Learning Ecosystems aus Sicht des Personalmanagements

„Wir haben eine fehlende Interoperabilität zwischen den Systemen“

Prof. Dr. Anja Schmitz von der Hochschule Pforzheim (HSPF) über New Learning – New Work und über den Vormarsch vom vernetzten Lernen

Akteure, Ziele und & Gestaltungsdimensionen von Learning Ecosystems.

Learning Ecosystems. Was ist das? Welche Herausforderungen kommen da auf die Unternehmen zu? Welches Potenzial steckt dahinter? Gibt es aktuelle Beispiel von Unternehmen, die es schon erfolgreich anwenden? Diese und noch weitere spanende Fragen stellt das eLearning Journal Prof. Dr. Anja Schmitz und gewährt somit Einblick in das Lernparadigma der Zukunft. Erhalten Sie Informationen aus Forschung und Praxis.

eLearning Journal: Frau Dr. Schmitz, womit beschäftigt sich die Hochschule Pforzheim im Allgemeinen? Was sollten wir uns zu dieser Hochschule merken?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Man sollte sich unbedingt merken, dass wir in Pforzheim einen Bachelor- und Masterstudiengang in Human Resources Management haben. Im Bereich Forschung und Lehre beschäftigen wir uns natürlich mit den Grundlagen des Human Resources Management, aber auch mit aktuellen Themen wie zum Beispiel New Work, New Learning und vor allem Agilität, was in erster Linie durch meinen Kollegen Stephan Fischer vorangetrieben wird, den vielleicht auch der ein oder andere kennt.

eLearning Journal: Was ist Ihr persönlicher Wirkungskreis in Forschung und Lehre?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Mich persönlich interessiert das Thema New Learning, also auch das, worüber wir heute sprechen wollen. Wie verändert sich die Personalentwicklungsfunktion in ihrer Rolle, ihre Aufgabe und was bedeutet das auch für den Lernenden? Diese Themen begleite ich auch in der Lehre. Aktuell leite ich den Masterstudiengang Human Resources Management und da gucken wir natürlich auch auf Themen der digitalen Transformation und auf die Veränderung des Lernens. Und der Ansatz der Ecosystems ist natürlich etwas, dass wir da aus ganz unterschiedlicher Perspektive beleuchten, was ich deshalb gerne mit den Lesern teilen will.

eLearning Journal: Ja, wir merken schon, wir sind bei Ihnen genau an der richtigen Stelle. Ich freue mich, dass wir heute einfach so ein bisschen mehr mit Gelassenheit auf dieses wichtige Zukunftsthema schauen können und ein klein wenig tiefer in die Materie einsteigen können. Vielleicht können Sie uns zunächst einmal bei dieser Begrifflichkeit „Learning Ecosystems“ weiterhelfen. Was ist die Herkunft? Was ist die Bedeutung von solchen Ecosystems?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Das freut mich, dass wir heute ein bisschen Zeit haben, um dieses Thema aufzuspannen und ich würde gerne zu Beginn einen Blick darauf werfen, wo dieses Thema in den Organisationen überhaut herkommt. Wie du eingangs schon gesagt hast, beschäftigt uns die VUCA-Welt schon seit einigen Jahren. Alles wird weniger vorhersehbarer, wir haben einen hohen Veränderungsdruck durch die Themen Technologie, Digitalisierung, die Komplexität und die Dynamik in unserem Umfeld nimmt rasant zu. Aber wenn wir schauen, wie die Organisationen aufgestellt sind und was unser Paradigma, also unsere Vorstellung von Organisationen ist, dann sehen wir, dass da oft noch ein recht tradiertes Paradigma vorherrscht. Wir waren der Auffassung, dass Wertschöpfung tatsächlich in unserer klar abgegrenzten Organisation stattfindet, dass wir primär den Wert aus Produkten, aus Services schöpfen und wenn wir Allianzen geschmiedet haben, dann mit sehr handverlesenen, aber wenigen anderen Playern auf dem Markt. Insgesamt kann man sagen, dass die Idee der Berechenbarkeit und der Planbarkeit, an vielen Stellen vorherrschend war. Jetzt haben wir aber festgestellt, dass diese Idee von Organisation nicht mehr zu unserem Umfeld passt. Dadurch hatten wir nämlich eine sehr geringe Anpassungsfähigkeit und eine sehr geringe Veränderungsgeschwindigkeit. Wir brauchten ein neues Paradigma und das waren genau diese Business Ecosystems. Moore hatte Ende der 90er-Jahre die Ideen, die du vorher auch schon angeteasert hast, Paradigmen aus der Biologie und der Systemtheorie auf das Business von Organisationen übertragen. Das heißt, wenn wir über so ein Ecosystem sprechen, sprechen wir eben davon, dass es viele wirtschaftlich weitgehend eigenständige Akteure gibt, die aber für ihre Wertschöpfung wechselseitig voneinander abhängig sind. So wird ein gemeinsames digitales Angebot geschaffen, was wertvoller ist als die Produkte und Dienstleistungen in den einzelnen Unternehmen. Das hört sich jetzt erst einmal sehr komplex an, aber ich nehme mal an, dass jeder von uns Kunde eines solchen Ecosystems ist. Also, die Klassiker sind Plattformen oder Systeme, allen voran Amazon, die letztlich zu einem sehr großen Umbruch in unserem Konsumverhalten geführt haben. Das heißt, dass diese Ecosystems und die unterschiedlichen Akteure ein gemeinschaftliches Ziel haben und die Wertschöpfung findet eben nicht mehr in der einzelnen Organisation statt, sondern genau in diesem Ecosystem. Wichtig dabei ist auch, dass die Wertschöpfung sich selbst auch verändert. Wertschöpfung wird nicht mehr primär aus einem Produkt gewonnen, also wenn wir ein Auto verkaufen entsteht dadurch nicht die primäre Wertschöpfung, sondern es geht eigentlich darum aus Daten und “Experiences“ den Wert zu schöpfen und das ist das Neue daran.

eLearning Journal: Lassen Sie uns ein bisschen näher ranzoomen an dieses große Bild, sodass wir den Bezug zur betrieblichen Bildung mehr in Augenschein nehmen können. Warum ist das wichtig für die betriebliche Bildung? Also vielleicht noch einmal, um es für uns als Input aufzulisten: Wenn wir über die betriebliche Bildung sprechen, dann sprechen wir über Ausbildung, Weiterbildung, Kompetenzentwicklung, Anpassungsqualifizierung und Aufstiegsqualifizierung. Warum ist das da so wichtig für uns?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Letztlich eigentlich aus drei unterschiedlichen Zielstellungen heraus. Zum einen ist es für uns wichtig, dass wir strategische Businesspartner sein können. Wir müssen das Business auch entsprechend beraten können. Zweitens ist es unser Job, die Mitarbeitenden entsprechend zu befähigen, dass wir sie mit den erforderlichen Kompetenzen ausstatten, um eben in diesen Ecosystems auch wirksam sein zu können. Und da zeigt sich nun in Studien, von denen eine gerade zum Beispiel von Roland Deiser an der Drucker School of Management durchgeführt wurde, dass das Topmanagement zur überwiegenden Anzahl gesagt hat – ja, für uns sind diese Ecosystems ein Zukunftsthema. Er hat hierzu Organisationen befragt, ob sie Ecosysteme nutzen und warum sie sie nutzen. Er hat auch danach gefragt, wie sich die Unternehmen durch die betriebliche Bildung, also durch Learning & Development (L&D) unterstützt fühlen. Und da haben leider nur 5 % der Unternehmen geantwortet, dass L&D schon signifikante Beiträge geleistet hat und da sehen wir wirklich erheblichen Handlungsbedarf. Das waren also diese ersten beiden Punkte. Wir müssen also mehr strategische Partner des Business sein, das zweite ist, dass wir die Mitarbeitenden befähigen müssen. Aber der dritte Punkt ist natürlich, dass wir in der Lage sein müssen, auch unser eigenes Geschäftsmodell zu stärken. Also wie können wir auch in der Organisation wirksamer werden, wie können wir auch unsere eigene digitale Transformation auf das nächste Level heben?

eLearning Journal: Woran erkenne ich denn jetzt als Akteur der betrieblichen Bildung, dass es sich um ein Learning Ecosystem handelt? Ist es bereits ein Learning Ecosystem, wenn Unternehmen Extended Enterprise Strategien fahren, das heißt, wenn sie Händlerschulungen vornehmen oder wenn sie Kundenschulungen vornehmen? Was wären so Parameter, an denen ich erkennen könnte – wow, hier handelt es sich wohl um ein Learning Ecosystem?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Also ich glaube, da können wir ganz unterschiedliche Blickwinkel einnehmen. Ich finde es ist immer hilfreich, zu verstehen, dass so wie jede Organisation eine Kultur oder Lernkultur hat, so hat jede Organisation auch irgendwie ein Ecosystem. Aber worüber wir hier sprechen ist, dass wir Ecosystems in einem bestimmten Reifegrad wollen. Das heißt, wir wollen Lernecosystems, die sich dadurch auszeichnen, und daran würde ich sie auch erkennen, dass sie hochadaptiv sind und dass ich sie als ein Zusammenhang zwischen den sozialen und den technischen Elementen betrachten kann. Und da kommen wir jetzt wieder zur Biologie, da ich in meinem Ansatz alle lebendigen Elemente, das heißt alle externen und internen Partner betrachte, aber auch gleichzeitig berücksichtige, welche Technologie nutze ich, welche Formate, welche Services und natürlich auch welche digitalen und physikalischen Räume. Wenn ich diese Elemente kenne, dann muss ich mich im nächsten Schritt fragen, wie ihre wechselseitige Interaktion das Lernen in meiner Organisation prägt. Das heißt, ich muss die Sache wirklich durch diesen holistischen Blick betrachten, um den Ecosystem-Gedanken zu erkennen. Insbesondere sollte man sich fragen, wie kann ich diese wechselseitigen Interaktionen unterstützen und wie muss ich das über die Organisationsgrenzen hinweg denken?

eLearning Journal: Ich glaube, Sie haben gerade ein wichtiges Stichwort genannt. In der betrieblichen Bildung hat sich, zumindest in den letzten fünf Jahren, im Bewusstsein der Akteure doch sehr stark dieser Blick entwickelt „Wir brauchen mehr adaptive Lernsysteme“. Das heißt, dieser Blick, den auch Charles Jennings mitentwickelt hat mit diesem sogenannten 70-20-10-Modell, sagt ja aus, dass die formale Weiterbildung in Unternehmen in der betrieblichen Bildung nur maximal 10% ausmachen. Der überwiegende Teil findet durch Learning by Doing oder im Dialog mit den Kollegen statt. Und Sie haben angesprochen, wie adaptive Lernsysteme im Haus in einem Ecosystem besser etabliert werden können. Jetzt ist meine Frage, gibt es da Modelle dazu, kann man diese Gestaltungsprinzipien zuordnen, sodass man ein systemisches Bild entwickeln kann, was sind die Zutaten und wie gehören die zusammen?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Dazu habe ich die unterschiedlichen Dimensionen zusammengetragen und abgebildet. Dabei sieht man, dass es zuallererst darum geht zu bestimmen, warum habe ich das Learning Ecosystem? Was ist Purpose, Vision und Strategie? Wir müssen uns mit den unterschiedlichsten Stakeholdern in diesem Learning Ecosystem beschäftigen. Als Learning and Development waren immer wir gut darin was den internen Blick auf die Stakeholder angeht, aber jetzt müssen wir unseren Blick auch weiten und die externen Partner auch als entsprechende Stakeholder betrachten und letztlich auch beeinflussen. Das ist wichtig, damit für unsere Lernenden eine kohärente Learning Experience, das Fazit oder der Kombinationspunkt unseres Learning Ecosystems entsteht. Was brauchen wir noch? Mit Blick auf die Abbildung müssen wir auch noch unsere Kultur und Werte mit betrachten und mitgestalten. Man kann ja sagen, das ist ja erst einmal nichts Neues, aber wenn wir jetzt die untere Hälfte der Dimensionen betrachten, dann wird dort Technologiearchitektur, Datenarchitektur und letztlich Analytics als zusätzliche Dimensionen aufgeführt. Und das ist genau das, was Sie vorhin gesagt haben, wir brauchen diese kohärente Learning Experience, die steht wirklich im Zentrum, aber wir möchten eben auch das Lernen möglichst personalisiert zur Verfügung stellen. Das heißt in meinem eigenen „Moment of Need“ sollen mir personalisierte Lösungsvorschläge gemacht werden, was könnte jetzt hier ein passendes Format, ein passender Inhalt für mich sein. Und auch da können wir uns an den Playern orientieren, die schon ein bisschen länger im Markt sind. Wenn man zum Beispiel früher eine Waschmaschine bei Amazon gekauft habt, dann hat man die nächsten Wochen immer Vorschläge für weitere Waschmaschinen bekommen. Das wäre dann ein niedriger Reifegrad und da müssen wir jetzt einfach die nächsten Schritte gehen. Personalisiert wäre die zur Verfügungstellung individuell zugeschnittener Angebote und Formate dann, wenn man sie braucht. Adaptiv wäre das Lernen, wenn es den Einzelnen im Lernprozess selbst gelingt durch Daten, die sie zurückgespiegelt bekommen, den Lernprozess selbst anzupassen. Wenn ich also weiß, hier brauche ich noch eine Wiederholung und ich muss hier nochmal eine leichtere Lektion einfügen, bevor ich mich dann mit den komplexeren Systemen auseinandersetzen kann. Und dazu brauchen wir eine Menge an Daten, weshalb die Datenarchitektur so wichtig ist. Das heißt, als Organisation muss sich damit auseinandergesetzt werden, welche Quellen habe ich überhaupt? Welche Quellen möchte ich nutzen? Da sind wir wieder beim Thema Stakeholder, was uns auch vor gewisse rechtliche Herausforderungen stellt. Wir brauchen die Betriebs- und Personalrätinnen an unserer Seite bei diesem Thema. Man sollte als Organisation eine gewisse Werthaltung vermitteln, nämlich, dass die Daten für den Lernenden eingesetzt werden und nicht letztlich verdeckt gegen den Lernenden. Das ist definitiv auch eine potentielle Gefahr, da muss man nicht drum rumreden.

eLearning Journal: Lassen Sie noch einmal einen Schritt zurückgehen, wo stehen wir denn heute?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Wenn wir uns einmal anschauen, was uns die internationale Forschung sagt, dann sehen wir, dass Learning & Development auch hier noch durch das tradierte Verständnis geprägt ist. Wir haben zwar eine hohe technologische Veränderungsrate in den Organisationen, aber wir sehen auch, dass die bestehenden Systeme eigentlich nicht zusammenarbeiten. Also etwas wissenschaftlicher ausgedrückt, wir haben eine fehlende Interoperabilität zwischen den Systemen. Das heißt, dass ein Learning Management System vielleicht schon über Jahre genutzt wird, aber die Frage ist, ob es auch mit allen neuen Technologien, die wir integriert haben, spricht. Wir sind also in einem Stadium der stark diversifizierten, isolierten Lernsysteme und Formate wodurch uns auch nur sehr wenig nutzbare Daten zu Verfügung stehen. Vor Corona, das muss man ja heute immer dazu sagen, haben wir explorative Interviews t mit Early Adoptern geführt, die Learning Ecosystems in der Organisation schon nutzen. Diese merken eine Zunahme an externen Einflüssen. So sehen wir, dass andere Player auf dem Markt wie Linkedin oder Degreed einen großen Druck ausüben. So kann nicht davon ausgegangen werden, dass wir die Alleinhoheit über Lernen in der Organisation haben. Das ist in ganz vielen Fällen völlig in Ordnung und kein Problem. Aber es gibt natürlich auch Situationen, in denen ist nicht jeder Content, der auf Google gefunden wird, einer den ich in der Situation als Best Practice nutzen würde. Also der Content passt dann vielleicht nicht zu meinen organisationalen Zielen. Die Early Adopters haben auch darüber gesprochen, dass die Erwartung der Lernenden durch die Consumer Erfahrung geprägt ist. So war eine befragte Person stolz darauf, dass sie neue Systeme im Unternehmen implementiert haben, aber dann kamen die Lernenden und sagten „Ja okay und ich muss da echt noch etwas eingeben, ihr habt da noch keine Sprachsteuerung?“. Wir merken hier, dass ein ganz neuer Druck auf uns als L&D-Verantwortliche entsteht. Letztlich haben diese Personen auch berichtet, dass sie eine starke Ambidextrieanforderung merken, also wir müssen immer noch klassische Formate bereitstellen wie Präsenzveranstaltungen, die vor Corona auch immer noch wichtig waren. Aber gleichzeitig müssen wir eben auch diese disruptiven Technologien managen und irgendwie integrieren ohne dass unsere Lerner nicht völlig überfordert und planlos sind. Das heißt, dass dieses Thema, schon stark an Aufmerksamkeit gewonnen hat, aber dass wir vor allem bei den Themen Technologie, Daten und auch Analytics, eher noch in den Anfängen stecken. Daher glaube ich, dass in der nächsten Zeit unsere Aufmerksamkeit noch stärker auf diese Themen gelenkt werden muss.

eLearning Journal: Wenn wir uns dieses Bild jetzt anschauen, was Sie gezeichnet haben, dann können wir ja die einzelnen Akteure erkenne, die in der betrieblichen Bildung einen Beitrag dazu leisten könnten, sich in diesem Bereich weiter zu entwickeln. Aber wie kann ich denn selber als Akteur der Personalabteilung oder der Weiterbildungsabteilung mich zum Initiator machen? Was wären so die ersten Stepps, die ich anschieben kann?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Auch wenn es natürlich ein großer Attraktor ist, sollte man auf keinen Fall mit der Technologie starten. Start with the why – also ganz klassisch festlegen, was sind die Visionen, was ist das Zielbild, das für die Organisation gebraucht wird. Und das alles immer in Relation zum Business und den Business Needs. Christoph Meier von der Visa University zum Beispiel hat hervorgehhoben, dass man als Learning &Development Partner immer schauen sollte, wie man sich im Business positioniert. Wenn mein Business sehr datengetrieben ist, dann ist das das Einstiegstor. Genauso ist es glaube ich für jede Organisation, auch wenn der Weg für jeden unterschiedlich sein kann. Das heißt, erst einmal schauen, was ist unser gemeinsames Zielbild? Da brauche ich die unterschiedlichen Stakeholder und Akteure an einem Tisch. Im zweiten Schritt schauen, wie man diese mit welchen unterschiedlichen Technologien umsetzen kann. Basierend aus den Erfahrungen der eben genannten Interviews empfehle ich, vieles zu hinterfragen und die unterschiedlichen Anbieter zu challengen. Was ist eure Antwort darauf? Wie unterstützt ihr das genau? Wie stellt ihr nicht nur heute, sondern auch in Zukunft die Integrationsfähigkeit anderer Systeme sicher? Das ist wichtig, denn nicht überall, wo heute Learning Ecosystem draufsteht, ist es auch unbedingt drin. Ich glaube, das wären so für mich die Schritte.

eLearning Journal: Wenn wir uns jetzt noch einmal in diesen L&D-Akteur hineinversetzten, ist es jetzt ja nicht so, dass jeder Hochschulabsolvent, jeder Berufspädagoge oder Personalentwickler diese Konzepte schon in der Ausbildung vermittelt bekommt. Gibt es Unternehmen oder Organisationen, wo Sie schon erkennen können, ja die sind auf einem guten Weg, da lohnt es sich mal ein bisschen näher reinschauen? Es gehört ja auch zu einem Learning Ecosystem dazu, transparent zu sein und damit für eine Orientierung beizutragen.

Prof. Dr. Anja Schmitz: Auf unterschiedlichen Messen hat Lufthansa ihre Ansätze vorgestellt und auch Audi nutzt genau diesen Begriff des Learning Ecosystems. Dabei finde ich besonders schön, dass Audi explizit, auch schon vor der CORONA-Krise, den physikalischen Raum als Gestaltungsdimension mit aufgenommen hat. Innogy hat sich auch intensiv mit dem Thema Learning Ecosystems beschäftigt. Wie vorhin schon erwähnt, ist auch Visa als Organisation in diesem Bereich aktiv und hat ihren Ansatz und ihre Visualisierung schon veröffentlicht. Auch habe ich mich in einem Webinar mit Kai Liebert von Siemens über dieses Thema ausgetauscht sowie mit Herrn Suat Korkut von Mercedes Consulting. Also ich denke, das sind alles wichtige Player am Markt, mit denen man sich gerne vernetzen kann.

eLearning Journal: Letzte Frage, wenn wir jetzt noch einmal auf den Mitarbeiter schauen, also das heißt der Lernende im Unternehmen, gibt es da bestimmte Skills oder bestimmte Level, die Voraussetzung wären, sodass ich mich auch in einem Learning Ecosystem orientieren kann?

Prof. Dr. Anja Schmitz: Also ich glaube, die Aufgabe ist vielleicht aus zwei Perspektiven zu beleuchten. Zunächst müssen wir als Learning Ecosystem Verantwortliche einiges dafür tun, um die heute vorherrschende Verwirrung der Lernenden etwas zu verringern. Dies fängt oft schon bei sehr banalen Dingen an, wie eine kohärente Learning Experience, in der man sich nicht für die unterschiedlichen Angebote an 30 unterschiedlichen Stellen neu einloggen muss. Zum anderen müssen die Mitarbeiterseiter auch sagen, was sie brauchen und somit dem L&D-team eine aktive Orientierung geben. Das heißt, der Mitarbeiter sollte sich fragen, wie kann ich denn selbst Verantwortung übernehmen für meine eigene Employability, was sind die Skills, die für mich nicht nur heute, sondern auch in Zukunft relevant sind? So kann hier von einem explorativen Lernen und zukunftsorientiertem Lernen gesprochen werden, welches in selbstgesteuerter Art und Weise ausgeführt wird. Ich glaube, hier ist auch noch mal ein ganz wichtiger Marker zu setzen: In der Zukunft werden wir merken, dass die technologischen Möglichkeiten uns viel Selbststeuerungsarbeit abnehmen werden. Früher musste ich zum Beispiel Karten lesen, heute leitet mich mein Navigationsgerät. Ich glaube, da ist es wichtig, dass wir immer die Systeme noch einmal hinterfragen und schauen, ob sie nicht den Lernenden entmündigen. Vorschläge sind gut, aber wir müssen darauf aufpassen, dass diese Selbststeuerungsmöglichkeit und auch Notwendigkeit für den Lernenden noch erhalten bleibt.

eLearning Journal: Ein tolles Schlusswort. Vielen Dank liebe Frau Schmitz!

Redaktion: Lars Wicke


Profil

Prof. Dr. Anja Schmitz

ist seit 2016 Professorin für Personalmanagement an der Hochschule Pforzheim nach Stationen in den USA und Heidelberg. Sie lehrt in den Bereichen BWL/Personalmanagement (B.Sc.) und Human Resources Management (M.Sc.) Darüber hinaus lehrt sie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg im Master „Organisational Behavior and Adaptive Cognition“. Ihr interdisziplinärer Werdegang im Bereiche, der Personal- und Organisationsentwicklung macht sie zu einer Expertin in Forschung und Praxis auf diesem Gebiet.

 


Literatur

Mahadevan, J., & Schmitz, A. P. (2020).:

HRM as an ongoing struggle for legitimacy. Baltic Journal of Management.

Diese Studie zeigt, wie angenommene „HR-Trends“, wie die kürzlich erfolgte Förderung des Employee Experience (EX), niemals wertfreie Ideen einer vermutlich objektiven „Best Practice“ sind, sondern vielmehr ein Mittel zur Legitimation von HR in der Organisation. Die Auswirkung dessen werden untersucht.

doi.org/10.1108/BJM-10-2018-0368

 


Kontakt

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