Wo kommen all´ die Geschichten her?

Storytelling ist in aller Munde. Doch vor dem Erzählen steht zunächst einmal das Hinhören. Warum offene Ohren der Schlüssel zu guten Geschichten sind, erzählt dieser Artikel.

Dass Geschichten auch im eLearning unter die Haut gehen, hat das Team der Maxpert GmbH in einer anderen Ausgabe einleuchtend klargemacht. Doch wie findet man gute Geschichten, die einen Stoff so illustrieren, dass die Lernenden sich wirklich auf den Inhalt einlassen? Und was macht man mit dem Gehörten?

„Tu einfach so, als würde der Stoff dich interessieren, dann lernst du ihn leichter.“ Dieser Tipp meiner Mutter hat mich gut durch die Schulzeit gebracht. Das mag auch daran gelegen haben, dass aus dem gespielten Interesse nach und nach ein echtes wurde. Wenn ich bereit war, mich einzulassen, war die Neugier geweckt.  Interesse „anzuknipsen“, gehört für die meisten Menschen nicht zu den Kernkompetenzen. Was nicht auf Anhieb interessant scheint, wird überhört, übersehen, überlesen, überblättert. Und nun heißt es, Storytelling sei das Zaubermittel, um Uninteressantes interessant, Langweiliges spannend, Komplexes verständlich zu machen – ach was?!

Ach ja! Knipsen Sie doch mal Ihr Interesse an, um herauszufinden, warum es sich lohnt, Storys in Ihre künftigen eLearning-Inhalte einzubauen und wie Sie das machen können. Gerade vermeintlich staubtrockene Themen wie Versicherungsrecht, Compliance, Datenschutz oder Arbeitssicherheit schreien förmlich nach Geschichten, die den Einstieg ins Thema erleichtern, ein Problem und dessen Lösung veranschaulichen oder helfen, Verhaltensweisen einzuüben.

Geschichte = Problem + Gefühl

Eine Geschichte entsteht immer dann, wenn jemand ein Problem lösen muss, selbst wenn er/sie es nicht verursacht hat. In den seltensten Fällen geht es bei dieser Lösung völlig sachlich zu – selbst wenn alles klar und eindeutig ist, können uns Gefühle ganz schön zu schaffen machen. Ein Beispiel? Bitte schön: Sie sind mit dem Auto auf der Landstraße kurz vor einer Ortschaft unterwegs, am Straßenrand steht das Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h, es blitzt. Mist! Der Tacho zeigt noch 83 km/h. Und jetzt? Scham, Schuld, Ärger über Ihre eigene Unaufmerksamkeit, Trotz – schließlich hatten Sie einen guten Grund, so flott zu fahren, und überhaupt, die Straße war ja völlig leer … Auch wenn Sie wissen, dass Sie jetzt etliche Euro berappen müssen und dadurch nicht arm werden und dass Sie noch keine Punkte in Flensburg haben, lässt sich das Herzklopfen nicht wegdiskutieren.

Wenn unsere Gefühle angesprochen werden, wirken die Geschichten. Menschliche Gehirne sind so konstruiert, dass wir auch Gefühle nachempfinden können, die jemand anders hat. Vielleicht gehören Sie ja auch zu den Menschen, die zu Tränen gerührt sind, wenn bei einer Siegerehrung die Nationalhymne ertönt. Sehen Sie! Erwiesen ist auch, dass wir die Daten und Fakten, die im Zusammenhang mit Gefühlen – mithin mit einer Geschichte – stehen, besser behalten können, als wenn wir diese Fakten in Grafiken, Tabellen und „nackten“ Texten präsentiert bekommen. Ein guter Grund, das trockene Faktenwissen an Geschichten aufzuhängen!

Hemmungslos neugierig sein

Wie also kommen Sie an Geschichten, die Ihre eLearning-Inhalte illustrieren und die Lernenden interessiert bei der Stange halten können? Die Antwort darauf klingt so banal, dass man sie kaum glauben kann: Indem Sie hinhören.

Natürlich werden die Fachleute in der Rechtsabteilung  Ihnen zunächst einmal Paragraphen, Verordnungen und Vorschriften um die Ohren hauen, wenn Sie sie nach Compliance-Regeln fragen. Hören Sie hin, so gut Sie können, nicken Sie, machen Sie sich Notizen, tun Sie alles, was Sie über aktives Zuhören gelernt haben. Vielleicht hat es mit dem Anknipsen des Interesses ja schon funktioniert.

Aber egal, ob das Thema Sie gepackt hat oder nicht … jetzt kommt Ihre große Stunde: Sie schauen Ihren Gesprächspartner an und fragen: „Und was heißt das konkret?“ oder „Hatten wir so einen Fall schon mal in unserem Unternehmen?“ oder „Bedeutet das, dass ich mit unserer Grafikerin jetzt nicht mehr essen gehen darf?“ Die gute Nachricht: Sie wählen die Frage aus, mit der es weitergeht. Sie dürfen die Dinge fragen, die Sie besonders interessant finden, denn Ihr Interesse bringt Ihr Gegenüber zum Weitererzählen. Im besten Falle hören Sie jetzt Geschichten, die tatsächlich passiert sind, im schlechteren Fall wird Ihr Gesprächspartner Beispiele konstruieren. Weil er oder sie aber Ihr Interesse spürt, wird er/sie sich dabei richtig Mühe geben.

Wenn Sie auf Geschichten-Expedition gehen, sind Sie ganz offiziell Entdecker bzw. Entdeckerin. Doch im Gegensatz zu Humboldt, Darwin und Co., die darauf angewiesen waren, das, was sie sahen selbst zu interpretieren und zu erklären, können Sie Ihr Gegenüber fragen. Das sollten Sie nutzen: Vergleichen Sie das, was Sie hören, mit Ihren Erfahrungen und Ihrem Wissen. Überlegen Sie, wie Sie sich in einem Fall, der Ihnen geschildert wird, verhalten würden. Sprechen Sie darüber, wie Sie sich fühlen, wenn Sie die Geschichte hören. Empfinden Sie etwas als ungerecht? Suchen Sie in Gedanken schon nach Schlupflöchern zu Vorschriften? Jede geäußerte Vermutung, jede Stellungnahme von Ihnen wird die Expertin zu neuen Erklärungen, bestenfalls zu neuen Geschichten ermuntern.

Glaubwürdige Figuren „bauen“

Eine gute Idee ist es, mehrere, ja viele Geschichte zu einem Thema zu hören. Sprechen Sie mit mehreren Expert*innen, gerne auch ohne offiziellen Termin im Büro, sondern zwischendurch in der Kaffeeküche oder auf dem Flur zwischen Tür und Angel. Stellen Sie Ihre Antennen auf Empfang. Sie werden feststellen, dass Sie in den nächsten Wochen immer wieder Compliance-Geschichten hören. Bald schon werden Sie vom Zuhörer zum Gesprächspartner, denn auch bei Ihnen wächst die Kompetenz. Sie hören nicht nur, Sie verstehen. Sie erzählen die Geschichten weiter. Sie schreiben Sie auf.

Bald haben Sie mehrere Geschichten gesammelt, die die Sachlage gut illustrieren. Manchmal bietet es sich an, einige Geschichten zusammenzufassen. Wichtig ist, dass Sie Ihre Heldin oder Ihren Helden gut „erfinden“: Wer ist diese fiktive Mitarbeiterin, die ungewollt in eine Korruptionsfalle tappt? Wer ist der Kunde, der dieser Vorteilsnahme unwissentlich Tür und Tor öffnet? Wie alt ist die Person, wie und mit wem lebt sie, was tut sie in ihrer Freizeit, wie kleidet sie sich, wie klingt ihre Stimme? Lernen Sie Ihre erfundenen Figuren (Personae) durch und durch kennen. Und Vorsicht: Keiner Ihrer Protagonisten und Antagonisten hat in irgendeiner Form Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen!

Vom Use-Case zur Story

Erzählen Sie in Ihrer eLearning-Einheit die Geschichte Ihrer erfundenen Person: In der Einleitung entsteht das Problem, im Hauptteil wird nach Lösungen gesucht, am Schluss wird eine Lösung gefunden, die zu den Daten und Fakten überleitet. Wenn Ihr eLearning als Reihe konzipiert ist, können die erfundenen Personen wie Figuren in Serien immer wieder „Abenteuer“ erleben, die ein neues Thema einführen. Vielleicht wird die Lösung aber auch nicht in der ersten Folge gefunden. Dann kann sie über mehrere Lerneinheiten erarbeitet werden. Sie können auch eine Geschichte mit mehreren Enden konstruieren, und die Lernenden interaktiv entscheiden lassen, wie sich Held und Heldin verhalten. Schließlich gibt es auch im richtigen Leben meist mehr als eine Lösung.

Lassen Sie die Nutzer*innen Ihres eLearnings mit Geschichten auf die Lernreise gehen. Wenn glaubwürdige Heldinnen und Helden Abenteuer erleben, die auf Tatsachen beruhen, werden auch die trockensten Stoffe interessant. Und vielleicht wird das Anknipsen des Interesses doch noch zur Kernkompetenz.

Literaturhinweis: Einen wunderbaren Überblick über die „Story-Odyssee“ und Ihre Anwendungsmöglichkeiten gibt Yannis Angelis in „Beyond Storytelling“ (Springer-Verlag, 2017): „E-learning with Impact: the Role of Narrative Structures and Methods in Designing and Delivering E-learning in a Corporate Environment“.


Die Autorin:

Roswitha Menke

Roswitha Menke schreibt als PR- und Werbetexterin seit einem Vierteljahrhundert Geschichten – meist darüber, wie Firmen aus Industrie und Bauwesen komplexe Softwarelösungen erfolgreich nutzen. Als Kontrastprogramm erzählt sie Märchen und Geschichten für Erwachsene und leitet freie Trauzeremonien. Dass irgendeine dieser Aufgaben ohne Storytelling auskommen könnte, ist für sie unvorstellbar. Ihr Storytelling-Wissen gibt sie in unterhaltsamen Workshops an Redner*innen, Vertriebsleute und alle, die es brauchen können, weiter. Roswitha Menke hat fast 23 Jahre in der Schweiz gelebt und ist vor drei Jahren  „bestimmungsgemäß“ nach Norddeutschland zurückgekehrt.

 

 


Kontakt:

Roswitha Menke
Texterin . Erzählerin . Trau-Frau

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