Auf Herz und Lunge geprüft
VR-Training für das ECMO-Pflegepersonal
Wenn die Funktion von Lunge und/oder Herz eingeschränkt ist und andere Therapien das Herzkreislauf- bzw. Lungenversagen nicht aufhalten, werden Patienten mit ECMO therapiert. Damit das medizinische Personal optimal geschult werden kann und im Ernstfall mit Routine und Entschlossenheit reagiert, wurde ein VR-Training entwickelt, das ebendiese Sicherheit aufbaut.
Extracorporale Membranoxygenierung (ECMO) ist ein teilweiser oder vollständiger maschineller Ersatz der Lungen- bzw. Herzfunktion im Falle eines akuten Lungen- und/oder Kreislaufversagens. Bei dieser risikoreichen Behandlungsmethode wird Blut aus dem Körper des Patienten entzogen, mithilfe einer künstlichen Lunge mit Sauerstoff angereichert, von CO2 befreit und schließlich zurückgeführt. Damit kann die ECMO Herz- sowie Lungenfunktionen ersetzen, wenn dies dem Körper selber nicht mehr möglich ist. Damit das Pflegepersonal optimal geschult werden kann, hat das Deutsche Herzzentrum München (DHM) des Freistaates Bayern gemeinsam mit dem UP Designstudio eine Virtual Reality (VR) basierte Lösung entwickelt. Dieses Projekt wurde durch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert und ermöglicht das immersive Lernen der pflegenden Kräfte innerhalb eines geschützten Lernraums.
Lernbedarfe
Das ECMO-VR-Training reagiert auf aktuelle Herausforderungen des Klinikbetriebs wie den akuten Fachkräftemangel, komplexe Technologie und aufwändige Schulungen. ECMO ist eine risikoreiche Intensivbehandlung, bei der eine Fehlbedienung der dafür benötigten Apparatur mit zugehörigen Komponenten und Anschlüssen gravierende Folgen für das Patientenleben haben kann. Bis dato konnte die dafür nötige praktische Ausbildung nur durchgeführt werden, wenn ein Patient angeschlossen ist. Um diesen Umstand anzugehen, sollte ein VR-Training aufgebaut werden, welches dem Pflegefachpersonal sowie ECMO-unerfahrenen Ärzt:innen ermöglicht, in den Belangen der ECMO-Therapie geschult zu werden, ohne zunächst direkt am Patienten arbeiten bzw. lernen zu müssen. Damit dient das VR-Training sowohl als theoretischer Einstieg für neue Mitarbeitende vor der praktischen Anwendung als auch der Auffrischung von Wissen nach einer längeren Pause an ECMO.
Das virtuelle Intensivzimmer soll insofern eine von Ausbildungsleitenden räumlich und zeitlich unabhängige Lernmöglichkeit bieten. Diese soll den Regelbetrieb simulieren, aber auch Sonderfälle nachbilden, damit das Personal dementsprechend darauf reagieren kann. Gleichzeitig soll nach der Methode des Cognitive Apprenticeship mit dem Lernfortschritt sukzessive die Unterstützung durch Erläuterungen und Tipps wegfallen. Auf diese Weise ist garantiert, dass das Pflegepersonal selbständig und routiniert auch ohne Anweisungen durchs Lehrpersonal mit dem ECMO-Gerät arbeiten kann. Damit werden Methoden und Ansätze von VR, Simulation, Web Based Training, Gamification sowie die bereits genannte Cognitive Apprenticeship miteinander vereint.
Projektverlauf
Das Projekt wurde im Rahmen einer zweijährigen Förderung durch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz durchgeführt. Mit den Projektpartnern des Deutschen Herzzentrums München wurden vom UP Designstudio Nutzerbeobachtungen durchgeführt, um deren Arbeitspraxis mit ECMO festzustellen – diese Beobachtung beinhaltet auch Interviews mit den Pflegekräften. Im Rahmen von Workshops mit den Beteiligten sowie einem Team bestehend aus Ärzt:innen und Pflegekräften wurde das didaktische Konzept des VR-Trainings entwickelt. Daraus erarbeitete UP Designstudio drei mögliche Ausarbeitungen, welche mit dem DHM evaluiert wurden.
Die didaktischen Inhalte wiederum wurden in Tabellenform übertragen und als Grundlage für die Abstimmung des visuellen Bildes mit Anzeigen in der VR-Brille auf die physikalische Interaktion aufbereitet. Da bei der komplexen Druckmessung im System der größte Lernbedarf des Pflegepersonal in Bezug auf den Umgang mit ECMO identifiziert wurde, wurde hier ein Vertical Slice aufgebaut – eine Beispiellektion, welche als ausgestalteter Querschnitt dazu dient, einen Erwartungshorizont für die gesamte Schulung zu bilden. Dieser Vertical Slice wird sowohl zur Ausarbeitung und Definition eines Visualisierungsstils als auch als Benchmark für die Qualität des Gesamtprodukts genutzt.
Aus didaktischen Gründen wurde bei der Schulungsanwendung die direkte Ansprache „per Du“ mit Aufforderungscharakter gewählt, um somit möglicher Distanz entgegenzuwirken. Damit sollte zudem eine entspannte Lernsituation geschaffen werden; ein autoritärer bzw. befehlender Stil war nicht erwünscht.
Nach der Erstellung eines Papierprototypen wurde mittels Adobe XD für den Testaufbau ein virtueller 2D-Clickdummy erstellt und im iterativen Verfahren mit Klinikpersonal medizinisches Wissen getestet, bewertet und in der Darstellung optimiert. Zur Visualisierung von Inhalten, welche nicht in 2D korrekt dargestellt werden konnten, wurden diese in die VR-Brille implementiert und mit dem DHM abgestimmt.
Da die Trainingsumgebung des VR-Learnings auf einem realen Raum basiert, wurde ein Intensivzimmer des DHM originalgetreu nachgebaut. Daraufhin wurde die ECMO-Konsole mit allen relevanten Bauteilen modelliert, sodass die Version der Realwelt entspricht. Auch die Organe wurden realitätsgetreu nachempfunden und das darauf entstandene Modell an die Physiologie eines ECMO-Patienten angepasst. Zusätzlich wurden unterschiedliche Hautzustände des Patienten simuliert, da diese unter anderem Aufschluss über dessen Gesundheitszustand geben.
In Korrespondenz zum Vertical Slice wurde durch das UP Designstudio ein UI-Styleguide entwickelt, mit dem das VR-Interface des Trainings definiert wurde – dies gewährleistete eine konsistente Gestaltung der gesamten Schulung. Außerdem wurde im engen Austausch mit dem DHM ein Workflow entwickelt, welcher als Template für die Ausgestaltung weiterer Lektionen galt. Aufgrund der Diversität und Heterogenität der Zielgruppe in Bezug auf Alter, Sprachkenntnisse und medizinischer Vorkenntnisse wurden im DHM wiederholend unterschiedliche Testpersonen rekrutiert, um möglichst breites Feedback zur Usability der VR-Anwendung zu erhalten. Dies war insbesondere wichtig, da auch Personen angesprochen werden sollten, welche bisher keine Erfahrung mit 3D-Brillen sammeln konnten.
Aufgrund der COVID-Pandemie war die Kollaboration der Parteien höheren Herausforderungen ausgesetzt. Nicht zuletzt auch diesem Umstand war geschuldet, dass von beiden Projektparteien eine hohe Flexibilität gefragt war und viele Absprachen mittels Videocalls erfolgten. Um trotzdem Usertests durchführen zu können, befand sich eine VR-Brille mit dem aktuellen Arbeitsstand stets am DHM. Zur Inbetriebnahme dieser Brille wurden die Mitarbeitenden durch UP Designstudio geschult.
Projektergebnis
Es ist eine immersive, virtuelle Lernumgebung für das medizinische Personal in der Schulung mit ECMO entstanden, ohne dass der Druck, bei Falschbedienung den Patienten zu gefährden, entsteht. Dabei geht es nicht nur um die Bedienung des Geräts an sich, sondern auch die Identifizierung von Fehlern oder Auffälligkeiten im Schlauchsystem wie Thromben oder Lufteinschlüsse, die zu einem Ausfall der Konsole führen können. Um den Lernfortschritt der Trainierenden zu erfahren, wurde das Learning außerdem mit Zwischenfragen versehen, damit das praxisrelevante Wissen gefestigt wird.
VR-Anwendungen für die Medizin sind zwar bereits in einer Vielzahl vorhanden, dies galt bis vor kurzem allerdings nicht in dieser visuellen Qualität und inhaltlichen Tiefe für die Behandlung mit ECMO. Hier setzt das ECMO-VR-Training an. Es bietet einen geschützten Raum für die Lernenden, welcher bei den Mitarbeitenden des DHM auf breite Zustimmung trifft.
Der Erfolg dieses VR-Trainings lässt sich auch daran messen, dass weitere Stationen am DHM und andere Kliniken ähnliche Trainings entwickeln möchten. Das Training soll in Zukunft beim DHM fest in den Schulungsablauf integriert werden.
Fazit
Wenn die ECMO eingesetzt werden muss, ist dies für den Patienten in der Regel eine akut lebensbedrohliche Situation. Hierbei ist es von äußerster Wichtigkeit, dass das Fachpersonal genau weiß, wie es die ECMO einzusetzen hat. Trotz der Brisanz des Themas war es bis vor kurzem nur mit viel Aufwand möglich, die Schulung direkt am Patienten vorzunehmen. Das bedeutet im schlimmsten Fall, dass das Personal nicht stressfrei trainiert werden kann und Berührungsängste an einer Stelle aufgebaut werden, an der sie nicht auftreten dürfen. In einem Krisenmoment kann dies für den Patienten lebensbedrohlich sein.
Das Deutsche Herzzentrum München und UP Designstudio haben gemeinsam ein VR-Training aufgebaut, welches diese Herausforderung angeht. Dabei geht es auch um den Abbau von Barrieren – gerade auch solchen, welche lediglich im Kopf entstanden sind. Mit dem ECMO-VR-Training können Pfleger:innen und Ärzt:innen in einem geschützten Raum geschult werden und somit Routinen mit Gewissheit aufbauen. Dies ist ein wichtiger Schritt in einer modernen medizinischen Versorgung. Daher geht die Verleihung des eLearning AWARD 2024 in der Kategorie „Simulation“ in diesem Jahr an das DHM und UP Designstudio.
Vorgaben und Besonderheiten:
Vorgaben:
Gestaltung eines VR-Trainings für die Behandlung an Patienten, welche an ECMO angeschlossen werden. Gewährleistung eines geschützten Lernraums, in welchem das Pflegepersonal ohne Berührungsängste geschult wird.
Besonderheiten:
Bisher konnte das Pflegepersonal nur direkt an der ECMO geschult werden. Durch die immersive und original- sowie detailgetreue Darstellung ist es nun möglich, dies auch virtuell zu tun, ohne einen Patienten möglicherweise zu gefährden.
Projektverantwortliche:
Deutsches Herzzentrum München
Dr. med. Bettina Ruf
Oberärztin Kinderkardiologie
Deutsches Herzzentrum München des Freistaates Bayern – Klinik an der Technischen Universität München
Lazarettstraße 36
D-80636 München
studienzentrumKK@dhm.mhn.de
www.deutsches-herzzentrum-muenchen.de
UP Designstudio GmbH & Co. KG
Stefan Lippert
Geschäftsführer
UP Designstudio GmbH & Co. KG
Dornierstraße 17
D-70469 Stuttgart