Scrap Learning in digitalen Lernumgebungen: Wie Bildmedien den Lernprozess beeinflussen können

HomeofficeDigiale Lernumgebungen sind heute hoch visuell und beinhalten gewöhnlich Kombinationen aus unterschiedlichen visuellen Medien und Textmaterial. Moderne Visualisierungstechniken erhöhen die Komplexität multimodaler digitaler Lernumgebungen noch weiter. Studien zeigen jedoch, das Lernende häufig einen nicht unwesentlichen Teil der angebotenen Materialien nicht oder nicht effektiv nutzen. Das bedeutet: ein relevanter Teil der in eine solche Lernumgebung investierten Ressourcen verpufft. Die Lücke zwischen den in einer digitalen Lernumgebung angebotenen Materialien und dem von Lernenden tatsächlich effektiv genutzten Content wird auch als „Scrap-Learning“ bezeichnet. In ihrem Vortrag auf der LEARNTEC geht Dr. Yvonne Konstanze Behnke auf dieses Phänomen des „Scrap Learnings“ ein und erläutert, wie mithilfe eines gezielteren Einsatzes von Bildmedien der Scrap Learning Anteil in digitalen Lernangeboten verringert werden kann.

eLearning Journal: Guten Tag Frau Dr. Behnke. Können Sie zunächst sich und Ihre Tätigkeit kurz vorstellen?

Dr. Yvonne Konstanze Behnke: Ich bin L&D Strategist und konzipiere Lernumgebungen. Mein Anspruch ist, effektive Lernerfahrungen und praxistaugliche Lösungen zu entwickeln, die Lernende und Anbieter unterstützen, ihre Ziele zu erreichen. Seit 2006 gestalte ich Lernumgebungen für Verlage, Bildungsträger und Unternehmen.

Meine Leidenschaft gilt der Lernmedienforschung, insbesondere visuellen Faktoren, die eine effektive Lernumgebung ausmachen. Dazu habe ich an der Humboldt-Universität zu Berlin geforscht und promoviert. Die Doktorarbeit schrieb ich in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät über Usability-Parameter von Bildern in Lernmedien.

Meine Projekte im Bereich E-Learning gehe ich interdisziplinär an. Ich verbinde meine Praxiserfahrung als Designerin für Lernmedien mit Wissen zu Didaktik und Forschungserkenntnissen zum effektiven multimedialen Lernen und Usability.

Kurz: Ich entwickle Lösungen für Lernumgebungen auf einer soliden wissenschaftlichen und didaktischen Basis, kombiniert mit dem Auge und Wissen einer professionellen Designerin.

Als Board-Member von IARTEM engagiere ich mich für die Bildungsmedienforschung.

Ich bin Autorin von Fachartikeln, halte Vorträge und helfe mit, Trainings, E-Learning-Projekte erfolgreich aufzusetzen.

eLearning Journal: Ihr Vortrag trägt den Titel „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte? – Scrap Learning in digitalen Lernumgebungen und wie dieses minimiert werden kann“. Was verstehen Sie in diesem Kontext unter dem Begriff Scrap Learning und welche Auswirkungen hat dieses auf den Lernerfolg in digitalen Lernumgebungen?

Dr. Yvonne Konstanze Behnke: Unter Scrap Learning in digitalen Lernumgebungen verstehe ich die Diskrepanz zwischen dem abgebildeten Lerncontent und dem tatsächlich genutzten Wissen. Studien zeigen, dass mehr als 40 Prozent des Lerncontents nicht aufgenommen, nicht effektiv genutzt und/oder nicht nachhaltig integriert wird. Das bedeutet: mindestens 40 Prozent der investierten Ressourcen verpuffen – ein erheblicher Zeit- und Kostenfaktor.

Die Ursachen sind vielfältig. In meinem Vortrag bespreche ich einen bisher wenig beachteten Parameter: die Bildmedien in digitalen Lernangeboten.

Moderne digitale Lernumgebungen sind hoch visuell. Visuelle Parameter – z.B. wie lernförderlich und kohärent Informationen präsentiert werden – beeinflussen Medienrezeptionsprozesse, die Wissenskonstruktion und das Lernergebnis.

eLearning Journal: Welche konkreten Faktoren tragen zum Scrap Learning in digitalen Lernumgebungen bei?

Dr. Yvonne Konstanze Behnke: Bilder werden nicht automatisch betrachtet und verstanden, nur weil sie auf dem Bildschirm erscheinen. Ebenso ist Lernen mit Bildern nicht per se leichter als mit Text.

Viele Lernende haben Schwierigkeiten, Informationen aus Bildern und Texten zu integrieren, Grafiken zu dekodieren und Fotos richtig im Lernkontext zu interpretieren.

Zu Scrap Learning tragen Bildmedien bei, welche die aktive kognitive Verarbeitung nicht anregen, weil sie nicht lernfreundlich gestaltet oder angeordnet sind, deren Qualität nicht stimmt oder sie in den Augen Lernender irrelevant sind. Doppeln sich Bild- und Textinformationen, ignorieren Lernende häufig Bilder. Keine oder unpassende Hilfe zur Bilderschließung ist ein weiterer Faktor.

Überkomplexe Bilder können eine hohe kognitive Belastung erzeugen, was negativ für den Lerneffekt ist. Zu banale Darstellungen dagegen können Lernende verleiten, diese zu ignorieren. Weitere Faktoren sind die Wahl einer unpassenden Medienform bzw. -kombination sowie reine Dekobilder oder Bildmedien, die lediglich „nice-to-know-Informationen“ liefern.

eLearning Journal: Wie können diese umgangen werden?

Dr. Yvonne Konstanze Behnke: Sie können Scrap Learning durch Bildmedien vermeiden, indem Sie deren Konzeption und Gestaltung die gleiche Aufmerksamkeit widmen wie dem Textmanuskript. Lernmythen wie „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ sind widerlegt.

Hilfreich ist ein durchdachter Einsatz von Bildmedien durch eine Kombination aus professioneller Gestaltung, wissenschaftlichen Erkenntnissen über erfolgreiches multimediales Lernen, didaktisch sinnvoller Medienauswahl, guter Usability und genauer Abstimmung auf Lernende, Lernziel und Lernkontext.

Weniger ist bei Bildmedien in Lernumgebungen oft mehr. Medien sollten Sie mit Blick auf Lerninhalt, Lernziel und Zielgruppe auswählen. Das gilt auch für die Frage, wie komplex grafische Darstellungen sein sollten. Animationen sind nicht automatisch besser als statische Grafiken. Hilfreich ist die Auswahl relevanter, passender, qualitativ hochwertiger Bilder sowie Videos technisch und mediendidaktisch aufzubereiten.

Meine Forschung zu Usability-Faktoren von Bildern in Lernmedien zeigt, dass effektive Bildmedien relevant, interessant, hilfreich, verständlich, ästhetisch und in optimaler Größe, Ausschnitt, Anzahl und Position eingesetzt sind. Dazu entwickelte ich ein Modell. Eine kritische Prüfung geplanter Bildmedien anhand dieser Kriterien wäre ein Schritt, hin zur Minimierung von Srap Learning.

eLearning Journal: Welche Herausforderungen und Potenziale sehen Sie in der Verwendung von Bildmedien in digitalen Lernumgebungen?

Dr. Yvonne Konstanze Behnke: Trotz ihrer Omnipräsenz werden Bildmedien in Lernumgebungen immer noch unterschätzt – sowohl hinsichtlich der kognitiven Herausforderungen, die Bildmedien für Lernende darstellen als auch hinsichtlich deren Potenzial für Motivation und Wissenskonstruktion.

Lernen mit Bild und Text ist erfolgreicher als nur mit Bild oder Text (Multimedia Effekt) – sofern Lernende Bild- und Textinformationen effektiv integrieren und Bilder richtig interpretieren.

Hierfür können Lernende entsprechende Strategien und visuelle Kompetenzen trainieren. Produzenten von Lernumgebungen können wissenschaftlich fundierte Regeln zur lernwirksamen Bildgestaltung nutzen.

Gut gestaltete Bilder unterstützen Verständnisprozesse, lenken die Aufmerksamkeit und fördern Orientierung, Motivation und Fokus. Inadäquate Bilder verleiten dazu, diese zu ignorieren, selbst wenn sie relevant sind oder sie erzeugen unnötige kognitive Belastung und können den Lernprozess behindern.

Faktoren wie Relevanz, Konkretheit, Verständlichkeit und Bildqualität beeinflussen visuelle Aufmerksamkeitsprozesse auf Bilder, denn Lernende priorisieren ihre Aufmerksamkeit nach wahrgenommener Nützlichkeit der Ressourcen. Deren Usability beeinflusst somit, wie effektiv Bildmedien im Lernprozess genutzt werden.

eLearning Journal: Warum sollte man Ihren Vortrag auf der LEARNTEC 2023 auf keinen Fall verpassen?

Dr. Yvonne Konstanze Behnke: Ich erkläre, wie effektives Lernen mit Bildern funktioniert und wie Sie dieses Wissen nutzen, um Scrap Learning zu minimieren. Wir sehen uns Beispiele an, wie Lernende multimodale Lernumgebungen betrachten und was sie ignorieren. Ich entzaubere Mythen über das Lernen mit Medien und erkläre, was stattdessen funktioniert und warum. Dabei übertrage ich wissenschaftliche Erkenntnisse so, dass sie für Praktiker anwendbar sind. Nach meinem Vortrag wissen Sie, wie Sie visuelle Medien im E-Learning gezielter einsetzen. Weniger Scrap Learning sorgt für einen gesteigerten ROI und zufriedenere Lernende.

Kontakt:

Dr. Yvonne Behnke
L&D Strategist, E-Learning
Developer & E-Learning Professional

yvonne@behnke-design.com
www.e-learning-professional.com