiedliche Zielgruppen visualisiert und Lernen aus organisatorischer Sicht gesteuert werden“.

5. Welche Auswirkungen hatten die vergangenen 2 Jahre Pandemie auf die Anschaffung und den Einsatz von Bildungstechnologien in KMU in der DACH-Region?

Bereits zum Beginn der Corona-Krise wurde recht schnell erkannt, dass die Pandemie in vielerlei Hinsicht wie ein Brandbeschleuniger für die digitale Transformation wirkt. Gezwungenermaßen galt dies insbesondere auch für die betriebliche Bildung, was u.a. die Ergebnisse der eLearning BENCHMARKING Studie 2021 belegen. Diese Entwicklung deckt sich auch mit den Erfahrungen, welche die befragten Experten in dem Zeitraum gemacht haben. „Wir sehen, dass die Pandemie die Einstellung zum Distanzlernen grundlegend verändert hat. Weil viele Arbeitnehmer*innen von zuhause gearbeitet haben, ist es selbstverständlicher, dass auch das Lernen mobiler und digitaler wird. Deshalb steigt die Nachfrage nach digitalen Lerntechnologien, die das ermöglichen, stark an“, fasste Andreas Gerster die vergangenen 2 Jahre zusammen. Ähnlich antwortete auch Michael Grotherr: „Die Pandemie zündete in Deutschland quasi den Turbo in Sachen hybrider und digitaler Arbeit. Viele Angestellte, die zuvor skeptisch gegenüber digitalen Tools waren, wollen nun gar nicht mehr darauf verzichten. Dies hat auch die Akzeptanz von digitalen Lern- und Trainingstools noch weiter erhöht. Wir merken dies auf der Käuferseite insofern, als dass das Interesse an digitalen Tools weiterwächst“.

Mehrere Experten gaben in diesem Kontext allerdings auch zu bedenken, dass in der akuten Notlage der Pandemie in den KMU viele schnelle Entscheidungen getroffen wurden, die es nun zu evaluieren gilt, um nachhaltige Prozesse für digitales Lernen zu etablieren. „Das Thema ist nun in allen Unternehmensbereichen mit Lichtgeschwindigkeit einmal durchgefegt und in der Mitte der Arbeitswelt angekommen. Ziel muss es jetzt sein, nachdem nun die Bereitschaft und Akzeptanz da sind, dass wir aus der akuten Reaktion in planvolles Handeln übergehen. Wir haben gesehen, dass es vor allem Flexibilität, Transparenz und Netzwerke braucht, um schnell reagieren zu können. Das ist meiner Meinung nach jetzt in den Produktivbetrieb zu überführen. Heißt: Wie sehen hybride Szenarien aus, welche Technologien muss ein Unternehmen selbst besitzen – wo kann man Sharing betreiben? Wer wird zum Bildungsanbieter oder Plattformbetreiber? Was sind meine Inhalte – wo bin ich so spezialisiert, dass ggf. adaptive Geschäftsmodelle über Bildungstechnologien entstehen können? Das Potential für KMU, traditionelle Bildungsanbieter und Softwarehersteller aus den Erfahrungen vielfältige Schätze zu heben, ist enorm“, so die Einschätzung von Luise Ludwig. Auch Iris Kaufmann gibt zu bedenken, dass KMU gut damit beraten sind, die gemachten Entscheidungen kritisch zu hinterfragen und bei Bedarf ggf. nachzubessern. „Die Pandemie hat die Digitalisierung beschleunigt und es wurde entweder kurzfristig neue Technologie angeschafft oder vorhandene Technologie in neuer Art und Weise verwendet. Wenn neue Technologien und Prozesse eingeführt wurden, wurden diese meist nicht erfolgreich etabliert. Auf Basis der ersten Erfahrungen sollte nun nachgebessert werden. Dabei geht es auch darum, digitales Lernen in der Organisation zu verankern und es strategisch einzusetzen“, so ihr Ratschlag.

Darüber hinaus gibt Michael Repnik von der LearnChamp Consulting GmbH & Co KG zu bedenken, dass nur digitale Lernangebot zukünftig vermutlich ebenfalls nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg sein werden: „Die Gedanken zu und die konkrete Nachfrage nach Digitalisierung im Bildungs-/Schulungsbereich hat weiter zugenommen. Häufig wurde dann „schnell reagiert“ bspw. mit der Verlagerung von Präsenzseminaren in Online-Meetings (bspw. über MS Teams) – viele Teilnehmer*innen berichteten dann von Ermüdung durch lange Online-Meetings. Es braucht nun einen etwas durchdachteren Ansatz, der den Anforderungen von KMUs besser gerecht wird. Einfach halten ist gut, aber smart muss es natürlich schon sein“.


Fragenkatalog für die Anschaffung von Bildungstechnologien

Im Rahmen des Expertenpanels hat sich durch die Befragung der Experten eine umfangreiche Liste von relevanten Fragen ergeben, die sich Unternehmen allgemein, aber auch KMU vor der Anschaffung einer Bildungstechnologie stellen können. Die nachfolgende Übersicht basiert auf den Rückmeldungen und Erfahrungen von Dr. Michael Roll von der time4you GmbH sowie Lea Kleinendonk von der ELEARNINGFORGE GmbH (LMS365).

  • Welche Kosten kommen auf mich zu?
    • Gibt es Einmalkosten, bedingt durch z.B. Konfigurationen?
    • Gibt es wiederkehrende Kosten (Lizenzgebühren, Wartungs- & Supportgebühren)?
  • Wie schaut das Lizenzmodell aus (Kauf, Miete, Active User oder Concurrent User Modell)?
  • Ist die Bildungstechnologie auf eine User- /Verwalteranzahl begrenzt?
  • Handelt es sich bei dem Produkt um eine Eigen- oder Fremdentwicklung?
    • Entwickelt das Unternehmen die Lösung selbst weiter?
  • Werden Drittlizenzen für das System / einzelne Module benötigt?
  • Wird der Support von den eigenen Mitarbeitern betrieben?
  • Welche eLearning Standards werden/können integriert (werden)? (dazu zählen die Klassiker wie SCORM, xAPI aber auch neuere)
  • Ist die Bildungstechnologie on Premises oder als SaaS möglich?
    • Wer hostet wo und auf welcher gesetzlichen Regelung/Normenzertifizierung basierend
  • In welchen Abständen werden neue Releases ausgerollt?
    • Sind weitere Releases erneut zu lizenzieren?
  • Ist die Bildungstechnologie/Software mobil einsetzbar (App-/Browserbasiert)
  • Welche technologischen Mindestvoraussetzungen
    • brauchen die User
    • braucht es, um das System als KMU zu betreiben?
  • Sind Programmierkenntnisse erforderlich?
  • Werden Lerndaten verschlüsselt/pseudonomisiert?
  • Was soll geschult werden? Sollen online bearbeitbare Bildungselemente angeboten werden oder auch Präsenzkurse?
  • Wie userfreundlich & selbsterklärend ist die Oberfläche (jeweils für lernende & verwaltende Personen)
  • Wie skalierbar ist die Bildungstechnologie (hinsichtlich der Funktionen und Userzahlen)
  • Sind die notwendigen Kapazitäten zum Betreiben der Plattform vorhanden
  • Welche Systeme kommen im Unternehmen bereits zum Einsatz? Und welche dieser Systeme sollen abgelöst werden.
  • Welche Vorgaben oder Anforderungen gibt es seitens der IT, welche Plattformen werden genutzt, ist z.B. eine Anbindung an Microsoft 365 sinnvoll oder kann Microsoft 365 sogar als IT-Infrastruktur für das LMS genutzt werden?
  • Wer sind die Bildungsverantwortlichen und welche Stakeholder müssen unbedingt in den Prozess mit eingebunden werden? Wie sind die jeweiligen Zuständigkeiten?
  • Welche Zielgruppe soll erreicht werden und hat diese Zielgruppe bestimmte Anforderungen an die Bedienung des Systems, z.B. eine bereits vorhandene Kenntnis mit Microsoft 365 Anwendungen?
  • Über welches Budget verfügen Sie? (Implementierungskosten, laufende Kosten etc.)
  • Welche Schnittstellen sind unbedingt notwendig und wie können diese mit wenig Aufwand implementiert werden?
  • Ist eine Anbindung an Low-Code Technologien vorhanden, die es dem Unternehmen oder anderen Dienstleistern ermöglichen, schnell Zusatzfunktionen zu implementieren?