Videoberatungs-Pionierinnen gesucht
Wie das Burgenland seine Arbeitssuchenden-Beratung revolutioniert

Um sicherzustellen, dass das Projekt erfolgreich beendet wurde, waren vier Faktoren maßgeblich: Medienkompetenz, Raumgestaltung (Bild, Ton, Hintergrund), Sicherheit und Beratungskompetenz.

Wie schafft man es, trotz einer weltweiten Pandemie eine funktionierende Arbeitssuchenden-Beratung aufrecht zu halten? Ganz klar, könnte man sagen, die Antwort ist „Online“. Allerdings zeigt sich, dass gerade in diesem Feld das Offensichtliche überhaupt nicht so einfach ist. Hierbei ist es wichtig behutsam Akzeptanz für die Sache aufzubauen.

Das Burgenland ist ein besonders ländlich geprägtes österreichisches Bundesland mit weiten Lauf- und Fahrtwegen, das gilt auch für die An- und Abreise zu den Stellen des Arbeitsmarktservice Burgendland (AMS). Mit der Covid-Krise, welche 2020 auch vor Österreich keinen Halt machte, wurden die Arbeitsuchenden sowie die Mitarbeitenden des AMS vor der Herausforderung gestellt, dass von einem zum nächsten Moment keine Präsenztermine mehr möglich waren, um beraten zu können bzw. um beratend zur Seite zu stehen. Zwar gab es telefonische Möglichkeiten, um die Kundinnen des AMS zu unterstützen, diese wurden allerdings ursprünglich nur in bestimmten Ausnahmefällen angeboten. Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, hat sich die AMS mit seminar coaching prochaska e.U. zusammengesetzt und Wege bereitet, die Beratung für Erwerbssuchende zu verbessern und zu modernisieren: Mit Hilfe von Videoberatung.

Lernbedarfe

Durch die Pandemie gefordert, musste auch beim AMS eine grundlegende Veränderung im Arbeitsprozess vollzogen werden, denn für die Dienstleistungen der persönliche Beratungsgespräche bei Erwerbssuchenden waren Präsenzbesuche nicht mehr möglich. Gleichzeitig waren alternative Angebote in der Regel nicht vorgesehen. Termine wurden daher entweder verschoben oder als telefonische Beratungen durchgeführt. Präsenztermine fanden ab März 2020 kaum noch statt.

Nach einer eingehenden Sondierungsphase zur Überprüfung der technischen Voraussetzungen wurde vorgeschlagen, mit Hilfe der Webex Meeting-Software Videokonferenzen zu nutzen, um in Form von Videoberatungen Gespräche anzubieten. Gleichzeitig wurde damit auch die Idee geschaffen, diese Möglichkeit über die Covid-Krise hinaus zu nutzen und sie als neue Dienstleistung aufrecht zu halten. Unter Videoberatung wird hier insofern ein computergestütztes, medial über das Internet durchgeführtes und interaktives Beratungsgespräch mit Kund:innen des AMS verstanden.

Einhergehend ist hierbei die Problematik, dass die Vorgabe einer Videoberatung kontrovers zu der Meinung vieler Berater steht, da für die Beratung der persönliche Kontakt zu den jeweiligen Kunden als Imperativ gesehen wird. Des Weiteren musste das Projekt ganz von vorne gedacht werden: Von den insgesamt 71 Berater:innen des AMS Burgendland hatte zuvor kaum eine Person Erfahrungen in der Videoberatung sammeln können, in anderen Landesorganisationen waren ebenso kaum nennenswerte Praxiserfahrungen vorhanden, auf welche man hätte zurückgreifen können. Dadurch ergaben sich berechtigte Bedenken, da für alle Berater:innen eine grundlegende Veränderung des Arbeitssettings bevorstand; für die Berater:innen war dies wie der Blick ins Unbekannte. Auch die Einstellung, dass Präsenztermine alternativlos seien, musste einer Veränderung unterlaufen. Gleichzeitig mussten zudem die Kund:innen mitgenommen werden. Zu diesem Zweck holte der stellvertretende Abteilungsleiter Günter Hack die Beraterin Anita Zetthofer aus einer regionalen Geschäftsstelle im Bundesland Burgenland hinzu, welche als eine von wenigen Berater:innen bereits Erfahrungen in dem Bereich hatte sammeln können.

Projektverlauf

Das Projekt wurde in insgesamt in 5 Phasen aufgeteilt:

Phase 1 – klarer Wunsch und Transparenz
In dieser Phase wurde die Planung der von der Geschäftsführung gewünschten Videoberatung durchgeführt. Hierbei war ein besonderer Leitfaden, dass das AMS Burgenland sich nicht der Digitalisierung gegenüber verschließt, sondern die Videoberatung als Erweiterung der bisherigen Beratungsformen versteht und nicht lediglich als temporärer Plan in der Krise.

In dieser Phase lag zudem die konkrete Zielvorgabe vor, bis zum Juni 2022 alle Berater:innen in dem Bereich Videoberatung zu schulen und vor allem zu begeistern. Dieses Ziel wurde schlussendlich auf 80% der Berater: innen reduziert, um einer „Zwangsschulung“ entgegenzugehen und somit Kontrahaltungen möglichst zu entkräften. Wichtig war es also auch, eine gewisse Positivität gegenüber dem Thema aufzubauen.

Phase 2 – Videoberatungs-Pionier:innen gesucht!
Diese Phase diente ganz klar dem Aufbau der ersten Videoberater:innen, welche im Weiteren auch Pionier:innen genannt wurden. Hierbei wurden Personen gesucht, welche ganz progressiv Interesse an der Videoberatung bekundeten und somit auch als Multiplikatoren in den jeweiligen Geschäftsstellen wirken sollten. Jede Geschäftsstelle sollte hierbei ihre Pionier:innen benennen.

Mit dem 09.12.2021 gab es den ersten Online-Workshop mit ebendiesen Pionier:innen. Die Zielvorgabe war es, bis zum 1. Quartalsende 2022 gemeinsam etwa 100 Videoberatungen durchgeführt zu haben. Dieser Schritt sicherte die Praxiserfahrungen in jeder der Geschäftsstellen und sollte vorsichtig die positive Einstellung gegenüber der Materie fördern.

Gleichzeitig wurden außerdem die ersten Kund:innen bereits angeschrieben und das Angebot der Videoberatung unterbreitet. Besonders wichtig war hierbei die persönliche Mitnahme der Kund:innen mit dem Ziel, mögliche Bedenken von vorne herein klein zu halten. Insgesamt wurden nur Kund:innen angeschrieben, welche – durch den Besitz eines eAMS Konto und mit hinterlegter E-Mail-Adresse – die technischen Voraussetzungen bereits mitbrachten.

Phase 3 – 80% der Beraterinnen geschult
Hier war es das Ziel, alle veranschlagten 80% der Berater:innen geschult zu haben. Bei den Schulungen handelte es sich um drei-stündige Online-Schulungen, mit einer Schulungsgruppe von bis zu 12 Personen. Diese Schulungen fanden via Webex Meeting statt und wurden von Günter Hack, Anita Zetthofer und Sabine Prohaska moderiert. Besonders wichtig war hierbei, Bedenken und Sorgen der Teilnehmenden ernst zu nehmen und direkt anzusprechen bzw. zu entkräften. Mit dem Ende jeder Schulung wurde eine Checkliste erstellt, um die Berater:innen auch im Nachgang zu unterstützen , Sicherheit und Wertschätzung zu bieten.

Die Onlineschulung Baute sich in drei Blöcken auf: 1.) Onboarding-Phase, 2.) Tipps und Tricks zur Technik und zum Online Setting 3.) Work Place Learning (Übungseinheit).

Phase 4 – Evaluation
Um den Stand der Videoberatung zu eruieren wurden verschiedenste Evaluationsformen durchgeführt. Es wurden statistische Zahlen erhoben, das Feedback der Berater:innen direkt nach den Schulungen, als auch circa 1,5 Monate später, eingeholt als wie auch die Kund:innen von den Berater:innen nach der Videobeatung zur Beratungsform befragt. Außerdem findet derzeit eine Umfrage statt, welche die Zufriedenheit der Kund:innen widergeben soll.

Phase 5 – Ausblick
Im Nachgang werden in der letzten Phase die letzten Berater:innen eingefangen und in dem Thema Videoberatung geschult und somit das anfangs gesteckte Ziel, 100% der Berater:innen geschult zu haben, erreicht. Es ist das Ziel, dass bis Ende 2022 alle Berater:innen die Kompetenz zur Videoberatung erworben haben. Zudem ist es ein weiteres Anliegen, Videoberatung bereits in der Grundausbildung der Berater:innen aufzunehmen.

Projektergebnis

Bis zum Juli 2022 wurden im AMS bereits bis zu 727 Videoberatungen durchgeführt – davon 329 allein durch das AMS Burgenland. Mit 45,25% aller bis dahin durchgeführten Videoberatungen Österreichs wurden bis dahin die meisten von den regionalen Geschäftsstellen Burgenland durchgeführt. Gleichzeitig zeigen sich bei den zunächst eher skeptisch eingestellten Berater:Innen äußerst positive Rückmeldungen – sowohl direkt nach der Schulung als auch mehrere Wochen nach der Schulung. Die im September 2022 noch nicht abgeschlossene Kund:innen-Umfrage zeigte zudem bis dahin ein bereits sehr hohes Zufriedenheitsniveau, und das bei einer äußert heterogen zusammengesetzten Zielgruppe. Durch die auffallend hohe Anzahl von Videoberatungen im AMS Burgenland wurde in der Geschäftsstelle von Anita Zetthofer zudem eine interne Revision durchgeführt. Eine zweite Revision war zum Zeitpunkt der AWARD-Einreichung noch nicht abgeschlossen. Hierbei fallen die Berichte bzw. vorläufigen Berichte sehr positiv aus.
Aufgrund der zielgerichteten Auswahl von Freiwilligen war es möglich, eine Einstellungsänderung zu bewirken. Denn dadurch, dass Berater:innen als erste geschult wurden, welche an der Schulung interessiert waren, konnte auch der progressive Gedanke gestärkt werden und somit ein Umdenken bei skeptischeren Mitarbeiter:innen gefördert werden.

Fazit

59% der Psychotherapeut:innen im deutschsprachigen Raum schätzten 2020 eine videobasierte Beratung als schlechter ein, als es Präsenztermine sein könnten. Mit diesem Projekt wird gezeigt, dass Einschätzungen widersprochen werden kann. Dafür ist allerdings auch der richtige Umgang und Fingerspitzengefühl gefragt. Das Thema muss sanft angegangen werden, um so auch eine positive, kaskadische Wirkung bei den Kolleg:innen erzielen zu können. Videoberatung wurde aus der Not heraus geboren – eine Idee, um Beratungsausfälle durch die Covid-Pandemie zu kompensieren. Das ist allerdings auch keine kleine Veränderung: In einem Arbeitsbereich, in dem der physische Präsenztermin die Norm darstellt, ist das ein großer Wandel. Dieser Wandel wiederum bedeutet einen eklatanten Einwirkungsprozess bei den Mitarbeitenden, welche bisher nichts anderes als Präsenz gewohnt sind. Diese müssen behutsam aufgebrochen werden, um neue Ideen und Gedanken ebnen zu können. Im Burgenland ist dadurch ein Beratungszusatzangebot, welches aufgrund seiner positiven Rückmeldung überdauern kann und ein großes Potenzial besitzt, sich auch in der Breite durchzusetzen. Es wurden Meinungen geändert und neues ausprobiert als es nötig war, dabei wurde eine Form der persönlichen Beratung entworfen, welche der Beratung selbst, den zu beratenden und den Beratern zugutekommt. Wichtig ist dabei zudem, dass auf diese Weise der Zugang zur AMS erhöht wird. Mögliche lange Anfahrtswege fallen weg, es werden Zeit und Ressourcen gespart und somit zusätzlich die Schonung der Umwelt ermöglicht. Die Jury des eLearning AWARD 2023 freut sich, dass auch in Face to Face-starken Arbeitsbereichen die Digitalisierung nicht nur eine Chance erhält, sondern Erfolge feiert. Aus diesem Grunde geht die diesjährige Verleihung des Awards in der Kategorie „Change Management“ an AMS Burgenland und seminar consult prohaska e.U. Herzlichen Glückwunsch!


Vorgaben & Besonderheiten

Vorgaben:
Erschaffung einer Arbeitsvermittlung und -beratung, die rein online verläuft und dabei auf Präsenztermine verzichtet. Hierbei auch Schaffung des Know-hows und die Akzeptanz bei den Berater:innen in einem Tätigungsfeld, in dem Präsenztermine ohne Alternative gesehen werden. Gerade wegen der Covid-Pandemie sollte dieses Angebot aufgebaut werden, da Präsenztermine fast gar nicht mehr stattfinden konnten.

Besonderheiten:
Vor dem Projekt gab es so gut wie keine Berater:innen, welche mit Online-Beratung im Bereich der Arbeitsvermittlung Berührung gehabt hatten. Insofern war es Aufgabe, dieses Wissen und der Erfahrung aufzubauen. Da Freiwilligkeit bei den Teilnehmenden Berater:innen für die Schulung wichtig war, wurden in jeder Filiale Personen gesucht, die sich ganz aktiv für die Option der Online-Beratung interessierten.


Projektverantwortliche

Arbeitsmarktservice Burgenland

Günter Hack
Stv. Abteilungsleiter – Service für Arbeitskräfte

Arbeitsmarktservice Burgenland
Permayerstraße 10
A-7000 Eisenstadt

guenter.hack@ams.at
www.ams.at

Arbeitsmarktservice Burgenland

Anita Zetthofer

Arbeitsmarktservice Mattersburg
Mozartgasse 2
A-7210 Mattersburg

anita.zetthofer@ams.at
www.ams.at

seminar consult prohaska e.U

Ulli Neutzling
Geschäftsführerin

seminar consult prohaska e.U
Märzstraße 55/13
A-1150 Wien

prohaska@seminarconsult.at
www.seminarconsult.at