Bildungstechnologien nach der Epidemie: Wohin geht der Trend in den Unternehmen?

Für die eLearning BENCHMARKING Studie 2021 haben wir Expertinnen und Experten aus 441 Unternehmen befragt – ein Überblick über die wichtigsten Ergebnisse.


global elearning market

Bildungstechnologien waren schon immer der Treiber für die digitale Transformation der betrieblichen Bildung – sie eröffnen neue Möglichkeiten, an die noch kaum jemand gedacht hat. Sie sind immer wieder der Startpunkt der Weiterentwicklung von Lerninhalten, Lernkulturen und didaktischen Konzepten in den Unternehmen.

Die Teilstudie „Bildungstechnologien“ der eLearning BENCHMARKING Studie gibt Einblick in die Lage des organisierten Digitalen Lernens im Frühjahr 2021 – fast ein Jahr nach dem Beginn des ersten Lockdown. Es ist eine Momentaufnahme mitten aus der Transformation. Was kann man jetzt schon daraus ablesen? Wo geht die Reise hin? Wo gibt es Veränderung und Dynamik, wo ist Sättigung und Stagnation?

Praktikerinnen und Praktiker aus 441 Unternehmen aller Größenordnungen haben für uns den aktuellen Stand eingeschätzt und ihre Erwartungen beschrieben. Befragt wurden sie zu 16 verschiedenen Bildungstechnologien, zu 9 digitalen Content-Formaten und zu den technologischen Infrastrukturen, die dahinter liegen.

Hier ist ein knapper Überblick über Ergebnisse. Alle Zahlen finden sich in der eLearning BENCHMARKING Studie 2021.


Vom Home Office zum Home Learning?

Für die Digitale Transformation in den Unternehmen bedeutet die Corona-Epidemie zweifellos einen wichtigen Einschnitt: Die Hälfte aller erwachsenen berufstätigen Internetnutzerinnen und -nutzer befindet sich aktuell mindestens ab und zu im Home Office. Der Anteil derer, die mehrmals pro Woche von zu Hause aus arbeiten, hat sich gegenüber der Zeit vor der Coronakrise verdoppelt, von 20% auf gut 40%. (BIDT)

Dasselbe gilt auch für die betriebliche Weiterbildung. Zum Zwang zum „Home Office“, der an vielen Stellen entstand, kam an vielen Stellen auch ein Zwang zum „Home Learning“. Sehr lange sind jetzt Präsenzveranstaltungen der betrieblichen Weiterbildung kaum mehr möglich gewesen. Beim Home Office zeigt sich allerdings jetzt auch, dass die Beharrungskräfte groß sind: Hier wollen die meisten Unternehmen nun erst einmal wieder zum Präsenz-Normalbetrieb zurückkehren. Es ist zwar klar geworden, dass es in Zukunft Mischungen von Präsenzarbeit und Cloud-Arbeit geben wird, aber wie sie genau aussehen werden, kann noch kann man nicht voraussagen.

Inwiefern gilt das alles auch für die Weiterbildung in den Unternehmen? Über ein Jahr lang gab es kaum mehr Präsenzveranstaltungen: keine Schulungen, keine Seminare, keine Workshops. Man war gezwungen, sich auf das Wesentliche zu besinnen: Welche Inhalte sind unbedingt notwendig, auf kurze Sicht? Und da, wo man auf komplexere Formen der Weiterbildung und des sozialen Lernens nicht verzichten kann: Wie lässt sich das ersetzen, im Netz und mit Hilfe von digitalen Bildungstechnologien?

Grundsätzlich ist es so, dass „Home Learning“ einfacher zu realisieren ist als „Home Office“: Längere Lernphasen unterbrechen immer die Arbeit, man kann sie leichter an einen anderen Ort auslagern als die Arbeit selbst. Und Präsenzseminare sind teuer – ganze Tage und Wochenenden in Konferenzhotels könnte man einsparen. Eine Auslagerung ins Netz und an andere, mobile Orte – am Tisch zuhause oder draußen im Café – könnte die Unternehmen entlasten. Das setzt allerdings den Einsatz von Bildungstechnologien voraus, die mehr Home Learning erst ermöglichen. Gibt es dafür schon erste Anzeichen? Verlagern sich die Budgets?

In fast allen Unternehmen hat sich nach COVID-19 der Einsatz von digitalem Lernen/eLearning im Unternehmen erhöht hat. Das ist erst einmal wenig überraschend: Man musste jedenfalls die bestehenden Möglichkeiten intensiver nutzen. Fast die Hälfte der Befragten sagt aber auch, dass die Ausgaben für Bildungstechnologien sich erhöht haben (9% sagen: „stark erhöht“.)

Wie wirkt sich das auf die Budgets aus? Gut 58% der Teilnehmenden sagt, dass sich beim Budget nichts geändert hat. Nur wenige Unternehmen mussten die Mittel sowohl für Präsenztrainings als auch für digitales Lernen kürzen. In 37% der Fälle hat sich das Budget für digitales Lernen vergrößert, während es sich für Präsenzlernen bei gut einem Drittel der Unternehmen verkleinert hat.

Sicher wird es nach Überwindung der Epidemie auch einen Effekt des „Zurückfederns“ geben. Eine Rückkehr zum Status Quo ist aber unwahrscheinlich. Wir haben die Teilnehmenden nämlich auch nach ihren Erwartungen gefragt. Und hier ist der Trend klar: 55% an, dass die Budgets für digitales Lernen steigen werden, und 30% erwarten, dass im Gegenzug die Budgets für Präsenztrainings in ihrem eigenen Unternehmen künftig weiter zurückgehen. Hier zeichnet sich also eine beschleunigte Verlagerung ab. Es könnte sein, dass hier wirklich ein Kipppunkt überschritten wurde.

Video is King

Notgedrungen haben inzwischen fast alle Unternehmen für ihre PC-Arbeitsplätze Videolösungen im Einsatz, die das Arbeiten im Home Office unterstützen. Unsere Umfrage bestätigt die erste Vermutung: Videokonferenz-Tools waren 2020/2021 auch die wichtigste Bildungstechnologie. Wer so etwas noch nicht im Einsatz hatte, musste so schnell wie möglich ein Tool auswählen und einführen. 83% der befragten Unternehmen haben jetzt Videokonferenz-Apps im Einsatz, über alle Unternehmensgrößen hinweg. Allerdings scheint hier die Sättigung fast schon erreicht zu sein: Nur bei 2,5% wird das erst noch neu geplant.

Wichtiger noch: Auch inhaltlich hat sich hier etwas geändert. 2020 hat sich eine neue Generation von Videokonferenz-Systemen durchgesetzt: Sie geben erstmals das Gefühl, im digitalen Raum „an einem Tisch“ zu sitzen, gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Solche Apps sind nicht mehr für eine herkömmliche Versammlungsraum- oder Klassenzimmer-Situation konstruiert, in der eine Person den anderen das Rederecht erteilt und vor allem Frontalpräsentationen gehalten werden. Damit wird im virtuellen Raum ein anderer Stil der Zusammenarbeit möglich – für Arbeitsteams, für Universitätsseminare … und eben auch in der betrieblichen Weiterbildung.

Die eLearning BENCHMARKING Studie 2021 zeigt, dass sich das auch auf das digitale Home Learning auswirkt: Der Newcomer Zoom, Schrittmacher für die neuen Videokonferenz-Apps, zählt jetzt auch im Anwendungsfeld eLearning zu den populärsten Anwendungen, vor allem bei KMUs. Die hatten solche Apps wohl vorher noch wenig im Einsatz und konnten freier auswählen, und vielleicht haben sie auch weniger Datenschutz-Hemmungen. An der Spitze liegt aber unangefochten Microsoft Teams:

Dieses Bild ist nur eine Momentaufnahme vom Frühjahr 2021. Inzwischen haben die Zoom-Konkurrenten auch bei der User Experience schnell nachgezogen. Teams profitiert davon, dass hier – anders als bei Zoom – strenge Datensicherheitsvorschriften von Großunternehmen besser eingehalten werden können. Zugleich ist die Video-Funktion hier integriert in eine Vielzahl von anderen Office Apps, die die das kollaborative Zusammenarbeiten in der Cloud unterstützen. Inzwischen kommt noch dazu, dass das weit verbreitete Skype for Business, die ältere Video-Anwendung für Microsoft-Kunden, nach Abschluss der Studie abgeschaltet und durch MS Teams ersetzt wurde.

Die große Video-Welle betrifft auch Livestreaming-Apps, mit denen man Gespräche, Produktvorführungen oder anschauliche „Gewusst wie“-Demonstrationen ins Netz übertragen kann. Im Schnitt werden solche Apps jetzt bei etwa 30% der Unternehmen auch für das digitale Lernen eingesetzt. Bei Großunternehmen sind es sogar bis zu 45%. (Weitere 10% sind noch in Planung.)

Technologien und Tools für eLearning und digitales Lernen im Überblick

Video-Lösungen brauchen alle Unternehmen. Bei anderen Bildungstechnologien ist es schwerer, so allgemeine Aussagen zu treffen, weil sie sehr vielfältig sind und sich die Weiterbildungssituation je nach Branche und Größe stark unterscheidet. Für den besseren Überblick lassen sie sich in vier Gruppen einteilen:

  • Plattformen und Umgebungen für Digitales Lernen in Kursen und Gruppen (LMS und andere)
  • Tools „hinter den Kulissen“ (eLearning-Management und Content-Produktion)
  • Tools und Apps für verteiltes und kleinteiliges Lernen (Microlearning und Mobile Learning)
  • „Hightech Learning“ (Künstliche Intelligenz, Adaptive Learning, VR/AR)

LMS und mehr: Lernen in Kursen und Gruppen

Das Learning Management System (LMS) ist die Bildungstechnologie, die am weitesten verbreitet ist. Auch dort gibt es virtuelle Räume für Lerngruppen, aber das sind keine Treffpunkte für soziales Lernen. Lernende bleiben auf sich gestellt. Im LMS finden sie vor allem die aktuellen Mitteilungen der Kursleitung und die Lehrmaterialien. Versuche, nach dem Vorbild des Web soziale Elemente in das LMS einzubauen, werden in der Regel kaum angenommen. LMS-Inhalte sind typischer Weise klassisches Pflicht-eLearning, das immer noch einen großen Teil des digitalen Lernens ausmacht. Die Lernenden klicken sich durch Compliance-Trainings, Software-Trainings, Produktschulungen.

Vor allem dient das LMS den Unternehmen als Lehr-Management System. Im Hintergrund gibt es Management-Funktionen für den Kurskatalog und die Kursbuchung, dazu auch Tools für die Erstellung von Kursen und einfacheren Lernbausteinen. Weiterhin gibt es dafür fast überall Bedarf: Über 90% der größten Unternehmen (über 20.000 MA) haben ein solches LMS schon im Einsatz. In kleineren Unternehmen gibt es noch Nachholbedarf – im Schnitt sind es knapp 11%, die erst noch die Einführung planen.

Zukunftsweisender ist die Entwicklung bei den LXP-Systemen, also den Learning Experience Plattformen. Hier stehen die Lernenden selbst im Zentrum. In einer Art „Cockpit“ finden und managen sie ihre eigenen Lernpfade. Insgesamt sind LXP aber immer noch viel weniger verbreitet: Erst 14% geben an, dass sie so ein System bereits haben. Bei immerhin 11% ist es konkret geplant. Kleinunternehmen hinken bei der Einführung etwas nach, aber die Wachstumsquote ist genauso hoch.

Noch weniger verbreitet als LXP sind immer noch die Tools, die sozial vernetztes Lernen in den Vordergrund stellen. Hier lernen nicht Kurse oder Einzelne, sondern Communities. Seit langem ist jedenfalls in der Theorie anerkannt, dass das eigentlich die Lernform der Zunft sein müsste. Tatsächlich sind es aber immer noch nur 15,5%, die das tatsächlich einsetzen. Im Schnitt planen knapp 8% die Einführung. Am wenigsten verbreitet ist Social Learning das bei den Unternehmen zwischen 1000 und 10000 Mitarbeitern. Etwas mehr Bewegung gibt es an zwei entgegengesetzten Stellen: bei den Supergroßen (+14,5%) und bei kleineren Mittelstand-Unternehmen (über +10%).

Kleinteilig, mobil und arbeitsplatznah: Microlearning, Mobile Learning, Performance Support

Unter dieser Überschrift sind hier alle Tools zusammengefasst, die das „leichtgewichtige“ Lernen nebenbei und in kurzen Zeiteinheiten ermöglichen und fördern sollen.

Mobile Apps sind gedacht für das Lernen unterwegs oder zwischendurch, als eine Art „Pausen-Snack“. Das können die bekannten Quiz-Apps sein, oft mit Gamification-Elementen. Inzwischen gibt es aber auch mobile Coaching-Apps, die stärker auf die Einzelperson zugeschnitten sind, die versucht, sich etwas Neues über längere Zeit einzuprägen. Zusammen sind diese Apps mit 31% recht verbreitet, und weitere 9% werden bald dazukommen. Die ganz großen Unternehmen setzen das sogar zu 60% ein, und 16,5% haben das in der Planung.

Test- und Assessment-Tools sind ebenfalls schon recht populär – 24,6% im Schnitt, aber der größte Bedarf scheint schon gedeckt zu sein. Chatbots und Lernbots sind in den letzten Jahren fast schon ein bisschen gehypet worden. Die immer bessere Verarbeitung von spontanen Texteingaben erlaubt es, die Lerninhalte in mehr oder weniger lebendige Frage/Antwort-Dialoge zwischen Mensch und Maschine zu verpacken. Sehr verbreitet ist das allerdings noch nicht: Erst gut 9% der Unternehmen setzen Bots ein, weitere 7% sind geplant. Immerhin sehen anscheinend Unternehmen aller Größen hier ein gewisses Potenzial. Und schließlich gibt es noch die Performance-Support und Microlearning: Tools, die kleine, passgenaue Informationseinheiten für kurze Zeitspannen bieten oder auch gezielt da anbieten, wo im Fluss der Arbeit gerade ein Bedarf entsteht. Knapp 12% setzen so etwas bereits ein, bei 7,5% ist der Einsatz geplant.

Alles in allem sind das immer noch keine allzu hohen Werte. Die flexiblen, mobilen und leichtgewichtigen Lernformen haben sich etabliert, aber im Vergleich zum herkömmlichen Kurs-Lernen ist da noch viel Spielraum. Eigentlich wartet man schon seit vielen Jahren darauf, dass sich das auf breiter Ebene durchsetzt. Hier gibt es zwar durchaus Bewegung, aber die ist eben immer noch recht langsam.

Produktion und Management von Lerninhalten

Alle Unternehmen, die Digitales Lernen einsetzen, produzieren inzwischen auch selbst Lerninhalte in mehr oder minder großem Maßstab. Dafür sind gute Autorentools nötig, mit denen man einfache Screencasts oder auch raffinierte multimediale Lerneinheiten erstellen kann. Wir haben hier getrennt gefragt, ob im Unternehmen ein Autorentool oder gleich mehrere Autorentools im Einsatz sind, also an verschiedenen Stellen bzw. zu verschiedenen Zwecken. Es sind 47% bzw. 32%, mit jeweils etwa 5,5% in Planung – ein Hinweis darauf, dass sich die Selbstproduktion von Inhalten etabliert hat und langsam weiterwachsen wird.

Wenn ein Unternehmen dann sehr viel Content hat, selbstgemacht oder aus externen Quellen eingebunden: Wo werden diese Lernbausteine dann verwaltet, gepflegt und laufend aktualisiert, oft noch in vielsprachigen Versionen? Das ist die Frage nach einem spezialisierten LCMS, einem Learning Content Management System, das anders als das herkömmliche LMS eben nicht um „Kurse“, sondern um die Inhalte herum gebaut ist. 25% aller befragten Unternehmen haben so etwas im Einsatz, aber je nach Größe schwankt das stark. Wenig überraschend brauchen vor allem die ganz Großen über 10.000 Mitarbeiter so etwas (ca. 37%, zusätzlich um die 6% geplant), aber auch Mittelstand-Unternehmen mit 500-1000 Mitarbeitern sind hier auffällig (30%, +9% geplant). Und selbst die KMUs (bis 250 Mitarbeiter) haben zu 22% schon ein solches LCMS und planen die Einführung zu 8%.

„Hightech Learning“

Bisher haben wir den Stand der Dinge bei den Bildungstechnologien betrachtet, die es schon längere Zeit gibt. Sie werden laufend verbessert, aber nichts davon ist ganz neu – vielleicht mit Ausnahme der Chatbots, die künftig wohl zunehmend KI einsetzen werden. Nun sind aber in den letzten Jahren auch einige Technologien, die bisher als futuristisch galten, für ganz normale Unternehmen erschwinglich und benutzbar geworden: Zum einen Virtual und Augmented Reality (VR/AR), zum anderen „intelligente“ und „adaptive“ Software, die Lernprozesse personalisieren und optimieren soll.

Wie sieht es also mit VR und AR aus? Kurz gesagt: Es sind immer noch eher Nischenanwendungen (VR knapp 10%, AR knapp 7%), aber mit relativ großer Steigerungsrate (+8,5% bzw. + 9%). Zum Teil liegt das wohl daran, dass man erst herausfinden muss, wo so etwas im Unternehmen wirklich helfen könnte. Hier ist tatsächlich „Hands-on Lernen“ gefragt, direkt im Anwendungsbereich. Bis jetzt gab es dafür gerade im Bereich der Produktion und der handgreiflichen Dienstleistungen noch kaum Möglichkeiten.

Und was ist mit den „intelligenten“ Technologien? Können sie heute schon das Lernen so viel besser machen, wie es seit vielen Jahren die Evangelisten der Digitalkultur predigen? Derzeit sprechen die Zahlen noch wenig dafür. Wir haben gefragt nach „Learning Recommendation“, also der personalisierten Empfehlung von Kursen oder Lernpfaden, und nach „Adaptive Learning Tools“, die die Lernprozesse jederzeit an die unmittelbaren Aktivitäten und Reaktionen der Lernenden anpassen sollen. Recommendation-Technologien sind erst bei 4,5% der Unternehmen im Einsatz (bei den großen Unternehmen allerdings zu über 10%), Adaptive Learning gar erst bei 2,5% – und hier ist der Anteil auch bei den Großen nicht wesentlich höher. Konkret geplant sind +6% bzw. +8% ¬- das ist nicht nichts, aber auch nicht beeindruckend. Man wird noch abwarten müssen, ob die großen Versprechen der KI für die betriebliche Bildung in der Zukunft wirklich eingelöst werden.

Veränderung und Stagnation: Wohin geht der Trend?

441 Praktikerinnen und Praktiker wurden nicht nur zum Ist-Zustand in ihren Unternehmen befragt, sondern auch zu ihren Erwartungen für die Zukunft. Was nimmt zu, was stagniert? Eine Abnahme wird derzeit für keine Bildungstechnologie prophezeit – und weil alle wissen, dass die Digitale Transformation nicht zu bremsen ist, erwartet man offenbar bei fast allen digitalen Formaten und Technologien einen gewissen Zuwachs der Intensität.

Für alle 16 Bildungstechnologien werden also mindestens zwischen 10% und 15% Steigerung erwartet. Ähnlich hoch ist durchgängig aber auch die Zahl derjenigen, die mit „bleibt gleich“ antworten: Am niedrigsten ist diese Stagnation-Erwartung bei den Video-Tools (gut 9%), ansonsten liegt er recht konstant bei 12% – 15%. Wenn man mit der eLearning BENCHMARKING Studie 2021 also einen Blick in den Kaffeesatz wagen will, muss man darauf achten, wo es bei den Zukunftserwartungen eine Abweichung vom „Normalwachstum“ gibt. Wo ist also die Zahl der „nimmt zu“-Antworten besonders hoch (jedenfalls über 20%), und wo übersteigt sie zugleich die „bleibt gleich“-Quote?

Die mit Abstand höchsten Dynamik-Werte haben hier ausgerechnet die Bildungstechnologien, die jetzt schon die höchste Verbreitung haben: Videokonferenz-Software (+57%) und das gute alte LMS (+36,5%). Weil fast alle Unternehmen über diese Technologien bereits verfügen, heißt das, dass sich die Antworten weniger auf den Einkauf als auf einen noch intensiveren Einsatz beziehen. Vier weitere Bildungstechnologien haben dann noch markant positive Dynamik-Werte: Live-Streaming-Tools (+22,5%), Mobile Apps (+17,5%), Social Learning (+12%) und Learning Experience-Plattformen (+10%). Knapp positiv ist die Dynamik bei den Autorentools und den LCMS (jeweils gut 3%).

Wenn man die Zukunftserwartungen auf diese Weise betrachtet, sieht man, dass bei vielen Bildungstechnologien ein wenig „die Luft heraus“ ist. Eine negative Dynamik, also nur durchschnittliche Steigerungsrate und/oder überdurchschnittlich hohe Stagnationsehen unsere Expertinnen und Experten bei Adaptive Learning, Learning Recommendation, Chatbots, Performance Support und AR.

Wenn man dann noch auf die Unternehmensgrößen schaut, ergibt sich eigentlich nur für Adaptive Learning ein deutlich abweichendes Bild: Die Werte bei den ganz großen Unternehmen (über 10.000 bzw. über 25.000 Beschäftigte) weichen stark ab. Hier prognostiziert man einen deutlich gesteigerten Einsatz (+16% bzw. +12%). Dass umgekehrt die kleineren Unternehmen bei solcher „Bildungs-Hightech“ wenig Dynamik sehen, ist wohl nicht überraschend.

Content: Formate und Schnittstellen

Eine weitere Erwartungs-Frage lautete: „Wie entwickeln sich die zukünftigen Anteile der Content-Formate in Ihrem digitalen Portfolio?“: Auch hier geht es wieder um Video, Soziales Lernen, Microlearning und Mobile Learning, Bots, VR, AR, aber diesmal von der Content-Seite her betrachtet. Werden also bei diesen Formaten die Anteile wachsen, schrumpfen oder gleichbleiben? Wieder liegt Video mit großem Abstand an der Spitze, wobei es hier um Lehr- und Erklärvideos geht. 75,5% sagen hier eine Steigerung voraus, und 52,5% erwarten, dass Video-Aufzeichnungen von Classroom-Events eine größere Rolle spielen werden.

Interessant ist das einzige Nicht-Video-Format in der Spitzengruppe: 56% glauben, dass „browserbasierte Content-Formate“ zunehmen werden. Das heißt, der Content liegt in der Cloud und der eigene Browser wird zur universalen Lernumgebung. Auf den Plätzen 4 und 5 folgen dann „informelle Inhalte“, die sich aus Wikis, Blogs und Social Media ergeben (42,5%) und Content für Mobil-Geräte (36,5%). Das passt zusammen: In allen diesen Fällen handelt es sich um leichtgewichtige Netz-Formate. Mit größerem Abstand folgen dann noch VR-Inhalte, Simulationen und Bots mit gut 20% „Nimmt zu“-Prognosen. AR ist wieder das Schlusslicht (13%).

Fazit: Der Weg führt in die Cloud

Wir stehen mitten in der Digitalen Transformation, und die COVID-Epidemie hat noch einmal zusätzlichen Veränderungsdruck gebracht. Gemessen daran wirkt auch in der eLearning Benchmark Studie 2021 die Szenerie immer noch recht routiniert und beständig. Mit der nötigen Vorsicht lassen sich vielleicht einige Tendenzen verallgemeinern:

Die Alternativen zum guten alten LMS stagnieren (LXP und Soziales Lernen). Das gilt auch für VR/AR und „intelligente“ Software (Recommendation-Systeme und adaptives Lernen).
Das Gesamtbild ist komplex, in einigen Fällen spielt die Unternehmensgröße eine Rolle, aber insgesamt zeigen leichtgewichtige, mobile Bildungstechnologien mehr Zukunftsdynamik als anspruchsvolle Hightech-Lösungen.
Was spürbar zunimmt, sind also alle Technologien und Formate, die in ein Cloud-Szenario passen und sich auch im Browser und auf mobilen Geräten gut einsetzen lassen. Dafür sprechen auch zwei weitere Ergebnisse: Die Mehrheit erwartet, dass die IT-Infrastruktur des Unternehmens weiter in die Cloud verlagern wird, und es wird von immerhin 30% erwartet, dass künftig Schnittstellen zu externen Bildungsplattformen wie LinkedIn-Learning, Udemy, Udacity, edX und Coursera an Bedeutung gewinnen.

Wohin wird sich also das Digitale Lernen weiter entwickeln? Vielleicht kann man die besondere Popularität, die Microsoft Teams in der eLearning Benchmark Studie 2021 als Bildungstechnologie gewonnen hat, hier als einen Hinweis verstehen.

MS Teams ist ja von Haus aus gar nicht als Bildungstechnologie gedacht. Eine solche vergleichbare „Collaboration Suite“ ist das Zentrum eines Bündels von vielen neuen Apps für cloud-basierte Kollaboration, Projektarbeit und Wissensmanagement. Das ist ein großer Schritt weg vom alten MS Office und Dateisysteme auf lokalen Firmenlaufwerken – und vielleicht auch vom konventionellen eLearning.

Falls nun die zahlreichen Unternehmen, die jetzt für den „virtuellen Video-Seminarraum“ auf MS Teams setzen, in Zukunft auch das neue Ökosystem darum herum als Bildungsplattform verstehen und entdecken, lassen sich ganz neue Lernerfahrungen gestalten. Und das gilt nicht nur für die Arbeit an Schreibtischen, denn es gibt dort auch spezielle Tools für „Frontline Worker“, also für Leute, die draußen arbeiten und für das Smartphone das Netzzugangsgerät darstellt. In Zukunft könnten so LXP- und Social Learning-Plattformen ganz neuer Art entstehen, bei denen Lernen und Arbeiten immer mehr verfließen.


Der Autor:

LindnerDr. Martin Lindner

von Haus aus Literatur- und Medienwissenschaftler (Dr. phil. habil.), seit 20 Jahren als Forscher und Berater im Schnittfeld von „Die
Bildung und das Netz“ unterwegs. (So heißt auch sein Buch zum Thema.)

Schwerpunkte sind Digitale Kollaboration und das möglichst selbstbestimmte Lernen im Web und in der Cloud. Als Researcher am Institut für betriebliche Bildung (IFBB) befasst er sich mit der non-formalen und informellen Weiterbildung in Unternehmen und Organisationen.


Kontakt:

Dr. Martin Lindner
Bildungsexperte

martin.lindner@i-f-b-b.de
www.i-f-b-b.de