15.10.2020 | Lesezeit ca. 4 Minuten
Autor: Peter Rach
Neue Welt für Trainer und Unternehmen
Jedes Unternehmen hat auch irgendwo ein Budget für Weiterbildung, Personalentwicklung, Teamentwicklung und Supervision. Warum? Weil wir uns sicher sind, dass die Investition in Wachstum und Softskills sich nachhaltig im Geschäftserfolg auszahlt. Oder hat sich diese Überzeugung gerade geändert?
Was passiert jetzt gerade?
Wir erleben gerade eine dramatische Pandemie mit drastischen Auswirkungen, sowohl auf unser Zusammenleben als auch auf die wirtschaftliche Entwicklung.
Viele Unternehmen erleben gerade einen massiven Umsatz-Einbruch. Je nach Branche zwischen 20 und 90%. Der Reflex lässt nicht lange auf sich warten. Alle nicht dringend notwendigen Investitionen werden gestoppt. Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt oder sogar entlassen. Sparen steht ganz oben auf der Agenda. Zuallererst wird die Schere bei Werbung, Events und bei der Weiterbildung angesetzt. Denn „dringend notwendig“ sind diese Kosten nicht, oder?
Dazu kommt die Ansteckungsgefahr. Wer heute vernünftig agieren will, braucht ein Hygienekonzept. Die Rezepte: Halten Sie möglichst großen Abstand. Vermeiden Sie es, sich Aerosolen auszusetzen (z.B. Gemeinsames Singen, auf engem Raum, ohne Belüftung). Berühren Sie keine Gegenstände, die auch andere berühren. Bleiben Sie am besten allein im Büro, oder noch besser zu Hause. Immer mehr Unternehmen machen gerade die Erfahrung, dass die Firma (zunächst) nicht schlechter läuft, wenn die Mitarbeiter im Homeoffice bleiben.
Die Zukunft hinsichtlich Corona ist ungewiss. Ist der Virus wirklich gekommen, um zu bleiben? Verändert der Virus die Art wie wir zusammenleben und arbeiten dauerhaft und nachhaltig? Oder wird in einem Jahr wieder alles beim Alten sein? (Siehe dazu auch die Webparade) #AgileLernbegleitung
Und was heißt diese Situation jetzt für Ihre notwendigen Businesstrainings?
Sind Blended Learning und Videokonferenzen nicht nur die Zwischenlösung für die Krise, sondern vielleicht auch unsere Zukunft?
Ganz ehrlich, der Trend ging schon vor der Pandemie deutlich in Richtung Blended Learning. Es gibt bereits unzählige Online-Akademien für die persönliche Weiterbildung. Dort gibt es Wissen und Zertifikate ohne Ende. Und viele Mitarbeiter nutzen das intensiv, um ihre Qualifikation zu steigern. Warum also nicht mehr davon. Immer mehr Trainer nehmen ihr Programm und stellen es auf Online um. Irgendwie wird es auch so gehen.
Doch in dem Moment, wo es nicht um blanke Wissens-Vermittlung geht, sondern um Softskills und Miteinander werde die Löcher größer.
So z.B. ein guter Teamworkshop gespickt mit Teamübungen aus dem erfahrungsorientierten Lernen. Da werden Pipelines und Brücken gebaut, man legt mit verbundenen Augen ein Quadrat, man rennt mit verbundenen Beinen, man balanciert auf kleinen Balken und spielt sich Bälle zu und löst gemeinsam agile Herausforderungen. Alles mit dem Ziel einer pädagogisch wertvollen Erkenntnis-Vermittlung. Jede Übung vermittelt eine wichtige Botschaft über Zusammenarbeit, Koordination, Prozessmanagement, Problemlösungskompetenz, Miteinander und Teamwork.
Aber die meisten Übungen davon sind eben heute „verboten“. „Kommt euch nicht zu nahe, fasst keine Gegenstände an!“ Ich als Teamcoach verliere gerade einen großen Teil meiner wirksamsten Übungen. Viele lassen sich durch Corona-konforme Übungen ersetzen. Aber die wenigsten Übungen funktionieren online.
Selbst Kommunikation steht auf der Minus-Seite
Kommunikationstrainer und selbst die agile Arbeitswelt in der Softwareprogrammierung propagieren es schon lange: Wenn du die Wahl hast, bevorzuge immer das persönliche Gespräch! Telefon, Videokonferenzen, E-Mail und Messenger sind allenfalls 2. Wahl wenn nicht noch deutlich schlechter. Jeder der schon einmal einen Kollegen durch ein leichtfertiges E-Mail ungewollt gegen sich aufgebracht hat, weiß, was ich meine. Und wer von Ihnen hat noch nie erlebt, dass bei einem lockeren Gespräch, in einem Nebensatz plötzlich und unerwartet eine wertvolle Information geflossen ist?
Diese Regel, sich lieber persönlich zu treffen, gilt also nicht nur, wenn man ein Interesse daran hat Beziehungen zu stärken. Die persönliche Beziehung ist natürlich der wichtigste Treibstoff für den Erfolg in Team und im Kundengeschäft. Aber, das persönliche Treffen ist auch dann weit im Vorteil, wenn es darum geht Informationen möglichst vollständig auszutauschen, sich missverständnisfrei zu verständigen, gemeinsame Lösungen zu entwickeln, Probleme und Konflikte zu lösen. Ganz abgesehen von den positiven Effekten, die regelmäßige persönliche Treffen und der damit verbundene informelle Austausch über berufliche und auch private Belange auf den Geschäftsverlauf haben.
Die Umstellung auf Videokonferenz – „man sieht sich ja trotzdem noch“ – führt zunächst zu kürzeren, stringenteren Meetings, ohne jedes Nebengespräch. Was auf den ersten Blick sogar wünschenswert klingt, führt aber zum Verlust dessen, was persönliche Treffen ausmacht: Informationsfluss zwischen den Zeilen, Nebengespräche mit zusätzlichen Informationen, die sonst nie geflossen wären, Lesen und Interpretieren von körpersprachlichen Signalen, die Zunahme an Sympathie durch die gemeinsame Zeit (bekannt als Mere-Exposure-Effekt). Trifft man sich „in echt“, dann scherzt man zusammen, man zwinkert sich verschwörerisch zu, man tausch sich über Privates aus, findet Gemeinsamkeiten, u.v.m. Und nicht zuletzt: man kann sich berühren! Erinnern Sie sich noch, wie oft wir uns „früher“ mit einer kurzen, aber herzlichen Umarmung begrüßt haben?
Wie sehr uns all das fehlt, können wir nur ahnen, wenn wir am Ende einer Videokonferenz auflegen, und plötzlich eine seltsame Leere spüren. Da wo früher das persönliche Treffen noch Stunden nachwirken konnte, ist schon nach 10 Sekunden nichts mehr.
Keinen der hier genannten Effekte kann man in Euro und Cent beziffern. Aber niemand, der nur ein wenig daran glaubt, dass es einen Unterschied zwischen Menschen und Maschinen gibt, kann ernsthaft den Business-Value von positiven Beziehungen, positivem Klima, Teamgeist, Informationsfluss und klarer Kommunikation in Abrede stellen. Deshalb gilt auch die nächsten 10 Jahre noch: Wenn du die Wahl hast, bevorzuge immer das persönliche Gespräch. Technische Kommunikationslösungen sind allenfalls 2 Wahl.
Warum Präsenztrainings auch in Zukunft unverzichtbar sind
Alles gerade Hergeleitete lässt sich natürlich auf Kommunikationstrainings übertragen. Unternehmen schätzen das Training ihrer Mitarbeiter im Umgang mit Kunden, Teams sollen lernen besser, agiler zu kommunizieren, Verhandlungs-Skills müssen trainiert werden, und gute Führung ist ohne wirksame Kommunikation undenkbar.
Solche Kommunikationstrainings lassen sich doch ganz einfach Online durchführen, oder? Naja, nicht so ganz. Die Nachteile der technischen Kommunikationstools schlagen auch im Kommunikationstraining voll durch. Wenn man den Mit-Teilnehmer überhaupt sieht (die meisten lassen wegen der Bandbreite zuhause die Videoübertragung aus), dann sieht man ihn trotzdem nur teilweise. Vieles an der Körpersprache geht verloren. Etwas Ähnliches gilt auch für den Ton. Wenn es darum geht emotionale Feinheiten beim Gesprächspartner wahrzunehmen, fühlt man sich extrem gedämpft.
Auch die Mitarbeit der Teilnehmer im Training ist eine andere. Bei Gruppendiskussionen bleiben viele still. Die Beteiligung ist weniger offen. Es gibt zwar Gruppenräume für Kleingruppen-Übungen. Aber irgendwie laufen Rollenspiele in der Videokonferenz ganz anders, wenn sie überhaupt gemacht werden. Stattdessen fehlt den Teilnehmer – so wird mir oft gespiegelt – der Austausch mit den Kollegen in den Pausen.
Meine Erfahrung: Ein Online Training für Softskills ist wie ein 500-Meter-Lauf mit Gipsbein. Es geht! Aber es ist irgendwie nicht das gleiche. Viel Performance geht einfach verloren.
Daraus folgt letztlich auch: Blended Learning und Videotraining hat seine Grenzen. Wenn es um reine Wissensvermittlung geht, sind die vielen Lernplattforme genial. Sie ermöglichen dem Lernenden, in seinem Tempo, und zu seiner Zeit, zu lernen, was er gerade lernen will. Daumen hoch für diese Zukunft.
Geht es aber um Team-Workshops, Klausurtagungen und Softskills-Trainings bleiben Onlinetrainings weit hinter den Möglichkeiten der Präsenz-Trainings zurück. So kann man Kommunikation in schwierigen Situationen nicht adäquat trainieren.
Wie lässt sich das Dilemma lösen? Ich habe 2 Antworten:
Kombiniere die Vorteile von beidem!
Frage nicht was nicht geht, sondern wie es geht.
Um die Vorteile es Präsenztrainings nutzen zu können, muss man nur, auch im Trainingsraum, die gängigen Hygienevorschriften einhalten. Was in der Schule und im Kindergarten erlaubt ist, muss auch im Seminarraum funktionieren. Der Raum muss etwas größer sein, um Abstand zu gewährleisten, in den Pausen wird gut belüftet, Flipchart-Marker und andere „gemeinsam genutzte Gegenstände“ werden immer wieder desinfiziert. Und bei Bedarf kann beim Rollenspiel eine Plexiglaswand dazwischenstehen. So ist das Rollenspiel wieder in vollem Umfang möglich. In Ergänzung dazu könne Wissenselemente des Trainings per Online- und Blendet Learning vor- und nachbereitet werden. Dahin geht der Trend auch ohne Corona schon.
Selbst sehr körperbetonte Persönlichkeits-Entwicklungs-Trainings, z.B. NLP, sind mit Hygienekonzept machbar. Beim NLP wird z.B. auch mit Körperankern gearbeitet. Da ist auch schon mal eine Berührung nötig. Insgesamt braucht Persönlichkeitsentwicklung oft die Verbindung zum ganzen Körper des Trainees. Das ist online eigentlich nicht machbar (Manche bieten das trotzdem Online an. Ich hätte da Zweifel am Lernerfolg). Auch hier muss die Frage lauten, was kann ich mit einem durchdachten Hygienekonzept möglich machen. Z.B. Festlegung auf einen festen Übungspartner je Trainingstag, Möglichkeit der Nachverfolgung von Kontakten, Einbahnstraßen-System, häufiges Händewaschen.
Nach dem gleichen System beurteile ich auch Teamcoachings und Klausurtagungen. Die Video-Lösung würde zu viel von den notwendigen, menschlichen Aspekten nehmen, auf die ich keinesfalls verzichten wollen würde. Inzwischen gibt es zahlreiche Teamübungen, die sich auch online durchführen lassen. Auch wenn im Zweifel gilt, besser mit einer Krücke gelaufen (online), als gar nicht, aber sobald ein Teamworkshop auch eine zwischenmenschliche Zielsetzung hat, rate ich davon ab, auf eine Präsenzveranstaltung zu verzichten.
Was ich damit sagen will: Nur weil Corona uns in die Homeoffice- und Video-Konferenz-Welt zwingt, muss und darf das nicht die unwidersprochene Zukunft sein. Auch in Zukunft werden Sie und Ihre Mitarbeiter mit echten Menschen zurechtkommen müssen. Der Grundsatz aus dem agilen Manifest bleibt auch in Zukunft gültig: Interaktion mit Individuen (live) geht vor Nutzung technischer Medien.