Oft schon totgesagt, wachsen und gedeihen Learning Management Systeme (LMS) in friedlicher Koexistenz als Teil professioneller Lernlandschaften weiter. Im Zusammenspiel mit virtuellen Klassenzimmern, Learning Experience Plattformen (LXP), Autoren- und Kollaborationstools sind sie das Herzstück von Learning-Eco-Systems, da sie Unternehmen eine strukturelle Individualität und damit Wettbewerbsvorteile ermöglichen.

eLearning Journal: Die Firma SoftDeCC ist mit dem LMS TCmanager® seit über 20 Jahren erfolgreich am Markt. In dieser Zeit haben Sie viele Entwicklungen beobachtet.
Georg Nüssel: Wir sind seit 1998 mit TCmanager® am Markt, anfangs als Software zu Administration von Trainingszentren, später dann mit der aufkommenden Elearning-Verbreitung mit integrierter Elearning-Plattform und einer umfassenden Portalkomponente. Wir haben viele Trends und kurzfristige Hypes erlebt und oft verfolgt, wie neue Ideen bestehende Lösungen angeblich in sehr naher Zukunft komplett verdrängen werden, ob das nur Elearning oder virtuelle Klassenzimmer oder Social Learning war. Tatsächlich entwickelte sich immer ein Mix aus Altem und Neuen. Wichtig für LMS-Hersteller und LMS-Kunden war und ist, flexibel zu bleiben.
eLearning Journal: Was ist denn konkret die Bedeutung eines LMS im Unternehmen heute?
Georg Nüssel: Ein LMS ist die zentrale Administrationskomponente im Corporate Learning mit Schnittstellen zu verschiedenen Lernplattformen, virtuellen Klassenzimmern, Content-Bibliotheken sowie Schnittstellen zur Datenübertragung an Buchhaltungssysteme, HR-Systeme und externe Vermarktungsplattformen. Neu hinzugekommen ist zuletzt die Anforderung zur Integration einer LXP. Das LMS ist das Kernelement zum Aufbau einer ganzheitlich vernetzten Lernlandschaft.
eLearning Journal: Warum wird das LMS dann immer wieder totgesagt?
Georg Nüssel: Die nachvollziehbare Entwicklung hin zu mehr selbstgesteuertem Lernen wurde teils vorgeschoben, um LMS zum Feindbild aufzubauen und knappe Ressourcen so umverteilen zu können. Manche Hersteller, die sich mit ihren unflexiblen und teuren LMS-Lösungen in eine Sackgasse manövriert haben, versuchen mit einem neuen, bunten Layout und ein paar Zusatzfunktionen in der Cloud einen Befreiungsschlag.
eLearning Journal: Was sind das für Zusatzfunktionen?
Georg Nüssel: Auf der LEARNTEC wurde besonders laut das Thema KI (Künstliche Intelligenz) propagiert. Künstliche Intelligenz wird dabei vereinfacht mit den Merkmalen „autonome Verhaltensänderung“ subsumiert. Das beschreibt ein System, das ohne Einfluss von Personen Entscheidungen trifft und selbstständig agiert z. B. Schulungsinhalte empfiehlt. Man könnte es auch vereinfacht als Weiterentwicklung der im Internet weit verbreiteten Cross-Selling-Agenten bezeichnen.
Dabei muss auf einen großen und vielfältigen Datenpool zugegriffen werden, der einzelnen Unternehmen üblicherweise gar nicht zur Verfügung steht. Cloudbasierte LXP-Lösungen können „anonymisierend“ auf die vielfältigen Daten ihrer Kunden zugreifen, Entwicklungen auswerten und so z. B. „beste Lerninhalte“ vorschlagen. Das bedeutet aber auch, dass diese Lernempfehlungen letztendlich nur den Marktkonsens wiederspiegeln und nicht die unternehmens-individuelle Strategie aufgreifen. Mit unternehmensübergreifenden „besten Empfehlungen“ fallen Differenzierungsmerkmale und Wettbewerbsvorteile weg. Welche Unternehmens- und Perso-
nendaten in der Cloud landen, sollte man sich auch genau überlegen.
eLearning Journal: Was wird noch als Unterschied gesehen?
Georg Nüssel: LXP werben gerne mit einem Netflix-artigem Layout der Kataloginhalte statt einer starren Baumstruktur. Dabei handelt es sich um ein Oberflächendesign, was sich unter „Bildkachel pro Eintrag“ subsummieren lässt.
Die Anbindung bestimmter externer Lernplattformen ist oft im LXP schon integriert, während LMS-Hersteller die Schnittstelle mitunter erst schaffen müssen. Heute ist die Anbindung von Plattformen mit standardisiertem Inhalt allerdings eine Standard-Dienstleistung und kein Hexenwerk.
Relevant ist – unabhängig von der Diskussion um LMS oder LXP – eine entsprechend mächtige Suchfunktion, die auf mehrere Repositories, also sowohl interne als auch externe Lernplattformen, zugreifen kann.
eLearning Journal: Wie beurteilen Sie den aktuellen Trend zur Learning Experience Plattform (LXP)?
Georg Nüssel: LXP können als konsolidierende Schicht zusätzlich zum LMS einen Mehrwert darstellen. Um das LMS zu ersetzen, müsste man alle Basisprozesse der Trainingsorganisation und alle Schnittstellen nachbauen, und das ist komplex. Der Gedanke, sich mit einem „sauberen Schnitt“ von Altlasten zu befreien und alles neu aufzusetzen, ist verführerisch. Dabei wird vergessen, dass viele sogenannte Altlasten schlicht betrieblich oder gesetzlich notwendig sind.
eLearning Journal: LXP soll aber im Gegensatz zum LMS den Lernenden bzw. die Lernerfahrung des Einzelnen in den Mittelpunkt stellen.
Georg Nüssel: Kompetente Mitarbeiter wollen selbstständiger arbeiten und lernen. Der Lerntransfer bei selbstgesteuerten Lernprozessen ist nachweislich höher. Lernen selbst ist aber ein intrapersoneller Prozess, der weder im LMS noch im LXP stattfindet. Die Entscheidung, die Lernkompetenzen des Einzelnen zu stärken oder die Lernkultur im organisationalen Zusammenhang zu fördern, ist kein technisches Thema, sondern eine Frage der Personalentwicklungsstrategie.
Ob LMS oder LXP – beide stellen letztendlich Wissenseinheiten zur Verfügung. Ob Inhalte, Präsenzkurse oder andere Formate frei zugänglich sind, kostenlos und ohne Genehmigungsprozesse gebucht werden können, ist eine unternehmensindividuelle Entscheidung. Sollen auch Inhalte ohne Zugangsbeschränkungen veröffentlicht werden, so verwaltet das LMS diese genauso mit. Für LMS-Hersteller, die nicht die Anzahl der Buchungen lizensieren, ist diese Frage unerheblich. Wir bilden exakt die gewünschte Struktur ab.
Nebenbei: Corporate Learning ist kein Selbstzweck, sondern an die Entwicklung und den Fortbestand des Unternehmens gekoppelt. Optimalerweise beeinflussen individuelle Lernprozesse das organisationale Lernen und umgekehrt. Nur so kann sich ein Unternehmen weiterentwickeln. Prozesse, Inhalte, Formate und Lernoberfläche müssen also kontinuierlich geprüft und ggfs. angepasst werden.
eLearning Journal: Warum ist ein LMS heute noch relevant?
Georg Nüssel: Learning Management Systeme bilden mit virtuellen Klassenzimmern, externen Lernplattformen etc. eine Lernlandschaft ab. Das LMS stellt die Infrastruktur zur Verfügung, um Wissen (in Form von WBTs, persönliche Schulungen) und Lernen in organisierten Austauschformaten gut strukturiert definierten Personengruppen zugänglich zu machen.
Dabei geht es nicht nur um nachweispflichtige Schulungen wie Arbeitssicherheit und Compliance. Besonders relevant sind hier auch Inhalte, die als Wettbewerbsvorteil gesehen werden. Das sind unternehmensinterne Informationen aus F&E, Produktion und Serviceprozessen, die man bei Youtube hoffentlich vergeblich sucht. Das sind wichtige Themen, die nicht verschwinden werden.
Die administrative Komponente des LMS dienen der Prozessunterstützung mit Qualifikationsmanagement, der Organisation anspruchsvoller Bildungskampagnen und automatisierter Korrespondenz. Es gewährleistet die Einhaltung gewünschter Genehmigungsprozesse, verwaltet Ressourcen (Trainer, Räume, Equipment, Unterlagen…) und wickelt z. b. auch die Verrechnung von Kursgebühren für externe Teilnehmer oder auf Kostenstellenbasis ab.
Lernende haben über sichere Portale Zugriff auf ihre Bildungshistorie, anstehende Qualifizierungsthemen und die Lernplattform, ganz unabhängig davon, ob die Inhalte über eine LXP-Oberfläche aufrufbar sind, sich auf externen Lernplattformen oder im unternehmens-eigenen Schulungsportfolio befinden. Für Trainer, Führungskräfte und Lieferanten stellt das LMS weitere Portallösungen mit aufgaben-individuellem Funktionsportfolio zur Verfügung.
Learning Management Systeme sind über Schnittstellen tief in die IT-Infrastruktur der Unternehmen eingebunden. Diese Integration hat im Zuge der Digitalisierung eine besondere Bedeutung bezüglich des sicheren, systemübergreifenden Datenaustausch zwischen Finance, HR, dem Corporate Directory, der Personaleinsatzplanung usw.
eLearning Journal: Es ist also keine Entweder-Oder-Frage?
Georg Nüssel: Richtig! Statt künstliche Feindbilder aufzubauen und Energie in die Nachbildung komplexer bereits existierenden Lösungen zu stecken, sollten die Unternehmen die eigene Infrastruktur gezielt und effizient punktuell erweitern. LMS und LXP können in Kombination mit virtuellen Klassenzimmern, Kollaborationstools und persönlichen Austauschformaten zu einer ganzheitlichen Lernlandschaft verbunden werden.
Die zentrale Aufgabe ist es, die unternehmensindividuellen Anforderungen zu erkennen und passgenaue Konzepte zu entwickeln, die sich flexibel anpassen und erweitern lassen.
eLearning Journal: Wir danken für dieses Gespräch.
Profil:
Georg Nüssel
ist Geschäftsführer und Mitgründer der SoftDeCC Software GmbH. SoftDeCC entwickelt das LMS TCmanager®, welches von Akademien und Personalentwicklung aller Branchen wegen seiner hohen Flexibilität und Erweiterbarkeit seit mittlerweile über 20 Jahren erfolgreich eingesetzt wird. Wir begleiten die individuelle Weiterentwicklung unserer Partner im Bereich Corporate Learning und die ganzheitliche Integration von TCmanager in die jeweilige Systemlandschaft.
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