Hybrides Konzept für überbetriebliche berufliche Bildung
Die digitale Transformation einer ganzen Akademie

Übergang zum selbstorganisierten Lernen – An die Stelle von isolierten Präsenzphasen sind jetzt ganzheitliche Learning Journeys getreten. Auch die Praxisausbildung in den Betriebskrankenkassen wird nun als Teil eines großen Zusammenhangs erfahren.

Wenn sich ein Präsenz-Lehrbetrieb mit ausgedruckten Skripten auf digitale Medien umstellt, ist das noch nicht bemerkenswert. Anders ist es, wenn das zum Anlass für den entschlossenen Sprung zur „lernenden Organisation“ genommen wird: Umbau der technischen Infrastruktur, Umbau der Seminarräume, Umbau des Curriculums, Umbau der Didaktik, Umbau der Prozesse, Umbau des Mindsets. In gut zweieinhalb Jahren erstellte die BKK Akademie die Grundlage für ein innovatives digitalisiertes Bildungsmodell.

Die BKK Akademie ist das Bildungszentrum der Betriebskrankenkassen im Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung. Sie ist zuständig für den überbetrieblichen Anteil der beruflichen Ausbildung von Sozialversicherungsfachangestellten. Diese Lernphasen ergänzen die betriebliche Ausbildung und die Berufsschule. Zu den Präsenzblöcken (ca. dreimal pro Jahr, je 2-3 Wochen) kommen Lernende aus dem ganzen Bundesgebiet nach Rotenburg an der Fulda. Bisher beschränkte sich der digitale Anteil auf eine statische Webseite mit Basisinformationen und ein Portal für den Download von Materialien. Das eigentliche Lernen fand dann vor Ort im klassischen Frontalunterricht statt.

Mit dem Pilotprojekt PASS 2021 nahm die BKK Akademie nun die fällige Einführung eines LMS zum Anlass für eine ehrgeizige Transformation des gesamten Bildungskonzepts, die weit über „Blended Learning“ hinausgeht. Das Resultat ist ein ganz neues Zusammenspiel von technischen, organisatorischen und didaktischen Aspekten. Die digital-vernetzte Infrastruktur, die seit 2019 aufgebaut wurde, ermöglicht erstmals im Bereich der überbetrieblichen Berufsausbildung in einem kaufmännisch-verwaltenden Beruf eine konsequente Didaktik nach dem Inverted Classroom Modell (ICM), die auf hybride Learning Journeys und einen hohen Anteil selbstorganisierten Lernens setzt.

Lernbedarfe

Zielsetzung des Projekts war es, die Voraussetzungen für den Start zweier „Pilot-Ausbildungsklassen“ unter Einsatz der neuen KV@kademie (LMS) auch in den Präsenzphasen ab Oktober 2021 zu schaffen. Damit sollten die überbetrieblichen Bildungsabschnitte (ca. drei Blöcke von 2-3 Wochen pro Jahr) effizienter ausgenutzt und besser mit der übrigen Berufsausbildung verzahnt werden. Die Ausbildung der Sozialversicherungsfachangestellten verteilt sich über drei Jahre hinweg auf drei getrennte Lernorte: die Krankenkassen, die Berufsschulen und die Akademie. Diese Brüche im Ausbildungsgang sollen durch den Einsatz von digital-vernetzten Medien überbrückt werden. Zugleich soll der didaktische Fokus künftig verstärkt auf Kompetenzentwicklung liegen, also nicht mehr auf dem bloßen „Transfer von Wissensinhalten“ und „Bulimielernen“ für die Prüfung.

Damit adressiert das Projekt PASS 2021 Lernbedarfe eigentlich auf zwei Ebenen: den Lernbedarf der Organisation und den Lernbedarf der Zielgruppe. Zuerst musste die Organsisation sich zu einer „lernenden Organisation“ umbauen, damit eine neue Infrastruktur den Auszubildenden künftig eine neue Lern-erfahrung ermöglicht.

Die Projektarbeit betraf gleich fünf Baustellen:

(1) Aufbau einer E-Learning Plattform und die Anpassung eines LMS für die sehr spezifischen und komplexen Bedürfnisse der BKK Akademie. Das umfasste viele maßgeschneiderte Teillösungen — u.a. für das Management der Profile und Rollen von Usern (Lernende, Lehrende und Ausbildende), einschließlich aller Fälligkeiten und Termine; für digitale Ausbildungsportfolios, die alle Bestandteile der Ausbildung zusammenfassen und transparent machen sollen; die Entwicklung und Umsetzung eines vollständig digitalisierten Workflows für Lernerfolgskontrollen, von der Aufgabenstellung, über die Einreichung und die Korrektur bis zur Notenvergabe und –bekanntgabe.

(2) Digitalisierung der Lerninhalte, die bisher in Form von ausgedruckten Skripten vorliegen. Wo es sinnvoll ist, sollte der Content in wirkungsvolle Medienformate übersetzt werden, die sich für das Selbststudium wie auch für Online-Kurse zur Vor- und Nachbereitung eignen.

(3) Einführung eines neuen Lehr- und Lernmodells (ICM/Inverted Classroom) in enger Verbindung mit Dozierenden, die in ihrer Lehre bisher nur überwiegend analoge Medien und Frontalunterricht benutzten.

(4) Umgestaltung der Seminarräume, für einen fliegenden Wechsel zwischen digitalen Selbstlern-Phasen, Gruppenlernen mit digitalen Medien und den Frontalvorträgen der Dozierenden, die es an den richtigen Stellen ja weiterhin geben soll. Künftig sind sie nur nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt.

(5) Ausarbeitung von themenspezifischen „Learning Journeys“, die den Wechsel zwischen den Ebenen (analog/digital, synchron/asynchron, Selbstlernen/Dozenteninput) nicht nur für die Auszubildenden transparent machen, sondern es darüber hinaus auch ermöglichen, dass bei Ausfällen andere Dozenten leichter einspringen können, die keine Lehrerfahrung in den neuen Modellen haben.

Projektverlauf

Nach einjährigem Vorlauf startete 2019 der eigentliche Aufbau der KV@kademie (LMS auf Moodle Basis). Partner wurde die Oncampus Gmbh, ein Spinoff der HS Lübeck, das sich auf besonders nutzerfreundliche und maßgeschneiderte Konfigurationen der Open Source-Lernplattform Moodle spezialisiert hat. Die Entscheidung wurde nach eigenen Recherchen, Tests mit einer Moodle-Installation auf dem eigenen Server sowie aufgrund einer umfangreichen Marktanalyse getroffen, die eine befreundete Institution erhoben hatte.

Im April 2019 wurde gleichzeitig mit dem Start der extern gehosteten Lernplattform ein neuer Bereich „Lernmanagement“ geschaffen. Zwei Medienredakteurinnen, ein Lernmedienentwickler und eine Bildungswissenschaftlerin arbeiteten zusammen an so diversen Aufgaben wie LMS-Administration und Nutzersupport, Mediendesign und Plugin-Entwicklung, Kursentwicklung und bildungswissenschaftlicher Konzept- und Projektarbeit sowie Begleitung der Umsetzungsprozesse.

Als erste Stufe wurde „Blended Learning“ umgesetzt: Der Präsenzunterricht wurde ergänzt durch vor- und nachbereitende Online-Kurse. In den Pilotklassen soll dann in den Präsenseminaren über E Einstiegstests und „Badges“ (leichtgewichtige digitale Zertifikate) auf unkomplizierte Weise für Verbindlichkeit gesorgt werden.

Den Korrektoren im Vor-Projekt „Medienbruchfreie Lernerfolgskontrolle“ wurden iPads und Tablets zur Verfügung gestellt und sie wurden geschult, die Tests und Klausuren entweder mit digitalem Stift oder über Rand-Anmerkungen zu korrigieren. Seit Frühjahr 2021 verläuft der komplette Prozess von der Aufgabenstellung bis zur Notenbekanntgabe über die KV@kademie. Push-Nachrichten informieren die Auszubildenden über Termine, Abgabefristen und neue Aufgabenstellungen.

Ein Dozententeam begann dann damit – in Prozessschleifen mit dem Lernmanagement – die Präsenzmaterialien für erste Pilotseminare zu überarbeiten. Geeignete Inhalte werden seitdem in digitale Medien umgesetzt. In 14-tägigen Team-Treffen tauschen sich alle Beteiligten zu Ideen, Fragen und Fortschritten aus.

2020 starteten erste Tests mit Selbstorganisiertem Lernen (SOL) und Online-Kursen während der Präsenzphasen zu spezifischen, besonders geeigneten Themen (Wirtschaftslehre). Seit Frühjahr 2021 werden kontinuierlich – zunächst aber vier – Seminarräume komplett renoviert und zu „Seminarräumen der Zukunft“ umgebaut. Ebenfalls entstehen Lerninseln (modern ausgestattete unterschiedliche Raumbereiche) mit Netzanbindung und digitalem Flipchart-Monitor zum selbstorganisierten Lernen und für Gruppenarbeiten.

Ab August 2021 wurde die Vorbereitung der ersten Erprobung im Normalbetrieb abgeschlossen. Neben einer prospektiven Evaluation mit den Ausbildenden der Kassen wurden in einem zweitägigen bildungswissenschaftlich begleiteten Workshop die neuen Unterrichtsszenarien und Strukturen noch einmal durchgespielt sowohl aus Teilnehmer- wie auch aus Dozentensicht.

Projektergebnis

In gut zweieinhalb Jahren ist es gelungen, die KV@kademie von Grund auf neu zu konzipieren und für den Regelbetrieb bereitzustellen:

  • technisch: eine LMS-Lernplattform mit E-Learning-Inhalten und digitalen Workflows
  • didaktisch: hybride „Learning Journeys“ mit enger Verflechtung diverser Lehr- und Lernformen (Präsenz/Netz, synchron/asynchron, Selbstlernen/Dozenteninput).

Das Feedback durch die Bildungsverantwortlichen in elf Pilot-Kassen ist sehr positiv. Die Auszubildenden sind eingebunden über Vor-Ort Support an der BKK-Akademie, Ausbildende und Ausbildungspaten in den Kassen und Evaluationen im Anschluss an jeden Präsenz-Abschnitt an der BKK-Akademie. Durch die Corona-Ausnahmesituation kam es zu einem vorzeitigen projektübergreifenden Einsatz der Plattform für eine erweiterte Zielgruppe (Prüfungsvorbereitung des Jahrgangs 2017 der in Präsenz nicht stattfinden durfte), was zur stark gewachsenen Akzeptanz digitaler Ausbildung beitrug.

Fazit

In beeindruckend schneller und zielgerichter Weise ist es der BKK Akademie in Rotenburg an der Fulda gelungen, eine neue Grundlage für ihren Ausbildungslehrbetrieb zu schaffen: technisch, organisatorisch und didaktisch. Ein komplexes Projekt mit vielen verschiedenen Baustellen und Stakeholdern wird mit bereits vielversprechendem Erfolg bewältigt. Der Übergang vom bisher reinen Frontalunterricht mit Papier-Workflows zu einem anspruchsvollen „hybriden“ Konzept orientiert sich an Modellen, die bisher vor allem in Hochschulen erprobt worden sind (Inverted Classroom/ICM, Selbstorganisiertes Lernen/SOL). Sie werden erstmals konsequent auf ein komplexes Szenario der überbetrieblichen Berufsausbildung in einem kaufmännisch-verwaltenden Beruf übertragen. Diese vorbildhafte Pionierleistung zeichnet die Jury des eLearning Journals mit dem eLearning AWARD 2022 in der Kategorie „Inverted Classroom Model“ aus.

 


Vorgaben & Besonderheiten

Vorgaben:
Überbrückung verschiedener Lernorte, unkomplizierter Zugriff mit allen Geräten sowie „Seminarräume der Zukunft“.

Besonderheiten:
„Learning Journeys“, „Inverted Classroom“ als neues Lehr- und Lernmodell und die Transformation der internen Rollen und Prozesse.


Projektverantwortliche

BKK Akademie GmbH

Sabine Siemsen
Bildungswissenschaftlerin

BKK Akademie GmbH
Am Alten Feld 30
D-36199 Rotenburg an der Fulda

siemsens@bkk-akademie.de
www.bkk-akademie.de

BKK Akademie GmbH

Heiko Berninger
Leiter Bildung

BKK Akademie GmbH
Am Alten Feld 30
D-36199 Rotenburg an der Fulda

berningerh@bkk-akademie.de
www.bkk-akademie.de

BKK Akademie GmbH

Markus Buhrmann
Geschäftsführer

BKK Akademie GmbH
Am Alten Feld 30
D-36199 Rotenburg an der Fulda

buhrmannm@bkk-akademie.de
www.bkk-akademie.de