Lernkultur – verstehen, analysieren, Veränderungsimpulse setzen

Lernkultur bezeichnet die konventionalisierte Praxis, die geteilten Werthaltungen und den Stellenwert von Bildung, Lernen und Entwicklung. Kultur ist ein starker Treiber für das Handeln von Menschen – auch in Organisationen. Wenn es um Handeln geht, das auf Lernen bezogen ist, dann ist Lernkultur eine wichtiger Taktgeber. Empirische Untersuchungen zeigen Wirkzusammenhänge zwischen Lernkultur einerseits und organisationaler Leistungsfähigkeit andererseits.

Im Kontext der aktuellen Veränderungen in der Arbeitswelt (Arbeit 4.0) und der digitalen Transformation wird oft davon gesprochen, dass neues Arbeiten und neues Lernen Hand in Hand gehen müssen. Um grundsätzliche Änderungen der Lernkultur anzugehen ist es hilfreich, zunächst eine Standortbestimmung vorzunehmen. Eine solche Standortbestimmung versachlicht die Diskussion zum Thema und liefert einen gemeinsamen Ausgangspunkt für die Arbeit an der Entwicklung eines Zielbilds zur betrieblichen Lernkultur.

Es gibt verschiedene Instrumente, über die Lernkultur operationalisiert und beobachtbar gemacht werden kann. Bekannt sind vor allem drei Instrumente: der Fragebogen zu “Dimensions of the learning organization” (DLOQ), das „Lernkulturinventar“ und die „scil-Lernkulturanalyse“. Ganz gleich, mit welchem Instrument man eine Standortbestimmung vornimmt – im Anschluss stellt sich die Frage, wie man von den Ergebnissen zu Massnahmen kommt. Ein wichtiger Zwischenschritt ist die Erarbeitung eines Zielbilds zur betrieblichen Lernkultur. Ausgehend von diesem Zielbild kann dann die Arbeit an Interventionen zur Veränderung der betrieblichen Lernkultur in Angriff genommen werden. Aber: Eine gezielte (und erfolgreiche) Lernkulturveränderung ist schwierig und alles andere als eine exakte Wissenschaft. Unerwartete Nebenwirkungen sind nicht auszuschliessen. Die Arbeit an der Veränderung von betrieblichen Lernkulturen erfordert ein sorgfältiges Beobachten von Veränderungen und bedeutet letztlich «Steuern» auf Sicht.

Abbildung 1 zeigt die Abfolge der Themen, die in den verschiedenen Abschnitten dieses Whitepapers behandelt werden.

Abbildung 1: Die Themen dieses Whitepapers.

1. Warum ist betriebliche Lernkultur ein Thema?

„Culture eats strategy for breakfast“ – dieses Diktum des Management-Vordenkers Peter Drucker verweist auf die Bedeutung von Kultur für das Handeln in Unternehmen und Organisationen. Und was für Kultur im Allgemeinen gilt, gilt auch für Lernkultur im Besonderen. Lernkultur ist ein wichtiger Treiber für das entwicklungsbezogene Handeln von Beschäftigten, Führungskräften und Bildungsverantwortlichen (Learning Professionals). Daher überrascht es nicht, dass im Kontext von tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt Lernkultur zu einem Thema wird (Foelsing und Schmitz 2021) und dass empirische Studien einen Zusammenhang von Lernkultur und organisationaler Leistungsfähigkeit aufzeigen (McHargue 2003; Ellinger et al. 2003; Davis und Daley 2008; weitere Hinweise dazu bei Foelsing und Schmitz 2021, Kapitel 5).

2. Betriebliche Lernkultur – was ist das?

2.1 Lernen
Lernen bezeichnet einen zeitlich ausgedehnten Prozess, in dessen Verlauf veränderte Verhaltensweisen bzw. Handlungskompetenzen entwickelt werden. Im Ergebnis resultiert eine dauerhafte Verhaltensänderung (Euler und Hahn 2014, S. 97–98).

Lernen wird, theoretisch wie praktisch, in sehr unterschiedlicher Weise verstanden. Daraus leiten sich unterschiedliche Ziele und Ausformungen ab – beispielsweise hinsichtlich der Gestaltung von Rollen (Lehrpersonen vs. Lernbegleiter), von Aktivitäten (z.B. Lehren vs. Lernen im Prozess der Arbeit ermöglichen) und von Infrastrukturen (z.B. Kursräume vs. Begegnungszonen).

2.2 Kultur
In einer ersten Annäherung können wir Kultur als eine Ebene der Verhaltenssteuerung verstehen, die zwischen sehr allgemeinen, biologisch begründeten Verhaltensweisen einerseits und sehr spezifischen, individuellen, in der Persönlichkeit begründeten Verhaltensweisen steht (Hofstede et al. 2010) (Siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Drei Ebenen der Verhaltenssteuerung nach Hofstede (Darstellung in Anlehnung an Hofstede et al. 2010, S. 6).

Unser Verhalten und Handeln ist durch biologische Grundlagen geprägt, kulturell geformt und kann individuelle Eigenheiten aufweisen. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Nahrungsaufnahme. Dass wir Nahrung zu uns nehmen müssen, ist biologisch gegeben. Ebenso, dass wir bestimmte Dinge nicht als Nahrung verwerten können (z.B. Holz oder Gras). Was wir essen (Rohes oder Gekochtes, Fleischliches oder Vegetarisches und wenn Fleisch, dann von welchen Tieren?) und wie wir essen (gemeinsam aus grossen Schüsseln oder von persönlichen Tellern) ist in erster Linie kulturell geformt, darüber hinaus aber auch individuell gefärbt.

Was also ist «Kultur» genau? Zwei Beispiele zeigen, dass «Kultur» unterschiedlich gefasst werden kann:

In den Anfängen der akademischen Disziplin hat der britische Kulturanthropologe Edward B. Tylor Kultur als ein komplexes Ganzes definiert, das Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Brauchtum und andere Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die Menschen als Mitglieder der Gesellschaft erwerben.

«Kultur (…) ist jenes komplexe Ganze, das Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Brauchtum und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die sich der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erworben hat.»

(Tylor 2010 – Original 1871)

Ziemlich genau 100 Jahre später hat der US-amerikanische Kulturanthropologe Clifford Geertz Kultur noch pointierter semiotisch und bedeutungsorientiert definiert: als System von in Symbolen repräsentierten Vorstellungen über das Menschen sowohl ihr Wissen über als auch ihre Sicht auf die Welt und das Leben kommunizieren, verstetigen und schliesslich auch weiterentwickeln. Und er hat dies anhand einer dichten Beschreibung des balinesischen Hahnenkampfs verdeutlicht.

«Kultur ist ein System von ererbten und in Symbolen repräsentierten Vorstellungen (…) über das Menschen ihr Wissen über und ihre Sicht auf die Welt und das Leben kommuni-zieren, verstetigen und entwickeln.»

(Geertz 2006 – Original 1973)

Beide Definitionen stellen immaterielle Aspekte (Wissen, Glauben, Brauchtum, Symbolsysteme, etc.) in den Mittelpunkt. Materiale bzw. sichtbare Aspekte einer Kultur bzw. Gesellschaft (z.B. Kleidung, Werkzeuge, Bauwerke, etc.) werden als Ausfluss bzw. Reflexionen dieser tieferen immateriellen Aspekte verstanden. Und beide Definitionen weisen darauf hin, dass Kultur ein komplexes und in sich verwobenes Ganzes ist.

2.3 Organisationskultur
Unterscheidbare Kulturen finden sich nicht nur im Kontext von Gesellschaften und Nationen, sondern auch im Kontext von Unternehmen und Organisationen (Deal und Kennedy 2000 – Original 1982; Schein 2010 – Original 1985). Sackmann (2017, S. 42) definiert Organisationskultur wie folgt:

«… das von einer Gruppe gemeinsam gehaltene Set an grundlegenden Überzeugungen, das für die Gruppe insgesamt typisch ist. Dieses Set (…) beeinflusst Wahrnehmungen, Denken, Handeln und Fühlen der Gruppenmitglieder und kann sich auch in (…) Artefakten manifestieren.»

Kulturen und ihre Manifestationen können als verfestigte (aber nicht starre) Lösungen für Herausforderungen des Lebens in einer physischen Umwelt (z.B. einer Regenwaldregion oder einer Steppe), aber auch in einer wirtschaftlich-sozialen Umwelt (z.B. Versicherung oder Werbeagen-tur) verstanden werden.

Kultur ist (…) «ein Muster aus gemeinsamen Grundprämissen, das eine Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration gelernt hat und das sich bewährt hat. Daher wird es an neue Mitglieder als rational und emotional richtiger Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben.»

(Schein 2010, S. 18)

Die Unterschiede im Hinblick auf Werthaltungen (z.B. Verlässlichkeit versus Kreativität / Spontaneität) aber auch Verhaltensweisen und Materialisierungen (z.B. Kleidung) können sehr deutlich sein – wie vermutlich jede:r, die / der einmal zwischen einer Versicherungsgesellschaft und einer Werbeagentur gewechselt hat, bestätigen kann.

2.4 Organisationale Lernkultur

Ebenso wie Kultur kann auch Lernkultur historisch-gesellschaftlich verortet werden als „Muster institutionalisierter Formen pädagogischer Handlungen“ (Zimmer 2001, S. 129) oder als „ Gesamtheit der für eine bestimmte Zeit typischen Lernformen und Lernstile sowie die ihnen zugrundeliegenden (…) pädagogischen Orientierungen“ (Weinert 1997, S. 12). Lernkultur kann aber auch als Element und Bestandteil von übergeordneten Unternehmens- bzw. Organisationskulturen verstanden werden, wie sie Schein oder Sackmann in den Blick nehmen.

Mit Blick auf eine Analyse und nachfolgende Bemühungen zur Veränderung von organisations-spezifischen (Lern-)Kulturen ist das 3-Ebenen-Modell von Schein (2003, S. 9) hilfreich. Er unterscheidet – auf der Grundlage des Grads der Beobachtbarkeit – die folgenden Ebenen:

Tabelle 1: Ebenen von Organisationskultur nach Schein 2003, S. 31.

Für die Lernkultur in einem Unternehmen bzw. in einer Organisation sind folglich die auf Lernaktivitäten bezogenen grundlegenden Annahmen (über die häufig nicht gesprochen wird), die auf Lernaktivitäten bezogenen Werte, Normen und Einstellungen sowie die diese Ebenen reflektierenden Manifestationen (auf Lernaktivitäten bezogene Artefakte und Handlungsmuster) zentral.

Tabelle 2: Ebenen organisationaler Lernkultur, in Anlehnung an Schein 2003, S. 31.

3. Wo stehen wir? Die Ausprägung von betrieblicher Lernkultur bestimmen

Im Kontext der laufenden Veränderungen der Arbeitswelt (Arbeit 4.0, digitale Transformation, etc.) nehmen (Bildungs-)Verantwortliche immer wieder ein Spannungsverhältnis zwischen der Art und Weise, «wie wir bei uns Lernen und Entwicklung der Mitarbeitenden handhaben» und den Erfordernissen der Gesamtorganisation wahr. Die Wahrnehmung ist häufig, dass sich grundsätzlich etwas ändern muss im Hinblick auf Lernen und Entwicklung: «Neues Arbeiten braucht neues Lernen» (vgl. dazu auch Foelsing und Schmitz 2021). Um solche grundsätzlichen Änderungen anzugehen ist es hilfreich, zunächst eine Klärung vorzunehmen: «Wo stehen wir überhaupt im Hinblick auf unsere betriebliche Lernkultur?»

3.1 Warum eine Standortbestimmung zur Lernkultur?
Eine solche Klärung kann einfach und schnell auf der Grundlage von Einschätzungen bei-spielsweise von Personalentwicklern erfolgen. Allerdings können sich solche Einschätzungen widersprechen oder von anderen in Frage gestellt werden. Eine systematische Standortbestimmung zur betrieblichen Lernkultur kann daher folgendes leisten:

  • die Diskussion zum Thema betriebliche Lernkultur und Lernkulturentwicklung versachli-chen („Wo stehen wir wirklich?“);
  • einen gemeinsamen Ausgangspunkt für die Arbeit an der Entwicklung eines Zielbilds zur betrieblichen Lernkultur etablieren („Wo wollen wir hin?“);
  • Ansatzpunkte für kulturverändernde Massnahmen aufzeigen („Wo setzen wir an?“);
  • Hinweise für kultursensitive Lerndesigns liefern („Wie viel Veränderung können wir welchen Zielgruppen zumuten?“).

3.2 Möglichkeiten der Umsetzung einer Standortbestimmung: Instrumente
Es gibt verschiedene Instrumente, über die Lernkultur operationalisiert und beobachtbar gemacht werden kann. Im deutschsprachigen Raum sind vor allem die folgenden drei Instrumente bekannt:

  • das Instrument “Dimensions of the learning organization” (DLOQ) (Marsick und Watkins 2003); hierzu ist auch eine validierte deutschsprachige Fassung verfügbar (Kortsch und Kauffeld 2019);
  • das “Lernkulturinventar” (Friebe 2005; Sonntag et al. 2005);
  • die «scil-Lernkulturanalyse» (Hasanbegovic et al. 2007; Fandel-Meyer 2010).

Diese Instrumente wurden im Kontext verschiedener, aber benachbarter Wissenschaftsdisziplinen entwickelt. So haben Marsick und Watkins ihre Theorie und später ihr Instrument u.a. im Kontext der Diskussion um informelles Lernen (Polanyi), Erfahrungslernen (Dewey), Feldtheorie (Lewin) sowie lernende Organisationen (Argyris und Schoen) entwickelt (Watkins und O’Neil 2013, S. 134). Schaper und Sonntag sind in der Arbeits- und Organisationspsychologie (Universität Paderborn, Universität Heidelberg) verankert und die scil-Lernkulturanalyse wurde am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St.Gallen entwickelt.

Jedes dieser Instrumente schneidet den Gegenstandsbereich “Lernkultur” in etwas anderer Weise zurecht, um ihn besser beobachtbar und handhabbar zu machen. Eine Übersicht über die mit diesen Instrumenten erfassten Dimensionen findet sich im Anhang – inklusive Beispiele zu Frage-Items.

Bei einer vergleichenden Gegenüberstellung dieser Instrumente zeigen sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Gemeinsamkeiten insofern, dass ähnlich lautende Dimensionen von Lernkultur unterschieden werden und einzelne Frage-Items ähnlich formuliert sind.

Hierzu ein Beispiel aus dem «Lernkulturinventar» und der «scil-Lernkulturanalyse» (vgl. Anhang):

  • «Lernorientierte Führungsaufgaben» (Meine Führungskraft unterstützt mich beim Lernen.)
  • «Führungskräfte einbinden / lernförderliche Führung» (Meine Führungskraft unterstützt mich dabei, meine tägliche Arbeit zu überden-ken und daraus zu lernen.)

Gleichzeitig finden sich aber auch Unterschiede bei den in den Instrumenten abgebildeten. Die nachfolgend angeführten Aspekte sind jeweils nur in einem dieser Instrumente als eigene Dimension von Lernkultur ausgewiesen:

  • DLOQ: Systeme für Dokumentation und Austausch
  • Lernkulturinventar: Lernen als Teil der Unternehmensphilosophie
  • scil Lernkulturanalyse: Lernen auf Wertbeitrag ausrichten

Welches Instrument oder welche Kombination von Frage-Items aus verschiedenen Instrumenten für eine Standortbestimmung sinnvoll ist, das muss jeweils im Einzelfall und vor dem Hintergrund der konkreten Zielsetzungen für eine betriebliche Lernkulturanalyse entschieden werden.

3.3 Und jetzt? Was machen wir mit dem Ergebnis?
Im Zuge der gut ein Dutzend Lernkulturanalysen, die wir bei SCIL in den letzten Jahren mit ver-schiedenen Partnern durchgeführt haben, hat sich gezeigt, dass für eine auf gezielte Veränderung betrieblicher Lernkultur ausgerichtete Arbeit eine hoch verdichtete Ergebnisdarstellung besonders hilfreich ist. Wir bilden die Ergebniswerte für die untersuchten Dimensionen und Sub-Dimensionen von Lernkultur in einem sogenannten Radar-Chart ab und haben damit eine gute Grundlage, um mit Bildungsverantwortlichen und Entscheidern über die Ergebnisse und Perspektiven für Veränderung zu sprechen. Abbildung 3 zeigt ein solches hoch verdichtetes Ergebnis-Bild für eine Standortbestimmung zur betrieblichen Lernkultur.

Abbildung 3: (Fiktives) Beispiel für das Gesamtergebnis einer Standortbestimmung zur betrieblichen Lernkultur.

Für die Beteiligten stellt sich dann die Frage: «Ja, nun, was machen wir jetzt damit?». Für sich allein genommen ist so ein Ergebnis nur eingeschränkt aussagekräftig. Natürlich kann man schauen, welche Dimensionen der betrieblichen Lernkultur stärker ausgeprägt sind und welche schwächer. Aber was die jeweilige Ausprägung bedeutet, ob das so gut ist oder nicht zufriedenstellend, das ist zunächst einmal schwer zu sagen. Mehr Aussagekraft erhält ein solches Ergebnis dann, wenn Vergleiche angestellt werden können:

  • Vergleiche mit den Ergebnissen von Standortbestimmungen zur Lernkultur in anderen Unternehmen / Organisationen / Organisationsbereichen;
  • Vergleiche mit den Ergebnissen früherer Standortbestimmungen zur Lernkultur innerhalb der gleichen Organisation.

Voraussetzung für sinnvolle Vergleiche ist dabei, dass jeweils das gleiche Erhebungsinstrument (Fragebogen) eingesetzt wurde.

Ob nun Möglichkeiten für Vergleiche gegeben sind oder nicht – mit Blick auf eine gezielte Veränderung der betrieblichen Lernkultur ist es in jedem Fall sinnvoll, zusätzlich zum erzielten Ergebnisbild ein Zielbild für die Lernkultur im eigenen Unternehmen / in der eigenen Organisation zu formulieren.

Abbildung 4: Beispiel für eine vergleichende Gegenüberstellung von Ergebnissen zur Lernkultur; die verschiedenen Farben repräsentieren verschiedene Organisationen; fehlende Abschnitte im Ergebnis-Graphen sind durch fehlende / nicht vergleichbare Werte bedingt.

4. Wo wollen wir hin? Ein Zielbild für betriebliche Lernkultur erarbeiten

Hier stellt sich zunächst einmal die Frage, wer in die Erarbeitung eines solchen Zielbilds zur Lernkultur eingebunden werden soll. Gesetzt sind in der Regel die Bildungsverantwortlichen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, weitere Personenkreise einzubinden: Personen, die Aufgaben im Bereich des betrieblichen Veränderungsmanagement übernehmen; Personen, die wichtige Funk-tions- beziehungsweise Geschäftsbereiche vertreten; Vertreter von Führungskräften; etc.

Für eine so zusammengesetzte Arbeitsgruppe stellt sich dann die Frage, wie denn ein sinnvolles Zielbild zur betrieblichen Lernkultur aussieht. Einfach nur zu sagen: «Wir wollen auf allen Dimensionen deutlich besser werden» (vgl. Abbildung 5, links) ist in der Regel nicht zielführend. Vielmehr gilt es zu klären, bei welchen Dimensionen der betrieblichen Lernkultur eine Stärkung bzw. Verbesserung besonders wichtig ist, welche Dimensionen gegebenenfalls später weiter bearbeitet werden und welche Dimensionen ausreichend entwickelt sind und vorerst nicht gezielt bearbeitet werden (vgl. Abbildung 5, rechts).

Abbildung 5: Zwei Varianten für ein Zielbild zur betrieblichen Lernkultur

Aus einer solchen Betrachtung lässt sich dann ein Zielbild mit priorisierten Feldern für eine Veränderung ableiten, siehe Abbildung 6.

Abbildung 6: Zielbild zur betrieblichen Lernkultur mit priorisierten Entwicklungsfeldern.

5. Wie kommen wir dahin? Ansatzpunkte identifizieren und Veränderungsimpulse formulieren

Kulturen sind in undurchschaubarer Weise verwobene Netze von Handlungen, Gegenständen, Bedeutungen, Haltungen und Annahmen (vgl. Abschnitt 2.2). Und eben keine mechanischen Uhrwerke, bei denen voraussehbar ist, welche Veränderung sich ergibt, wenn man bei einem Zahnrad die Anzahl der Zähne vergrössert oder verkleinert.

Im Kontext der gezielten Entwicklung und Veränderung von Organisationskultur hat Kühl (2018, S. 43) diese Schwierigkeit wie folgt auf den Punkt gebracht:

«Das grundlegende Problem einer Arbeit an der Organisationskultur besteht darin, dass es keinerlei Gewissheit gibt, wie die Kulturprogramme von den Mitarbeitern aufgenommen werden.»

Analog gilt: Lernkulturen kann man nicht so einfach gezielt verändern. Man kann Veränderungsimpulse setzen. Wie sich diese Impulse dann tatsächlich auswirken, wo sich Veränderungen einstellen und wo nicht, das muss man beobachten. Und dann gegebenenfalls mit nächsten Veränderungsimpulsen nachsteuern.

Abbildung 7: Mechanik versus verwobenes Netz (Bildquelle: Pixabay).

Wenn es also darum geht, einen im Zielbild priorisierten Aspekt betrieblicher Lernkultur – beispielsweise das Prinzip der persönlichen Mitverantwortung für Kompetenzentwicklung und Employability – zu stärken, dann muss man überlegen, wo Praktiken, Haltungen und Annahmen zur persönlichen Mitverantwortung verankert sind und mit welchen Veränderungsimpulsen man eine möglichst grosse (Hebel-)Wirkung erzielen kann. Im konkreten Fall können dies unter anderem die folgenden Aspekte sein:

  • Führungsleitlinien
  • Führungsverhalten der Vorgesetzten
  • Prozesse und Regelungen (z.B. zur Bewilligung von Weiterbildungsaktivitäten)
  • Informelle Netzwerke unter den Beschäftigten (z.B. Peer-to-Peer Lerngruppen)
  • Technische Infrastrukturen (z.B. Plattformen, die vielfältige Lernressourcen im Sinne einer Selbstbedienung zugänglich machen)

Daraus ergibt sich, dass wirksame Veränderungsimpulse verschiedene Ankerpunkte gleichzeitig adressieren sollten, um auf diese Weise eine nachhaltige Veränderung zu erreichen (Siehe Abbildung 8).

Abbildung 8: Elemente von Lernkultur auf verschiedenen Ebenen und vielfältige Vernetzungen bzw. Wechselwirkungen (eigne Darstellung).

6. Fazit: Lernkulturveränderung bedeutet «Steuern» auf Sicht

Betriebliche Lernkulturen, um ein Fazit zu ziehen, sind in nur schwer zu durchschauender Weise verwobene Netze von tief liegenden Annahmen mit Bezug zum Lernen, von Bewertungen, Präferenzen und Regelungen sowie von darauf bezogenen Symbolen, Gegenständen, Handlungen und Infrastrukturen. Lernkulturen können mit verfügbaren Instrumenten analysiert werden. Die erzielten Ergebnisse können als Grundlage für die Entwicklung von Zielbildern sowie anschliessend für die Erarbeitung von Veränderungsimpulsen herangezogen werden. Allerdings: eine gezielte (und erfolgreiche) Lernkulturveränderung ist schwierig und alles andere als eine exakte Wissenschaft. Unerwartete Nebenwirkungen sind nicht auszuschliessen. Wichtig ist aber in jedem Fall ein systematisches Vorgehen und vor allem ein sorgfältiges Beobachten von Veränderungen gekoppelt mit wiederholtem Nachsteuern.


Der Autor:

Dr. Christoph Meier

ist Geschäftsführer von scil an der Universität St.Gallen. Er unterstützt Bildungsorganisationen bei der Bewältigung der digitalen Transformation, der Weiterentwicklung des Bildungsmanagements sowie der Kompetenzentwicklung der Beschäftigten. Er ist zudem als Fachcoach aktiv sowie als Fachreferent bzw. Lernbegleiter im Rahmen der Zertifikats- und Diplomprogramme der scil academy.

 


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Kontakt:

Christoph Meier
swiss competence centre for innovations in learning
Universität St.Gallen

christoph.meier@unisg.ch
www.scil.ch