Neurobiologische Perspektiven auf digitales Lernen: Was digitale Medien mit unserem Gedächtnis machen

Digitale Medien gehören längst zum Lernalltag – doch was passiert dabei eigentlich in unserem Gehirn? In seiner Keynote auf der LEARNTEC zeigt Prof. Dr. Martin Korte, wie stark Tablets, Smartphones und Apps unsere Aufmerksamkeit beeinflussen, warum echte Bücher oft die bessere Wahl sind und welche zentrale Rolle soziale Beziehungen beim Lernen spielen. Im Interview erklärt der Neurobiologe, warum Motivation immer mit zwischenmenschlicher Wertschätzung beginnt, weshalb Pausen nicht mit Bildschirmzeit gefüllt werden sollten – und wie sich Lernen, Erinnern und Vergessen im digitalen Zeitalter neu verstehen lassen.

eLearning Journal: Guten Tag, Herr Dr. Korte. Sie halten auf der LEARNTEC die Keynote zum Thema „Lernen, Erinnern und Vergessen mit digitalen Medien“. Mögen Sie uns zunächst einen Einblick in Ihre berufliche Rolle und Forschungsschwerpunkte geben?

Prof. Dr. Korte: Ich untersuche, wie wir lernen, erinnern, aber auch warum wir vergessen und was hier die Randbedingungen des Lernens sind. Also auch, unter welchen Bedingungen wir besonders effektiv lernen und welche Faktoren beim Lernen hinderlich sind. Meine Forschung hat gezeigt, dass gerade auf der zellulären Ebene des Lernens Assoziationen elementar wichtig sind und das Motivation im Gehirn zuallererst durch die Wertschätzung durch andere Menschen getriggert wird.

eLearning Journal: In Ihrem Vortrag stellen Sie die ambivalente Rolle digitaler Medien im Lernprozess in den Mittelpunkt. Welche Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung haben Sie dabei besonders überrascht oder zum Umdenken angeregt?

Prof. Dr. Korte: Erstaunlich ist, welche ablenkende Wirkung digitale Medien auf unsere Aufmerksamkeitszentren im Gehirn haben, wie viel Rechenkapazität im Gehirn deren Nutzung kostet und wie schwierig es ist, digitale Endgeräte und Lern-APPs in den Unterricht einzubauen. Vor allem, was die Nutzung in den Pausen angeht, bin ich sehr skeptisch geworden, was die Smartphone-Nutzung angeht, denn hier zeigen neueste Daten, wie anstrengend das für die Schüler/innen ist und wie sie es sie von Bewegung und sozialer Interaktion mit anderen abhält.

eLearning Journal: Smartphones und Tablets sind längst fester Bestandteil des Alltags junger Menschen – auch im Klassenzimmer. Wo sehen Sie in der schulischen Nutzung konkrete Chancen, aber auch Grenzen dieser Technologien?

Prof. Dr. Korte: Smartboards können effektiv und anregend für den Unterricht benutzt werden, Tablets und Laptops sollten eher für eigenständiges Arbeiten genutzt werden. Sie können im laufenden Unterricht eine stark ablenkende Wirkung haben, lenken den Blick weg von den Peers und den Mentoren. Aber als individuelle Trainer, Wissensressourcen und zur Materialsuche sind sie wertvolle Hilfsmittel, mit denen man auch sehr gut eigenständiges Lernen-lernen trainieren kann und die Selbstwirksamkeit steigern kann – wenn man hier eine entsprechende Anleitung und Hilfestellung bekommt. Niemals darf man junge Menschen am Beginn des digitalen Lernens mit den Aufgaben und Geräten allein lassen.

eLearning Journal: Sie plädieren dafür, analoges Lernen nicht zugunsten digitaler Medien vollständig aufzugeben. Welche Rolle spielen klassische Formate wie Bücher und persönliche Mentoren in einer zukunftsgerichteten Lernkultur?

Prof. Dr. Korte: Es auch mich überrascht, dass wir in der Tat aus einem echten Buch besser zusammenhängende Ereignisse erinnern können als dies auf einem Flachbildschirm der Fall ist, Schüler/innen lesen langsame und konzentrierter in einem realen Buch. Wir sollten also neben digitalen Endgeräten zum Recherchieren und Lesen von Texten die Bücher nicht abschaffen.
Auch sind Schüler/innen sehr gut im Nachahmungslernen und sind motivierter, wenn sie eine Lehrkraft für authentisch halten und wenn sie in Gruppen mit Peers lernen. Lesen aus Büchern, Unterricht mit einem Mentor/in und mit peers sollten also neben digitalen Endgeräten weiter fester Bestandteil des Unterrichtes bleiben. Bei diesen Überlegungen spielt auch eine Rolle, dass Kommunikation und Teamfähigkeit zu den zentralen Elementen gehört, die man in zukünftigen Arbeitswelten brauchen wird, laut Einschätzung führender CEOs großer Firmen.

eLearning Journal: In der Debatte um digitale Bildung fällt oft das Stichwort „Aufmerksamkeitsspanne“. Welche Rolle spielt das gezielte Vergessen – oder auch das Überfordern durch ständige Reize – beim digitalen Lernen Ihrer Einschätzung nach?

Prof. Dr. Korte: Es geht bei der Aufmerksamkeitsspanne darum, wie lange wir konzentriert und fokussiert Tätigkeiten nachgehen können, wir uns selbst gesetzt haben, ohne uns unterbrechen zu lassen. Wir haben zwei Aufmerksamkeitszentren im Gehirn, eines zum Fokussieren und eines, welches bewirkt das wir den Fokus schiften, z.B. durch das Vibrieren eines Smartphones. Wir brauchen 9-15 Minuten, um uns auf eine anspruchsvolle Tätigkeit einzustellen, entsprechend verlieren Lernende viel Zeit, wenn sie sich in ihrer Tätigkeit ständig unterbrechen lassen.

eLearning Journal: Was dürfen die Besucher:innen von Ihrer Keynote auf der LEARNTEC erwarten – und warum lohnt es sich gerade jetzt, genauer auf das Zusammenspiel von Lernen, Erinnern und Vergessen zu blicken?

Prof. Dr. Korte: Der Vortrag ist sowohl wissenschaftlich fundiert als auch unterhaltsam; er wird zudem neue Horizonte aufzeigen um zusammen mit KI-Programmen zu lernen in einer Form der Ko-Evolution, er wird aber auch aufzeigen wo die Grenzen digitalen Lernens liegen und wo mentorenbasiertes Lernen nachhaltig wichtig bleiben wird. Menschen lernen am besten von Menschen und die Schule ist und bleibt zuallererst sozialer Lernraum – Empathie gibt es nicht im APP-Store.


Vortrag: Lernen, Erinnern und Vergessen mit digitalen Medien
Zeit: 08.05.2025, 09:30 – 10:30 Uhr
Ort: Konferenzsaal

Kontakt des Referenten:

Prof. Dr. Martin Korte
Institutsleiter
TU Braunschweig

www.tu-braunschweig.de