Agiles Projektmanagement und Lernen aus Sicht der Arbeitswissenschaft

„Kontrolle steht nicht mehr im Mittelpunkt“

Prof. Dr. rer. pol. Martin Kröll von der Ruhr Universität Bochum (RUB) über den Hype des agilen Projektmanagement

Wie hängt agiles Arbeiten und Lernen zusammen? Ist mein Unternehmen eigentlich schon agil? Wie genau kann ich agiles Lernen und Managen umsetzen? Diese und noch weitere spannende Fragen stellen wir Professor Dr. rer. pol. Martin Kröll von der Ruhr Universität Bochum (RUB). Dr. Kröll ist Fachbereichsleiter am Institut für Arbeitswissenschaft der RUB und schildert seine Erfahrungen im direkten Umgang mit agilem Projektmanagement und Lernen in Unternehmen.

eLearning Journal: Herr Dr. Kröll, was müssen wir uns zur Universität Bochum und dem Institut für Arbeitswissenschaft merken, womit beschäftigt ihr euch da?

Prof. Dr. Martin Kröll: Zunächst einmal ist das Institut für Arbeitswissenschaft an der Uni Bochum eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung. Wir bieten einen Postgraduiertenstudiengang an, der sich Master of Arts in Organizational Management nennt. Unsere Zielgruppe sind die mittleren Manager, da wir der Auffassung sind, dass ihnen im Kontext der digitalen Transformation eine Schlüsselrolle zufällt, um im Wechselspiel zwischen bottom up und top down Strategien und Veränderungen durchzusetzen.

eLearning Journal: Dein persönlicher Wirkungskreis, wie groß ist der? Was ist der Schwerpunkt deines Wirkungskreises?

Prof. Dr. Martin Kröll: Ich selber habe an der Universität Köln studiert und zum Thema Lehr- und Lernplanung promoviert und habe da unter anderem auch am Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk gewirkt. Am Institut für Arbeitswissenschaft beschäftige ich mich mit dem Forschungs- und Lehrthema Innovations- und Qualitätsmanagement aus der beruflichen Perspektive, der beruflichen Kompetenzentwicklung heraus. Das Besondere an unserem Studiengang ist, dass wir für diesen postgradualen Studiengang für mittlere Manager ein besonderes Lehrkonzept entwickelt haben, ein digital gecoachtes Selbststudium mit Praxiswochen. Das hat das Ziel, dass wir die Teilnehmer nicht nur mit den erworbenen Kompetenzen alleine lassen, sondern mit ihnen erste Transferschritte gehen in Richtung der Umsetzung der erworbenen Kompetenzen.

eLearning Journal: Ja, also das mit der Bedeutung des mittleren Managements ist eine Sandwich-Situation, das kann ich von unserer Seite als Herausgeber des eLearning Journals sehr unterstützen. Die digitale Transformation der betrieblichen Bildung wird insbesondere auf Abteilungsebene verhandelt und das Stakeholder-Management ist in der Regel ein informelles Stakeholder-Management mit den einzelnen Interessenvertretern. Da ist der Ansatz, den wir heute besprechen, sicherlich hilfreich, um einen Blick auf die betriebliche Bildung zu werfen. Zur Orientierung meine erste Frage: Was unterscheidet eigentlich das Verständnis von agilem Projektmanagement von dem was wir vom allgemeinen Projektmanagement haben?

Prof. Dr. Martin Kröll: Also, in der Vergangenheit ging es im Projektmanagement darum, ausgehend von einer Projektaufgabe eine Planung durchzuführen und zu strukturieren. Das Besondere ist, das diese klassische Projektmanagementvorgehensweise im Kontext zum Beispiel von Softwareentwicklung an Grenzen gestoßen ist. Und dieses sogenannte Wasserpfeilmodell, das alte Modell des Projektmanagements, wird ersetzt durch ein neues. Dabei geht es insbesondere um zügige Taktung sowie zeitnahe Rückmeldung und um crossfunktionale Teams, die sich selber organisieren. Es werden sozusagen auch neue Rollen etabliert wie Product Owner, Scrum Master, die auch neue Tätigkeiten und Aufgaben schaffen wie z.B. Sprints, Daily Report etc.

eLearning Journal: Wir kommen auch gleich noch zu Praxisbeispielen, aber was bedeutet das jetzt für den Beschäftigten? Für den Projektbeteiligten? Was ändert sich für ihn in seiner Rolle?

Prof. Dr. Martin Kröll: Also zunächst einmal ändert sich für ihn das, dass er in vernetzten Arbeitsprozessen denken muss und dieses Silodenken muss er überwinden. Dabei muss er, je nachdem welche Rolle er im Kontext des agilen Projektmanagements hat, seine Arbeit selbst organisieren und koordinieren.

eLearning Journal: Wenn jetzt aus der oberen Führung das Signal kommt, jetzt arbeiten wir agil, wir lernen agil und wir machen agiles Projektmanagement! Braucht der Beschäftigte da eine formelle Fortbildung oder wie kann ich da herangeführt werden?

Prof. Dr. Martin Kröll: Also, im Prinzip wäre es schon gut, wenn eine Qualifizierung stattfindet und zum Teil findet diese auch in den Unternehmen statt. Viele Unternehmen setzten diese agilen Projektmanagementmethoden ein, vor allem Scrum und Design Thinking . Da wäre es natürlich erforderlich, das Qualifizierung stattfindet. Dazu muss ich aber sagen, dass wir in unserem Projekt, „Karriere 4.0“ uns das mehr oder weniger selbst angeeignet haben. In dem Projekt entwickeln wir eine Lernplattform für Mentees und Mentoren, sodass sie sich gegenseitig unterstützen und neue Beschäftigungsideen kreieren können. Da haben wir uns sozusagen alles selber beigebracht, welche Rollen gibt es denn da, welche Aufgaben haben Product Owner oder Scrum Master, welche Aufgaben hat das Entwicklungsteam? Das wäre es schon gut, wenn das über eine Einführung erfolgt, aber manchmal geschieht das nicht.

eLearning Journal: Obwohl wir gerade erst mit unserem Gespräch angefangen haben, ist der Begriff Scrum Master jetzt bereits wiederholt gefallen. Was steckt da genau dahinter? Was bedeutet das, Scrum Master und Scrum?

Prof. Dr. Martin Kröll: Der Scrum Master koordiniert die Aufgaben im agilen Projektmanagement und vermittelt zwischen den Entwicklungsteams und dem Product Owner und koordiniert dabei auch die Sprints. Die Herausforderung dieser Aufgabenstellung ist, dass die Sprints alle zwei bis vier Wochen stattfinden beziehungsweise beendet werden. Anschließend findet eine Rückmeldung statt. Und um bei unserem Beispiel zu bleiben, wird die Rückmeldung in den Zusammenhang mit den Lernplattformnutzern gebracht, wo zu im Vorfeld sogenannte User Stories entwickelt werden. Die jeweiligen Entwicklungsteams versuchen dann, diese User Stories umzusetzen. Das Interessante bei diesem agilen Projektmanagement ist jetzt aber, dass es nicht nur im Softwarebereich angewendet wird. Sondern es werden mittlerweile diese agilen Projektmanagementmethoden auch in anderen Kontexten im Arbeitsleben angewendet und das auch im Lernen. Das heißt also, dass im Kontext der Didaktik, Scrum oder agile Managementmethoden eine besondere Methodik im Kontext der Lernvermittlung sind.

eLearning Journal: Professor Axel Koch hatte ja dieses Buch vorgelegt „Change mich am Arsch!“. Darin diskutiert er, dass von den Beschäftigten immer mehr erwartet wird, sich zu verändern und anzupassen. Auch hier ist es ja ein großer Einschnitt vom traditionellen Projektmanagement zu der Rolle, die der Beschäftigte jetzt einnehmen soll. Neben einer Qualifizierung, gibt es andere Maßnahmen, die ich als Unternehmen tätigen kann, um die Akzeptanz für diesen Change zu erhöhen?

Prof. Dr. Martin Kröll: Die Umsetzung der agilen Projektmanagementmethoden ist ohne die Beteiligung der Mitarbeiter kaum umsetzbar und man muss sie mitnehmen. Bei Veränderungsprozessen oder Change-Prozessen spielt immer die Frage der Akzeptanz eine zentrale Rolle und die Frage der Reflektion über das, was zu tun ist. Bezogen auf die agilen Projektmanagementmethoden, haben wir die Herausforderung, da wir agile crossfunktionale Entwicklungsteams haben, dass ein gewisses Empowerment stattfinden muss. Sonst besteht die Gefahr, dass die Entwicklungsteams mehr oder weniger den Takt der Sprints schutzlos ausgeliefert sind. In dem Zusammenhang müssen natürlich die Mitglieder und Entwicklungsteams in diesem Empowerment geschult werden. Das heißt, es kann nicht nur darum gehen, zu sagen, man darf Empowerment durchführen, sondern man muss es auch können und sich die entsprechenden Kompetenzen aneignen. Die zweite Herausforderung liegt im Feedback. In dem Prozess geht es sehr stark um Feedback bekommen, Feedback geben und da unterscheiden wir ja zwischen konstruktivem und destruktivem Feedback und das ist nicht ganz so einfach. Wir wissen aber, dass Feedback, eine zentrale Rolle spielt, wenn es um das Lernen geht. Aber auch da ist im Prinzip wieder die Qualifizierung gefragt beziehungsweise wäre die Frage zu stellen, verfügen denn die jeweiligen Scrum Master, Entwicklungsteams und Product Owner über die richtigen oder ausreichenden Reflexionskompetenz, sodass sie die Daily Scrum und die Retrospektive vorteilhaft nutzen können? Und ich glaube, da gibt es jede Menge Potential auch zur Qualifizierung. Das heißt also, es gibt zwei große Felder im Bezug zu Deiner Frage. Wie bereite ich diejenigen, die in diesen Teams arbeiten, auf Empowerment vor und wie qualifiziere ich sie? Und das zweite ist dann die Frage, wie kann ich Reflexionskompetenz vermitteln? Gleichzeitig müssen wir darüber hinaus noch berücksichtigen, dass es nicht nur um das Empowerment von Teams geht, sondern die Rolle der Führungskräfte muss auch neu gedacht werden. Und das stellt durchaus eine Herausforderung dar. Das heißt also, Kontrolle steht da nicht mehr im Mittelpunkt, sondern es ist die Frage, wie können die Teams durch die Führung unterstützt, beraten und koordiniert werden, damit sie ihre Aufgaben im Sinne der Kunden erfüllen können.

eLearning Journal: Lass uns noch ein bisschen näher an dieses Bild ranzoomen, um es mal etwas lebendig zu machen! Ihr habt Forschungs- und Entwicklungsprojekte genau zu diesem Thema und erzähl uns doch mal von Beispielen aus eurer Praxis. Was ist dort die Herausforderung gewesen, wie seid ihr vorgegangen und welche Ziele setzt ihr euch da?

Prof. Dr. Martin Kröll: Wie schon gesagt, haben wir erst kürzlich eine Lernplattform entwickelt. Ziel dieser Plattform ist es, Jugendliche bei der Entwicklung einer Dienstleistungsidee durch Mentoren und Experten zu unterstützen. Die Herausforderung war in dem Zusammenhang oder ist immer in diesem Kontext, User Stories zu entwickeln. Wir hatten 60-70 User Stories, die dann zu gewichten und umzusetzen, ist eine riesengroße Herausforderung. Die Softwareentwickler dürfen natürlich nicht vor unmögliche Probleme gesetzt werden, sondern brauchen User Stories, die auch umsetzbar sind. Das heißt, wir haben eine User Story geschrieben, die eine Anforderung an die Lernplattform hat und haben dann aber festgestellt, dass die Umsetzung nicht so war, wie wir uns das eigentlich vorgestellt haben. Das führt dann in der Retrospektive zu Feedbackschleifen und zu Veränderungen, was nicht ganz so einfach ist. Darüber hinaus haben wir natürlich andere Tools benutzt wie Trello, um die Aufgaben zu koordinieren und zu bearbeiten. Im Kontext von agilen Projektmanagementmethoden sagt man eigentlich, dass man eine gewisse Vertrauenskultur schaffen muss, damit die Umsetzung auch gelingt. Gleichzeitig müssen aber auch alle Entwicklungsteams in angemessener Form beteiligt werden. Bei der Einführung von agilem Projektmanagement wird jeder die Erfahrung machen, dass am Anfang immer die Frage der Rollenklärung steht. Also, wer ist denn Product Owner, wer Scrum Master, welche Rolle habe ich denn? Das ist in dem Zusammenhang auch nicht so einfach, weil es ein bisschen dauert, weil jeder so ein bisschen seine Aufgabe anders versteht. Und dann muss man miteinander arbeiten, sich absprechen und abstimmen, wie die Aufgabenverteilung ist, damit es nicht zu Konflikten oder Missverständnissen kommt.

eLearning Journal: Aus diesem Praxisbeispiel, welche Funktion haben solche User Stories?

Prof. Dr. Martin Kröll: Also, User Stories haben im Prinzip die Funktion, dass sie die Anforderungen darstellen, die man in dem Fall an eine Lernplattform stellt. Und diese Anforderungen müssen dann technisch umgesetzt werden. Also beispielsweise, dass man in Lerngruppen zusammenarbeiten kann. In unserem Konzept steht der persönliche Entwicklungsplan jedes Lerners im Fokus. Also, jeder Lerner hat der Idee nach einen persönlichen Entwicklungsplan – mehr oder weniger rudimentär. Und es geht darum den Lerner dabei zu unterstützen, seinen persönlichen Entwicklungsplan zu konkretisieren und die nächsten Schritte auszumachen im Hinblick auf die Umsetzung. Dazu sollen dann Experten herangezogen werden, das können Führungskräfte sein aus anderen Abteilungen, das können Arbeitsmarktexperten sein oder so etwas, die dann sagen, ok, was ist denn eigentlich der nächste Schritt, damit du dich weiterentwickelst und deine Beschäftigungsfähigkeit sicherstellst.

eLearning Journal: Ihr arbeitet ja sehr eng mit der Wirtschaft und Unternehmen zusammen. Die Unternehmen, mit denen ihr jetzt agile Projektmanagementprojekte auflegt, hatten die denn schon Vorerfahrungen zu agilem Projektmanagement oder ist das meist ihr erster Kontakt mit diesem Konzept?

Prof. Dr. Martin Kröll: Das ist eigentlich sehr unterschiedlich, aber es gibt natürlich Vorreiterunternehmen, die schon sehr viele Erfahrungen gesammelt haben im Bereich agiles Projektmanagement: Siemens, Mercedes und auch VW. Das Entscheidende ist bei dieser Transformation, dass wir herausgefordert sind, die Veränderungen in bestehenden Organisationen durchzuführen, das heißt also, es geht ja nicht nur darum, bei Start-ups agile Projektmanagementmethoden einzusetzen, sondern wir haben es mit gewachsenen, bestehenden Organisationen zu tun. Das ist durchaus eine Herausforderung, weil wir natürlich auch klassisch bürokratische Arbeitsmodelle haben. Da ist es halt die Frage, inwieweit die verändert oder angepasst werden können, damit man den Herausforderungen der digitalen Transformation gerecht wird. Letztlich geht es ja um ein ganz neues Zusammenspiel zwischen Menschen, Organisation und Technologie. Die Herausforderung ist, dass die Organisationen einbezogen werden müssen in diesen Prozess und was wir in den Unternehmen gemerkt haben, wo wir unterwegs sind, dass die neuen agilen Methoden doch eine gewisse Unruhe und Unsicherheit erzeugen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Vorhersehbarkeit doch begrenzt ist im Hinblick, in welche Richtung sich das entwickelt. Nichtsdestotrotz ist die Veränderungsgeschwindigkeit enorm. Gerade auf den Märkten steigt die Komplexität von den Projekten und das Problem ist eigentlich, dass im agilen Projektmanagement diese klassischen Managementstrukturen zum Teil eingebettet werden müssen und da gibt es natürlich hin und wieder Probleme bei der Umsetzung. Aber das ist aus meiner Sicht eine Herausforderung der Personalabteilung und auch für die Personalentwicklung. Hier kann sie helfen, unterstützen, coachen, beraten und kann diesen Change- und Wandlungsprozess mit begleiten. Das wäre hier eine zentrale Aufgabe aus meiner Sicht.

eLearning Journal: Die Beispiele, die du da gerade genannt hast, das sind sehr große Unternehmen mit sehr viel Mitarbeitern. Bei Siemens sprechen wir alleine schon von über 400.000 Mitarbeitern weltweit. Wie klein kann denn ein Unternehmen sein, dass agiles Projektmanagement Sinn machen kann? Ist das auch etwas für klassische KMUs?

Prof. Dr. Martin Kröll: Ja, nicht nur das, also wir arbeiten zum Beispiel auch mit viele Autozulieferern zusammen, die nicht wirklich groß sind. Sei es jetzt, dass sie Motorenteile entwickeln oder Sitze. Diese Automobilzulieferer stehen vor der Herausforderung, dass die meisten Aktivitäten in Form von Projekten durchlaufen. Also, man stellt sich beispielsweise vor, Hella entwickelt eine neue Lampe für ein Produkt, ein neues Auto von VW oder wie auch immer und dabei ist man darauf angewiesen, dass man sich gegenseitig abstimmt. In diesen Situationen ist es auch für diese kleinen und mittelständischen Unternehmen von zentraler Bedeutung zu erkennen, wer ist denn jetzt ein Scrum Master, was ist denn mit den Sprints und wer ist Scrum Owner in unserem Kontext? In dem Sinne ist es natürlich auch für mittelgroße Unternehmen eine große Herausforderung, sich diesen Aufgaben zu stellen und die entsprechenden Kompetenzen in den Unternehmen aufzubauen. Hier ist dann auch wieder die Personalentwicklung der mittelgroßen Unternehmen gefragt. Also, wir brauchen das Empowerment, das heißt, die Menschen müssen die Fähigkeit haben, sich selber zu organisieren in Teams. Wir brauchen entsprechende Reflexionskompetenz, die vorhanden sein muss. Und wir müssen die Führungsrollen neu denken und neu koordinieren. Das sind alles Bedarfe für Personen, die sich im Bereich Personalentwicklung aktiv beteiligen. Dabei dürfen wir eines nicht vergessen bei diesem Ganzen: Das ist der Zusammenhang zu den Betriebsräten, die eine sehr aktive Rolle spielen können. Deshalb ist auch von der Personalabteilung gefragt, eine Vertrauenskultur zum Betriebsrat herzustellen, damit die digitale Transformation im Unternehmen gelingt.

eLearning Journal: Unsere Leser sind in der Regel weiterbildende Fachkräfte oder, etwas verblümt ausgedrückt, eLearning Professionals. Das heißt, sie kommen aus Personalabteilungen, Weiterbildungsabteilungen und vielleicht auch aus anderen Abteilungen des internen Stakeholdermanagements. Aber so wie du es ja auch beschrieben hast, kommen die Akteure ja aus dem mittleren Management, was ja auch euer Schwerpunkt ist. Wenn ich aus diesem mittleren Management jetzt einen Impuls setzen möchte an die höhere Führung, was wären die Vorteile, die ein Unternehmen ganz konkret erwarten kann, wenn sie agiles Projektmanagement erprobt?

Prof. Dr. Martin Kröll: Also, die Unternehmen sind ja sehr stark herausgefordert, kurz und zügig auf Prozesse zu reagieren, Feedbackprozesse durchzuführen und letztlich deshalb, damit der Umbruch im Hinblick auf die digitale Transformation gelingt. Deswegen geht es eben darum, im Sinne dessen neue Beteiligungsformen und neue Sozialpartnerschaften zu gründen. Digitalisierung ist ja mehr die Technik und es geht ja vielmehr darum, neue Geschäftsmodelle zu etablieren und Arbeit neu zu denken. Das heißt also, weg von diesen bürokratischen Unternehmen hin zu agilen Organisationen. In diesem Zusammenhang geht es um neue Herausforderungen für Beschäftigung und Qualifizierung, um neue und nachhaltige Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sowie Führung und Innovation.

eLearning Journal: Lass uns zum Abschluss noch einmal auf die Themen Arbeiten und Lernen eingehen. Das betriebliche Lernen wird ja immer arbeitsplatznäher und das Bewusstsein der Akteure ist immer mehr darauf ausgelegt, Prozesse und Lernszenarien zu entwickeln, die agiles Lernen fördern. Was würdest du uns mit auf den Weg geben, was agiles Lernen eigentlich ausmacht?

Prof. Dr. Martin Kröll: Man kann die verschiedenen agilen Methoden aufgreifen wie beispielsweise Scrum und auf das Lernen übertragen. Genauso, wie man agiles Projektmanagement macht, kann man Scrum dazu nutzen, um neue Lernformen zu etablieren. Auch in diesem Zusammenhang gibt es dann drei wesentliche Rollen. Einerseits das Lernteam, den Product Owner – das ist in der Regel der fachliche Lernbegleiter und den Scrum Master oder der Prozesslernbegleiter in dem Zusammenhang. Wir haben auch da ein Konzept entwickelt, in dem wir Fragen aufgreifen wie: Welche Aufgaben haben die Lernteams, die Product Owner. In dem Zusammenhang spielt Feedback geben auch wieder eine wichtige Rolle. Die Product Owner werden darin geschult, zu erkennen, wann Feedback eigentlich konstruktiv und hilfreich ist. Sie müssen wissen, wie es aussehen muss, damit Lernen geschieht und nicht hindert. Eine Schulung ist auch für die Lernprozessbegleiter wichtig, die die Lernteams zusammenstellen müssen, die Lernsprints organisieren müssen, die Störfaktoren herausnehme müssen, sodass das Lernen stattfinden kann. Also, in dem Sinne ist es ein umfassendes Konzept, was da etabliert werden kann, auch in mittelgroßen oder größeren Unternehmen. Und da sind wir in dem Kontext durchaus sehr erfolgreich mit unserem Projekt „Karriere 4.0“ und würden uns freuen, mit weiteren Unternehmen zusammenzuarbeiten.

eLearning Journal: Vielen Dank erst einmal an dieser Stelle, Martin. Du hast kürzlich ein neues Buch vorgelegt, was ist der Titel und der Themenschwerpunkt deines neuen Buches?

Prof. Dr. Martin Kröll: Der Titel des Buches, das heißt „Innovationsprojekte und organisationalen Wandel professionell gestalten“ und ist im Springer Verlag erschienen. Das Entscheidende ist im Prinzip, dass wir ja bei diesen Veränderungen immer wieder mit Widerständen zu kämpfen haben, was ganz normal ist. Aber das Entscheidende ist ja, dass es uns gelingt, insbesondere auch als Personalentwickler oder diejenigen die verantwortlich sind für die betrieblichen Lernprozesse, Widerstände als Lernchance zu nutzen. Und dazu muss man sich natürlich die erforderlichen Kompetenzen aneignen. So werden im Kontext zukünftiger Entwicklungen Selbstregulationskompetenzen zentrale Metakompetenzen, die wir herausarbeiten wollen. Im Buch wird die Verknüpfung zu den ressourcenorientierten Ansätzen hergestellt. Das heißt, es geht darum, diese distinktiven Kompetenzen herauszuarbeiten, sodass ich durch Kompetenzen im Unternehmen nicht substituierbar und nicht ersetzbar bin. Und das Besondere in diesem Zusammenhang die Rolle des impliziten Wissens. Das Buch beschäftigt sich auch intensiv mit dem Thema, wie erfolgreiche Implementierung gelingen kann, wie auch agile Projektmanagementmethoden. Wenn man die Organisationskultur nicht berücksichtigt, führt das zu einem Desaster. Also ist die Frage, und damit beschäftigt sich auch das Buch, inwieweit man Organisationskultur berücksichtigen kann und umsetzt. Und davon hängt es auch ab, inwieweit es möglich ist, diese agilen Projektmanagementverfahren umzusetzen, denn es kommt letztlich auf ein Wechselspiel zwischen bottom-up und top-down an. Am Ende wird das Buch sehr praxisnah, wie kann man bei Veränderungsprozessen Widerstände oder Potentiale erkennen? Wie kann man sie gewichten und mit ihnen arbeiten? Das ist der zentrale Punkt, in dem es in diesem Buch geht. Ich würde mich darüber freuen, wenn die Leser Interesse daran haben, auch über das Buch hinaus in irgendeiner Weise mit uns zusammenzuarbeiten. Wir haben ein sehr starkes Interesse daran, mit Praktikern zusammenzuarbeiten. Da sind wir so ein bisschen geprägt von der Idee des komplementären Verhältnisses von Theorie und Praxis. Aus unserer Sicht ist dieses Erfahrungswissen, das die Praktiker haben, von wesentlicher Bedeutung, um Probleme in der Praxis zu lösen.

eLearning Journal: Tolles Schlusswort, vielen Dank Martin!

Redaktion: Lars Wicke

Beitragsbild: AdobeStock – Sergey Nivens


Profil

Prof. Dr. rer. pol. Martin Kröll

ist Leiter des Fachbereiches Personalwirtschaft und Qualifizierung des Instituts für Arbeitswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Er hält Lehrveranstaltungen unter anderem zur Organisation des qualitätsorientierten Personalmanagements und zur Personalentwicklung zwischen Weiterbildung und Kompetenzentwicklung. Seit 2004 fungiert Kröll als Mit-Herausgeber der Reihe „Bochumer Beiträge zur Arbeitswissenschaft“ und ist, neben regen Publikationstätigkeiten aktueller Forschungsergebnisse, Autor diverser Fachbücher (siehe „Literatur“).

 


Literatur

Martin Kröll:

Innovationsprojekte und organisationalen Wandel professionell gestalten: Theorie der Reflexion und Reflexionskompetenz

In diesem Buch beschreibt Martin Kröll Strategien und Methoden, um die Schwierigkeiten von Innovationsprojekten zu umkurven. So sollen nicht nur Ressourcen, Frustrationspunkte und unerwünschte Ergebnisse vermieden werden, sondern der Leser soll dazu motiviert werden, die Herausforderungen der Metatrends wie Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz, Globalisierung oder der demographische Wandel zu meistern. Es geht darum, den Akteuren Wissen zu vermitteln, um die Anzahl und Qualität von Innovationsprojekten zu erhöhen.

 

ISBN: 978-3-658-29136-5
Verlag: Springer, Gabler
Sprache: Deutsch


Kontakt

Prof. Dr. Martin Kröll
Ruhr Universität Bochum

Tel.: +49 (0) 234 / 322 32 93

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