Bildungsfokus: Strategie

Um zielgerichtet Entwicklungen zu unterstützen, werden Strategien entwickelt. Dabei beeinflusst die Art und Anwendung der verwendeten Strategietools maßgeblich das Strategiedesign und damit das Ergebnis. LnD hat dabei interdisziplinär, also fachbereichsübergreifend, hohe strategische Relevanz, weil Transformationen (also geplante Veränderungen) immer auch Lernprozesse auf individueller und organisationaler Ebene beinhalten. Im zunehmend dynamischen und komplexen Umfeldern stellt sich die Frage, wie weit konventionelle Strategiekonzepte greifen. Dieser Artikel beleuchtet daher einige Aspekte strategischer Tools und Methoden, von denen moderne Strategiekonzepte profitieren können.

Möchte LnD strategischer Partner und Mitgestalter sein, dann müssen Learning Professionals selbst strategisches Knowhow und Kompetenzen in sich vereinen. Dabei geht es nicht nur darum, Tools und Methoden für die Entwicklung und Umsetzung von Bildungsstrategien selbst anwenden können. Auf inhaltlicher Ebene muss es gleichzeitig Aufgabe von LnD sein, moderne Strategie-Tools und Methoden in der Organisation zu verankern. Dabei ist nicht nur das Geschäftsmodell, sondern sind auch die verwendete Technologie, die Organisationskultur und die vorhandenen Kompetenzen weiter zu entwickeln.

LnD = Angelpunkt der Strategie

Auch unterschiedlichste Unternehmen, so darf unterstellt werden, verfolgen dasselbe Ziel, nämlich wirtschaftlichen Erfolg, der zumindest ein Überleben der Organisation ermöglicht. Professor S. Sackmann, führende Expertin in den Bereichen Führung, Unternehmenskultur, Organisationsentwicklung und interkulturelles Management, wertete gemeinsam mit dem DGFP in einer groß angelegten Metastudie1 zentrale kulturelle Faktoren für den Unternehmenserfolg aus.

Die identifizierten inhaltlichen Erfolgsfaktoren erinnern stark an das Konzept der lernenden Organisation, was die Bedeutung von LnD als Ermöglicher unterstreicht. „Organizational learning occurs when members of the organization act as learning agents for the organization, responding to changes in the internal and external environments of the organization by detecting and correcting errors in organizational theory-in-use, and embedding the results of their inquiry in private images and shared maps of organization.”2 Eine Erfolgsprämisse ist ein Grundkonsens zwischen Management und Mitarbeitenden über Ziele und interne Organisation3. Im Zentrum stehen dabei die Mitarbeitenden und deren persönliche, aber auch die organisationale Kompetenz, in einer sich verändernden Welt planvoll und flexibel zu agieren. Die genannte Metastudie hebt hervor, dass nicht ein einziges, für alle Organisationen passendes Gardemaß die Lösung ist, sondern die Entwicklung der individuell passenden Kombination authentischer Faktoren erfolgsunterstützend wirkt.

Gütemaße als Qualitätsbegleiter

Neben den inhaltlichen Erfolgsfaktoren wurden auch relevante Gütemaße identifiziert, die mit denen sich die Entwicklung begleiten lässt. Konkret sind dies:

  • Strategische Passung
  • Multidimensionale Orientierung
  • Konsistenz zwischen normativem Anspruch und gelebtem Verhalten

Diese Punkte als Qualitätsbegleiter der Strategieumsetzung stellen die Bedeutung von LnD, Organisationsentwicklung und -kultur ins Rampenlicht. Sie illustrieren somit den Stellenwert der strategischen Aufgabenbereiche von LnD, Personal- und Organisationsentwicklung sowie Führung sowie den einer relevanten (digitalen) Bildungsstrategie.

„Configuration is likely to be a far greater source of competitive advantage than a single aspect of strategy”4. Einzelne Merkmale eines erfolgreichen Best PractiseFalles können leicht kopiert werden. Der Erfolgsfaktor ist aber die authentische Abstimmung der Einzelmerkmale. Die Ausrichtung an Benchmarks kann aber in bestimmten Fällen eine gewisse Orientierung für sinnvolle Entwicklungen bieten, wie das Cynefin-Framework (Siehe Seite 34) illustriert.

Für eine erfolgreiche digitale Transformation (zum oder eines lernenden Unternehmes), die letztendlich auch ein Lernprozess ist, ist eine Strategie unerlässlich.5


Digitale Strategie – was ist was?

Während digitale Unternehmensstrategie, Digitalstrategie und digitale Transformationsstrategie oft synonym verwendet werden, so setzen verschiedenen Definitionsversuche doch oft unterschiedliche Schwerpunkte. In vielen Fällen, z. B. wenn eine digitales Geschäftsmodell der Kern der Unternehmung ist, sind Unternehmens- und Digitalstrategie identisch oder weisen hohe Schnittmengen auf. Eine klare Abgrenzung ist hier oft nicht realisierbar.

Digitalisierungsstrategie: Die Digitalstrategie ist die ganzheitliche Ausrichtung von Digitalisierungsvorhaben in Organisationen, um den digitalen Wandel zu antizipieren und mitzugestalten mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile zu erhalten oder neu zu schaffen.

Dabei sind die Aspekte des digitalen Kontexts der Makro- und Mikroumwelt, die digitale Transformation von Geschäftsmodellen und die digitale Implementierung zu betrachten6.

Abzugrenzen von der Digitalisierungsstrategie ist eine geeignete IT-Strategie.

Diese beinhaltet:

IT-Strategie: Die IT-Strategie beantwortet die Frage, wie IT die Unternehmensstrategie unterstützt, somit ist die IT-Strategie die technologische Komponente der Unternehmensstrategie7. Im Zuge der Digitalisierung treiben IT-Entwicklungen heute aber auch Geschäftsmodelle voran (Business drives IT drives Business) und damit auch kulturelle Entwicklungen voran. Die IT-Strategie ist dann nachhaltig, wenn sie den sich ständig verändernden Anforderungen entsprechen kann.

IT Management: IT-Management setzt die IT-Strategie durch transformierbare Systemlandschaften um. Dafür muss die IT-Architektur standardisiert, modular, flexibel, ubiquitär, elastisch, kostengünstig und sicher sein8. Um eine Systemlandschaft zur IT-Unterstützung unterschiedlicher fachlicher Schwerpunkte zu implementieren, vorzuhalten und weiter zu entwickeln, muss das IT-Management integrativ agieren. Bei der Implementierung der digitalen Strategie sind dabei die technische Umsetzung, z. B. die Definition von Datenbanken, die Auswahl und Vernetzung von Applikationen unter Beachtung von Datenschutz und Datensicherheit, relevant. Zu den organisatorischen Aspekten gehört die Definition von Prozessen, Strukturen und Verantwortlichkeiten unter besonderer Berücksichtigung der interdisziplinären Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Daten- und Aktivitätssilos sowie einseitige, rein abteilungsbezogene Verantwortlichkeiten sind dabei zu vermeiden.

Bildungsstrategie: Bildungsstrategien (und organisationale Lernprozesse) ziehen zwangsläufig auch Kulturveränderungen nach sich, die im Gegenzug die Bildungsstrategie prägen. Tatsächlich unterscheidet sich die Entwicklung von Bildungsstrategien in der Methodik nicht von der Entwicklung anderer Strategien9. Das Kompetenzframework einer Unternehmung und die Entwicklung der Mitarbeitenden aller Fachbereiche beeinflussen aber direkt den Unternehmenserfolg signifikant, weswegen insbesondere die Bildungsstrategie eine herausragende Bedeutung hat und entsprechende Beachtung finden sollte.

Digitale Bildungsstrategie: Eine digitale Bildungsstrategie fokussiert zwei Ebenen;

1. Design einer digitalen Lernlandschaft durch Auswahl, Implementierung, Vernetzung und Weiterentwicklung von Plattformen und Tools, welche digitale und analoge Lernformate, Kompetenzerwerb und Lernen unterstützen.
2. Förderung und Entwicklung von Kompetenzen zum Umgang mit und durch digitale Medien, den Umgang mit Elementen des digitalen Geschäftsmodells und transformationsrelevante Kompetenzen z. B. Design Thinking, Scrum…

Diese Inhalte können dabei aber auch die Kompetenz zu Konzeption, Implementierung und Weiterentwicklung der digitalen Lernumgebung beinhalten. Dabei sind nicht nur Plattformen um elektronische Inhalte zur Verfügung zu stellen, sondern auch Tools, um Wissensmanagement und Kommunikationsprozesse zu unterstützen.

Digitale Bildungsstrategien können die Transformation von lernenden Unternehmen, aber auch zum lernenden Unternehmen unterstützen.


Klassische Strategieentwicklung

Klassische Modelle zur Strategie-Entwicklung trennen in der Regel stark zwischen den Phasen der Strategie-Entwicklung und der Umsetzung.

Klassischer Strategieentwicklungsprozess.

Dabei wird meist der größte Teil von Zeit und Energie auf den ersten Schritt, die Planung und Entwicklung der einer Mehrjahres-Strategie verwendet wird, während sich die Umsetzung mitunter auf eine (oder noch schlimmer: keine) Information der Mitarbeitenden und das Einfordern von Ergebnissen beschränkt. Diese Strategiekonzepte finden sich meist in der Schublade wieder.

Fokus: Analyse!

Im Rahmen dieses Artikels sollen nun nicht klassische Methoden (z. B. SWOT, PESTEL, Porters 5 Forces…) diskutiert, noch agile Techniken (z. B. Design Thinking, Scrum, SWOT3, Sustained Change Readiness Indikator, Lean Start-Up, Beyond Budgeting…) oder unterschiedliche Ansätze digitaler Strategieentwicklung vorgestellt werden. Stattdessen sollen drei Aspekte angesprochen werden, die bei der digitalen Strategieentwicklung unbedingt einbezogen werden sollten, konkret: Komplexitätsgrad, Veränderungsfähigkeit und Reifegrad.

Cynefin-Matrix nach D. Snowden.

1. Komplexitätsgrad

Komplexität ist eines der Kernmerkmale der VUCA-Welt, doch was bedeutet das? „Komplexität ist mehr als ein Mangel an Ordnung oder nur das Gegenteil von Trivialität“11. Definitionen sind auch hier vielfältig und werden z. B. mit den Merkmalen Varietät, Konnektivität und Dynamik beschrieben12. Sargut/McGrath charakterisieren Komplexität anhand der Anzahl der beinflussenden Elemente Multiplizität, deren Interdependenz und Verschiedenartigkeit (Diversität)13. Als konkrete Komplexitätstreiber gelten neben den harten Fakten wie Unternehmensgröße, Diversifikation, Zahl organisatorischer Schnittstellen und -dichte sowie die Sortimentsbreite, auch Faktoren wie Intransparenz, Flexibilitätspotentiale und Änderungswilligkeit und -bereitschaft14. Zum angemessenen Umgang mit Komplexität nennt Wildemann als grundlegende Basisstrategien Komplexitätsvermeidung, -reduktion und – beherrschung15, wofür zunächst eine Auseinandersetzung mit den individuellen Komplexitätstreibern Voraussetzung ist.

Doch wann hat man es tatsächlich mit einem komplexen System zu tun? Um angemessen handeln zu können, ist eine Orientierung sinnvoll. Die Vier-Felder-Matrix von Ulrich/Probst (s. u.) orientiert sich an der Ausprägung von Veränderung/Eigendynamik und Vielzahl/Vielfalt der beteiligten Elemente und kommt so zu einer systematischen Klassifizierung.

Eine grundlegende Orientierung für abzuleitende Handlungen, an denen sich auch die Strategieentwicklung orientieren kann, bietet das pragmatische Cynefin-Framework17. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine klassifizierende Vier-Felder-Matrix, welche aber zusätzlich Anregungen anbietet, wie die Strategiegestaltung unter diesen Umständen angepackt werden kann.

Weite Teile der Organisations-IT als auch der Personalbereich sind sich heute einig, dass es zum nachhaltigen Komplexitätsmanagement kollaborativer Systemen bedarf, die auf IT-Seite kollaborative Enterprise-Architekturen, aus interorganisationaler Sicht in kollaborativen Wissensmanagementsysteme fokussieren18. Diese spezielle Sicht kann von Organisationen in der Digitalisierung bei der Konzeption und Umsetzung digitaler Bildungsstrategie nicht ignoriert werden.

2. Veränderungspotential

Anpassungsfähigkeit gilt neben Innovationspotential heute unbestritten zu den Kernfähigkeiten überlebensfähiger Systeme. Gleichzeitig wird die Liste der Unternehmen, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und durch mangelnde Veränderungskompetenz ihren Platz am Markt räumen mussten, immer länger. Ziel von Strategien ist es, gezielt und planvoll Veränderungen einzuleiten und umzusetzen. Kern der Strategieentwicklung muss daher auch sein, die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der gesamten Organisation, genauso wie einzelner Teilbereiche, auch hierarchie-übergreifend und interdisziplinär zu analysieren, zu reflektieren und – wo nötig – gezielt zu fördern. Dazu gehört es unbedingt auch, Widerstände zu antizipieren und ernst zu nehmen. Das Thema Veränderungskompetenz gehört daher auf die Agenda jeder ernstzunehmenden Bildungsstrategie.

Ein Instrument, um gezielt die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit zu untersuchen, ist das Sustained Change Readiness Modell (SCR)19. Die Methode gliedert sich in einer Analysephase und eine Auswertungsphase mit Workshop. Im Ergebnis eine mehrdimensionale Matrix, soll das Tool gezielt dabei unterstützen, genau diejenigen Fähigkeiten zu identifizieren, zu analysieren und zu entwickeln, welche die Organisation in ihrem Transformationsprozess benötigt. Dabei werden für die Bereiche Strategie, Personal, Organisation und Technologie/Prozesse als obligatorische Perspektiven (SPOT-Integratoren) gezielt die Felder Dynamische Fähigkeiten, Unternehmenskultur, Lernende Organisation und Kollaborationstechnologie ausgewertet und mit acht weiteren zweistufig priorisierten Variablen verdichtet. Es ergeben sich somit 4 x 9 Diagnose-Indikatoren, die als Basis gezielte Annahmen rechtfertigen.

Komplexitätsstufen von Systemen nach Ul­rich/Probst.

3. Reifegrad

Eine Statusanalyse ist ein klassischer Ausgangspunkt jeder Strategieformulierung. Der Reifegrad einer Lernenden Organisation ist allerdings mehr als die Auflistung verwendeter Technologie. Veränderungen und daher die Notwendigkeit zu lernen, sind inhärenter Bestandteil aller zielgerichteter Maßnahmen, die später aus Strategien abgeleitet werden. Beim Entwurf einer Bildungsstrategie ist die Auseinandersetzung
mit dem Reifegrad der Lernenden Organisation, der Bildungsverantwortlichen und der digitalen/technologischen Unterstützung unumgänglich. Im Folgenden sollen zumindest zwei Betrachtungsweisen dargestellt werden, konkret: Der strategische Reifegrad der Bildungsorganisation und der digitale Reifegrad der Organisation.

Strategischer Reifegrad des Bildungsbereichs

Der strategische Reifegrad eines Bildungsbereichs trennt wie kaum ein anderes Thema Spreu von Weizen. Er betrachtet den Integrationsgrad der Verknüpfung von Geschäftsstrategie und Lernkonzeptionen. Deiser beschreibt dazu fünf Stufen, die sich vom initialen Fokus auf individuelle Skills über den organisatorischen Wandel zunehmend hin zum Fokus auf den strategischen Wandel als höchste Entwicklungsstufe steigern20:

Strategische Reifegrade von Bildungsorganisationen nach R. Deiser.

In manch ambitioniertem Unternehmen wird diese Art der Organisationsentwicklung auch keinem abgrenzbaren Verantwortungsbereich zugewiesen, sondern ist inzwischen integraler Bestandteil der Unternehmens-DNA.

Digitaler Reifegrad der Organisation.

Um den digitalen Reifegrad einer Organisation zu bestimmen, liegt mit dem HR Digital Status Check21 ein vielseitiges Konzept vor. Dabei werden die Perspektiven Strategie, Führung, Orgsanisation, Prozesse, Digitale Kompetenzen, Mobile Abwendungen, Big Data, Mitarbeiter & Datenschutz, HR-Architektur/Systeme/Schnittstellen und Daten jeweils in vier Stufen (HR ohne Digitalisierung, Beginnende Digitalisierung, Fortgeschrittene Digitalisierung und Vollständig digitalisiert) klassifiziert. Dieses Schema ist auf einzelne Organisationsbereiche anwendbar und lässt so die Ableitung zielgerichteter Maßnahmen zu.

Fokus: Strategie-Umsetzung!

Die Intensität, mit der Fachliteratur und Praxis sich mit Strategieplanung und Analyse beschäftigen, ähnelt sich in investierter Zeit und Bedeutung, während die Phase der Strategieimplementierung oft kaum Beachtung erfährt. Schließlich muss über die folgenden Jahre hinweg „nur noch“ das operativ abgearbeitet werden, was die erarbeiteten mehrjährigen Maßnahmepläne vorgeben.

Für die erfolgreiche Strategieimplementierung werden als relevante führungsprozess-unabhängige Elemente Organisation, Unternehmenskultur, Personalmanagement und Controlling genannt22. Eine Rückkopplung zur Realisierbarkeit oder bei auftretenden Problemen in der Praxis ist innerhalb konventioneller Herangehensweisen kaum vorgesehen. Auch die hierarchische Organisation zwischen Entwicklung und Umsetzung illustriert ein Ungleichgewicht, insbesondere wenn die Kommunikation nur eine Richtung – von oben nach unten – kennt. Die Unternehmensperformance nimmt dann zu, wenn Mitarbeitende ein klares Verständnis der Unternehmensziele haben und die Führungskräfte über ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit verfügen23.

Wenig überraschend hängt der Wirkungsgrad des Kommunikationskanals vom Grad des persönlichen Austauschs und der möglichen Interaktion ab24. Unverständlich, wenn nicht gar fahrlässig ist es, wenn eine sorgfältig ausgearbeitete und passende Strategie daran scheitert, dass weder Zeit noch Mittel für deren Kommunikation zur Verfügung gestellt werden.

Agile Strategieentwicklung = Organisationsentwicklung

Veränderungen von Rahmenbedingungen und der eigenen Position sowie Strategieänderungen sind allerdings die Realität, was Mintzberg in seinem Modell der Emerging Strategies illustrierte.

Emergente Strategien nach H. Mintzberg.

Der Gedanke liegt nahe, dass der Anteil der emergenten Strategie-Impulse an der letztendlich realisierten Strategie in der VUCA-Welt mit zunehmender Dynamik und Komplexität steigt. Strategiemethoden, die dem Rechnung tragen, dürften somit an Bedeutung gewinnen.

Nach Untersuchungen von Schallmo/ Lohse haben klassische Strategieentwicklungskonzepte und -methoden nach wie vor eine hohe Bedeutung25. Als überholt dürfen aber starre Mehr-Jahrespläne mit exakten Budget- und Zielwerten gelten, ebenso wie Strategieentwicklung als Closed-Stop-Veranstaltungen einer Management-Elite und eine alljährliche Strategie-Reflexion gleichen Formats.

Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Entwicklungen gilt unbestritten als der Erfolgsfaktor, umso mehr, je dynamischer Veränderungen vonstatten gehen. Dies muss auch für die (Weiter-) Entwicklung von Strategien, also auch von digitalen Bildungsstrategien gelten. Umso mehr, da gerade Kompetenzveränderungen zugleich Resultat und Auslöser für Kulturentwicklungen sind (culture drives business drives strategy drives culture…).

Thode/Wistuba schlagen daher vor, schon in der Strategieentwicklung mit agilen Methoden zu arbeiten, die sie mit folgenden Attributen charakterisieren26:

  • Phasenübergreifend
  • Hierarchiefreier und crossfunktionaler Diskurs
  • Mehrdimensionalität und höheres Skalenniveau
  • Kurzfristige und anlassbezogene Anwendung
  • Ergebnis mit Freiheitsgraden
  • Einfachheit

Neue Strategieparadigmen

Konventionelle Strategiekonzepte basieren auf zwei Voraussetzungen: Zum einen der relativ zuverlässigen Planbarkeit der Zukunft und die Fähigkeit, Wettbewerbsvorteile über einen längeren Zeitraum hinweg konservieren zu können27. Im Hinblick auf die vielbeschworene VUCA-Welt mit hoher Innovations- und Wettbewerbsdynamik darf diskutiert werden, ob diese Prämissen heute noch für jede Organisation und ihre Umwelt so gegeben sind. Die Fähigkeit, schneller zu lernen als der Wettbewerb, wird mitunter zum einzig nachhaltigen Wettbewerbsfaktor erklärt.

Daher werden neue, experimentelle Strategiemethoden entwickelt. Der Ansatz des Strategie Design28 beginnt damit, konkrete, kleine Herausforderungen im organisationalen Spannungsfeld zu lösen und die gewonnenen strategischen Erkenntnisse auf das Gesamtszenario zu übertragen. Dies ist dann möglich, wenn die Strategie nicht top-down von der Geschäftsleitung „verordnet“ wird, sondern sich Impulse aus unterschiedlichen fachlichen und hierarchischen Ebenen entwickeln dürfen. Prämisse ist ein hoher Partizipationsgrad, ein hohes Maß an Kollaboration und Offenheit, um einerseits Kannibalisierungseffekte zu vermeiden und andererseits Synergieeffekte zu nutzen. Ferner müssen interdisziplinäre Ressourcen klug disponiert und verfügbar gemacht werden. In der Strategieumsetzung werden agile Projektmethoden häufiger eingesetzt und der Projektfortschritt durch kontinuierliche und iterative Rückkopplung in kurzen Zyklen sowie anlassbezogen reflektiert.

Damit dies funktioniert, muss die Organisation über einen entsprechenden Reifegrad, eine entsprechende Kultur und Kompetenzen verfügen. Da stellt wieder die hohe Bedeutung der Bereiche LnD, People&Organisation etc. unter Beweis.

Das Methoden-Technik-Potpourri

Die große Zahl von Techniken und Methoden, die schon bei unterschiedlichen Ansätzen der Entwicklung von Digitalstrategien zum Einsatz kommen, stellen Schallmo/Lohse vor29. Scrum oder Beyond Budgeting? Eine harte Regel, welche der genannten Techniken bzw. welche Methodenkombination am sinnvollsten ist, kann es nicht geben. Je komplexer und dynamischer das Umfeld ist, desto mehr empfiehlt es sich, hierarchieübergreifend und interdisziplinär die Auseinandersetzung mit entsprechenden Methoden als strategisch relevantes Bildungsziel zu erklären. Design Thinking, Business Modell Canvas und Scrum sind neben Lean-Startup wohl diejenigen, welche mit am häufigsten verwendet werden. Gemeinsam haben diese Ansätze jedoch, dass sie ein digitales und agiles Mindset und damit auch die Kommunikation innerhalb der Organisation fördern. Daher gehört die Vermittlung entsprechender Kompetenzen und Zugang zu Anwendungsszenarien ebenso zu inhaltlichen Grundlagen jeder digitalen Bildungsstrategie wie auch der Umgang mit diversen digitalen Tools des Wissensmanagements30, die zugleich auch den Lernprozess unterstützen. Mit einem erweiterten Methoden-/Technik-Potpourri wird so eine ganzheitliche Strategieentwicklung für die Digitalisierung möglich.

Fazit

Die Herausforderungen der Digitalisierung zeigen sich z. B. an immer dynamischeren Entwicklungen der Umwelt, Veränderungen der Konsumkultur, höheren Anforderungen an Veränderungsbereitschaft und dem zunehmenden globalen Wettbewerb über Branchengrenzen hinweg. Vieles deutet darauf hin, dass gerade im Zeitalter der Digitalisierung Lernende Organisationen die Nase vorne haben.

Zielgerichtete Transformationsvorhaben implizieren individuelle und organisationale Lernprozesse. Diese Lernprozesse bedingen die Verknüpfung mit einer Bildungsstrategie sowohl hinsichtlich der aktiven Einbindung von LnD in den Strategieprozess als auch der interdisziplinären Verankerung entsprechender Kompetenzen zum Umgang mit Tools und Methoden. Um eine Transformation zu gestalten, ist ein planvolles Vorgehen, insbesondere eine digitale Bildungsstrategie notwendig.Im Rahmen digitaler Transformationsprozesse muss die Bildungsstrategie ebenso digital sein, d. h. zum einen eine technologische Grundlage für Bildungsprozesse bieten, zum anderen den Erwerb digitaler, aber auch strategischer Kompetenzen zum Ziel haben.

Inhaltlich sind Strategien notwendigerweise sehr unterschiedlich, sollen sie doch zur Differenzierung im Markt beitragen. Konventionelle Strategien basieren auf Planungssicherheit und konservierbaren Wettbewerbsvorteilen. Voraussetzungen also, die heute nicht mehr grundsätzlich gegeben sind. Hier kann ein klassisches Vorgehen nicht mehr zielführend sein. Strategieentwicklung und Implementierung sind keine isolierten, chronologisch getrennt ablaufende Prozesse mehr, sondern wirken sich direkt auf die Organisation aus. Entsprechend ist Strategie-Entwicklung aktive Organisationsentwicklung. Tragfähige Strategien im komplexen Umfeld werden heute sinnvollerweise nicht hinter verschlossenen Türen entwickelt und dann top-down ausgerollt. Um eine passende Bildungsstrategie aufzusetzen, ist eine Auseinandersetzung mit dem Komplexitätsgrad von Problemstellung und Umwelt, der Veränderungskompetenz sowie des Reifegrades der Organisation, speziell auch des Bildungsbereichs wichtig. Entsprechende Kompetenzen gezielt zu fördern, um Transformation erfolgreich umzusetzen, muss inhaltlicher Bestandteil der Bildungsstrategie sein. Dies bedingt die kontinuierliche Einbeziehung von Personal, Organisation und Kultur.

In der Projektumsetzung kommen oft schon agile Methoden und digitale Tools zum Einsatz, während die Strategieentwicklung oft noch mit klassischem Handwerkszeug operiert wird. Um diese Asynchronität zu überwinden, eine stimmige Kommunikation und gegenseitiges Verständnis zu gewährleisten, hat LnD / HR etc. die strategisch relevante Aufgabe, hierarchieübergreifend und interdisziplinär entsprechende Kompetenzen zu fördern.

Unabhängig von den Rahmenbedingungen und Unternehmenszielen ist es also notwendig, das Design der (Bildungs-)Strategie selbst strategisch(!) anzugehen und die notwendigen Kompetenzen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dazu gehört im professionellen, modernen Bildungskanon auch, klassische und moderner Tools sowie agile Methoden zu Strategieentwicklung und Implementierung auszuprobieren sowie offen damit zu experimentieren.

Unternehmen, die auf organisationaler Basis reflektieren können, sind Lernende Organisationen31 – oder zumindest auf dem besten Weg dahin. In diesem Sinne: Gute Reise!


Die Autorin:

Annette A. Bouzo

Die Elearning-Managerin (CELM) und zertifizierte UX-Expertin (CPUX) betrachtet für die SoftDeCC Software GmbH die Nutzungsqualität digitaler Lernlandschaften aus Sicht von Lernenden und Learning Professionals. Sie studierte Personal und Organisation an der Universität Koblenz-Landau. Ihre Masterarbeit im Fachbereich Bildungswissenschaften fokussierte die Rahmenbedingungen agiler Lernszenarien in Unternehmen.

 

 


Quellen:

1 (Sackmann, 2006, S. 7)
2 (Argyris & Schön, 1978)
3 (Faulstich, 1998)
4 (Miller, 1996)
5 (Ifenthaler & Egloffstein, 2021)
6 (Schallmo & Lohse, 2020, S. 6)
7 (Johanning, 2019)
8 (Urbach & Ahlemann, 2016)
9 (Bünger, 2009)
10 (Schallmo & Lohse, 2020)
11 (Schoeneberg, 2014)
12 (Klabunde, 2003)
13 (Sargut & McGrath, 2011)
14 (Schuh, 2005)
15 (Wildemann, 2021)
16 (Ulrich & Probst, 1988)
17 (Snowden, 2000)
18 (Brente, 2014)
19 (Joseph & Dahm, 2019)
20 (Deiser, 1998)
21 (Wahler & Busch, 2018)
22 (Raps, 2008)
23 (Kaplan & Norton, 2001)
24 (Miniace & Falter, 1996)
25 (Schallmo & Lohse, 2020)
26 (Thode & Wistuba, 2019)
27 (Beinhocker, 2006)
28 (Walter, 2019)
29 (Schallmo & Lohse, 2020)
30 (Mittelmann, 2019)
31 (Helbig, Hofhues, Egloffstein, & Ifenthaler, 2021)

Literatur:

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