Ein subjektiver und nicht abschliessender Kaufratgeber für synchrone Meeting- und Konferenztools
Meinen ersten Text zu «Standardsoftware für Kooperation» schrieb ich 1999 (Stoller-Schai 1999), meinen letzten Kaufratgeber-Text zu synchronen Tools vor 13 Jahren (Stoller-Schai 2008); es ist also Zeit, wieder mal eine Marktübersicht nachzuschieben. Mit der Covid-Pandemie ist der Markt an WebConferencing-Tools explodiert. Begriffe wie «zoomen», «teamen» etc. haben sich etabliert. WebConferencing ist dabei nicht mehr nur auf Online-Meetings beschränkt, an denen man mit Kamera- und Audiounterstützung gleichzeitig – also synchron – teilnimmt. WebConferencing umfasst heute weit mehr als das. Es geht generell um alle Formen von zeitgleichen Aktivitäten, die über das Internet stattfinden. Dies umfasst Lernprozesse, Innovationsprozesse, Arbeitsmeetings, informelle Austauschrunden, spielerische Aktivitäten, gleichzeitiges Schreiben von Texten, Entwickeln von Programmcodes, Coaching und Beratung, Live-Support und vieles mehr.
1. Einleitung
In diesem Artikel wird eine Übersicht über diese erweiterte Form von WebConferencing gegeben; gewissermassen ein «WebConferencing expanded». Es handelt sich dabei um eine subjektive und nicht abschliessende Auswahl an gängigen Tools und Systemen, die aktuell verwendet werden. Es gibt einfach zu viele Tools und Systeme. Eine umfassende und abschliessende Liste von Tools und Systemen vorzulegen, die unter die Kategorie «WebConferencing expanded» fallen würden, ist kaum möglich, da der Markt schwer zu überschauen ist und auch nicht alle Tools und Systeme, die es gibt, im DACH-Raum eine Bedeutung spielen. Es ist zudem davon auszugehen, dass sich der Markt laufend weiter konsolidieren wird. Startups entstehen und werden zum Teil wieder eingehen, etablierte Player werden aufgekauft oder entwickeln sich aus den verschiedensten Gründen nicht mehr weiter und laufend entstehen neue innovative Produkte.
2. Definitionen
Was ist mit WebConferencing gemeint? Früher (vor 5-10 Jahren) war es einfacher, dies zu definieren: WebConferencing bezeichnet ein System, mit dem ich mich zur gleichen Zeit über Internet mit anderen austauschen kann – dies mit Video- und Audiounterstützung und mit der Möglichkeit, meinen Bildschirm zu teilen.
Nun ist es etwas komplexer geworden: „WebConferencing expanded“ steht für eine ganze Reihe von Tools und Systemen, mit denen ich mich zur gleichen Zeit über Internet mit anderen austauschen kann. Video- und Audiounterstützung und die Möglichkeit, alle möglichen Bildschirmformate zu teilen, ist zum Standard geworden. Darüber hinaus sind auch Gruppenarbeiten möglich, das gemeinsame Schreiben auf digitale Whiteboards, die Möglichkeit, schnell und unkompliziert Umfragen zu erstellen, Resultate unmittelbar sichtbar zu machen, gleichzeitig an einem digitalen Artefakt (Dokument, Design, Präsentation, Businessplan, Programmcode) zu arbeiten oder sich miteinander durch digitale 3D-Welten zu bewegen.
Kurz: „WebConferencing expanded“ meint die ganze Vielfalt an kollaborativen Tätigkeiten mit anderen über das Internet – mit allen Geräten und auf allen Bildschirmformaten.
„WebConferencing expanded“ meint die ganze Vielfalt
an kollaborativen Tätigkeiten mit anderen über das Internet –
mit allen Geräten und auf allen Bildschirmformaten.
Was meint „Kollaboration“?
Kollaboration bezeichnet zeitgleiche Formen der Zusammenarbeit. Kollaboration kann wie folgt definiert werden:
Definition Kollaboration
„Die von zwei oder mehreren Personen an gemeinsamen Zielen ausgerichtete, direkte und sich wechselseitig beeinflussende tätige Auseinandersetzung zur Lösung oder Bewältigung einer Aufgabe oder Problemstellung. Dies geschieht innerhalb eines gemeinsam gestalteten und ausgehandelten Kontextes (gemeinsamer Bedeutungsraum, kooperatives Setting) in physischer Ko-Präsenz und unter Verwendung gemeinsamer Ressourcen (= kollaboratives Handeln).“ [Stoller-Schai 2003, 47]
E-Collaboration (oder Digital Collaboration) ist Kollaboration in einem computervermittelten Kontext. E-Collaboration kann wie folgt definiert werden:
Definition E-Collaboration (Digital Collaboration)
„Die von zwei oder mehreren Personen an gemeinsamen Zielen ausgerichtete, direkte und sich wechselseitig beeinflussende tätige Auseinandersetzung zur Lösung oder Bewältigung einer Aufgabe oder Problemstellung. Dies geschieht innerhalb eines gemeinsam gestalteten und ausgehandelten, computervermittelten Kontextes (gemeinsamer Bedeutungsraum, kooperatives Setting) und unter Verwendung gemeinsamer Ressourcen.“ [Stoller-Schai 2003, 47f.]
3. Beispiel von „WebConferencing expanded“
„WebConferencing expanded“ umfasst mehr als die klassischen WebConferencing-Funktionen. Es gibt mittlerweile wenige Dinge, die nicht zeitgleich über das Internet stattfinden können. Dies gilt auch für haptische Aktivitäten.
Ein gutes Beispiel sind Lego® Serious Play® (LSP) Workshops. Zwar lassen sich Online-LSP-Workshops und Präsenz-LSP-Workshops nicht direkt vergleichen, da sie anders aufgebaut und angeleitet werden müssen.
Aber die Erfahrung der letzten Monate hat gezeigt, dass sie sich sowohl online wie auch in Präsenz durchführen lassen.
Für die Online-Durchführung braucht es eine ganze Reihe von Tools und Systemen, damit kollaborativ zusammengearbeitet werden kann. Abb. 1 zeigt, wie ein Online-LSP-Workshop durchgeführt werden kann:
- Jede beteiligte Person baut und arbeitet für sich.
- Der Austausch untereinander findet in Breakout-Rooms statt.
- Plenumsdiskussionen werden im Main-Room gemeinsam geführt
- Teilergebnisse werden auf einem digitalen Whiteboard gesammelt, bewertet und priorisiert
- Gemeinsame Modelle werden mit Unterstützung mehrer Kameraeinstellungen und per Audio-Anweisungen erstellt. Dies erfordert neue Setups und klar geführte kollaborative Bauprozesse (Abb. 2).
Dieses hier nur knapp ausgeführte Beispiel soll deutlich machen, dass es für differenzierte Lern- und Arbeitsszenarien in den meisten Fällen verschiedene Tools und Systeme braucht, die sich gegenseitig ergänzen.
Einige wichtige Funktionen, die in solchen «WebConferencing expanded»-Szenarien benötigt werden, sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. Es ist zugebenermassen eine kleine Liste. Es gibt zahlreiche weitere Funktionen, die hier aufgeführt werden könnten und die zur Klassifikation und zur Auswahl von synchronen Meeting- und Konferenztools herangezogen werden könnten.
Die Auswahl der hier aufgeführten Funktionen umfasst die wesentlichen Tätigkeiten, die aus meiner Sicht für differenzierte Lern- und Arbeitsszenarien benötigt werden:
4. Kernapplikationen und Peripherieapplikationen
Welche synchronen Meeting- und Konferenztools gibt es nun aktuell, die die oben beschriebenen Funktionen anbieten? Wo kann man sich informieren? Welche soll man sich anschaffen?
Wer sich einen ganz generellen Überblick verschaffen möchte, ist gut beraten, sich auf der Webseite von Capterra umzusheen.
Capterra unterscheidet mindestens vier Kategorien, die in Richtung „WebConferencing expanded“ weisen:
- WebConferencing Software: https://www.capterra.com/web-conferencing-software/
- VideoConferencing Software: https://www.capterra.com/video-conferencing-software/
- Virtual Event Software: https://www.capterra.com/virtual-event-software/
- Meeting Software: https://www.capterra.com/meeting-software/
In vielen Fällen macht dieses «Sich frei auf dem Markt umschauen, was es so alles gibt» nur bedingt Sinn, da die Tool- und Systemauswahl durch die betriebseigene IT-Abteilung schon weitgehend vorgegeben ist. Die Wahl für die «Kernapplikationen» für synchrone Meetings und Konferenzen ist festgelegt und es bestehen nur noch wenige Freiheitsgrade, um bezüglich Spezialfunktionen mit «Peripherieapplikationen» zu befassen.
4.1 Die Kernapplikation
In einem Unternehmenskontext ist die Wahl der Kernapplikation immer eine strategische Entscheidung. Es geht nicht nur um das beste Tool mit den besten Funktionen. Ein synchrones Meeting- und Konferenzsystem muss zur IT-Strategie des Unternehmens passen. Das Ziel sollte es sein, möglichst wenige Tools und Systeme einzusetzen und diese dann aber aber konsequent für alle Lern- und Arbeitsprozesse des Unternehmens einzusetzen. Die folgende Tabelle zeigt typische Kernapplikationen auf, die für synchrone Meetings und Konferenzen in Unternehmen eingesetzt werden:
4.2 Die Peripherie-Applikationen
Die Peripherie-Applikationen ergänzen die Kernapplikation durch ergänzende Funktionen, die für Interaktion, Innovation, Gruppenarbeiten und weiteres eingesetzt werden können. Während die Kernapplikationen wichtige Grundfunktionen abdecken, können die Peripherieapplikationen herbeigezogen werden, um «WebConferencing expanded»-Szenarien mit innovativen, kollaborativen und kreativen Funktionen zu ergänzen:
4.3 Einsatzzweck
In der folgenden Tabelle werden die Tools und Systeme auch bezüglich ihres hauptsächlichen Einsatzzwecks gelistet. Dies stellt eine Fokussierung und gleichzeitig eine gewisse Vereinfachung dar. Die aufgeführten Tools und Systeme können natürlich auch über diesen hauptsächlichen Einsatzzweck für weitere Zwecke verwendet werden.
5. Ausblick
„WebConferencing expanded“ kann ein Kernstück einer kollaborativen Lern- und Arbeitskultur sein. Es können damit sowohl tägliche Meetings und Workshops als auch BrownBag-Sessions, BarCamps, Konferenzen und Pressetermine durchgeführt werden. Die Technologie dazu ist massiv einfacher und performanter geworden. Dieser Artikel hat in knapper Form aufgezeigt, welche Tools und Systeme dazu zur Verfügung stehen. Der Fokus wird in vielen Unternehmen dabei auf den Kernapplikationen liegen. Es ist schon eine grosse Herausforderung, diese effizient und effektiv zu nutzen, Lern- und Arbeitsszenarien darauf aufzubauen und die erforderlichen Kompetenzen im Unternehmen zu entwickeln. Darüber hinaus bieten aber gerade die Peripherieapplikationen das innovative Potenzial, über den klassische Einsatzzweck von WebConferencing-Lösungen hinauszudenken und neue Formen internetgestützter Lern- und Arbeitsformen umzusetzen. Viele der Peripherieapplikationen bieten Gratis-Versionen oder Demoversionen an, die man ausprobieren und testen kann. Jedes Unternehmen sollte über ein Scouting- und Testteam verfügen, das solche neuen Tools und Systeme testet, ausprobiert und ins Unternehmen einführt, wenn dadurch ein Mehrwert für Mitarbeitende und Kunden erzielt werden kann.
Fußnoten:
1 Alle Links in diesem Artikel sind im April 2021 geprüft worden und waren zu diesem Zeitpunkt gültig und aufrufbar.
2 Die Claims und Kurzbeschreibungen zu den Weblinks stammen von den Webseiten der Hersteller.
Quellen:
Stoller-Schai, Daniel (1999): Standardsoftware für Kooperation in Unternehmensnetzwerken. Universität St. Gallen, unveröff. Seminarpaper.
Stoller-Schai, Daniel (2008): Marktübersicht WebConferencing Systeme. In: Handbuch E-Learning. (Hrsg.) K. Wilbers / A. Hohenstein. Erg.-Lieferung Oktober 2008. Wolters Kluwer.
Stoller-Schai, Daniel (2003): E-Collaboration. Die Gestaltung internetgestützter kollaborativer Handlungsfelder. Dissertation Universität St. Gallen 2003.
Stoller-Schai, Daniel (2020): WebConferencing: Einfach loslegen bis systemisch angehen. SI Magazine. Swiss Informatics Society‘s new online Magazine. https://magazine.swissinformatics.org/en/webconferencing-systemisch-angehen/
Zum weiterstöbern:
Weitere Tools, die auch interessant sind, aber hier nicht mehr explizit berücksichtigt werden konnten. Der Zugriff auf die Links ist über die Online-Version des eLearning Journals natürlich komfortabler. Viel Spass beim Weiterstöbern !
https://www.wedo.swiss/de/: „Mit WEDO können Sie sich auf die Teambesprechung vorbereiten, die Protokolle in Echtzeit schreiben und die zugewiesenen Aufgaben von einer Sitzung zur nächsten verfolgen.“
https://wire.com/de/: „Sichere Kommunikation, Telefon- und Videokonferenzen sowie Dateiaustausch. Alles durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt.“
https://www.mikogo.de: „Sichere Online Meetings Made in Germany“
https://clickmeeting.com: „Führen Sie große virtuelle Veranstaltungen, Webinare, Videokonferenzen und Online-Meetings mit einer sicheren EU-basierten Plattform durch.”
https://fastviewer.com/de/: „Online Meetings und Fernwartung.“ (Matrix42)
https://www.join.me/de: „Telearbeitstools, die Ihr Geschäft am Laufen halten.”
https://www.spreed.eu/de/: „Enterprise-Videokonferenzen mit Office-Zusammenarbeit und Content-Sharing.”
https://www.pgi.com/de/products/globalmeet/: „GlobalMeet bietet Meeting- und Veranstaltungslösungen für den modernen Arbeitsplatz. Wir bieten Webcasting, Audio-, Web- und Video-Tools, die Menschen täglich nutzen, um ihre Arbeit zu erledigen.”
https://www.readytalk.com: „Meetings: Collaborative audio, web, & video. Webinars: Webcam and content streaming. Webcasts: High-capacity global presentations.”
https://www.bluejeans.com: „SIMPLE. SMART. TRUSTED. Video Conferencing for the Digital Workplace.”
Der Autor:
Daniel Stoller-Schai, Dr. oec. HSG
ist ein versierter Digital Collaboration & Learning Experte und Geschäftsführer der Collaboration Design GmbH. Daniel Stoller-Schai ist durch seine mehrjährige Praxis davon überzeugt, dass Kollaboration der Schlüssel zum Erfolg in Netzwerkorganisationen ist. Die Strategien, Methoden und Kompetenzen dazu entwickelt er als Change Companion zusammen mit seinen Kunden. Als Manager für digitale Lern- und Arbeitstechnologien hat er bei Phonak, UBS, CREALOGIX sowie in weiteren Firmen und Startups Kundenprojekte umgesetzt und Erfahrungen mit dem globalen Einsatz internetgestützter Lern- und Arbeitsprojekten gesammelt. Diese Erfahrungen gibt er auch als Programmleiter am Institut für Kommunikation & Führung, Luzern (CAS Arbeit 4.0 | Transformation Toolbox | Digital Deep Dive) und als Head Advisory Board der LEARNING INNOVATION Conference weiter.
Kontakt:
Daniel Stoller-Schai
Change Companion | Founder
Collaboration Design GmbH
daniel.stoller-schai@collaboration-design.ch
www.collaboration-design.ch