Lerntechnologie – der Weisheit letzter Schluss?

Eine technologiegestützte Lernlandschaft zu konzipieren und zu implementieren ist ein ehrgeiziges Projekt. Hersteller diverser Lernplattformen werben damit, dass mit dem Einsatz ihrer Produkte Lernen nun eigenmotiviert, nachhaltig und effizient wird. Kann mit einer Lernplattform Lernen so erfolgreich abgebildet werden, dass sowohl die Unternehmensziele als auch die individuellen Lernprozesse einzelner Protagonisten nachhaltig unterstützt werden?

„Lerntechnologie“ und „eLearning“ werden mitunter als eher undifferenzierte Metabezeichnungen verwendet, die eine Bandbreite unterschiedlicher, digitaler Funktionspakete subsummieren. Damit Lernprozesse in Organisationen nachhaltig und motivierend gestaltet werden können, ist aber mehr nötig, als lediglich eine Lernplattform zu implementieren. Letztendlich ist das Ziel intentionaler Lernprozesse, für das Unternehmen konkrete Mehrwerte zu erzielen. Zentrales Element sind dabei durchdachte Blended Learning-Konzepte, welche die individuelle Lern- und Motivationsstruktur berücksichtigen und so zum richtigen Zeitpunkt Impulse setzen, um die jeweilige Zielsetzung zu erreichen.

Dafür müssen nicht nur die unterschiedlichen Elemente der Lerntechnologie verstanden werden, sondern auch die Rahmenbedingungen, die erfolgreiches Lernen im Unternehmen möglich machen. Erst in dieser Kombination kann eine Lernlandschaft klug und zielgerichtet eingesetzt werden.

Auf technischer Ebene ist klar zwischen den Bestandteilen einer Lernlandschaft zu differenzieren. Learning Systeme integrieren ähnliche Funktionalitäten, unterscheiden sich aber oft hinsichtlich der Flexibilität und Erweiterbarkeit der unterstützten Prozesse. Um herauszufinden, wo der Hebel zur produktiven Lernlandschaft anzusetzen ist, ist ein Verständnis für den Lernprozess als solchen wichtig sowie eine Auseinandersetzung damit, was Qualifikations- und Kompetenzziele in Organisationen eigentlich bedeuten. Deren Stellenwert wirft ein Schlaglicht auf die Unternehmenskultur und wirkt auf Lern- und Transfermotivation.

Elemente der Lernlandschaft

Eine Lernplattform bietet Lerninhalte an. Sie ist Mittel zum Zweck, um schnell und problemlos die passenden Inhalte zu finden. Das können elektronische Lerninhalte (WBTs, pdfs, Tests) sein, aber genauso gut Termine für Kurse, Webinare, Lehrgänge, Coachings unabhängig davon, ob diese vor Ort, virtuell oder hybrid stattfinden. Dafür sind eine logische Struktur sowie Suchfunktionen und Filteroptionen relevant.

Eine Lernplattform kann offen im Internet zugänglich sein, die Inhalte sind ggfs. auch ohne Login oder Bezahlvorgang verfügbar.

Differenzieren:

Lernplattform, Lernportal, Administration
(LMS, Seminarverwaltung…),
Lerninhalte, Lernformate, Lernmedien.

Der Zugang zum Inhaltsportfolio wird über Lernportale gesteuert, welche die Nutzung der Lernplattform oder bestimmter Inhalte für Personengruppen regeln. Handelt es sich dabei um eigene Mitarbeiter, erfolgt der Zugriff über das Internet oder das Intranet und wird auf Wunsch mit einem Single-SignOn ergänzt. Für spezielle Zielgruppen (bestimmte Fachkräfte, Führungskräfte, internes oder externes Servicepersonal, Partner, Kunden) werden individuelle Portalzugänge eingerichtet. Zugangsregelungen können auch feingranular differenziert auf Inhaltsebene durch Genehmigungsverfahren oder Bezahlschranken gesteuert werden.

Lernen ist ein intrapersoneller Prozess – immer!

Lernportal, Lernplattform, LXP oder LMS sind infrastrukturelle Medien, die diesen Vorgang unterstützen, indem sie geregelte Zugänge zu Lerninhalten und -formaten bieten.

Nachhaltiges Lernen, das über die Aufnahme von Informationen hinaus geht, erfolgt über die Kombination von Inhalten mit Reflexion, Austausch sowie Anwendung.

Das Schulungsportfolio kann mehreren Zielgruppen gleichermaßen zugänglich gemacht werden, aber auch ganz oder teilweise aus speziellen Trainingsangeboten bestehen, die nur für bestimmte Personengruppen relevant und nutzbar sind.

Zielgruppen-optimierte Portale integrieren relevante Zusatzfunktionen, mit denen z. B. Trainer ihren Einsatzplan und Führungskräfte den Qualifikationsstatus ihres Teams managen können.

Die Summe der Lerninhalte, der Qualifikationspläne, Workflow-Unterstützung werden in der Administration, typischerweise einem Learning Management System (LMS) verwaltet. Ein Bestandteil davon ist die Seminarverwaltung, welche die Ressourcen (Trainer, Locations, Equipment) koordiniert, aber auch Korrespondenz, Abrechnung etc., kurz das gesamte Akademiemanagement, organisiert. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist hier die Möglichkeit, das System an neue Entwicklungen und Prozesse anzupassen, ohne komplett vom Hersteller abhängig zu sein. Zum anderen muss das LMS in die gesamte Systemlandschaft integriert werden können, d. h. über Schnittstellen einen Datenaustausch mit HR, Finance etc. unterstützen.

Lerninhalte, also die theoretischen und praktischen Informationen (Themen), die Lernende sich aneignen, werden je nach Medium (Video, WBT, pdf, Präsentation…) didaktisch aufbereitet. Diese in Medien verpackten Inhalte können als „stand-alone“ aufgerufen werden, aber auch in Lernformate wie Webinare, Lehrgänge, Präsenzveranstaltungen usw. integriert werden.

Lernzieltaxonomie nach Bloom (Bloom, 1976, S. 200f).

Zielstellung sorgfältig betrachten

Lernziele unterscheiden sich dahingehend, ob sie extensives Lernen zur Verhaltensänderung, zur Erweiterung von Fähigkeiten oder die reine Aufnahme von Informationen fokussieren. Diese Unterscheidung bestimmmt, nicht zuletzt aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen, welche Lernformate und -medien angemessen sind.

Blooms Lernzieltaxonomie (siehe Tabelle) gibt einen Eindruck davon, welche Lernzielebenen adressiert werden. Daraus schließt sich die Frage an, welche Medien und Formate bzw. welche individuell passenden Kombinationen gefunden werden müssen, um die Erreichung der jeweiligen Lernziele bestmöglich zu unterstützen.

So sind beispielsweise Learning Nuggets und WBTs sinnvolle Impulse für die Taxonomieebenen „Wissen“ und „Verstehen“. Sie eignen sich entsprechend zur Wissensvertiefung oder Vorbereitung auf komplexere Inhalte und das Erreichen formaler Qualifikationen. Sie adressieren somit Qualifikationsziele.

Höhere Taxonomie-Ebenen fokussieren zunehmend den Kompetenzaufbau (Kompetenzziele). Der Europäische Qualifikationsrahmen definiert Kompetenzen als „Fähigkeiten, neuartige Situationen selbstorganisiert zu gestalten“. Sie werden nur über einen längeren Lernzeitraum und nachhaltige Lernarrangements erreicht. Voraussetzung ist insbesondere der Aufbau von Lern- und Reflexionskompetenzen.

Es gilt also, die technologischen, inhaltlichen und kulturellen Elemente der Lernumgebung so zu gestalten, dass nachhaltiges Lernen auf individueller und kollektiver Ebene ermöglicht wird.

Nachhaltige, motivierte Lernprozesse

Um zur Erreichung von Lernzielen im Arbeitsprozess beizutragen, muss überlegt werden, was erfolgreiche Lernprozesse ausmacht und wie diese positiv beeinflusst werden können. Lerntheoretische Ansätze und Modelle gibt es zahlreiche, die unterschiedliche Erklärungsansätze bieten:

Piagets Schematheorie beschreibt beispielsweise, dass der Mensch sich nicht einfach Reizen der Umwelt anpasst (Behaviorismus), sondern sich im Rahmen einer Erkenntnisreise stückweise seine individuelle Welt(-sicht) konstruiert (Konstruktivismus). Dabei wird neu Erlebtes mit bereits vorhandenen Kategorien abgeglichen und der passenden Kategorie zugewiesen. Ist keine passende Kategorie in diesem Schema vorhanden, so werden passende neue Kategorien kreiert.

Lev Vygotzky stellt in seinem Modell der nächsten Entwicklungszone den Dialog und die gemeinsame Fortschrittsreflexion Lernender verschiedender Kenntnisgrade in den Mittelpunkt.

Kolbs Lernzyklus reiht konkrete Erfahrung, reflektierte Beobachtung, abstrakte Begriffsbildung und aktives Experimentieren in einen unendlichen Kreislauf aneinander. Lernen baut also auf reflektierten Erfahrungen auf.

Illeris beschreibt Lernen als einen Interaktionsprozess zwischen Individuum und Umwelt, der im Spannungsfeld zwischen Emotion und Kognition stattfindet (siehe Abbildung „Lerndreieck“, siehe oben). In diesen Dimensionen sind also auch die Hebel angesiedelt, die Lernen beeinflussen können.

Das Lerndreieck von Knud Illeris (Illeris, 2006).

Siebert identifiziert zehn Merkmale nachhaltiger und motivierter Lernprozesse. Diese könnten als Anhaltspunkte dienen, um zu reflektieren, wie die kulturellen und technologischen Gegebenheiten der Lernumgebung sind und welche Aspekte durch Maßnahmen oder Lerntechnologie gefördert werden können.

  • Anschlussfähigkeit: Gute Lernkonzepte sind anschlussfähig, das heißt der Lernende findet einen starken Bezug zu seinem Vorwissen, seinen Aufgaben und seiner Arbeitssituation. „Erwachsene lernen nachhaltig, wenn sie an ihren eigenen Problemstellungen arbeiten können“ (Schüßler; Thurnes, 2005). LMS können dies unterstützen, indem sie auf Bildungshistorie des Lernenden zurückgreifen und diese mit der Bildungshistorie der Peers sowie typische Job- und Aufgabenprofile einbezogen werden. Persönliche Lernempfehlungen von Führungskräften, Coaches und Kollegen im Lernportal runden das Bild ab. Nicht zuletzt soll auch der Lernende selbst entscheiden können, was für ihn relevant ist und wählen, welches Format und welche Inhalte ihn weiterbringen.
  • Neuigkeit: Neuronal werden Informationen nur weiterverarbeitet, wenn diese einen gewissen Neuigkeitswert haben. In Kombination mit Anschlussfähigkeit bildet ein sog. Fließgleichgewicht. Inwieweit empfinden Lernende die Lerninhalte als „neu“ bzw. können diese in neue, interessante Kontexte setzen?
  • Relevanz und Situiertheit: Lerninhalte werden hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit von den Lernenden auf ihren beruflichen, alltagspraktischen Mehrwert sowie auf ihr Potential zur Erweiterung der Horizonte geprüft. Lernprozesse, die sich auf konkrete, aktuelle Handlungs- und Lebenssituationen beziehen, motivieren evolutionstheoretisch mehr, als die Vermittlung abstrakter, theoretischer Inhalte. Steht also ein „Lernen auf Vorrat“ im Mittelpunkt, für das sich kein konkreter oder aktueller Anwendungsfall ergibt, so rückt der Stellenwert der Inhalte in den Hintergrund. Beide Aspekte zielen also auf die angebotenen Lerninhalte, unabhängig von Format und Medium. Dies wirkt sich ebenso auf die Motivation aus.
  • Emotionalität: Lernmotivation basiert auf Gefühlen, die Annäherungstendenzen – statt Vermeidungstendenzen – unterstützen. Wird also Lernen im Unternehmen als lästige Verpflichtung wahrgenommen, steht der Erhalt einer Teilnahmebescheinigung oder das Bestehen eines Tests im Mittelpunkt (defensives Lernen)? Oder wird Lernen vielmehr als Chance begriffen, neues Wissen, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlangen, die eigene Karriere zu fördern oder damit ein Projektziel zu erreichen (expansives Lernen)?
    Emotionalität knüpft ebenso an die Lernzieltaxonomie an. Höhere Taxonomie-Ebenen (Kompetenzen) basieren auf einer emotionalen Tiefenverankerung. Das Thema bewegt den Lernenden (lat.: movere = bewegen). Dagegen ist Wissen keine Kompetenz, sondern nur Teil und Grundlage dieser (vgl. Arnold/Erpenbeck (2021).
  • Körperlicheit: Lernen ist eine geistige, aber gleichwohl körpergebundene Aktivität. Die Aufnahmefähigkeit ist unmittelbar verbunden mit körperlichen Empfindungen des Gespannt-seins bzw. Entspannung (Damasio, 2004, S. 227 ff). Dieser Aspekt zielt also sowohl auf die physische Lernumgebung als auch auf die Unternehmenskultur. Wahrnehmbar wird diese unter anderem im Kommunikationsverhalten, unabhängig davon ob Diskussionen und Austausch informell, in einem organisierten Rahmen (z. B. Communities of Practise, Seminar…) oder über ein technologisches Medium (virtueller Klassenraum, Kollaborationstools…) stattfinden.
  • Vernetzung: Unterstützung unterbewusster Gehirnaktivitäten sowie kognitiver und emotionaler Verknüpfung neuronaler Netze durch didaktisch- methodische Konzeption. Hier kommen didaktische Designkonzepte wie z. B. ADDIE, Ganges oder Mayers 15 Prinzipien des Multimedia Learning (Mayer, 2021) zum Tragen, die lernförderliches Design von Inhalten fokussieren. Beim effektiven Lernen, also der Neuvernetzung durch neue Eindrücke und Logiken, spielt auch das aktive Ver-Lernen eine Rolle.
  • Ästhetisierung: Offensichtlich ist die Notwendigkeit der sinnvollen Verknüpfung verschiedener Wahrnehmungskanäle mit anregender Visualisierung, ggfs. multimedialer Abbildung der Lerninhalte (ebenso Mayer, 2021). Das Design der Lernplattform soll zwar ebenso ästhetisch, vorwiegend aber funktional sein und einem logischen Aufbau folgen. Neben dem schnellen Auffinden und sicheren Abrufen der passenden Formate und Inhalte steht hier zuverlässige Prozessunterstützung im Mittelpunkt.
  • Perturbation: Das gezielte Auslösen kognitiver Dissonanzen sowie die Ermöglichung kontrollierter Differenzerfahrungen („Überraschungen“) kann lernmotivierend wirken, weil Impulse für neue Wahrnehmungen und Interpretationen geliefert werden. Abhängig von der Persönlichkeit des Adressaten und der „Dosis“ können dabei auch Gefühle von Überforderung und Frustration entstehen, die in einem Abwehrverhalten münden, insbesondere, wenn diese nicht in einem konstruktiven Umfeld, (Coach, Peers, Trainer…) reflektiert werden können.
  • Koevolution: Entwicklung und Lernen geschieht durch die Neukonstruktion individueller Wirklichkeiten. Lernfortschritte können durch Austausch und Reflexionsprozesse innerhalb von Gruppen intensiviert werden. Für die erfolgreiche Einbindung sozialer und kollaborativer Formate ist wiederum die Unternehmens- und Kommunikationskultur ausschlaggebend – unabhängig davon ob es sich um persönliche, synchrone (Webinare, Präsenzkurse…) oder asynchrone Formate (Foren, Kommentare…) handelt.

Fazit: Um erfolgreiche und motivierte Lernprozesse in Organisationen zu fördern, sollte also jeweils betrachtet werden, wie Gestaltung und Didaktik von Inhalten, Lernformaten und digitaler Lernplattform auf die genannten Merkmale wirken (Outcome-Orientierung). Dies impliziert auch Überlegungen, welchen Beitrag die Rahmenbedingungen, insbesondere die Kommunikations- und Lernkultur der Organisation leisten, um die Erreichung von Qualifikations- und Kompetenzzielen zu unterstützen.

Lernphasen: Akquise & Performanz

Zielgerichtete Lernprozesse beinhaltet zwei Phasen, konkret Lernakquise und Transfer (Performanz), die sich wechselseitig beeinflussen. Konsequenterweise muss auch zwischen Lern- und Transfermotivation unterschieden werden, die individuell zu unterstützen sind. Unternehmen bieten mitunter Schulungsthemen wie „Lernen lernen“ oder auch Lernbegleitung an, die den „intake“ (Aneignungsprozess) unterstützen sollen. Positiv hervorzuheben sind insbesondere Organisationen, die den Kompetenzerwerb – insbesondere auch hinsichtlich der Lernkompetenzen im Gegensatz zu reinen Qualifizierungsmaßnahmen fokussieren.

Während in der Akquisephase die Aneignung neuer Fähigkeiten, Wissens oder neuer Konzepte im Mittelpunkt steht, so fokussiert die Phase der Performanz anschließend auf den Transfer. In der Transferphase soll (abhängig vom Lernziel) z. B. die Anwendung erlernter Fertigkeiten im Arbeitsprozess, das Adaptieren aufgenommener Informationen in neuem Kontext umgesetzt werden. Transfer ist dabei keineswegs gleichzusetzen mit einer punktuellen Evaluation der von Teilnehmerzufriedenheit, die abgesehen davon den Lernerfolg weder garantiert noch ausschließt. Ebenso wird die Aussagekraft von Tests hinsichtlich der Transferqualität immer wieder angezweifelt.

Eine unbefriedigende Performanz kann unterschiedliche Ursachen haben, die nicht grundsätzlich in einer defizitären Akquise-Phase zu finden sein müssen. Ursachen hierfür können im persönlichen Bereich liegen oder an banalen Realitäten, wie z. B. inadäquater Ausstattung des Arbeitsplatzes scheitern. Auch das Umfeld mit seiner Haltung zu Neuerungen hat entscheidenden Einfluss auf den Erfolg. Ebenso, wenn innerhalb des Unternehmens Lernen als rein defensive Handlungsoption oder Alibifunktion begriffen wird und nicht als eine Erweiterung des Handlungspotentials.

Während Akademien und Personalentwicklung von Unternehmen oft die Akquisephase im Mittelpunkt stellen und diese auch ausgezeichnet unterstützen, so bleiben Lernende in der Phase des Transfers oft sich selbst überlassen. Dies beeinflusst nicht nur die Motivation und Praxiserfahrungen auf negative Weise. Endet die Unterstützung der Lernprozesse mit Abschluss der Akquisephase z. B. mit einem Test, so wird dies oft fälschlich mit der Erreichung des Lernziels gleichgesetzt. Wird Lernen ausschließlich als eine Angelegenheit zwischen Personalentwicklung und Mitarbeiter gesehen und findet ausschließlich außerhalb des normalen Arbeitskontexts statt, so wird damit teils gezielt verunmöglicht die tatsächlichen, übergeordneten Transferziele in Form gesteigerter Produktivität, effizienterer Problemlösungen etc. zu erreichen. Unter diesen Umständen werden die Anstrengungen und Investitionen der Akquisephase absurd und sinnlos.

Soll sich Lernen im Unternehmen rechnen, so ist ebenso die Transferphase des Lernprozesses zu fokussieren. Die Erwartungshaltung richtet sich hier insbesondere an Führungskräfte (als Ermöglicher) und Peers (als fachliche Spiegel), ist also auf kultureller und organisationaler Ebene zu verankern. Des Weiteren sind Selbstwirksamkeit und Motivation zentrale Hebel für den Lernerfolg.

Lernmotivation ist nicht statisch

Die Motivationsforschung ist ein weites Feld. Oft werden dabei Motivklassen wie Leistung, Macht, soziale Motive (McClelland, 1961) oder Antriebe wie Gestaltungsmöglichkeiten, Freude am Können oder Sinnstiftung (Pink, 2009) untersucht. Motivklassen beschreiben somit, WAS Menschen antreibt. Motivation ist dabei immer vielschichtig und als Emotion an eine individuelle Person gebunden. Dies gilt auch für Lernmotivation.

Handlungsphasen des Rubikon-Modells (Bak, 2019).

Lernmotivation charakterisiert Siebert als Kombination von Werten, Auslösern, Strukturmerkmalen und Aktivitäten (Siebert, 2006, S. 146). Betrachtet man Motivation unter diesem Aspekten, so wird klar, dass Motivation nicht statisch ist, sondern Einflüssen unterworfen ist, sich also im Zeitverlauf entwickelt. Relevant ist also nicht nur die Überlegung, was die Initialmotivation des Lernenden ist, sondern auch wie und warum diese sich im Verlauf des Lernprozesses verändern kann.

Die Entwicklung der Lernmotivation im Verlauf des Lernprozesses hat entscheidenden Einfluss auf die Lern-
ergebnisse, was sich in der Konsequenz auch auf die Performanz auswirkt. Es kommt ja letztendlich nicht nur auf die Aufnahme der theoretischen oder praktischen Inhalte an, sondern darauf, diese dann auch anwenden zu können (und zu wollen / zu dürfen). Das Rubikon-Modell (siehe Abbildung oben) unterscheidet im Prozess intentionalen Handelns vier chronologischen Phasen und differenziert dabei zwischen der Bewertung der Zielsetzung (Initialmotivation), Planung, Handlung und dem Bewerten bzw. der Wertigkeit der Zielerreichung.

Die Motivation zur Zielerreichung kann also im Lernprozess (sowohl in der Akquise- wie auch in der Performanz-Phase) schwanken. Im Handlungsverlauf kann es dadurch zu unterschiedlichen, bewussten oder unbewussten Entscheidungen kommen. Wird das Lernziel im Verlauf des Lernprozesses als durchgehend wertig erachtet und die Zielerreichung als realistisch eingeschätzt, so wird die zielgerichtete Handlung in der Regel beibehalten (Assimilation).

Aber auch bei hoher Anfangsmotivation kann sich der Inhalt in der Lernphase als zu komplex, nicht hinreichend nützlich oder nicht realisierbar herausstellen. Stellt sich das Ziel somit als weniger erstrebenswert heraus als angenommen, als unerreichbar empfunden oder wird ein künftiger Nutzen unwahrscheinlich, so wird der rationale Aufwand zur Zielerreichung entsprechend angepasst (Akkomodation). Der Fokus schwenkt also beispielsweise vom Wunsch, eine neue Fähigkeit perfekt zu beherrschen, auf den Wunsch, „einfach nur“ einen Test zu bestehen.

Innerhalb eines Unternehmens steht der Stellenwert eines erfolgreichen Lernprozesses in Relation zu dem Investitionsaufwand, der notwendig ist, um Lernenden punktgenaue Unterstützung nicht nur in der
Akquisitions-, sondern auch in der Transferphase zu bieten. Aus betrieblicher Sicht muss also überlegt werden, wann welche Hilfestellung geleistet werden kann, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, ein gestecktes Lernziel zu erreichen und somit auf den Unternehmenserfolg einzuzahlen.

Auch wenn sich innerhalb der umfangreichen und differenzierten Auflistung der unterschiedlichen Modelle und Lerntransfermethoden weder bei Lemke (Lemke, 1995) oder Hebein (Hebein, 2016) Referenzen auf technologische Unterstützung finden lassen, so sind moderne Lernlandschaften auch in der Transferphase nicht mehr wegzudenken. Neben synchronen Austauschformaten wie Lunch&Learn, Communities of Practise, die sowohl persönlich als auch virtuell stattfinden können, bieten Lernplattformen sowie das Internet schnell und unkompliziert Informationen (z. B. Learning Nuggets, Artikel, Fachforen…). Je nach Ausrichtung werden Coaching-Termine gebucht und auf integrierte Kommunikations- und Kollaborationstools zurückgegriffen. Ferner sind heute zahllose Tools und Formate verfügbar, die digitales Wissensmanagement (Mittelmann, 2019) unterstützen und die in flexibel gestaltbare Lernlandschaften eingebunden werden können.

Grundsatzfragen:

Wie wirken sich Entscheidungen auf die genannten Merkmale (siehe Siebert, 2006) aus?

Welche Lernzielebene steht im Fokus?

Ist die aktuelle Unternehmens- / Lernkultur förderlich?

Wie kann Lerntechnologie individuelle Lernprozesse sowohl in der Akquise- als auch der Transferphase unterstützen?

Fazit: Passende Lerntechnologie kann in der Akquise- und in der Performanz-Phase gezielt Lernprozesse und Lernmotivation unterstützen. Lerntechnologie allein ist aber nicht ausschlaggebend für motivierte, nachhaltige Lernprozesse.

Konsequenzen für digitale Lernlandschaften

Setzt man die bisherigen Ausführungen in Bezug zur Lerntechnologie, so wird klar, dass Lernplattformen lediglich Trägermedien sind. Wichtig ist es, den Lernenden schnell und gezielt mit passenden Lerninhalten zu versorgen. Dabei müssen unterschiedlichste Inhalte direkt (Aufruf von Videos, WBTs, .pdfs, Tests, Webinare…) oder indirekt (Anmeldung zu Kursen, Lehrgängen, Coachingterminen…) unabhängig von Format, Autorentool oder Technologie zugänglich gemacht werden. Relevant sind dabei möglichst dynamische Such- und Filteroptionen (aktiv). Gezielte
Empfehlungen von Führungskräften oder Peers, systemseitige Empfehlungen auf Basis von Interessen, Jobprofilen oder Lernhistorie setzen eine entsprechende Datenpflege voraus, die entweder von der Organisation oder (über Lernportale) auch vom Lernenden selbst vorgenommen werden kann (passiv). Auch KI-gesteuerte Empfehlungen basieren letztendlich genau darauf, beziehen aber ein Tracking von Browser- ggfs. Kommunikationsdaten und Klickverhalten mit ein und interpretieren diese aufgrund von nicht immer transparenten Algorithmen. Dies ist aus Datenschutzgründen oft nicht ganz unbedenklich und widerspricht teils den Ethikleitlinien für vertrauenswürdige KI.

Zentrale Kernanforderung für digitale Lernumgebungen ist es, flexibel und vielseitig individuelle Lernprozesse zu unterstützen, unabhängig von verwendeten asynchronen und synchronen Formaten, Tools und Konzepten.

Nachhaltige Lernprozesse bedingen eine sorgfältige Konzeption und Kombination der für den Lernenden relevanten Inhalte und Formate in einem entsprechenden Umfeld, unabhängig davon, ob diese technologiegestützt, digital oder analog sind. Damit dies nicht als punktuelle, isolierte Intervention stattfindet, bieten sich Blended Learning-Konzepte in Form flexibler und vielseitiger Lernarrangements an.

Modernes Blended Learning ist heute mehr als ein willkürliches Wechselspiel unterschiedlicher Formate, sondern beinhaltet auch Möglichkeiten individueller Flexibilität, die das Bedürfnis der Lernenden in den Mittelpunkt stellen. Dies inkludiert auch Social Learning-Angebote, ganz davon unabhängig, ob diese (a-)synchron über Kommunikationsmedien oder im persönlichen Austausch stattfinden. Eine ganzheitliche Lernlandschaft muss also unterschiedliche Aspekte, Formate und Medien abbilden und den Protagonisten verschiedene Systeme möglichst ohne Medienbrüche zugänglich machen.

Fazit

Es ist kein Geheimnis, dass erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen sich ihren dynamisch wechselnden Absatzmärkten anpassen und auf individuelle Wünsche der Abnehmer eingehen müssen (Losgröße 1). Ob Organisationen es sich im Wettbewerb um qualifizierte und erfahrene Fachkräfte leisten können, eine komplett andere Haltung an den Tag zu legen, sei dahingestellt. Ob und wie intensiv individuelle Lernunterstützung geleistet wird, hängt also vom Stellenwert ab, den individuelle Lernergebnisse und Weiterentwicklungen für die Organisation haben. Entspricht das erwünschte (und vielleicht latent kommunizierte) Menschenbild einer Organisation einem unabhängig von den Umständen jederzeit leistungsfähigen und -willigen Menschen, der sich selbstverständlich unbegrenzt eigenmotiviert und selbstorganisiert einbringt und weiterbildet, so illustriert diese Erwartung auch eine bestimmte Organisationskultur.

Ist der Stellenwert des Themas Lernen geklärt, muss analysiert werden, wie intendiertes Lernen im Unternehmen nachhaltig, flexibel und zukunftssicher ermöglicht werden kann.

Dafür muss zunächst ein Verständnis entwickelt werden, welche Faktoren nachhaltige Lernprozesse im Unternehmen begünstigen und wie diese gefördert werden können. Unter diesem Blickwinkel sollten sowohl die technologischen aber auch die didaktischen, inhaltlichen und kulturellen Elemente im Unternehmen untersucht werden. Das gleiche gilt für die Begleitung der Lernenden entlang des gesamten Lernprozesses, inklusive der Transferphase. Eine entsprechende Analyse des Motivationszyklus, insbesondere hinsichtlich hemmender Elemente in der Transfer- bzw. Performanzphase, schließt sich daran an.

Die differenzierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ebenen und Möglichkeiten von Lerntechnologie sei es Lernplattform, Lernportale, Learning Management System oder WBT ist obligatorisch. Erst darauf aufbauend, kann eine richtig verstandene und klug implementierte Lerntechnologie ihren wertvollen Beitrag leisten.


Literatur:

Arnold, R.; Erpenbeck J. (2021). Wissen ist keine Kompetenz. Dialoge zur Kompetenzreifung. Hohengehren: Schneider Verlag GmbH.
Bak, P. M. (2019). Lernen, Motivation und Emotion. Berlin: Springer.
Bloom, B. S. (1976). Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich. Weinheim, Basel: Beltz.
Damasio, A. R. (2004). Descartes‘ Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. Berlin: List.
Hebein, E. (2016). Lerntransfersicherung in der betrieblichen Weiterbildung. Saarbrücken: Akademiker Verlag.
Illeris, K. (2006). Das „Lerndreieck“. Rahmenkonzept für ein übergreifendes Verständnis vom menschlichen Lernen. In E. Nuissl, Vom Lernen zum Lehren. Lern- und Lehrforschung für die Weiterbildung (DIE-Spezial) (S. 29-41). Bielefeld: Bertelsmann.
Lemke, S. (1995). Transfermanagement. Göttingen: Hogrefe.
Mayer, R. E. (2021). Multmedia Learning. Cambridge: Cambridge University Press.
McClelland, D. (1961). The achieving society. Princeton: Van Nostrand.
Mittelmann, A. (2019). Wissensmanagement wird digital. Norderstedt: BoD Books on Demand.
Pink, D. H. (2009). Drive. Edinburgh: Canongate Books Ltd.
Schüßler, I; Thurnes, C. (2005). Lernkulturen in der Weiterbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & CO. KG
Siebert, H. (2006). Lernmotivation und Bildungsbereitschaft. W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG.


Die Autorin:

Annette A. Bouzo

Die Elearning-Managerin (CELM) und zertifizierte UX-Expertin (CPUX) betrachtet für die SoftDeCC Software GmbH die Nutzungsqualität digitaler Lernlandschaften aus Sicht von Lernenden und Learning Professionals. Sie studierte Personal und Organisation an der Universität Koblenz-Landau. Ihre Masterarbeit im Fachbereich Bildungswissenschaften fokussierte die Rahmenbedingungen agiler Lernszenarien in Unternehmen.

 


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