Weshalb E-Learning oft nichts bringt: 12 Fragen an Didaktik-Experte Timo Braun

„Da lese ich lieber ein gutes Fachbuch!“, sagt Timo Braun über viele E-Learnings. Zu oft würden Didaktik, Darstellung und das persönliche Involvement des Lerners vergessen. E-Learnings müssten Motivationspusher und keine Motivationsverbraucher sein. Wie das geht, erklärt der E-Learning-Redakteur von WTT CampusONE im Interview.

Herr Braun, Sie sagen, E-Learning bringe sehr häufig nichts. Gewagte These für einen E-Learning-Redakteur, oder?

So gewagt ist das nicht. Fragen Sie doch mal einen Mitarbeiter in einem beliebigen Unternehmen, wie heiß der auf das nächste WBT ist (Anm.: Web Based Training). Und fragen Sie ihn, was er aus dem letzten WBT mitgenommen hat.

Worauf wollen Sie hinaus? Dass der gängige E-Learning-Content Unsinn ist?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ein großer Teil der eingesetzten E-Learnings ist in der Substanz sicherlich solide. Sehr oft kommen Experten zum Einsatz, die sicherstellen, dass die Inhalte korrekt sind. Die Schwierigkeit sehe ich weniger beim „Was“ als beim „Wie“.

Etwas kryptisch. Das müssen Sie schon näher erläutern. Was stimmt nicht mit dem „Wie“?

In meinen Augen wird unterschätzt, wie aufwendig eine wirkungsvolle Didaktik hinter einem E-Learning ist. Man denkt sich: „Wir haben doch alle Inhalte drin und sauber strukturiert. Müsste doch funktionieren.“ Hier fängt E-Learning aber erst an. Ich muss mir genau überlegen, mit welchen Methoden sich für das jeweilige Thema ein echter Lerneffekt erzielen lässt.

Aber habe ich nicht meine Schuldigkeit getan, wenn ich dem Lerner alle notwendigen Inhalte mit einer guten technischen Lösung zur Verfügung stelle?

Nein. Ich finde, wir müssen schon ein bisschen mehr um ihn kämpfen. Denken Sie an Ihren Schulunterricht zurück. Bei welchem Lehrer haben Sie am meisten aufgepasst? Bei dem, der zum Mitmachen animiert und um Abwechslung bemüht war oder bei dem, der vorne stand und trocken einen Punkt nach dem anderen vorgetragen hat? Die Wahrheit ist, dass Lernen für uns erst einmal Aufwand bedeutet. Zumal in einem ohnehin sehr hektischen Alltag. Es muss also immer darum gehen, den Lerner zu begeistern und ihm zu zeigen, dass die Inhalte ihn wirklich weiterbringen. Und genau das, dieses Zusammenspiel von Inhalt und Inszenierung, gelingt im E-Learning viel zu selten.

Woran machen Sie das konkret fest?

Es beginnt bei der Darstellung. Klassische WBTs sind oft bessere Power-Point-Präsentationen. Sie sind textlastig und inhaltlich überfrachtet. Dazu kommen eine sterile Audiostimme und manchmal noch ein paar Comic-Figuren, die weit unter dem heutigen Standard liegen. Ganz ehrlich: Da lese ich lieber ein gutes Fachbuch. Seit ein paar Jahren werden verstärkt auch Videos eingesetzt. Aber die sind selten didaktisch gestaltet. Meist erzählt einfach ein Experte etwas in die Kamera. Was bleibt da wirklich hängen?

Also eine Frage der Präsentation?

Auch. Aber nicht um der Präsentation Willen. Mein Hauptanliegen ist das persönliche Involvement des Lerners. Das bleibt häufig auf der Strecke. Er „spürt“ die Bedeutung des Themas für seine eigene Arbeitsrealität nicht. Die Folge ist, dass E-Learning für ihn einen Muss-Charakter bekommt. Und das ist selten eine gute Voraussetzung für Lernbereitschaft.

Was muss sich Ihrer Meinung nach konkret ändern?

Wir müssen den Lerner viel stärker bei seinen Sehgewohnheiten abholen. Etwa mit Produktionen, die an Netflix- und TV-Formate oder auch Computerspiele angelehnt sind. Bei Pflichtthemen wie Compliance oder Datenschutz verfolge ich mit meinem Autorenteam mittlerweile einen radikalen Storytelling-Ansatz. Von der ersten Sekunde an versuchen wir Spannung aufzubauen. Zudem binden wir den Lerner aktiv ins Geschehen mit ein, damit er die bloße Konsumentenrolle verlässt.

Haben Sie ein Beispiel?

Vor kurzem haben wir eine digitale Trainingsreihe zu Cybersicherheit entwickelt. Für diese Reihe haben wir den Deutschen Exzellenz-Preis gewonnen. Dabei muss der Lerner beispielsweise der IT-Heldin, einer gewöhnlichen Mitarbeiterin, dabei helfen, schädliche Mails aus dem Verkehr zu ziehen. Oder er darf in der Rolle des Cyberkriminellen einen Beutezug durch ein ungeschütztes Büro machen. Das Ganze ist filmisch inszeniert. Diese Verknüpfung von hoher Interaktivität und emotionaler Identifikation schafft einen extrem starken Lerneffekt.

Das heißt, der Lerner nimmt im Grunde an einer Geschichte teil?

Genau! Der Lerner identifiziert sich mit der Heldin, die sich erfolgreich gegen die böse Übermacht verteidigen muss. Das soll auch seine Rolle in der wirklichen Welt sein. Was oft als nerviges Regelwerk empfunden wird, wie das Verschlüsseln von Mails, betrachtet er nun als mächtige Waffe im Kampf gegen die Cyberkriminalität. Wir leisten auf diese Weise weit mehr als eine rein rationale Wissensübermittlung. So ziehen wir den Lerner auch emotional hinein. Wir feuern quasi aus allen Rohren auf beide Gehirnhälften!

Und was tun Sie dagegen, dass der Lerner, wie Sie es selbst kritisieren, mit zu vielen Infos überfordert wird?

Wir teilen große Themengebiete wie Cybersicherheit in überschaubare Sinneinheiten, in Episoden, von etwa 15 bis 25 Minuten auf. Die einzelnen Episoden haben für sich einen geschlossenen Nutzen. Die Lerninhalte sind dabei möglichst stark auf die Zielgruppe zugeschnitten. Theoriewissen, das der Lerner eigentlich nicht braucht, lassen wir weg. So kann er die Inhalte sehr leicht konsumieren und sofort im Arbeitsalltag umsetzen. Und für Personaler bietet diese Aufgliederung neue Möglichkeiten für diverse Lernszenarien. Einerseits können einzelne neuralgische Themen gezielt geschult werden, etwa der Umgang mit potenziell gefährlichen E-Mails. Andererseits lassen sich mit den Episoden zeitlich gesteuerte Lernpfade bauen, die ein Lerner durchläuft. Und: Da Cybersicherheit wiederkehrend geschult werden muss, hat der Personaler genügend Stoff, um für Abwechslung zu sorgen. Es tritt nicht der häufige Ermüdungseffekt ein.

Sie hatten auch die Aufmachung vieler E-Learnings kritisiert. Was machen Sie anders? Wie holen Sie die Lernenden bei ihren Sehgewohnheiten ab?

Wir haben bei WTT CampusONE das Glück, hochprofessionelle Medienproduzenten an Bord zu haben. Die verwandeln unsere Drehbücher in E-Learnings, die audiovisuell stark an hochwertige Wissenssendungen oder Filme angelehnt sind. Wir haben auch ein eigenes Quizformat, das im Look and Feel an bekannte TV-Quizsendungen erinnert. All das erfordert den Einsatz von professionellen Schauspielern und Moderatoren, Studios und Kulissen sowie Special Effects und Sounddesign. Unser Anspruch ist es, Didaktik zu emotionalisieren und E-Learnings zu schaffen, die einzigartig sind. Die keine Motivationsverbraucher sind, sondern Motivationspusher.

Und dann bringt E-Learning etwas?

Ja, dann kann E-Learning einen echten Mehrwert für Weiterbildung leisten. Natürlich unterscheiden sich die Methoden, je nachdem, welches Thema ich schulen will. Ein technisches Spezialistentraining muss ich nicht mit einer Hollywoodstory anreichern. Aber wir müssen es schaffen, dass der „Ich muss“-Charakter von E-Learnings einem „Ich will“-Charakter weicht. Und wenn der Lerner Lust hat, dann wird er sich die Inhalte nicht nur merken. Er wird sie auch in der Praxis anwenden.

Kontakt zu Timo Braun:

info@wtt-campusone.com

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