Egal, ob es um die Erstanschaffung oder um den Wechsel auf ein neues System geht: Die Auswahl des passenden LMS stellt selbst für erfahrene Unternehmen und L&D-Akteure immer eine Herausforderung dar. Vor diesem Hintergrund haben wir in unserem neuen Expertenpanel zu den typischen Fehlern gefragt, die Unternehmen bei der Auswahl eines LMS typischerweise machen, und haben viele Tipps und Hinweise zusammengetragen, die bei der nächsten LMS-Anschaffung eventuell hilfreich sein können.
1. Welche Fragen sollte sich ein Unternehmen vor der Anschaffung eines LMS stellen?
Die Anschaffung eines neuen Learning Mangement Systems kann für Jahre die betriebliche Bildung in einem Unternehmen prägen. Dementsprechend folgenreich und oftmals kostspielig kann es sein, wenn bei der Auswahl Fehler gemacht werden und auf das falsche System gesetzt wird. Die Liste der Fragen, die sich ein Unternehmen in diesem Prozess stellen sollte, ist daher lang. Wofür soll das LMS konkret eingesetzt werden? Welche Lernaktivitäten sollen über das LMS abgedeckt werden? Sollen über das LMS nur eLearning- oder auch Präsenz-Aktivitäten bzw. eine Mischung in Form von Blended Learning organisiert werden? Welche Lerninhalte sollen verwaltet werden und woher stammen diese? Ist das LMS mit der vorhandenen Systemlandschaft kompatibel? Wurden die Bedarfe aller betroffenen Stakeholder berücksichtigt? Wie flexibel und zukunftssicher ist das LMS? Cloud oder on On-Premises? Wer pflegt die Software und wie gut ist der Support? Wie gut ist die Usability? Ist das System auch mobil nutzbar? Wie werden Datenschutz und -sicherheit gewährleistet? Das sind nur einige der Fragen, die im Panel von den Experten genannt wurden.
Statt diese Liste einfach weiterzuführen, scheint es daher sinnvoller, einige der grundlegenden Aspekte zusammenzutragen, die bei der Anschaffung eines LMS bestenfalls berücksichtigt werden sollten. Basierend auf der Erfahrung von Danish Khan von Crossknowledge stellen sich Unternehmen vom Start weg die falsche Frage: „Der größte Fehler, den Unternehmen bei der Auswahl ihres ersten LMS machen, ist, dass sie sich mit dem ‚Wie‘ beschäftigen und nicht mit dem ‚Warum‘. Bevor sie sich für ein LMS entscheiden, müssen Unternehmen ihre Lernziele und die Probleme identifizieren, die sie durch die Implementierung eines LMS lösen möchten“.
Ein zentrales Thema bei den befragten Experten ist, wenig überraschend, eine möglichst konkrete Bedarfsermittlung. Allzu oft wird an dieser Stelle allerdings der Fehler gemacht, dass sich Unternehmen zu einseitig nur auf die Features konzentrieren. „Der Markt ist groß und unübersichtlich, weshalb möglichst präzise Kriterien notwendig sind, um eine passende Auswahl zu treffen. Kein blindes Abhaken von Featurelisten, stattdessen eine Definition von echten Anwendungsfällen sog. User-Stories. Fokus auf die relevanten Produkt- und Anbieter-Eigenschaften sowie die wichtigsten betriebsinternen Abläufe bzw. Endanwender Szenarien“, so Martin Kundt von der Know How! AG. Ähnlich äußerte sich auch Andrea Baldus von der reflact AG. Sie hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass insbesondere die konkreten Anwendungsfälle bzw. User Stories eine zentrale Rolle bei einem erfolgreichen Auswahlprozess spielen: „In der agilen Software-Entwicklung spricht man von User Stories: Beschreibe dem Entwickler nicht, dass er an dieser Stelle einen Button einbauen soll, sondern beschreibe in der User Story ‚Als Anwender möchte ich mein eingetragenes Ergebnis speichern.‘ Auf Basis seiner Erfahrung kann der Entwickler dann entscheiden, welchen Lösungsweg er einschlagen möchte, um das Kundenbedürfnis zu erfüllen“. Vor allem kann man Unternehmen durch ein solches Vorgehen oftmals vor sich selbst schützen. „Die zentrale Frage sollte sein: ‚Was wollen wir erreichen und warum?‘ Viele Unternehmen machen den Fehler, dass sie mit dieser Frage zugleich auch die Lösung mitformulieren. Da sie aber die technischen Möglichkeiten oft nur oberflächlich überblicken, können sich daraus schnell ungeeignete Anforderungen ergeben“, so Andrea Baldus weiter.
Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Aspekt sind die Kosten bei der Anschaffung eines LMS. Denn neben den Bedarfen hat natürlich auch das verfügbare Budget einen erheblichen Einfluss auf den Auswahlprozess. „Die Preisspannen der auf dem Markt vorhanden LMS sind hoch. Und das oftmals bei vergleichbaren Leistungen. Manche Produkte können gegen einen einmaligen Kaufpreis erworben werden, andere lassen sich als Software as a Service mieten. Wer ein auf sich zu geschnittenes LMS haben möchte, kommt meistens nicht am Kauf eines individuellen LMS herum. Denn das ermöglicht die flexible Weiterentwicklung in die vom Unternehmen gewünschte Richtung. Als Nachteil ist hier der Preis zu nennen, der im Vergleich zu einer Software as a Service-Lösung höher ausfallen wird. Ist die Budgetfrage geklärt, lässt sich der Auswahlprozess effektiver gestalten. So können im Vorfeld zu teure Learning Management Systeme ausgefiltert werden und man hat mehr Zeit für den Vergleich der Funktionen zum Testen der LMS“, so Bayram Ünlü von der netTrek GmbH & Co. KG.
Gleichzeitig ist das Budget bzw. die Kosten eines LMS nur eine Seite der Medaille, denn eigentlich kommt es vielmehr auf den ROI einer Investition an. Schließlich ist auch ein „billiges“ LMS, welches sich in der Praxis als untauglich erweist, am Ende eine Fehlinvestition. Aus Sicht von Uwe Hofschröer von der imc AG spielen daher die Möglichkeiten zur Erfolgsmessung eines LMS eine nicht zu unterschätzende Rolle: „Mit der Anschaffung des LMS ist unternehmensseitig eine Investition verbunden, an die eine unternehmerische Erwartungshaltung geknüpft ist. Je klarer das Ziel definiert ist, desto besser kann bei der LMS-Wahl geprüft werden, ob das LMS auf dieses Unternehmensziel einzahlt. Grundlage ist hier eine ausgereifte Learning Analytics Funktionalität. Orientiert sich das LMS an anerkannten Evaluationsstandards wie dem Kirk Patrick oder dem Phillips Model und bis zu welcher Ebene kann es die Datengewinnung aus dem LMS selbst heraus unterstützen? Welche praktische Integrationserfahrung hat der Plattformanbieter, um Daten von anderen Systemen im Unternehmen in die Analysefunktion des LMS zu intergieren? Nur durch diese Integration kann auch die Wirkung des Lernens auf einer höheren Evaluationsebene bis hin zum Return on Investment analysiert werden“.
Abschließend sollte außerdem im Auswahlprozess die so wichtige Zielgruppe der Mitarbeiter nicht vergessen werden, denn noch immer stellt die Akzeptanz der Nutzer eine elementare Herausforderung für Unternehmen dar. „Usability und „Ease of Use“ sind grundlegende Eigenschaften, die mitentscheiden, ob die Lernenden das LMS annehmen. Oft ist ein offenes, breit aufgestelltes Angebot auf der Startseite und im Katalog sinnvoll. In anderen Fällen braucht es eher eine klare Fokussierung und stärkere Führung der Lernenden durch die Angebote. Dafür braucht es Flexibilität in der Darstellung und den Möglichkeiten, meine Angebote im Hintergrund auch in verschiedenen Szenarien aufzubauen und anbieten zu können“, so die Erklärung von Uwe Hofschröer.
2. Was ist der größte Fehler, den Unternehmen bei der Auswahl ihres ersten LMS machen?
Die Rückmeldungen der ersten Frage haben gezeigt, wie kompliziert die Auswahl eines neuen LMS sein kann und wie viele Aspekte dabei beachtet werden sollten, um letztlich nicht an ein System gebunden zu sein, welches sich in der Praxis als untauglich herausstellt. Vor diesem Hintergrund kann die Anschaffung eines neuen LMS selbst für erfahrene Unternehmen und Personen eine Herausforderung darstellen. Diese ist allerdings umso größer, wenn entsprechende Erfahrungen eben noch nicht vorhanden sind und es sich um das erste LMS handelt. Erschwerend kommt außerdem oftmals noch dazu, dass die Einführung eines LMS in einem Unternehmen nicht selten mit dem Einstieg ins eLearning korrespondiert.
In dieser Situation machen viele Unternehmen den Fehler, „perfekt“ sein zu wollen, so die Erfahrung der befragten Experten. „Das Vorgehen wird oft nicht agil, wie eigentlich heute in vielen Unternehmensbereichen üblich, organisiert, sondern nach dem Wasserfall-Modell: Die Unternehmensleitung entscheidet, es soll ein LMS eingekauft werden und nun werden alle Abteilungen befragt, was sie an Anforderungen an das LMS formulieren. Herauskommt oft eine umfangreiche Liste an sehr unterschiedlichen, teilweise sogar sich widersprechenden Anforderungen. Die Angebote, die auf diese Art von Anfrage oder Ausschreibung erstellt werden, sind dementsprechend kompliziert und teuer. Die Einführung dauert extrem lang – und im schlimmsten Fall haben sich in der Zwischenzeit die Rahmenbedingungen oder Anforderungen grundlegend geändert“, bringt Andrea Baldus die Problematik auf den Punkt.
Wie könnte man es besser machen? Einfach mal ausprobieren, so der Tenor der befragten Experten. „Zur Auswahl eines LMS gehört auch eine Bereitschaft zum Ausprobieren und zum ‚Einfach-mal-Machen‘. Viele Anbieter bieten Probeversionen vorab, in denen man einen Testlauf starten kann. Das Angebot am Markt ist so breit – ohne den Mut zum Testen könnte man in Analyse-Starre verfallen“, erklärt Beatrice Kemner von Headstart Studios GmbH. Eine ähnliche Ansicht vertritt auch Björn Carstensen von Lemon Systems GmbH. Seiner Erfahrung nach gehört zu den größten Fehlern bei der Auswahl des ersten LMS, dass Unternehmen nicht gründlich genug testen und zu früh bzw. zu schnell eine Entscheidung treffen. Statt die Entscheidung nur auf eine Online-Demo zu stützen, sollten Unternehmen besser potentielle Systeme mit eigenen Live-Testversionen ausprobieren. „Eine geführte Online Demo ist bei den meisten LMS-Anbietern der Standard. Das allein reicht aber nicht. Wer ein Auto kauft, schaut sich doch auch nicht nur Online Videos an, sondern macht eine Probefahrt. […] Das gilt für die Auswahl eines LMS erst recht. Daher sollte man immer eine kostenlose Live-Version zum Testen anfordern und sich ausgiebig Zeit zum Testen lassen. Idealerweise bindet man auch andere Kollegen aktiv mit in die Testphase ein. Je gründlicher man testet, desto genauer der Eindruck von der Leistungsfähigkeit des LMS und der Kompatibilität mit den unternehmerischen Anforderungen an die Prozesse, die es abbilden soll“, so sein Ratschlag.
Ein weiteres Thema, welches von mehreren der befragten Experten angesprochen wurde, ist das oftmals fehlende oder fehlgeleitete Stakeholdermanagement. Viel zu oft werden elementar wichtige Zielgruppen, insbesondere die Lerner, nicht ausreichend im Auswahlprozess berücksichtigt. „Die Herausforderungen, die mit der Einführung eines LMS gelöst werden sollen, werden häufig sehr eindimensional betrachtet. Bedarfe und Herausforderungen werden nicht selten nur aus der Personalentwicklung formuliert. Sie reduzieren damit die zu lösenden Herausforderungen auf Themenblöcke, wie Prozessdigitalisierung und Reduzierung administrativer Aufwände“, so die Einschätzung von Felix Pohl von der Haufe Akademie. Seiner Erfahrung nach würden durch ein solches Vorgehen vor allem die Lerner die Konsequenzen tragen müssen: „Da ein LMS für die Personalentwicklung entworfen wurde, bleibt der Lerner auf der Strecke. Typischerweise fällt das erst nach dem Kauf eines LMS auf. Wenn dann viel Budget für das LMS und Features, die ggf. nicht nötig sind, vergeben wurde, wird versucht das LMS so zu verbiegen, dass die Erfahrung der Lerner weniger schmerzhaft ist“. Ähnlich sieht es auch Martin Kundt, der ebenfalls in der unzureichenden Einbeziehung der Endanwender einen typischen Fehler bei der Auswahl eines ersten LMS sieht. „Einer der größten Fehler besteht häufig darin, dass die Bedürfnisse der Endanwender außer Acht gelassen werden. Viele Unternehmen gehen mit einem ausführlichen Kriterienkatalog aus Perspektive der Organisation und der IT in die Auswahl und achten nicht auf die Prozesse und Usability aus Endanwender Perspektive. Das führt später zu mangelnder Akzeptanz. Hier helfen wieder konkrete Anwendungsfälle, die man sich bei einer Anbieter Präsentation live vorführen lassen sollte. Es lohnt sich die Durchführung eines Prototypen Tests mit einer kleinen Testgruppe, die alle Arten von Anwender repräsentiert“, so sein Ratschlag.
3. Welche aktuellen Markt- bzw. Technologie-Entwicklungen sollten Unternehmen vor der Kaufentscheidung bei einem LMS im Blick haben?
In der eLearning-Branche gibt es regelmäßig neue Themen und Trends. Während vor 10 Jahren mobile Endgeräte aufkamen oder vor 3-4 Jahren gehypt wurden, ist heute vielleicht die Künstliche Intelligenz das „Next Big Thing“. Grundsätzlich sind sich die befragten Experten daher einig, dass Unternehmen bei der LMS-Auswahl darauf achten sollten, dass das System anpassbar und flexibel ist, damit man auf technische Entwicklungen adäquat reagieren kann. Gleichzeitig ist es allerdings ebenfalls wichtig, nicht jedem neuen Trend hinterherzulaufen, denn allzu oft verschwindet ein neues Thema ebenso schnell wieder in der Versenkung, wie es zuvor aufgekommen war. „Man sollte im Blick haben, dass nicht jede Entwicklung ein Trend ist, sondern auch manchmal nach kurzem Hype in sich zusammenfällt. Das trifft Plattform-Technologie ebenso, wie elektronische Inhaltsformate (mp4 vs. wmv…). Ein zu schnelles Aufspringen auf neue Entwicklungen verbrennt mitunter unnötig Geld. Das neueste Format bietet nicht immer den größten Mehrwert für die Organisation“, bringt es Annette Bouzo von der SoftDeCC Software GmbH passend auf den Punkt. Vergleichbar äußerte sich auch Nicole Meinholz von der youknow GmbH: „Auf der einen Seite ist es nicht zielführend, jedem Trend hinterherzulaufen, auf der anderen Seite ist es aber umso wichtiger abzusehen, was in Zukunft an Anforderungen und Bedarfen aufkommen kann und wie diese mit neuen Ansätzen unterstützt werden können. D.h. die aktuellen Trends und Entwicklungen sollten ansatzweise bekannt sein, dennoch empfiehlt es sich, erst mal mit dem zu beginnen, was kurz- und mittelfristig relevant ist und sich nicht in Luftschlösser zu verrennen“.
Ein ehrlicher Blick auf die Rahmenbedingen im eigenen Unternehmen spielen dabei bei der Relevanzbewertung eines Trends eine zentrale Rolle. „Ob es nötig ist, die aktuellsten Technologietrends bei einer Kaufentscheidung zu berücksichtigen, kommt dabei auf die individuelle Ausgangslage des Unternehmens an. Man sollte sich die Frage stellen, ob man bereits genügend Erfahrungen mit Lernsystemen gesammelt hat und zunächst die grundlegenden Lernmanagementprozess abbilden kann. Auch sollte man hinterfragen, ob die Belegschaft ausreichend geübt im Umgang mit technischen Möglichkeiten ist oder ob neue Möglichkeiten, wie Augmented Reality, Sprachassistenten oder GPS-Tracking, die Mehrheit eher abschrecken“, so die Einschätzung von Sven Morgner von der BPS Bildungsportal Sachsen GmbH.
Vor diesem Hintergrund sollte also, wie erwähnt, die Anpassbarkeit des LMS bei der Auswahl berücksichtigt werden. „Wichtig ist es, grundsätzlich auf ausbaufähige LMS-Lösungen zu setzen, die stetig weiterentwickelt werden. Diese Weiterentwicklung sollte dabei auch (aber nicht ausschließlich) von Herstellerseite vorangetrieben werden, sondern auch individuelle Anpassungen ermöglichen“, so Anette Bouzo weiter.
In diesem Kontext sollte außerdem beachtet werden, ob und wie stark es bei einem LMS einen „Vendor-Lock-in“-Effekt gibt, der ggf. einen zukünftigen Wechsel deutlich erschweren könnte. „Der Markt der LMS ist fragmentiert und entwickelt sich dynamisch, und dass nicht erst seit der Corona-Krise. Funktionalitäten und User Experience entwickeln sich ständig weiter. Daher sollte man gut überlegen, wie lange man sich an einen Anbieter bindet, ob dieser genug in die eigene Produktentwicklung investiert und wie „einfach“ ein Wechseln ist“, so Beatrice Kemner.
Darüber hinaus wurden von den befragten Experten allerdings auch einige aktuelle Trends bzw. Entwicklungen genannt, die man bei der LMS-Auswahl unter Umständen im Blick behalten sollte. Besonders vielversprechend könnte laut Danish Khan vor allem das Thema „Künstliche Intelligenz“ sein: „Die neuesten technologischen Entwicklungen in den Bereichen maschinelles Lernen, Daten, Automatisierung usw. haben großes Potenzial, zum besseren Verständnis der individuellen Bedürfnisse und Motivationen der Lernenden beizutragen. Folglich können in skalierbarer Weise relevante Lernempfehlungen für alle Lernenden ausgesprochen werden“. Passgenaue Lernempfehlungen sind heutzutage wichtiger denn je, da in vielen Unternehmen in den letzten Jahren das Angebot an Lerninhalten stark zugenommen hat. Dies ist zwar eine grundsätzlich positive Entwicklung, allerdings erschwert es für Lerner auch die Suche nach Inhalten, die für sie wirklich relevant sind. „Viele LMS-Anbieter haben sich zu sehr auf die Bereitstellung von Inhalten in großem Umfang konzentriert und dabei die ursprüngliche Aufgabe eines LMS ignoriert oder vergessen: dem Einzelnen zu helfen, relevante und qualitativ hochwertige Schulungen zu finden, um sich gezielt weiterzubilden. […] Wir müssen anerkennen, dass alle Lerner ihre täglichen Aufgaben zu erledigen haben und das Lernen „nur“ Mittel zum Zweck ist, besser zu werden. Das Motto „Viel hilft viel“ hat beim Lernen keine Berechtigung. Weniger Inhalte mit einer größeren Relevanz anzubieten ist der richtige Weg für die Entwicklung in Unternehmen.“, bringt es Danish Khan auf den Punkt. Personalisierte Lernempfehlungen sind an und für sich kein neues Thema im LMS-Markt. Allerdings waren bisherige Lösungen in der Regel recht limitiert, ein Umstand, der sich möglicherweise durch KI ändern könnte.
Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die soziale Komponente des Lernens. Gerade im Kontext von LMS sind die Diskussionen und Themen naturgemäß in erster Linie technikgetrieben. Dabei wird leider nur zu oft das Thema „Social Learning“ ausgeblendet, obwohl der Austausch mit anderen sich nachweißlich positiv auf den Lernerfolg auswirken kann, wie Dr. Volker Zimmermann von der NEOCOSMO GmbH zu bedenken gibt: „Lernen ist ein sozialer Prozess, Lernerfolg wird signifikant gesteigert durch Gruppeninteraktion. In Unternehmen wird viel zu viel gedacht in Selbstlernkursen und -medien, ganz nach dem Motto: Inhalte bereitstellen, lernen, zertifizieren. Wenn man aber Menschen weiter entwickeln will, dann gehört dazu die Interaktion. Studien zeigen: Wer ein Video sieht und danach in der Gruppe darüber redet und sich austauscht, erreicht deutlich bessere Lernergebnisse als z.B. im Vergleich die Teilnahme an einer Präsenzveranstaltung ohne Gruppeninteraktion. Was heißt das für innovative Technologien: Sie führen Menschen im Lernprozess zusammen, sie schaffen Dialog, sozialen Austausch, z.B. durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz, intelligent Tutoring und mehr“.
4. Ist es ein Fehler, in ein neues LMS statt in eine LXP zu investieren?
Der Grundtenor der befragten Experten ist, dass LMS und LXP einerseits unterschiedliche Bedarfe bedienen und anderseits nicht immer grenzscharf voneinander zu unterscheiden sind. Andreas Gerster von C.C.Buchner21 bringt die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der beiden Bildungstechnologien auf den Punkt. „LMS sind immer noch überlegen, wenn es darum geht, von Experten gesteuerte Lernprozesse zu organisieren. Vor allem komplexere Fachinhalte können mit Hilfe von Learning Experts in Form von didaktisierten Curricula oder Lernpfaden, die sinnvoll aufeinander aufbauen, passgenau über das LMS vermittelt werden. Ein LMS ist auch dann sinnvoll, wenn Lernende noch nicht über ein hohes Maß an Selbstlernkompetenz verfügen oder dies nicht gefordert ist, wie z.B. bei vielen Akademien und Bildungseinrichtungen“, so seine Bewertung klassischer LMS. Demgegenüber haben seiner Meinung nach allerdings auch LXPs ihre klaren Stärken: „LXP bieten dagegen eine tolle User Experience und Vorteile beim sozialen Lernen, weil selbst erstellte Inhalte, Lernerfahrungen, Empfehlungen und Bewertungen ganz unkompliziert geteilt werden können. Durch die Offenheit des Systems gibt es potentiell unbegrenzte Möglichkeiten beim Entdecken von neuen Inhalten. Das ist insbesondere auch beim Performance Support hilfreich. Da das System mehr Daten nutzen kann, passt es sich besser an den einzelnen Lerner an. Es stellt insgesamt allerdings auch höhere Anforderungen an die Selbststeuerung der Nutzer.“
Allerdings birgt diese klare Unterteilung von LMS und LXPs auch ihre Tücken, denn im Alltag sind die Systeme oft weniger trennscharf, als man vielleicht denken könnte. Diese Ansicht haben gleich mehrere Experten vertreten. „Was ist ein „klassisches“ LMS? Es gibt sehr unterschiedliche LMS-Systeme am Markt – und wie gut sie Learning-Experience beherrschen, ist ein Differenzierungsmerkmal. LXP ist nach meinem Verständnis eine Teilmenge von LMS“, so beispielsweise die Einschätzung von Beate Bruns. Ähnlich sieht es auch Uwe Hofschröer: „LXPs zahlen wesentlich auf den Trend der Learner Experience und des selbstgesteuerten Lernens ein und zielen auf ein Win-Win zwischen der Motivation des Mitarbeiters und den Unternehmenszielen ab. Diese Zielstellung wird aber von modernen integrierten Learning Suites ebenso geteilt und ist für diese auch „nichts Neues“. Es bleibt also wie immer bei einem Vergleich, wie das LMS die konkrete Vision und die daraus abgeleiteten Anforderungen bedient und wie dies das LXP tut. Moderne LMS stehen LXP in nichts nach und bringen den Vorteil, alles integriert aus einer Hand zu liefern“.
Wie lässt sich vor diesem Hintergrund also die Ausgangsfrage am besten beantworten? Grundsätzlich ist es sicher kein Fehler, statt auf ein neues LMS auf eine LXP zu setzen. Allerdings bleiben grundlegende LMS-Funktionalitäten auf absehbare Zeit relevant, d.h. es müsste sich entweder um ein LXP handeln, welches über entsprechende Funktionen verfügt, oder eine entsprechende Plattform müsste in Kombination mit einem LMS genutzt werden.
5. Trifft „Geiz ist geil“ auch auf den LMS-Markt zu? Wie deckungsgleich sind bei Unternehmen die Anforderungen auf der einen und die vorhandenen Budgets auf der anderen Seite?
Wenn es um die Anschaffung einer neuen Software geht, dann kommt man um die Kostenfrage nicht herum. Im LMS-Markt ist es natürlich nicht anders und das Preisschild gehört auch weiterhin zu den wichtigsten Kriterien bei der Kaufentscheidung. Und während LMS lange Zeit den Ruf hatten, eine in erster Linie kostenintensive Investition zu sein, hat sich der Markt im letzten Jahr sehr differenziert und eine Vielzahl von unterschiedlichen Lösungen und Lizenzmodellen hervorgebracht. Heutzutage ist es daher einfach denn je, ein passendes LMS für das eigene Budget zu finden. „Es gibt ein LMS für jedes Budget, der Markt ist groß und vielfältig. […] Es gibt gute, günstige Lösungen, die als All-in-One Contenterstellung, Lernendenmanagement, Publishing und Analyse vereinen, die aber wenig Einstellungsmöglichkeiten bieten. Eine gute LMS-Technologie, die dem nutzenden Unternehmen viele Freiheitsgrade lässt, kostet jedoch auch. Viele LMS-Anbieter stellen auch Baukästen zur Verfügung, bei denen man flexibel und nach Bedarf weitere Funktionalitäten oder größere Pakete (Lernendenzahlen, Contentumfang) dazubuchen kann“, so die Beschreibung der aktuellen Marktlage von Beatrice Kemner.
Problematisch kann es dagegen in erster Linie werden, wenn ein Unternehmen sehr spezifische Anforderungen oder Extrawünsche hat, obwohl das entsprechende Budget begrenzt ist. Diese Erfahrung hat zumindest Martin Kundt gemacht: Umso mehr die Anforderung spezifisch auf das Unternehmen zugeschnitten sind, desto eher müssen Unternehmen bereit sein, für Sonderlösungen auch zusätzliche Entwicklungsbudgets bereitzustellen. Wie groß so ein Entwicklungsbudget sein muss, wird häufig unterschätzt […]. Wenn das Budget eher gering ist, empfiehlt es sich, Kompromissbereitschaft zu zeigen. Statt aufwändige Sonderlösungen, ist es dann u.U. besser auf einige Features und individuelle Anpassungen zu verzichten, aber dafür auf eine sehr gut getestete und supportete Standardsoftware zu setzen“.
Darüber hinaus geben mehrere Experten zu bedenken, dass ein Fokus auf den Preis bzw. das Budget oftmals zu kurz gedacht sein kann, da es sich bei einem LMS in der Regel um eine Investition handelt, die sich am Ende für das Unternehmen lohnen muss. Ein günstiges LMS, welches allerdings nicht die Bedarfe erfüllen kann, ist für ein Unternehmen möglicherweise teurer als ein kostspieliges LMS, welches allerdings das Unternehmen voranbringt und bei der Umsetzung der Ziele unterstützt. „Ein LMS ist eine Investition, bei der viele verschiedene Faktoren zu berücksichtigen sind. In der Regel wird das Budget dementsprechend von den Unternehmen evaluiert. Wird das LMS konsequent und sinnvoll um- und eingesetzt, kann es zu erheblichen Umsatzsteigerungen des Unternehmens führen und trägt sich so nach einiger Zeit bereits selbst. Dies ist auf die Aufwandsreduzierung zurückzuführen. Das Unternehmen spart sowohl personelle Ressourcen (z.B. bei der manuellen Verwaltung von Mitarbeiterschulungen und Verlagerung von Präsenzschulungen in den virtuellen Raum) als auch materielle Aufwände (Reisekosten, Kopien, Namensschilder, Verpflegung, usw.) ein. Zudem führt der Einsatz von effizienteren Online Trainings zu einer langfristigen Verringerung der Fehlerquote in z.B. der Produktion eines Unternehmens“, so die Erklärung von Verena Offermann von der IM|S Intelligent Media Systems AG.
Achtet man im Hier und Jetzt zu sehr auf die Kosten und entscheidet sich für ein System, welches möglicherweise keine Zukunftssicherheit verspricht, dann zahlt man möglicherweise nach einigen Jahren doppelt, so die Erfahrung von Michael Grotherr von Cornerstone OnDemand. „Es ist doch wie immer: Wenn ich eine günstige Lösung kaufe, kann ich nicht davon ausgehen, dass sie alle Anforderungen erfüllt. Wahrscheinlich kann sie den aktuellen Bedarf decken. Doch was mache ich, wenn in ein oder zwei Jahren neue Anforderungen aufkommen? Die Arbeitswelt verändert sich rasend schnell und darauf muss die HR-Abteilung vorbereitet sein. Die Entscheidung für ein LMS sollte in der Regel für mehrere Jahre oder sogar für ein bis zwei Jahrzehnte fallen. Bei ‚Geiz ist geil‘ besteht die Gefahr, dass man etwas zukaufen muss und am Ende mit zwei verschiedenen Systemen dasteht, die nicht integriert sind oder im schlimmsten Fall doppelte Kosten mit sich bringen. Dort sind dann Lizenzkosten weniger das Problem, dafür aber Mehrkosten durch einen höheren Aufwand in der HR-Abteilung sowie hohe Implementierungskosten“, so die seine Zusammenfassung der Problematik.