Webparade 05: 5 Antworten von Kerstin Brandes

23.09.2020 | Lesezeit ca. 5 Minuten
Autor: Kerstin Brandes

Seit über 15 Jahren unterstützt Kerstin Brandes als Coach und Trainer Mitarbeiter und Führungskräfte mittelständischer Unternehmen dabei, mit ihren internationalen Kollegen und Geschäftspartnern sicher, professionell und kultursensibel zu kommunizieren, um einen soliden Beziehungsaufbau zwischen den Parteien zu fördern. Im zuge der Webparade teilt Sie mit uns Ihre „persönliche Einschätzung zur Zukunft von digitalem Lehren und Lernen“.

Was verändert sich für Trainer*innen durch COVID-19?

Wie in vielen anderen Branchen auch, ist für Trainer*innen von einem Moment zum nächsten praktisch das komplette Geschäft weggebrochen: unverschuldet, ohne Vorwarnung, auf unbestimmte Zeit. In meinem Fall wurden alle Präsenzveranstaltungen für die folgenden Wochen binnen weniger Tage abgesagt oder im besten Fall auf unbestimmte Zeit verschoben. Glücklicherweise hatte ich schon weit vor COVID-19 begonnen, mit einigen meiner Klienten über Skype zu arbeiten und konnte diesen Teil meines Geschäfts weiterführen und sogar etwas ausbauen.

Abgesehen von den Fragen der unmittelbaren Existenzsicherung, die sich für viele Trainerkollegen aus der Stornierung von Präsenzveranstaltungen ergaben, wurde das gesamte Geschäftsmodell des Präsenztrainings mit einem Schlag infrage gestellt. Viele Trainer*innen werden sich fragen, ob ihre bisherigen Angebote zukünftig wieder nachgefragt werden oder eventuell komplett wertlos werden.

Ich kann mir vorstellen, dass dieses Gefühl des plötzlichen, unverschuldeten Wertverfalls bis dahin hoch geschätzter Trainingsdienstleitungen – ähnlich eines Kurssturzes an der Börse – viele Trainer*innen in eine persönliche Krise gestürzt hat und mit einem Verlust an Selbstwertgefühl einhergeht.

Auf der anderen Seite sehe ich viele Kolleg*innen, die – ähnlich wie ich – nach Lösungen in der Krise gesucht haben und sich in das Abenteuer ‚Digitales Training‘ gestürzt haben. Auch in unserer Branche hat die Pandemie zu einem enormen Schub bei digitalen Lehr- und Lernformen geführt. Ich persönlich begrüße diese Entwicklung sehr, ist sie doch eine enorm wertvolle Ergänzung zu den bisher vorherrschenden Präsenzformaten.

Was sind die größten Herausforderungen für Trainer*innen im Umgang mit diesen Veränderungen?

Auch hier denke ich, steht natürlich die persönliche Einkommenssicherung an erster Stelle. Wenn dies durch Rücklagen und/oder Förderprogramme gelingt, können sich Trainer*innen alternativen Geschäftsmodellen zuwenden.

Aus meiner Sicht wird zukünftig von praktisch allen Trainer*innen, die in der Aus- und Weiterbildung tätig sein wollen, erwartet, dass sie auch digitale Formate anbieten. Je nach Persönlichkeit und technischer Affinität jedes Trainers, stößt diese Erkenntnis auf mehr oder weniger Begeisterung.

Ich sehe jedoch einen ganz anderen Aspekt, der viel schwerer wiegt: erfahrene Trainer*innen sind es gewohnt, mit ihrer Fach- und Methodenkompetenz zu überzeugen und den Trainingsablauf souverän zu steuern.

Im Umgang mit digitalen sind die meisten Trainer*innen jedoch absolute Novizen, einige mit etwas Vorkenntnissen, nur wenige schon wirklich Experten. D.h. Trainer*innen fühlen sich unsicher und verletzlich, leiden unter mangelndem Selbstbewusstsein und fühlen sich zurückversetzt in die Anfangszeit ihrer Trainerkarriere, als sie sich ohne Erfahrung und Referenzen ihre Reputation mühsam erarbeiten mussten. Was ist ihre bisherige Reputation noch wert?

Abgesehen vom Umgang mit technischen Tools und Lernplattformen, benötigen Trainer*innen für digitale Formate ganz neue methodische und didaktische Konzepte, um nachhaltiges Lernen, Interaktivität und Transfer in die Praxis zu ermöglichen. Flipcharts zu fotografieren und bestehende Powerpoint-Folien zu Präsentationen zusammenzubasteln und in Form eines Monologs über ein Videokonferenz-Tool vorzutragen, mag als Notlösung in den ersten Wochen der Krise opportun gewesen sein, erfüllt jedoch auf Dauer nicht die Kriterien eines nachhaltigen digitalen Trainingsformats.

Was ist hilfreich im Umgang mit diesen Herausforderungen?

Natürlich ist eine Offenheit für digitale Lernmethoden extrem hilfreich. Ich persönlich habe bereits 2006 begonnen, digitale Trainingsformate kennenzulernen und einzusetzen neben meinen Präsenzformaten.

Ich war immer wieder begeistert von den schier unendlichen Möglichkeiten, die digitales Lernen mit sich bringt und habe mich in zahlreichen Weiterbildungsprogrammen nach und nach qualifiziert. Und dennoch hat auch erst Corona mir den entscheidenden Push gegeben, mich sehr schnell und intensiv zum Live Online Trainer und zum e-Learning Moderator zertifizieren zu lassen, wohl wissend, dass ich die neu erlangten Kompetenzen nun auch unmittelbar anwenden kann. (Bisher stellte die mangelnde Digitalisierung oder Bereitschaft in Unternehmen sehr häufig einen extrem limitierenden Faktor dar.)

Ich kann alle Trainerkolleg*innen nur ermuntern, diesen unglaublichen Reichtum an zusätzlichen Möglichkeiten auszuprobieren und kennenzulernen. Es macht einfach sehr, sehr viel Spaß, multimedial aus dem Vollen zu schöpfen.

Dabei sind aus meiner Sicht zwei Aspekte wesentlich:
Wir sollten uns als Trainer*innen von unserem Perfektionsanspruch verabschieden und stattdessen gemeinsam mit unseren Teilnehmer*innen technische Tools ausprobieren.
Aus meiner Erfahrung sind die Teilnehmer*innen längst nicht so versiert, wie wir häufig annehmen. Ja, sie kennen sich mit den klassischen Office-Anwendungen und mit Social Media aus. Wenn es aber um digitale Lernformen geht, können wir als Trainer*innen durchaus auch technisch punkten. Vorausgesetzt, wir machen uns intensiv mit den Tools vertraut und sind bereit, mal einen Fehler zu machen.

Als zweiten Aspekt verweise ich auf die vielfältigen Kompetenzen im Umgang mit Menschen, die wir als Trainer*innen über Jahre erworben haben: kommunizieren, wertschätzen, ermutigen und fördern, Teams entwickeln, Konflikte lösen und vieles mehr. All diese Kompetenzen benötigen Trainer*innen auch in digitalen Formaten, denn auch hier geht es um Menschen, mit denen wir interagieren.

Welcher Nutzen ergibt sich aus den Veränderungen für Organisationen und Trainer*innen?

Ich persönlich mag Veränderungen und Herausforderungen und probiere gerne Neues aus, wenn der Auslöser auch nicht unbedingt eine Pandemie sein muss. Und ja, ich sehe durchaus auch Positives in diesen Veränderungen.

Ganz praktisch gesehen: ich spare mir jede Menge Zeit und Kosten, um bei meinen Kunden vor Ort Präsenztrainings durchzuführen. Digitale Trainings leite ich ganz bequem von meinem Schreibtisch aus. Daraus ergibt sich für mich ein erheblicher Gewinn an Lebensqualität und Gesundheit.

Digitale Trainingsformate ermöglichen außerdem eine viel größere Reichweite. Ich kann komplett global arbeiten und damit weltweit agierenden Unternehmen mein Trainingsangebot für alle Standorte zur Verfügung stellen (sofern das sprachlich passt). Außerdem kann ich das beste aus beiden Welten – Präsenz- und digitalem Training – in einem Blended Learning Konzept verschmelzen und damit mein Portfolio attraktiver und flexibler gestalten. Dazu zähle ich auch mobile Angebote für Mobiltelefone, die in Form von Mikrotrainings und Selbstlerneinheiten mein Trainingsangebot komplettieren und einen Gewinn an Lernerautonomie, Flexibilität und Nachhaltigkeit für meine Klienten mit sich bringen.

Was sollten Trainer*innen können, um weiterhin erfolgreich zu sein?

Ich denke, Trainer*innen sollten sich jetzt zum Online Trainer weiterbilden, um in Zukunft als ganzheitlicher Lernbegleiter*in tätig zu sein. Wenn Trainer*innen über eine methodisch und didaktisch gut gefüllte Toolbox für Präsenz- und Online-Training verfügen, können sie sehr flexibel auf die Anforderungen ihrer Kunden reagieren, ebenso wie auf veränderte Rahmenbedingungen, wie etwa in der gegenwärtigen Pandemie.

Und noch ein wesentlicher Aspekt: Auch viele Kunden sind unerfahren im Einsatz von digitalen Trainings. Hier können entsprechend ausgebildete und interessierte Trainer*innen ihre Kunden individuell beraten und gemeinsame Lösungen mit ihnen erarbeiten, ihnen den Mehrwert von digitalen oder blended learning Formaten aufzeigen. Sie werden somit zum ganzheitlichen Lernberater und –begleiter.

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Webparade 04: Zum Beitrag von Thomas Schmidt