Expertenpanel: Beyond COVID-19

Die Corona-Pandemie hat zu profunden Veränderungen in der betrieblichen Bildung im deutschsprachigen Raum geführt. Quasi über Nacht war digitales Lernen nicht länger nur ein „nice-to-have“, sondern vielmehr die einzige Möglichkeit, um die Mitarbeiter auch weiterhin schulen zu können. Seit diesem ersten Schock hat sich die betriebliche Bildung weitgehend mit den veränderten Rahmenbedingungen der „neuen Normalität“ arrangiert. Doch wie nachhaltig sind die in der Krise entstandenen Prozesse und Strategien? Wie wird sich die Aus- und Weiterbildung nach der Pandemie und den damit verbundenen Beschränkungen voraussichtlich weiterentwickeln? Im Rahmen unseres Expertenpanels haben wir eLearning-Anbieter und -Dienstleister zu diesen und weiteren Fragen rund um das Thema „COVID-19“ befragt.

1. Was waren Ihrer Erfahrung nach die größten Auswirkungen von COVID-19 auf die betriebliche Bildung in der DACH-Region?

Der erste Lockdown im Frühjahr 2020 und die drauffolgenden pandemiebedingten Schutzmaßnahmen haben die Wirtschaft als Ganzes, aber auch die betriebliche Weiterbildung von einem Tag auf den anderen vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Mit einem Schlag waren Präsenzveranstaltungen nicht mehr möglich, obwohl die Präsenz bis dahin in der deutlichen Mehrheit der Unternehmen noch immer das Mittel der Wahl war.

Denn Deutschland stand der Digitalisierung allgemein und damit auch der digitalen Transformation der betrieblichen Bildung lange Zeit eher kritisch gegenüber, was möglicherweise dazu geführt hat, dass die Pandemie hierzulande Unternehmen besonders unvorbereitet getroffen hat. „Digitalisierung war, insbesondere in Deutschland, stets ein stiefmütterlich behandeltes Thema, weil man es mit Präsenzschulungen ‚schon immer so gemacht‘ hat. Diese erzwungene Umstellung hat viele Unternehmen zum Umdenken gebracht und Bedarfe aufgezeigt, die sie schon lange hatten, aber stets ignorieren konnten“, so die Einschätzung von Kevin Groh von VALAMIS. Ähnliche Erfahrungen hat auch Michael Grotherr von Cornerstone OnDemand gemacht: „Mit dem ersten Lockdown mussten alle Unternehmen Farbe bekennen: Wie digital sind wir wirklich aufgestellt? […] Bei Learning und Weiterbildung entpuppte sich sehr schnell, wie digital ein Unternehmen wirklich in Sachen Learning war. Ganz klar hatten hier diejenigen Startvorteile, die bereits vor Corona digitale Learning-Plattformen aufgebaut hatten, die sie nun ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen konnten.“

Vor diesem Hintergrund mussten Unternehmen teilweise im Schnellverfahren Kapazitäten aufbauen oder bereits bestehende, aber unzureichende Kapazitäten ausbauen. „In vielen Organisationen musste dann in ‚Hau-Ruck-Aktionen‘ komplett auf digitale Lernformate umgestellt werden. Die Nachfrage nach kurzfristig realisierbaren digitalen Formaten und schnell verfügbarem Standardcontent ist entsprechend gestiegen. Bei diesem Sprung ins kalte Wasser gab es aber natürlich große Diskrepanzen, was den Reifegrad (z.B. Hardware- und Software-Ausstattung oder digitale Medienkompetenz der Lerner*innen und des Bildungspersonals) für das digitale Lernen in den Organisationen betrifft. Corona hat hier einerseits als Katalysator für die digitale Transformation gewirkt und viel Kreativität und Improvisationstalent befördert. Andererseits stellt die Pandemie für viele Unternehmen immer noch eine große Herausforderung dar, die Nachholbedarfe aus der Vergangenheit deutlich sichtbar gemacht hat“, bringt Dr. Jan Peter aus dem Moore von der Cornelsen eCademy & inside GmbH die damalige Situation auf den Punkt.

Eine zentrale Rolle spielte in diesem Kontext auch das Thema „Infrastruktur“ bzw. Bildungstechnologie. Gerade Unternehmen, die bisher noch kein digitales Lernen eingesetzt haben, mussten erst eine technische Grundlage aufbauen, um überhaupt digitale Lerninhalte sinnvoll nutzen zu können. „Die Infrastruktur, welche für digitale Bildung benötigt wird, musste von Grund auf aufgebaut werden. Alle relevanten Stakeholder mussten in diesen Prozess erst eingeführt werden und sich auf die neue Situation einlassen“, so Christoph Gebauer von der Intelligent Media Systems AG. Die in dieser Phase getroffenen Infrastruktur-Entscheidungen könnten in der Zukunft noch langfristige Folgen haben, wenn sich nach und nach herausstellen sollte, dass die unter Zeitdruck gefällte Auswahl möglicherweise nicht die sich entwickelnden Bedarfe abdecken kann.

Darüber hinaus hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren auch gezeigt, dass man gewohnte Prozesse und Verhaltensweisen nicht einfach von der Präsenz in den digitalen Raum übertragen kann, zumindest wenn man keine Abstriche bei der Qualität machen möchte. „Durch COVID-19 sind Präsenzschulungen ersatzlos ausgefallen und es wurde nur tlw. versucht, das mit digitalen Angeboten zu kompensieren. Und dann zumeist mit ganz banalen Ansätzen, wie z. B. eine PPT in ein Autorenwerkzeug zu ziehen und dann den Zielgruppen als Lernprogramm zur Verfügung zu stellen. Das hilft weder den Lernenden, noch dem Ruf unserer Branche“, so die Kritik von Hajo Noll von der Canudo GmbH. Aber auch die Art und Weise der Kommunikation und des Austausches hat sich geändert, wodurch sowohl Trainer als auch Lerner nicht unbedingt an alten Verhaltensmustern festhalten konnten. Diese Aspekte brachte Mirja Hentrey vom Bildungsinnovator ein: „Die Verlagerung der Tätigkeit weg vom Büro hin zum Home Office hat zudem den Austausch und die Kommunikation innerhalb von Trainingsmaßnahmen verändert. Plötzlich bedurfte es einer anderen Lern- und Kommunikationsinfrastruktur sowie der (Weiter-)Entwicklung und Etablierung neuer bzw. ergänzender Lernformate.“

2. Die Corona-Krise hat für die digitale Transformation der betrieblichen Bildung wie ein Katalysator gewirkt. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung?

Grundsätzlich sind sich die befragten Experten einig, dass der „Digitalisierungsschub“ nachhaltig ist und sich die Entwicklung nicht wieder auf den Stand „vor Corona“ zurückdrehen lässt. Dafür wurden in den vergangenen Monaten einfach zu viele Entscheidungen getroffen, Ressourcen eingesetzt und positive Erfahrungen gemacht. Zusätzlich konnten viele Bedenken und Befürchtungen sowohl bei den betroffenen Stakeholdern als auch bei den Mitarbeitern aus der Welt geschafft werden. „Die Digitalisierung von betrieblicher Bildung war ein erster und wichtiger Schritt. Denn die Hürde war nicht unbedingt die technische Umsetzung, sondern vor allem das Mindset, dass die digitale Transformation nötig war. Und das ist sie heute mehr denn je“, fasst Julia Kazubek von der StackFuel GmbH diesen Aspekt schön zusammen. Ähnlich sieht es auch Kevin Groh: „Wer sich einmal daran gewöhnt hat, bequem von Zuhause aus zu lernen, bzw. Lernfortschritte genauer messen zu können, wird nicht mehr nur auf Präsenzseminare setzen. Digitales Lernen wird einen festen Platz bei vielen Unternehmen behalten, weil die Kostenvorteile und die Messbarkeit und Kontrolle über die Inhalte unbestreitbar sind“. Auch Jan-Hendrik Precht von der traperto GmbH geht davon aus, dass die Entwicklungen der letzten eineinhalb Jahre dauerhaft sein werden: „Es ist davon auszugehen, dass es in den Trainingsabteilungen der Unternehmen kein Zurück mehr in das alte Pre-Covid-Szenario gibt. Wo Systementscheidungen getroffen und Investitionen in Software getätigt wurden, finden sich Abschreibungsobjekte in den Konzernbilanzen, es wird mehr in die Kommunikation und Akzeptanz neuer Systeme investiert, wenig IT-affine Zielgruppen verkleinern sich kontinuierlich, die Nutzung digitaler Tools wird immer selbstverständlicher“.

Dieser positive Grundtenor bedeutet allerdings nicht, dass die Experten gleichzeitig nicht auch ein gewisses „Rebalancing“ in der Zukunft erwarten. Ja, digitales Lernen hat durch die Pandemie einen enormen Schub erfahren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Präsenzveranstaltungen dauerhaft vom Tisch sind oder dass es keine Anpassungs- oder Verbesserungsbedarfe beim digitalen Lernen in den Unternehmen gibt. Gerade Unternehmen, die durch COVID-19 schnell und kurzfristige Entscheidungen treffen mussten, haben mittlerweile möglicherweise die Erfahrung gemacht, dass sich ihre Bedarfe geändert haben und die vorhandenen Lösungen nicht mehr ausreichend sind. „Es wird jedoch weiterhin Bewegung auf dem Markt geben, da viele speziell kleinere und mittelständische sowie digital unerfahrenere Unternehmen aufgrund der Situation unter Druck eine schnelle und oft auch kostengünstige Lösung finden mussten. Auf lange Sicht versagen viele Lösungen jedoch, wenn es um die Erfüllung der Kundenbedürfnisse geht, da sie nicht darauf zugeschnitten sind. Diese Betriebe sammeln aktuell Erfahrung mit digitalem Lernen und werden sich bald nach neuen Lösungen umsehen, die ihre Anforderungen besser und nachhaltiger erfüllen können als die Notlösung“, so Kevin Groh. Auch Beate Bruns von der time4you GmbH geht davon aus, dass eine Bewertung vieler Unternehmen noch ansteht aber vermutlich die positiven Erfahrungen überwiegen werden: „Die Nachhaltigkeit muss sich erst noch zeigen. Die Lernkurve war sehr steil, auch haben die Unternehmen in Tools, Infrastruktur und vor allem in Know-how und Prozesse investiert. Ich gehe deshalb davon aus, dass es ein gewisses „Re-Bouncing“ geben wird, aber die positiven Erfahrungen und Ergebnisse ihre eigene Sprache sprechen und der Anteil digitaler Elemente in der betrieblichen Bildung in Zukunft wesentlich höher sein wird als vor der Corona-Krise.“

3. Haben Präsenzveranstaltungen noch eine Zukunft? Welche Rolle wird Präsenz vis-à-vis digitalem Lernen zukünftig spielen?

Auch in dieser Frage sind sich die Befragten weitgehend einig. Präsenzveranstaltungen werden natürlich weiterhin ein essentieller Bestandteil der betrieblichen Weiterbildung sein. Patrick Walther von der Walther Learning Solutions GbR sieht im Gegenteil sogar eine gewisse „Sehnsucht“ nach Präsenz: „Viele Personen sind digital müde und haben insbesondere bei mehrtägigen Trainings auch schlechte Erfahrungen gemacht. Hier wurden 8 Stunden Präsenz zu 8 Stunden Skype Sessions transformiert. Ich denke, in den nächsten Monaten steht erstmal das physische Treffen im Fokus. Insbesondere zum Netzwerken und Austausch. Ich denke aber, dass nach dieser Phase dann eine gute Verteilung zwischen Online und Präsenz stattfinden wird.“

Präsenzveranstaltungen bieten Vorteile, die sich schlichtweg nicht oder nur eingeschränkt digital abbilden lassen. Gerade aus diesem Grund wird die Präsenz auf absehbare Zeit ein unverzichtbares Werkzeug der betrieblichen Aus- und Weiterbildung bleiben. Die Herausforderung wird zukünftig daher vielmehr darin bestehen, den richtigen Mix aus eLearning, synchronem Lernen (z. B. Webinare) und Präsenzveranstaltungen für die eigenen Bedarfe zu finden. Gleichzeitig könnten sich noch stärker als in der Vergangenheit die Rollen von digitalem Lernen und Präsenztraining verändern. „Natürlich werden Präsenzveranstaltungen auch weiterhin stattfinden, aber das Gleichgewicht verschiebt sich. Wo online vorher ein Ergänzungsangebot war, sind mittlerweile die Präsenzverstaltungen die Ausnahme, und als solche umso willkommener. Hier kann vertieft und diskutiert werden“, so Annika Willers von der Fellow Digitals GmbH. Auch Patrick Walther sieht die Stärke von Präsenz weniger rein in der Wissensvermittlung: „Für bestimmte Thematiken und insbesondere zum Netzwerken und Einführungsveranstaltungen bleibt Präsenz die Nummer 1. Wichtig ist, dass es im Wesentlichen für eben diese Interaktionen genutzt wird. Die reine Informationsvermittlung oder auch kurze Sessions sollten im Großteil nur digital stattfinden. Dies spart nicht nur Geld und Zeit, sondern ist auch umweltschonender. Zudem können insbesondere im asynchronen Teil die Teilnehmer auf ihrem Lernstand individuell abgeholt werden“.

Vielleicht wird diese klare Trennung zwischen eLearning und Präsenz in der Zukunft aber auch mehr obsolet. Denn mehrere Experten sehen die mögliche Entwicklung hin zu hybriden Formaten, in denen Präsenzveranstaltungen mit digitalen Events verschmelzen. Wie genau man sich eine hybride Veranstaltung vorstellen kann, bringt Philip Gienandt von LinguaTV kurz und knapp auf den Punkt: „Präsenzveranstaltungen werden nicht aussterben; aber der Anteil an den Trainingsmaßnahmen wird deutlich zurückgehen. Wir sehen bereits heute eine Tendenz zu hybriden Veranstaltungen, eine Kombination/ Parallelität von beiden Formaten; also Präsenzveranstaltung, an der auch online / virtuell teilgenommen werden kann“. Auch Geoffroy de Lestrange von CoachHub sieht in hybriden Formaten ein großes Potential: „Unternehmen sollten ihre Rahmenbedingungen anpassen und die Chancen der hybriden Bildung ergreifen. So ist es möglich, sowohl die Vorteile des digitalen wie auch des Präsenz-Lernens zu nutzen. Digitalisierung sollte als fester Teil der Lernmethode angesehen werden, darüber hinaus sollten Möglichkeiten erarbeitet werden, um spontan auf digitalen- oder Präsenzbedarf reagieren und ihn anbieten zu können.“

4. Ihrer Einschätzung nach: Welche Relevanz wird das Thema „Corona“ für die betriebliche Bildung im kommenden Jahr noch haben?

Nicht zuletzt durch die Verfügbarkeit mehrerer Impfstoffe hat sich die COVID-19-Situation in 2021 im Vergleich zum Vorjahr deutlich verändert. Gleichzeitig muss man allerdings auch feststellen, dass das Thema „Corona“ noch nicht vom Tisch ist und auch weiterhin das soziale und wirtschaftliche Leben beeinträchtigt. Daher wird das Thema voraussichtlich auch in 2022 noch die betriebliche Bildung beeinflussen. Die befragten Experten sehen mehrere Optionen, wie der Einfluss von Corona im kommenden Jahr aussehen könnte.
Weiterhin unmittelbar betroffen sind aus den bereits erwähnten Gründen weiterhin die Präsenzveranstaltungen. Zwar wird es vermutlich nicht drauf hinauslaufen, dass Präsenztrainings wieder komplett eingestellt werden müssen, aber es kann durchaus sein, dass die Anzahl solcher Events auch in 2022 gedämpft bleibt. Gerade die Planungsunsicherheit kann Präsenztrainings sehr zu schaffen machen, was Kevin Groh zu Protokoll gibt: „Es wird sich hauptsächlich auf die Menge und Häufigkeit von Präsenzveranstaltungen auswirken. Seminare werden oftmals Wochen oder sogar Monate im Voraus geplant, was bei den sich stetig verändernden Auflagen der Regierungen schwierig ist“.

Darüber hinaus sieht Oliver Schulz von WTT CampusONE GmbH auch eine inhaltliche Relevanz von Corona für die betriebliche Bildung im kommenden Jahr. „Corona wird in zweifacher Hinsicht noch Relevanz haben: zunächst inhaltlich, denn es gibt eine Reihe von Informationspflichten bzgl. Corona, die Arbeitgeber erbringen müssen und die sich sicherlich auch noch ein paar Mal verändern/erweitern werden. Darüber hinaus auch strukturell: denn wie oben beschrieben, hat aufgrund der Rahmenbedingungen das Online-Format eine feste Position in der betrieblichen Bildung erhalten und wird diese sicherlich auch aufgrund der unsicheren Zukunft weiter ausbauen“, so eine Prognose.

Recht positiv blickt auch Lisa Nagy-Götz von der Background Performer GmbH in das kommende Jahr: „Der Einfluss von Corona wird sich im nächsten Jahr (2022) massiv abschwächen und keine größere Rolle mehr auf die digitalisierte betriebliche Bildung haben. Die Pandemie hat bewiesen, dass die Digitalisierung eine Erweiterung der bisherigen Möglichkeiten darstellt, wodurch Situationen wie ‚Corona‘ zukünftig flexibel und souverän gemeistert werden können. Die digitalen Innovationen werden zukünftig ein fester und relevanter Bestandteil von betrieblicher Bildung bleiben, da sie für die Mitarbeiter:innen und für das Unternehmen eine hohe Flexibilität bietet und mehr Möglichkeiten schaffen, sich weiterzubilden“.

Demgegenüber könnte es in dem ein oder anderen Unternehmen für die betriebliche Bildung im kommenden Jahr aber auch zu einer bösen Überraschung kommen. Beate Bruns sieht insbesondere die Gefahr, dass die Nachwehen der Pandemie zu geringeren Budgets und damit eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten führen könnte. „Die wirtschaftlichen Wirkungen und Nachwirkungen auf die Unternehmen werden in der betrieblichen Weiterbildung nachhallen, sei es in geringeren Budgets, in spezifischen Nachholbedarfen oder in verstärkt digitalen Formaten“.

5. Welche Trends und Entwicklungen werden die betriebliche Bildung in 2022 beschäftigen?

So wichtig die Pandemie vermutlich im kommenden Jahr auch bleiben wird, haben unsere befragten Experten dennoch eine ganze Reihe von weiteren Trends und Entwicklungen, auf die man ein Auge haben sollte. Großes Potential für die Zukunft sieht Markus Herkersdorf von der TriCAT GmbH in dem Trend der Virtualisierung, womit allerdings nicht nur das Thema „Virtual Reality“ gemeint ist. „Die begonnene Virtualisierung der gegenständlichen Welt (virtuelle-digitale Maschinen-/Anlagenzwillinge, virtuelle-immersive und kollaborative Lehr-/Lernumgebungen, virtuelle Formen der Präsenz, Virtual Humans) wird in vielen Branchen zu einer Virtuellen Transformation(saufgabe) führen – die eng mit der digitalen Transformation verbunden ist, aber ganz eigene Herausforderungen und Möglichkeiten mit sich bringt. Die betriebliche Bildung kann davon selbst enorm profitieren (durch jederzeit und überall verfügbare sowie kompetenzorientierte, virtuelle und simulationsgestützte Aus- und Weiterbildung) und hat zugleich die wichtige Aufgabe, die für virtuelle Transformation dringend notwendige Kompetenzen bei Mitarbeitenden zu entwickeln“, so seine kompakte Zusammenfassung einer spannenden Entwicklung.

Einen weiteren Trend sehen mehrere Experten in den bereits angesprochenen hybriden Veranstaltungen. „Das hybride Lernen ist ein immer häufiger auftauchender Begriff, der sich logisch aus den Folgen der Pandemie ergibt. Der harte und hastige Wechsel von Präsenzschulungen zu digitalen Lernlösungen war ein Zwang zum Paradigmenwechsel. Manche Unternehmen mussten von 100% Präsenz zu 100% Digital wechseln und dieses Verhalten über eine längere Zeit beibehalten. Künftig kehren Präsenzveranstaltungen zurück und man muss entscheiden, wann und für welche Themen man wieder auf physische Schulungen setzen möchte und wann es bei digitalen Inhalten bleiben soll. Daraus wird bei jedem Unternehmen eine ganz individuelle Mischung entstehen, die auch von den Mitarbeitern getragen werden muss. Für solche Fälle ist eine Lernlösung geeignet, die hybrides Lernen unterstützt, also sowohl digitale als auch Präsenzinhalte. Wir vermuten, dass es, sofern es die Regelungen der Regierungen erlauben, einen Schub bei Präsenzbesuchern geben wird, da die Menschen sich darauf freuen, wieder vor Ort aktiv zu werden. Im Anschluss kommt es dann auf eine nachhaltige Mischung an. Diese Entwicklung dürfte sich in 2022 / 2023 zeigen“, so die Zusammenfassung und Prognose von Kevin Groh. In diesem Kontext merkt Oliver Dangel von der Solics GmbH an, dass allerdings gerade für hybride Trainings die technische Infrastruktur der Entwicklung oftmals noch hinterherhinkt: „Ein Trend sind hybride Veranstaltungen, bei denen ein Teil der Teilnehmer in Präsenz, ein anderer Teil online dazugeschaltet ist. Darauf richten sich immer mehr Organisationen ein indem sie dafür geeignete Meeting- und Lernräume schaffen. Spannend ist zu sehen, dass noch kaum ein Lern-Management-System (LMS) am Markt hybride Veranstaltungen derart unterstützt, dass man für eine Veranstaltung zwei verschiedene Veranstaltungsorte angeben kann – einmal den Präsenz-Ort und gleichzeitig den Online-Ort. Aber ich bin davon überzeugt, dass kleine und große LMS-Anbieter dafür bald eine Lösung haben werden“.

Schon seit mehreren Jahren gibt es den Trend zum selbstbestimmten Lernen, indem Mitarbeiter mehr Eigenverantwortung über ihre Weiterentwicklung übernehmen. Laut Patrick Brigger von der getAbstract AG wird sich dieser Trend voraussichtlich fortsetzen: „Der Trend geht weg von ‚One Size Fits All‘-Fortbildungen hin zu eigenverantwortlichem Lernen und freiwilliger Weiterbildung der Mitarbeitenden, idealerweise mit individualisierter Unterstützung des Unternehmens durch den Lernanbieter. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bilden sich dabei bestenfalls jeden Tag selbstständig und individuell weiter. Hier erhöht das sogenannte Mi-
crolearning die Chance, dass die Lernangebote auch angenommen werden. Insgesamt spielen durch die fortlaufende Digitalisierung in den Unternehmen vor allem digitale Kompetenzen bei der betrieblichen Bildung eine immer wichtigere Rolle“.

Einen Trend zur Vernetzung und Integration verschiedener Systeme sieht dagegen Julien Boppert von der Magh und Boppert GmbH. „In 2022 wird weiterhin das Jahr der Vernetzung sein. Weg vom Inseldenken hin zur Netzlösung. Systeme verbinden sich intelligent und die Lernenden werden übergreifende Erfahrungen sammeln können“, so sein Ausblick auf das kommende Jahr. Eine ähnliche Vermutung äußerte auch Annette Bouzo von der SoftDeCC Software GmbH: „Von Learning Professionals wird zunehmend erwartet, dass sie optimal kombinierte und personalisierte Blended Learning-Angebote konzipieren können. […] Dies muss auf einer integrierten, technischen Infrastruktur, also konkret Lernplattformen, Lernportalen und Learning Management Systeme abbildet werden können. Dafür müssen die Lernlandschaften zunehmend flexibel und unkompliziert unterschiedliche Formate, Medien und Selbstlernphasen kombinieren und abbilden könne. Beispielsweise sollen Inhalte und Formate fallbezogen, optional, verpflichtend oder in Dialog mit der Führungskraft konsumiert werden können“.