Virtuelle Lernwelten aus der Sicht eines anwendenden Betriebs

„Im Gegensatz zum eLearning halt einen Schritt weiter“

Stefan Adam ist Fachexperte für virtuelles Lernen bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) über die Anwendung einer virtuellen Lernwelt in der betrieblichen Weiterbildung.

Virtuelle Lernwelten – ein Wunschtraum von vielen Akteuren in der Personal- und Weiterbildung. Aber wie kann man diesen Traum Realität werden lassen? In diesem Gespräch unterhalten wir uns mit einem Fachexperten auf diesem Gebiet: Adam Steffan. Verantwortlich für die Bildungsmedien erhalten wir durch ihn einen Einblick hinter die Kulissen der Entwicklung und Anwendung eines solchen virtuellen Formats. Seit einigen Jahren nutzt die SBB eine virtuelle Lernwelt in der Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, aber was sind die konkreten Vorteile, was die größten Schwierigkeiten in der Umsetzung einer solchen Lernwelt?

eLearning Journal: Was steht hinter SBB und womit beschäftigt sich SBB?

Stefan Adam: Das sind die Schweizerischen Bundesbahnen. Natürlich mit der Eisenbahn im Kerngeschäft, aber das bringt vieles mehr mit sich. Da geht es darum, die Züge zu unterhalten, die Züge zu fahren, die Züge zu begleiten, Gleise für die Züge hinzustellen und Güter transportieren lassen. Ich sage immer, als Bahnunternehmen deckt man eine wahnsinnige Breite ab. Das geht sogar hin bis zu irgendwelchen Ärztesoftwares, die für unseren bahnärztlichen Dienst benutzt wird, die man sicherlich nie auf dem Radar hat, dass es die bei uns gibt.

eLearning Journal: Da sind wir als Deutsche aus mehreren Gründen auch so ein ganz klein wenig neidisch. Zum einen fahren die Züge in der Schweiz wirklich nach Fahrplan und man kann sich darauf einstellen, dass, wenn man eine Minute zu spät kommt, keine Chance mehr hat. Da ist es nicht so, dass man schon zu spät ankommt und dann muss man noch 20 Minuten warten, bis der Zug kommt. Zum anderen bekommt man zwar eine Pizza kaum unter 25 Euro, aber ein Ticket für die Schweizer Bahn ist durchaus bezahlbar. Eine dritte Geschichte bezieht sich auf virtuelle Lernwelten, also direkt das Thema worüber wir heute sprechen wollen. Als ihr diesen neuen großen Tunnel gebaut habt, habt ihr auch eines der größten europäischen eLearning-Projekte durchgeführt, um auch schon im Vorfeld die Mitarbeiter zu schulen, wie Katastrophenschutz usw. Das war notwendig, damit alle vorbereitet sind, wenn die Tunnel eröffnet werden. Das ist zwar jetzt schon ein bisschen her, aber vielleicht kannst du uns da noch einmal schildern, was das für digitale Lernwelten und eLearning-Projekte waren, die ihr da aufgebaut habt?

Stefan Adam: Damals hatten wir die Herausforderung, dass wir einen Tunnel mit 57 km Länge am Gotthard gebaut haben. Jeder der dort durchfährt als Lokführer oder Zugbegleiter, der muss auch auf die Notfälle vorbereitet sein und wir mussten dort Handlungskompetenzen nachweisen können. Das ist halt wirklich schwierig, weil so hochgelobt die Schweizer Ingenieure für den Bau sind, haben diese halt nur zwei Eingänge geschaffen, einen unten und einen oben. Und da mit mehreren tausend Leuten rein und drinnen in einem neuen Tunnel noch Züge abfackeln, das kommt nicht gut an. Da hat mein Kollege nach einer Alternative gesucht und diese auch in Form der virtuellen Lernwelt gefunden und hat also ein Customized-Projekt bauen lassen. Wir können dort auf einer Bahnstrecke mehrere Züge raufstellen, können alle Rollen, die auf dem Zug und rund um den Zug involviert sind mit Avataren oder reinen Kommunikationsrollen besetzen und dort rollenübergreifend trainieren, bis die eigentlichen Handlungskompetenzen da sind. Im Gegensatz zum eLearning halt ein Schritt weiter.

eLearning Journal: Stefan, was ist dein persönliches Aufgabengebiet bei SBB?

Stefan Adam: Wir haben eine zentrale Bildungsabteilung bei der SBB und sind einer der größten Bildungsanbieter in der Schweiz. Dort bin ich verstärkt im kleinen Team Bildungsmedien unterwegs. Wir sind ein Team von knapp 20 Leuten, die sich rund ums Thema eLearning und eLearning produzieren, aufgestellt haben. Dazu gehören auch die Loksimulatoren oder eben Simulationen wie die virtuelle Welt, die direkt bei mir angehängt ist. Ich selbst bin nicht oder nicht mehr Produzierender, sondern mehr der Mann, der sich mit IT-Themen auseinandersetzt und schaue, dass das ganze Team arbeiten kann und behebe Störungen, halte Tools am Laufen et cetera. Im Kern arbeite ich also auch daran, dass die Projekte in der virtuellen Welt zu Umsetzung kommen.

eLearning Journal: Diese Lernwelt, die Du gerade beschrieben hast, ist ja schon sehr beeindruckend. Aber das ist ja noch nicht alles was ihr macht. Ihr habt ja richtig konzeptionell Lernwelten in eure Lernszenarien eingebaut. Kannst Du uns vielleicht einen Überblick über euer Konzept der virtuellen Lernwelt geben?

Stefan Adam: Wir haben basierend auf der sogenannten 3D-Sim, wie das Gotthard Projekt damals genannt wurde, einen Ausbau gewagt. Eigentlich auch etwas, dass durch meine Rolle getrieben wurde, um diese Geschichte IT-mäßig am Laufen zu halten. Das Projekt am Gotthard war in technischer Hinsicht sehr einfach gehalten. Wir hatten zwei Klassenzimmer und dort drin lokal waren Server, die das Ganze am Laufen hielten. Mein Ziel war es, das in der ganzen Schweiz verfügbar zu machen und jetzt ist es weltweit verfügbar. Dazu haben wir das Gespräch mit dem Hersteller gesucht, wie wir das machen können und kamen relativ schnell zum Schluss, dass wir die bestehende Lösung damit kombinieren. Die bestehende Lösung sind TriCat Spaces, die auch noch eine Art avatarbasiertes Ausbildungszentrum beinhalten. Und somit haben wir die zwei Komponenten technisch zusammengebracht. Das Ganze läuft auf Amazon-Servern, das heißt, man muss eine Session buchen, um reinzukommen. Also das ist dann die dritte Komponente, das Buchungsportal, was uns die Verwaltung sicherstellt. Und dann haben wir uns noch gefragt, ob man das nicht auch auf dem IPad machen könnte, da das Arbeitsgerät unserer Lockführer das IPad ist. Und das ist jetzt die vierte Komponente, eine App, die uns erlaubt, unsere Lokführer zu erreichen. Leider sind Tablets heute noch etwas schwach auf der Brust und die Rechenpower reicht nicht aus, um die gesamte virtuelle Welt darzustellen. Aber wir können dort etwas eingeschränkt sogenannte Einzellernszenarien ausspielen.

eLearning Journal: Du hast gerade das Stichwort genannt „TriCat Spaces“. Hinter dieser Lernwelt steckt unheimlich viel Technik und es gibt drei internationale Anbieter. Mit TriCat Spaces habt ihr euch für einen deutschen Anbieter entschieden. Was hatte den Ausschlag gegeben? Warum entscheidet man sich für die eine oder andere Lösung?

Stefan Adam: Die Frage erwischt mich eigentlich auf dem falschen Fuß, da ich, als die Entscheidung gefallen ist, noch nicht im Boot war. Wir unterstehen aber dem öffentlichen Beschaffungsrecht, also das war eine weltweite Ausschreibung. TriCat hat sich dort einfach als Sieger gemäß unseren Kriterien herausgestellt und hat so die Wahl gewonnen. Was genau dahinter steckte und warum TriCat jetzt genau gewonnen hat, kann ich nicht sagen. Ich arbeite leidenschaftlich gerne mit ihnen zusammen und finde, es ist eine ganz tolle Firma – es sind nicht Verkäufer, sondern Macher. Sie haben Leidenschaft und Lust darauf, coole Projekte gemeinsam mit den Kunden umzusetzen.

eLearning Journal: Ja, vielleicht liegt es ja auch dran, dass TriCat besonders tapfer war, Markus Herkersdorf ist da ja Gründer und Treiber. Für die meisten eLearning- Anbieter ist es immer ein sehr großer Aufwand, sich an solchen Ausschreibungen zu beteiligen und die ganzen Vorschriften von den großen Unternehmen zu berücksichtigen. Da stecken in der Regel schon bis zu 9000 Arbeitsstunden drin ohne, dass man weiß, ob es überhaupt zu einem Projekt kommt. Das ist auch eine Frage dieser Marktbegegnung. Die Anwender von eLearning-Szenarien oder von gerade aufwendigen eLearnings, das sind alles sehr große Firmen und die Anbieter sind in der Regel eher spezialisierte Firmen. Aber das ist ja nur ein Nebenthema.

Stefan Adam: Das ist etwas, was uns genauso beschäftigt. Der Aufwand, eine solche Beschaffung durchzuführen, ist auch auf unserer Seite immens, ich durfte das schon ein paarmal machen. Also, irgendwo wünscht es sich niemand und trotzdem hat es seine Berechtigung.

eLearning Journal: Schauen wir doch einmal näher auf die anderen Einsatzfelder, die ihr auch gewählt habt. Zum Beispiel das virtuelle Ereignisfalltraining. Was steckt dahinter? Das hört sich ja auch erst einmal recht harmlos an.

Stefan Adam: Bei uns hat alles eine Abkürzung und heißt bei uns intern nur VRT. Das ist ein Projekt, welches auf dieser Gotthard-Simulation basiert. Wir haben dort den Zug aus dem Tunnel befreit und die 57 Kilometer Strecke erweitert. Wer die Schweiz kennt, wir können jetzt in dieser Welt vom Tessin hochfahren bis nach Steinen in der Schweiz am Vierwaldstättersee und haben dort circa 100 Kilometer Strecke, die jetzt zur Verfügung steht und auch alle Charakteristiken einer Bahnstrecke aufweisen.

Für diese Strecke wird jetzt unser Lösch- und Rettungszug funktional modelliert mit einer Tonne an weiteren Anforderungen, es geht dort zum Beispiel auch um Wärmebildkameras, die dann ein reales Wärmebild entlang eines Zuges erzeugen können. Ziel davon ist es, dass wir in unsere Interventionen üben können. Denn einerseits geht es um die interne Feuerwehr, aber gleichzeitig auch um den ADAC, beides in derselben Organisation. Es ist also eine Berufs- und keine freiwillige Feuerwehr, die ständig on duty ist. Und für die bauen wir die Möglichkeit, vor allem ihre Befehlsketten üben zu können. Damit wir Befehlsketten üben können, müssen wir aber von ganz oben bis ganz unten eine Übung zur Verfügung stellen. Ich muss also irgendwo den Feuerwehrsoldaten, wie das bei uns bezeichnet wird, bis vorne zum Brandherd schicken können, damit er irgendwelche Rückmeldung an seine Vorgesetzten machen kann, was er dort angetroffen hat. Damit stellt sich dann heraus: War die Einsatztaktik auch richtig? Haben die sich richtig abgesprochen? Haben sich die wichtigen Rollen gemeinsam abgesprochen? Das soll so weit gehen, dass wir zwei Lösch- und Rettungszüge im Einsatz haben werden. Das sind Übungen mit hoher Komplexität und die können wir dort qualitätsnah abbilden.

eLearning Journal: Beim Training für den Ereignisfall gehört natürlich auch immer der Lernende dazu, der ja in dem Fall immer ein Beschäftigter ist. Was für Erfahrungen macht ihr eigentlich mit diesen virtuellen Lernwelten bei den Lernern? Ist da eine erhöhte Akzeptanz oder verringerte Akzeptanz feststellbar? Ist da eine Veränderung im Lerntransfer feststellbar? Wie weit schaut ihr auf diese Dinge?

Stefan Adam: Also, ich denke, das ist halbwegs mit dem Thema eLearning vergleichbar. Aber der Effekt ist einfach größer. Es gibt die Angefressenen, die das als das Coolste empfingen und sich richtig in die Materie beißen. Es gibt natürlich viele die einfach neutral dem gegenüberstehen und eher etwas zurückhaltend sind. Und es gibt auch die Leute, die sagen, dass sie mit Computern einfach nicht so können. Aber wenn dann der Unterricht mit diesen Medien beginnt, sind die Erfahrungen durchaus positiv. Ich habe es noch nicht erlebt, dass jemand gesagt hat, „das ist völliger Quatsch, ich verabschiede mich für heute“. In einem Beispiel mussten zwei Zugchefs einen Zug evakuieren. Die standen dann im verrauchten Zug neben dem Brand und wären in der Praxis eigentlich schon lange tot. Die haben das dann ganz gut als ihre Entschuldigung genutzt: „Ja, weißt du in der Realität, hätte ich natürlich, aber hier den Avatar zu steuern, das ist zu schwierig“. Aber das Wichtigste, die zwei haben am Ende ganz viel gelernt bei dieser Übung und konnten ihre Erfahrung machen, obwohl es vielleicht nicht ein optimales Szenario im Resultat war.

eLearning Journal: In der klassischen Weiterbildung ist ein weiteres wichtiges Element in diesen Lernszenarien der Trainer oder Dozent. Gibt es diesen überhaupt noch bei euch und wenn ja welche Funktion hat er heute?

Stefan Adam: Das ist sehr unterschiedlich, je nachdem welchen Bereich dieser Welten wir anschauen. Also wenn wir bei dieser Simulation bleiben, beim Zugabteil ganz konkret, dann ist es eine Rolle mit sehr hohen Anforderungen. Also einerseits bleibt der Trainer ganz normaler Moderator und muss die Veranstaltung im Griff haben und muss dann aber auch die Simulation fahren und falls es aus dem Ruder läuft, auch adäquat reagieren. Dabei hat er meistens gewisse Rollen, die er selbst vertritt. Also, wenn ich beispielsweise mit dem Zugpersonal ein Szenario fahre, habe ich häufig keinen Lokführer und die Rolle wird dann meist vom Übungsleiter übernommen. Das heißt, wenn die Teilnehmer den Lokführer rufen, ist das dann der Übungsleiter, der den Anruf entgegennimmt. Also müssen sie eine aktive Rolle übernehmen und sind am Schluss die, die eigentlich das Debriefing machen müssen oder zumindest anleiten. Wenn wir alles bei einer Person belassen, dann ist es ein Wahnsinnsjob. Wenn das Szenario einfach ist, dann ist es im Rahmen des Möglichen. Aber unsere Empfehlung ist klar: Solche Übungen sind intensiv, sucht ein Konzept, dass vielleicht auch aktive Beobachter bei den Teilnehmern haben. Es muss nicht immer jeder eine Kernrolle besetzen, sondern kann auch Beobachter sein und damit beim Debriefing gut entlasten. Die Leute lernen auch dabei. Die Leute kriegen als aktiv Reisende im Zug bei uns beispielsweise einen Perspektivwechsel. So erfahren sie es mal wirklich, wie es ist, auf die erste Durchsage des Zugpersonals zu warten, wenn der Zug steht. Deshalb empfehlen wir dann auch eine zweite Person. Eine kann die Übung anleiten und ein zweiter übernimmt beispielsweise die Kommunikation und Beobachtung und ist so der Simulationsanteil. Wenn ich von diesen Ausbildungszentrumsanteilen spreche, dann sind es eigentlich die gleichen Aufgaben wie früher. Du bist Moderator, wie du es in dem Präsenz bist und je mehr du von der gewohnten Präsenz übernimmst, desto besser wird die Veranstaltung. Das Coole ist, man schenkt dir dann noch einige Gadgets wie ein 3 D-Objektplayer, den du im Raum einblenden kannst, den es in der Realität einfach nicht gibt. Aber ich sage mal, wir sind es gewohnt, auf der Bühne zu stehen und nicht wie ein Pflock befestigt zu sein. Auf der Bühne bewegen wir uns hin und her, nach vorne, nach hinten. In der virtuellen Welt muss ich mich etwas dazu zwingen, denn es wäre ja technisch nicht nötig. Deshalb navigiere ich auf der Bühne, in diesem Raum eben etwas nach links und rechts und das gibt extrem viel Natürlichkeit.

eLearning Journal: Ein weiterer Stakeholder in klassischen Weiterbildungsszenarien ist die Personalabteilung. Die legt natürlich sehr viel Wert auf Zertifizierungen, um erworbene Kompetenzen, egal ob formelle oder informelle, im Bildungscontrolling messen und steuern zu können. Wie läuft das mit der Zertifizierung ab in virtuellen Lernwelten?

Stefan Adam: Das ist ein Thema, das wir noch nicht bearbeitet haben. Wir haben nirgends einen Lehrgang, der zu einer Zertifizierung führt und gleichzeitig zu 100% in der virtuellen Welt stattfindet. Bei uns ist es so, dass wir unsere Leute regelmäßig schulen müssen. Es gibt beispielsweise aktuell in diesem Jahr einen Weiterbildungstag, der für das Zugpersonal obligatorisch ist. An diesem Weiterbildungstag ist dann ein Abschnitt eine Übung in der 3D-Simulation. Somit ist es einfach einer von vielen Bestandteilen und kann mit der Gruppenarbeit von 10-12 Uhr am Morgen verglichen werden und ist ein Teil an einer Zertifizierung quasi. Also es ist aktuell noch ein Bestandteil, aber nicht vollkommen.

Das Schöne ist, dass sich jetzt auch Ausbilder dieses Weiterbildungstages gemeldet und gesagt haben: „Hör mal, aufgrund von Corona können wir nicht raus zu den Zügen. Kannst du uns nicht in der Simulation einfach einen Zug hinstellen? Der muss nicht fahren und gar nichts. Ich brauche eine Person drauf und dann nehmen wir das in den Präsenzunterricht quasi, der per Teams stattfindet“. Und so haben die Leute wirklich sehr rudimentär, unser Hersteller wird lachen, wenn er das hört, über Teams Screensharing gezeigt, wie eine Person um einen Zug herumläuft. Die Klasse hat ihm dann Feedback gegeben, ob der Avatar alle wichtigen Punkte, die bei einer Zugaufnahme, sprich: wenn ich einen Zug übernehme und die Sicherheit gewährleisten muss, dort abgearbeitet wurden. Sind ganz coole kleine Dinge, die entstanden sind. Und ich bin überzeugt, dass es so immer mehr Platz im Programm einnimmt, was schlussendlich zu einer Zertifizierung führen wird.

eLearning Journal: Ein weiterer wichtiger Stakeholder, zumindest in Deutschland und in Österreich auch, ist der Betriebsrat. Das heißt, viele eLearning-Projekte in Deutschland können so gar nicht stattfinden, weil sie nicht den Vorstellungen des Betriebsrates entsprechen. Aber gerade bei virtuellen Lernwelten gibt es ja jede Menge Möglichkeiten wie Learning Analytics, um auszuwerten wie man Lernszenarien besser machen kann. Wie geht ihr damit um? Ich weiß, ihr habt ja keinen Betriebsrat, aber zumindest einen Verwaltungsrat. Wie läuft das bei euch mit dem Datenschutz und diesen Prozessen ab. Was ist machbar und was ist nicht machbar?

Stefan Adam: Das ist eine schöne Frage. Also, wir haben keinen Betriebsrat und nur annähernd vergleichbare Gefäße, aber auch wir müssen unsere Maßnahmen natürlich jeweils bei verschiedenen Stakeholdern rechtfertigen. Dazu habe ich auch ein laufendes sehr schönes Projekt, weil es um ein Thema geht, dass wir nur für den Betriebsrat gemacht haben und da geht es um die Umgestaltung der Bahnhöfe. Man will weg von der klassischen Schalteranlage zu etwas Offenerem. Und wenn du umbaust, ist einfach das Problem, dass die Leute irgendwie für ein paar Monate in ein Provisorium gehen. Und dann von heute auf morgen kommt die neue Büroumgebung und sie müssen dort arbeiten. In diesem Projekt können sie ihre neue Umgebung, ihre neue Schalteranlage oder wie man es sagen will, schon bevor diese gebaut ist, erleben.

eLearning Journal: Ja, noch ein weiteres Thema, wir kennen das ja aus der Pilotenschulung, dass dort ja sehr umfangreiche Flugsimulatoren eingesetzt werden. Die sind ja schon sehr perfekt und ermöglichen, dass man alles trainieren kann. Ihr habt ja auch einen Zug Giruno entwickelt. Was steckt dahinter?

Stefan Adam: Ja, Giruno ist ein Zug, den man gekauft hat, um ihn vor allem auf der Gotthardstrecke einzusetzen. Es ist ein Hochgeschwindigkeitszug und diesen möchte man, wenn er da ist, sofort einsetzen können und nicht zuerst noch ein Jahr für Schulungszwecke auf der Seite haben. Deshalb haben wir auch den Giruno als Modell virtuell verfügbar germacht und das ist auch der Part, der diese App ausgelöst hat. Also basierend auf dem Giruno haben wir verschiedene Szenarien gebastelt wie zum Beispiel eine Türstörung, die bei uns häufiger vorkommt und einer der Hauptverursacher von Verspätungsminuten ist. Aber auch ganz klassische Dinge wie ein Abschleppen eines Zuges, wo ich eine Notkupplung montieren muss und so etwas hat es auch drin. Also, die wichtigsten Dinge kann ich schon einmal virtuell üben und kenne diesen Prozess schon aus der App und habe dann natürlich eine sehr verkürzte Präsenzschulung. Aufgrund der technischen Herausforderungen so etwas zu bauen, ist es heute noch ziemlich unmöglich, schon fertig zu sein, bevor der erste Zug ausgeliefert wird und wir konnten das Projekt nicht für die Grundausbildung mit ins Ausbildungskonzept aufnehmen. Aber wir versuchen, mit den Schulungen zu rechnen, die nach Inbetriebnahme erfolgen. Das sind vielleicht 30 bis 50 Leute pro Jahr und innerhalb von vier Jahren wird sich das rein mit dieser Nachschulung amortisiert haben. Und das Schöne ist, wir haben es nicht nur für die App eingeschränkt gebaut, sondern es gibt wie ein zentrales Modell diesen Giruno und aus diesem kann ich Szenarien generieren. Diese kann ich in der App verwenden, aber auch einfach in der 3D-Simulation nutzen, über die wir vorhin gesprochen haben. Wir haben zumindest ein Stück des Zuges auch in unser virtuelles Ausbildungsgebäude reingestellt. Und das nicht nur als dreidimensionales Bild, sondern ich kann in diesen Giruno rein und dort sogar eine Türstörung beheben.

eLearning Journal: Ja, ich hatte es in der Anmoderation zu den Zuhörern und Zuschauern schon gesagt, die digitale Transformation der betrieblichen Bildung findet überwiegend in einem fast autistischen, sehr aufwendigen Trial-and-Error-Prozess fast parallel in jedem Unternehmen statt. Wie läuft so etwas bei euch? Habt ihr Kontakte zu anderen Unternehmen, die dann schon Erfahrungen mit 3D-Welten gemacht haben, oder musstet ihr auch alles im Trial-and-Error Prozess für euch selber festlegen und rauskriegen?

Stefan Adam: Ja das Meiste ist schon Trial and Error. Die Luft ist dünn, um sich auszutauschen im Hinblick auf solche Dinge. Wir sehen auch, dass wir gewisse Herausforderungen auch nur bei uns antreffen. Beispielsweise werde ich häufig angesprochen, weshalb wir keine VR-Brille nutzen. Technologisch können wir das mit gewissen Teilen wie dem Cockpit des Giruno und damit durch den Gotthard fahren. Aber ich kann mich nicht in der Brille realitätsgetreu durch einen 400m-Zug bewegen. Ich müsste mich ja teleportieren und das Teleportieren nimmt dem Ganzen das Natürliche. Das sind solche Dinge, die dann wirklich spezifisch sind und deshalb kann man sich auch schlecht austauschen. Anderes Beispiel: Viele Leute haben Augmented Reality-Geschichten. Auf den Messen sieht man das immer, einen Rollcontainer mit Inhalt und der ist irgendwie durch die Brille augmentiert. Bei uns ist es nicht ein Rollcontainer, sondern ein 400m-Zug, und das sind so die Unterschiede. Aber für mich sind Veranstaltungen wie eure SUMMIT oder Messen wie die LEARNTEC wichtig. Auf denen versuche ich mich nicht von den Verkäufern bezirzen zu lassen, sondern mit den Verkäufern weitere Leute kennenzulernen, sich zu vernetzen und so einen gewissen Austausch zu ermöglichen. Wobei, ich war jetzt etwas böse zu den Verkäufern. Natürlich müssen diese Diskussionen an den Verkaufsständen stattfinden und dass er auch mitkriegt, was wir eigentlich wollen. Das müssen wir auch festhalten.

eLearning Journal: Da sind wir uns alle einig, dass der Vertrieb nicht die böse Seite der Macht ist. Aber der Wunsch, einen Bildungsexperten treffen zu können, mit dem man sich austauschen kann, dass ist das, was wir uns natürlich alle wünschen. Zum Abschluss vielleicht noch eine Sache. Es geht ja nicht alles glatt bei solchen Projekten. Das Projektmanagement ist da natürlich immer gefragt, die Wogen auch wieder zu glätten. Hand aufs Herz: Wo waren die Stolpersteine, wo waren eure Learnings, wo ihr sagen musstet „Mensch, das hatten wir uns vorher anders vorgestellt“?

Stefan Adam: Also, eines dieser Basislearnings liegt in unserer Organisation oder in unserer Heimat. Die Bildungsabteilung ist bei uns Teil der Personalabteilung. Ich weiß nicht, ob man es bei euch kennt, aber bei uns in der Schweiz sagt man, die vom HR, das sind die, die Bäume umarmen. Ich bin grundsätzlich auch so einer und vom Schritt Bäume umarmen musst du halt in eine Welt aus Requirements, Engineering und Workshops kommen. Das ist eine Weltreise, auf der wir uns immer noch befinden. Ich glaube, mir ist dort selbst ein großer Schritt gelungen, aber meine Stakeholder sind häufig immer noch auf der Seite, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass auch ein farbiges Bild am Bildschirm in Nullen und Einsen aufgelöst werden muss. Das ist sicher einer der großen Herausforderungen, dort auf der ganzen Kette bis hin zum Lieferanten vom selben zu sprechen. Weitere Hürden sind fehlende Daten. Wenn wir einen Zug wie den Giruno bilden wollen, dann ist es schwierig, an die CAD-Daten zu kommen. Ich hatte an der LEARNTEC ein Gespräch mit jemanden von Siemens, der mir gesagt hat, wäre es nicht cool, du könntest mit einem Zug auch gleich so ein Modell kaufen? Und die haben begriffen, dass das für uns einen Wert hat. Eigentlich habe ich nichts von dem Modell, denn mein Modell muss ja dann integriert in einer ganzen virtuellen Welt funktionieren. Ich habe ein Interesse an den Daten, an den Plänen, damit die mein Hersteller in ein funktionales Modell umsetzen kann. Weil, das ist so komplex im Verbund mit der Simulation, dass es fast unmöglich ist, dort eine eigene Anforderungsliste zu erstellen, damit wir einem Zuglieferanten sagen können, wie er das Modell bauen muss, um es dann ganz einfach in die Simulation integrieren zu können. Was hatten wir noch? Unsere internen Finanzierungsprozesse sind immer wieder eher ein verzögerndes Element. Wir sind eine Großfirma und oft kann es eine Ecke der Firma nicht selbst finanzieren, dann kommt eine zweite, die sagt, wir helfen und so weiter. Aber es ist bei uns übergreifend schwierig, Geld auszugeben, auch wenn man das Geld hat. Geld legal und geordnet auszugeben, das sind Themen, die mich jeden Tag wieder von neuem fordern, so simpel wie sie eigentlich scheinen. Was haben wir noch als Stolperstein? Ja vielleicht noch zum vorigen Beispiel und den Plandaten. Da gibt es auch Erfolgsstorys, das darf man auch sagen. Wir haben bei uns intern auch abgeklappert, wo wir denn Daten beschaffen könnten und da haben wir mehrere Systeme. Wir haben zum Bundesamt für Topografie einen Link und können dort 3D-Modelle der Landschaft kriegen. Auch haben wir eine interne Datenbank von unseren Anlagen, wo wir den Streckenverlauf herausziehen können. Diese beiden Dinge haben wir für die Erweiterung der Strecke an Tricat geliefert und als die das übereinandergelegt haben, kam sofort die Rückmeldung, dass man es wahrscheinlich nicht gebrauchen kann, denn es verschwinden irgendwie ein, zwei Linien und es ist nicht präzise genug. Also haben wir es angeschaut und gesagt, dass es zu 100 % stimmt. Denn an der angesprochenen Stelle verläuft ein Gleis im Berg durch einen Tunnel und das andere ist außerhalb, und deshalb hat man es gesehen. Also, es lohnt sich quasi, nach bestehenden Datenquellen zu suchen, welche man für etwas Anderes verwenden kann.

eLearning Journal: Vielen Dank für diesen Einblick in eure Lernszenarien, aber auch für die Tipps und Tricks, die wir jetzt hier mitnehmen können.

Redaktion: Lars Wicke

Beitragsbild: AdobeStock – franz12


Profil:

Stefan Adam

Ist Fachexperte für virtuelles Lernen im Betrieb und ist seit über acht Jahren bei den Schweizerischen Bundesbahnen tätig. Mit seinem Team beschäftigt er sich rund um das Thema eLearning und eLearning-Produktion. Dazu gehört auch eine virtuelle Lernwelt, in der die Mitarbeiter an Schulungen teilnehmen können. Somit kann Herr Adam aus erster Hand berichten, welche Schwierigkeiten, Erfolge und Best Practices bei der Entwicklung und Anwendung einer digitalen Lernumgebung zu beachten sind.

 


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