XR, VR und AR – Was ist eigentlich aus dem Hype um virtuelle Lernformate geworden?

Es ist noch keine 5 Jahre her, da schien die VR-Brille das „nächste große Ding“ für die Aus- und Weiterbildung zu werden. Denn auf Messen wie der LEARNTEC konnte man kaum an einem Stand vorbeigehen, ohne auf eine Brille zu stoßen. Nach dem anfänglichen Hype ist es allerdings wieder etwas ruhiger um das Thema geworden. Wie ist also der aktuelle Status von XR, VR und AR? In einem Interview gibt der Experte Torsten Fell einen aktuellen Überblick über die verschiedenen virtuellen Formate und deren Einsatzgebiete in der betrieblichen Bildung.

VReLearning Journal: Was bedeutet Lernkultur im Rahmen der betrieblichen Bildung?

Torsten Fell: Das ist das große Spannungsfeld. Auf der einen Seite haben wir Technologie, auf der anderen Seite die Menschen und wir haben natürlich auch die Prozesse in der Organisation. Diese drei Komponenten generieren natürlich auch dieses ganze Thema „Kulturwert“. Sie ermöglichen es letztendlich den Menschen, in diesen ganzen Organisationen mit der Technik zielorientiert ihre Lern- und Arbeitsprozesse zu meistern, um letztendlich mit den Lernprozess auch die Ergebnisse und Ziele der Organisation zu erreichen.

eLearning Journal: Wie definierst du xR?

Torsten Fell: Das Thema xR ist in den letzten Jahren ein Sammelbegriff geworden. Sehr stark amerikanisch geprägt. Darin stecken die Themen „Virtual Reality“, „Augmented Reality“ und „360 Grad“. Das heißt, dass xR eigentlich der Sammelbegriff für immersive Medien ist und überall da genutzt wird, wo man halt virtuelle Realität sowie erweiterte Realität zusammenbringt und damit sozusagen versucht, eine ganze Welt aufzumachen. Heute wird auch immer mehr Teilausbildung mit diesen Themen verbunden, aber eigentlich ist es ein Sammelbegriff.

eLearning Journal: Welche Potentiale hat xR für die betriebliche Bildung?

Torsten Fell: Wenn wir, wie gesagt, XR als Sammelbegriff verstehen und Virtual sowie Augmented Reality als zwei große Themen sehen, dann gibt es natürlich sehr unterschiedliche Mehrwerte. Bei Virtual Reality fällt die echte, reale Welt zugunsten einer virtuellen Welt weg, mit der ich im Prinzip überall hingehen, überall interagieren und virtuelle Objekte wirklich manipulieren kann sowie Feedback bekomme und Kompetenzen aufbauen kann. Im Gegensatz dazu spielt Argumented Reality, also die erweiterte Realität, überall da eine Rolle, wo ich im Arbeitsprozess bin. Als Beispiel dazu würde ich Performance Support und die „5 Moments of Need“ nennen, wo ich im Arbeitsprozess kontextsensitiv Lerninhalte vermittelt und zur Verfügung gestellt bekomme und das Ganze natürlich meine Arbeitsprozesse und meine Performance unterstützt. Und das sind natürlich die großen Mehrwerte: Auf der einen Seite die Kompetenzentwicklung mit VR, auf der anderen Seite Arbeitsprozess unterstützt mit AR.

eLearning Journal: Für welche Branchen ist xR mit Blick auf Kompetenzentwicklung besonders interessant?

Torsten Fell: Kompetenzentwicklung und VR ist natürlich super, weil ich ja interaktiv ins Tun kommen kann. Das heißt, wenn ich mir die Branchen ansehe, ist das grundsätzlich in jeder Branche möglich. Es gibt natürlich Branchen, die sind ein bisschen mehr dazu geeignet und welche, die sind es ein bisschen weniger. Die Medizin ist sehr gut geeignet, um gewisse Grundkompetenzen bzw. Basiswissen, Anatomie, Operationsverfahren und Methoden aufzubauen. In der Industrie können Herstellungsprozesse, Maschinenanlage, Fahrzeuge oder Gebäude vermittelt werden. Grundsätzlich können mit VR super gut Kompetenzen aufgebaut werden. Das heißt, dass die ganzen Industriethemen sehr naheliegen. Etwas weiter weg sind noch die Soft Skill-Themen. Die kommen aber jetzt gerade, das heißt: Wie kann ich vielleicht Führungsthemen mit VR und Kompetenzen im Bereich Führung, Kommunikation oder Rhetorik damit aufbauen. Da gibt es bereits erste schöne Beispiele. Es ist also eigentlich in allen Branchen möglich, sinnvolle und, sag ich mal, zielorientierte Einsatzgebiete für diese Technologien zu suchen.

eLearning Journal: Was begeistert dich an xR?

Torsten Fell: Als ich vor ungefähr viereinhalb, fünf Jahren das erste Mal eine VR-Brille aufgezogen hab, da war für mich in dem Moment sofort klar, dass sich Lernen und auch Arbeiten in der Zukunft verändern wird. Es ist klar, ich kann an jedem Ort der Welt in alle möglichen Lernszenarien virtuell einsteigen und mit denen interagieren. Vorher passiv ansehen nur am Bildschirm auf dem Smartphone oder Tablet, jetzt stehe ich in der Welt und kann mit dieser Welt interagieren. Oder im Augmented Reality-Bereich: Ich steh an einem Gerät, an dem Fahrzeug, stehe in der Welt und kann mir digital Zusatzinformation einblenden lassen. Es begeistert mich, Menschen eben diese neuen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen und dann auch sinnvoll, natürlich, in Lern- und Arbeitsprozesse zu integrieren. Aber wie gesagt, diese Möglichkeiten, die wir jetzt damit haben und die sich jetzt auch gerade entwickeln. Das ist eigentlich fast schon „Science-Fiction“. Mittlerweile haben wir sowas auf dem Kopf und können für ein paar Hundert Euro in virtuelle Welten abtauchen.

eLearning Journal: Welche Herausforderungen siehst du im Bereich xR mit Blick auf Bildungsprozesse?

Torsten Fell: Also, wenn wir uns auf die XR Technologie mal bisschen genauer schauen, was die Herausforderung an geht, dann muss ich sagen, wir haben natürlich immer noch sehr viel Überzeugungsarbeit und Aufklärung zu leisten. Das heißt, erstmal diese Technologie erfahrbar zu machen, die Rahmen auch abzustecken: Wo sind Grenzen und wo sind Möglichkeiten? Wir haben heute das Thema Hygiene, wo wir besonders hinschauen müssen, wie kann ich diese Lernprozesse mit solchen neuen technischen Geräten hygienisch gestalten. Wir haben aber auch die ganze Herausforderung damit, ethische Fragen damit auch zu beantworten. Was kann ich mit VR mit AR überhaupt machen? Was darf ich damit machen? Das sind natürlich auch wichtige Fragestellungen. Und wie vernünftig integriere ich das Ganze in meine Lernprozesse? Wer ist da drin beteiligt? Mein Trainer hat auf einmal neue Kompetenzen, die benötigt werden. Die Konzept-Leute benötigen ebenfalls neue Kompetenzen, da das Thema 3D reinkommt. Alle die einfach aus der Technologie-Ebene heraus noch relativ wenig Bezug zu dem Thema hatten, bei denen müssen wir erstmal sehr viel Aufklärung- und Sensibilisierungsarbeit leisten, um die Technologie verständlich und erlebbar zu machen. Und ich glaube, dass sind im Moment die größten Herausforderungen. Und diejenigen, die schon etwas in dem Themenbereich gemacht haben und machen, für die ist im Moment das Skalierungsthema die große Aufforderung. Wie kann ich jetzt von einem Leuchtturmprojekt auf paar hundert oder paar tausend Leute kommen?

eLearning Journal: wie wird sich xR in den nächsten 5 Jahren entwickeln?

Torsten Fell: Die große Entwicklung, die man im Moment sieht, ist natürlich, dass alles mehr und mehr miteinander verschmilzt. Wenn wir heute über Virtual oder Augmented Reality sprechen, sprechen wir gleich auch über 5G, wir sprechen gleichzeitig über KI, wir sprechen gleichzeitig über die Cloud. Das heißt, dass diese ganzen Technologiethemen immer mehr zusammenwachsen. Das hat z.B. auch dazu geführt, dass selbst Mark Zuckerberg eine neue Vision für sein Facebook ausgerufen hat, nämlich das Metaverse. Er will die Metaverse-Company der Zukunft werden. Das heißt, wie kommen eigentlich diese digitalen Medien mit unserer realen Welt zusammen? Wie kommen die mit uns als Menschen zusammen? Das wird, glaube ich, eine große Herausforderung für alle sein. Das wird aber genau auch die Entwicklung sein, die wir erleben werden, dass wir tagtäglich Dinge einfach auch mit dieser Technologie erleben werden, und da ist sie gesagt eher den Zusammenschluss. Also es geht nicht nur um VR, AR, sondern, wie kommt man in VR, AR KI rein? Wie kann ich Cloud-Themen nutzen? Dazu brauche ich schnelle Verbindung. Wie kann ich Robotik, 3D Druck – und so weiter – alles verbinden? Und das wird, glaube ich, die nächste große Entwicklung sein, diese Technologien zusammenzuführen und für uns Menschen sozusagen neu erlebbar zu machen. Und ein Thema entwickle ich jetzt selbst: Ich mache ein virtuelles Headquarter im Internet, welches komplett begehbar sein wird. Es wird jetzt im September online gehen. In dem virtuellen Headquarter werde ich tatsächlich einem Kunden, den Interessenten, praktisch ein neues Erlebnis zur Verfügung stelle, wo man halt reingehen kann. Anstatt zugucken kann man jetzt betreten und interagieren und das wird halt auch eine große Entwicklung sein. Wie kann man eigene Geschäftsmodelle in diese neue Welt transformieren?

eLearning Journal: Wie bist du durch die Corona-Zeit gekommen?

Torsten Fell: Das war natürlich auch für mich ein Schock in dem Moment, weil klar war, dass als Speaker keine Auftritte mehr, keine Kongresse mehr, keine Seminare, Ausbildungssachen mehr in Präsenzform möglich waren. Das hat bedeutet, dass ich in der Anfangszeit überlegen musste, wie kann ich mein eigenes Geschäftsmodell transformieren und habe dann tatsächlich mich sehr stark auf meine Vergangenheit besonnen und auch auf die neuen Technologien. Ich habe angefangen, Virtual Reality als Kooperationslösung zu nutzen. Das heißt, ich war im Prinzip relativ schnell dabei, mich tatsächlich mit meinen Kunden im Beratungsumfeld oder im Trainingsumfeld im VR zu treffen, als Avatare um dort interaktive Lernprozesse oder auch Consultingprozesse durchzuführen. Das mache ich jetzt schon seit einiger Weile in der Corona-Zeit und mittlerweile auch sehr erfolgreich. Dadurch kann ich auf viel Erfahrung zurückblicken und da ist auch weltweit einiges passiert. Heute ist es halt für mich normal, meine VR Brille zu nehmen und mich mit anderen Kollegen / Kolleginnen in VR zu treffen. Und da ich letztendlich Lernprozesse und Workshops durchführe oder eben auch Beratungsleistung anbiete, glaube ich, das hatte auch schon noch mal neue Aspekte bei mir. Ich war da ganz verwundert auch am Anfang. Das gebe ich auch wirklich zu. Dabei war mir diese Technologie nicht neu, wir haben sie einfach nur jetzt so richtig stark gesehen. Wir haben alles halt über Zoom oder Webinartechnologie eingesetzt. Hier jetzt eine VR Brille anzuziehen und sich mit anderen Leuten zu treffen, das hat deutlich an Dynamik gewonnen. Und das ist mittlerweile auch ein Teil von meinem Geschäftsmodell geworden, sodass es halt ein fixer Bestandteil ist. Der sogar so weit geht, dass ich heute VR-Kollaborationsexperten ausbilde, die sowas in Unternehmen oder als selbständige Trainer-Coach dann anbieten und das finde ich schon spannend. Für mich persönlich hat es beruflich gesehen neue Dimensionen aufgemacht, wo ich einfach auch genötigt worden bin, mir Gedanken zu machen, wie man jetzt in Zukunft Geld verdienen kann und auch Mehrwert stiften kann.


Profil

Torsten Fell

Erfahrener Experte im Umfeld Corporate Learning, Immersive Learning und Digitale Transformation, begleitet Firmen bei den Herausforderungen im Wandel. Als Speaker, Dozent und Autor gibt er sein Wissen gerne weiter und ist mit seiner über 20 Jahre Erfahrung einer der führenden Experten in diesen Gebieten.