Lernlandschaft in Bewegung

Veränderungen der Unternehmensumwelt und Organisationskultur wirken auf das Lernen im Unternehmen und damit auf das Design digitaler Lernlandschaften. Individuelle Kombinationen aus LMS, LXP, Webinar-Software, digitalen Inhalten und externen Lernplattformen müssen kontinuierlich angepasst werden. Der Schlüssel zum Erfolg ist die kontinuierliche Begleitung der sich verändernden Anforderungen Lernender und anderer Stakeholder durch Methoden wie modellbasierten Nutzungsanforderungsanalysen und Lean UX. Dies zieht veränderte Anforderungen an die Zusammenarbeit und Auswahl von Dienstleistern und Entwicklungspartnern nach sich.

Autor: Annette A. Bouzo

Das Zusammenspiel aus individuellem und organisationalen Lernen als DNA der Weiterentwicklung.

Alles bleibt anderes

Unsere Umwelt verändert sich mal mehr und mal weniger stark wahrnehmbar, aber kontinuierlich. Dies wirkt sich auf unsere Organisations- und damit auch auf die Lernkultur im Unternehmen aus. Für Organisationen besteht die Notwendigkeit, permanent auf Entwicklungen ihrer äußeren Umwelt zu reagieren, also gleichsam durch Lernen organisationale Anpassungen vorzunehmen. Unternehmen entwickeln sich dann kontinuierlich weiter, wenn Mitarbeiter sich innerhalb und außerhalb von Unternehmen weiterbilden und ihre neuen Erkenntnisse und Erfahrungen ins Unternehmen einbringen können. Eine Organisation arbeitet dann effizient, wenn sie das Potential ihrer Mitarbeiter nutzt. Entwickeln sich diese weiter, können sie gezielte Impulse zur Weiterentwicklung der Organisation geben. Unternehmen sind sich darüber bewusst, dass sie auf die zunehmende Kompetenz ihrer Mitarbeiter angewiesen sind, denn kompetente Mitarbeiter sind Gestalter, die Entscheidungen treffen. Sie organisieren und gestalten ihren Aufgabenbereich, bauen ihre Fähigkeiten aus und schätzen Ihren (Lern-) Bedarf selbstständig ein. So verkürzen sich Entscheidungswege, die Organisation kann auf Entwicklungen schneller reagieren und so selbst eine bessere Service- und Produktqualität bieten. Dies geschieht aber nicht nur durch Verbesserungen im eigenen Aufgabenbereich, sondern auch und vor allem durch Erfahrungsaustausch und Reflexion innerhalb von Interessengruppen z. b. Communities of Practice, kollegiale Beratung, qualitativ hochwertige Blogeinträge in Enterprise Social Network oder über virtuelle Klassenzimmer und andere Kollaborationstools.

Taktgeber Organisationskultur

Organisationskultur wird in vielerlei Modellen mit sichtbaren Artefakten (z. B. Berufskleidung, Rituale) und unsichtbaren Elementen (Regeln, Werte, gemeinsame Einstellungen und Erfahrungen) dargestellt. Weitere Aspekte der Lernkultur sind der Freiheitsgrad, den Mitarbeiter diesbezüglich genießen, Anteile von Austausch- und Reflexionsformaten sowie das Ausmaß, indem die Lernergebnisse und -erfahrungen wieder in die Organisation einfließen dürfen, beispielsweise in der Weiterentwicklung der digitalen Lernwelt.

Die digitale Lernlandschaft gehört zu den sichtbaren Artefakten der Organisationskultur. Sie repräsentiert den Stellenwert, den Lernen im Allgemeinen und die Lernenden im Besondern im Unternehmen haben. Damit dieser Katalysator funktioniert, muss nicht nur die Organisations- und Lernkultur den Mitarbeitenden entsprechende Frei-, Experimentier- und Spielräume geben, sondern auch die Lerninfrastruktur kontinuierlich den Bedürfnissen der unterschiedlichen Stakeholder angepasst werden.

Voraussetzung ist, dass die Organisation kulturell und strukturell in der Lage ist, diese Entwicklung nicht nur zu nutzen, sondern zu fördern. Dafür ist es notwendig, dass Unternehmen organisationales Lernen unterstützen, also Wissensmanagement, Organisationskultur und sowie die Entwicklung der einzelnen Mitarbeiter, insbesondere deren Lernkompetenz optimal zu fördern. Die Relevanz einer „echten Lernkultur“ im Gegensatz zur klassischen „Lehr-Kultur“ ist hinsichtlich der Transferstärke unbestritten.

Herausforderung Schatten-IT

Professionelle Lernlandschaften berücksichtigen die Anforderungen unterschiedlicher Stakeholder und lassen sich flexibel erweitern und ergänzen

Veränderungen lassen sich nicht aufhalten. Werden sie unterdrückt oder ignoriert, so zeigt sich das nicht nur an der Position im Wettbewerb. Schon vorher ist in der Regel bei den Mitarbeitern eine sinkende Identifikation mit dem Unternehmen, der Mitarbeitermotivation und höherer Frustration zu erkennen Ein höherer Krankenstand, innere oder offene Kündigung und somit ein Abfluss von Knowhow sind die Folge.

Motivierte und engagierte Mitarbeiter, die dennoch im Unternehmen verbleiben, finden aber kreative Wege, um mangelnder Lernunterstützung abzuhelfen. Entspricht die zur Verfügung gestellte Infrastruktur nicht den Wünschen und Erwartungen der Mitarbeiter, so kann eine Schatten-IT entstehen, die sich aus diversen Einzeltools zusammensetzt, die kostenlos und mit wenig Aufwand nutzbar sind. Eine solche, meist in der Cloud angesiedelte Schatten-IT, besteht aus einem Sammelsurium von Tools wie z. B. Whats-App (Facebook), dem viel kritisierten Tool Zoom oder Google-Docs. Dies zieht teils fatale Sicherheitslücken, wie die Gefährdung durch Verfälschung und möglichen Verlust von Unternehmens- und Personendaten, nach sich. Informationen, die ungeschützt irgendwo in der Cloud landen, können nicht durch die IT-Abteilung kontrolliert werden.

  • 24% der Arbeitnehmer halten ihre berufliche IT-Ausstattung für inadäquat, um effizienter zu arbeiten.
  • 39% der deutschen Firmen melden Datenverlust durch Schatten-IT.
  • 77% der Fachbereichsleiter meinen, die Arbeitsweise ihrer Abteilung würde leiden, wenn sie diese Services nicht mehr nutzt.
  • 15% der IT-Experten der deutschen Firmen glauben, ein Schatten-IT-Problem zu haben.
  • Nur 8% der deutschen CIOs glauben, die Schatten-IT in ihrem Unternehmen zu kennen.
  • Gezählt wurden bis zu 52 Schatten-IT-Instanzen pro Fachbereich.

(Quelle: https://www.it-daily.net/it-management/digitale-transformation/22912-wie-entsteht-schatten-it)

Ist dagegen die (interne oder externe) IT-Fachabteilung in die Entwicklungsprozesse involviert und agiert sie serviceorientiert unter starker Einbeziehung der Stakeholder (Lernende, Personalentwicklung, Trainer, Führungskräfte…), so kann sie passgenaue Ressourcen zur Verfügung stellen, pflegen, weiterentwickeln, Synergien schaffen und durch Tiefe der Systemintegration hohen Mehrwert sowie Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen schaffen.

Eine professionelle, digitale Lernlandschaft ist eine individuelle Kombination aus zentralen, strukturierenden, prozessunterstützenden Komponenten (Learning Management System, Seminarverwaltung), darstellenden Oberflächen (Lernplattform, Learning Experience Platform, zielgruppenoptimierte Lernportale), Software zu Austausch und Kollaboration (Enterprise Social Network, Virtuelle Klassenzimmer…) und aktuellen, passgenauen Inhalten. Die digitale Lernlandschaft ist entsprechend an die Bedürfnisse der Lernenden innerhalb der Organisation anzupassen. Dabei sind nicht nur Inhalte, Lern- und Reflexionsformate relevant. Vielmehr geht es um die Schaffung eines ganzheitlichen IT-Systems, bei dem das LMS als ein Teil einer diversifizierten Lernlandschaft, kontinuierlich die Entwicklung individueller und organisationaler Lernprozesse unterstützt.

Benutzerzentrierter Entwicklungsprozess nach ISO 9241-210

Schlagwerk LMS

Kompetenz beinhaltet immer auch Fachwissen. Die Relevanz von Produkttraining, technischem Training, Arbeitssicherheit und Compliance-Schulungen sind nach wie vor unbestritten. Formelle Lernprozesse sind bei diesen Themen unabdingbar. Sie repräsentieren neben der Infrastruktur den organisationalen Teil der Lernkultur. Das LMS ist für diesen Teil, konkret die passgerechte Präsentation von Wissen und Inhalten für die entsprechenden Interessengruppen nach wie vor notwendig. Die Prozesse des LMS können die Inhalte aber nicht nur über eine eigene Lernplattform, sondern auch über konsolidierende Learning Experience-Plattformen verfügbar machen.

Konkrete Wissensgebiete, notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten sind aufs Engste mit bestimmten Inhalten verknüpft, die für den Lernenden in seinem jeweiligen Aufgabenbereich relevant sind. Es liegt auf der Hand, dass Inhalte, die den Geschäftserfolg von Organisationen (= Arbeitgebern) ausmachen, nicht frei im Netz zur Verfügung stehen dürfen. Produktdetails, Besonderheiten der Herstellung, Produktionsgeheimnisse und interne Prozesse sollen nur einem berechtigten Personenkreis zugänglich sein. Standardisierte Curricula stellen optimalerweise sicher, dass komplexe, auch mehrstufige Inhalte gut strukturiert und logisch aufeinander aufbauen. Geht es um die Sicherung von Qualität, wie z. B. bei der Herstellung und Wartung medizinischer Geräte oder Pharmazeutika, wird ein selbstgesteuertes Trial-and-Error-Vorgehen oder ein Learning-by-Doing kaum als Mehrwert gesehen werden.

Um komplexere Zusammenhänge und auch Konsequenzen bestimmter Handlungen und Maßnahmen zu verstehen, ist es wichtig, dass Inhalte von Experten zur Verfügung gestellt, immer wieder aktualisiert und aufbereitet werden. Didaktisch sollen sie an das Wissensniveau bzw. die Kompetenzen der Lernenden anknüpfen.

Lernerfolg und der Transfer zirkulieren also um ein individuelles Geschäftsmodell, die Branche und die unternehmerischen Themen der Organisation. Der erfolgreiche Transfer hängt unmittelbar mit der Art und Weise des Lernszenarios zusammen, also der Kombination des Lernformats, des Zeitpunkts und der intrapersonalen Eigenschaften des Lerners, speziell auch dessen Lernkompetenzen, die insbesondere durch agile Lernformate gefördert werden. Um passende, aktuelle Inhalte im richtigen Format anbieten zu können, muss das LMS flexibel und in weiten Teilen auch unabhängig vom Hersteller konfigurierbar sein.

Integration externer Lernplattformen

Es ist im Sinne (lernender) Organisationen, dass ihre eigenen Mitarbeiter auch außerhalb des eigenen Unternehmens Informationen finden, Fähigkeiten erwerben bzw. erweitern und ein Netzwerk aufbauen. Es gibt kaum Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden das Recherchieren im Internet, sei es auf Plattformen wie Slide-Share, YouTube o.ä. verbieten. Viele Unternehmen binden über Schnittstellen auch die Inhalte externer Lernplattformen wie z. B. Pink University, Good Habitz, iversity etc. an. Diese liefern oft einen wertvollen Beitrag zum Trainingsportfolio, sowohl durch ihr Volumen als auch durch ihre Themenvielfalt. Bei einem großen Teil frei verfügbarer, standardisierter Wissenseinheiten handelt es sich dabei um Einführungs- und Grundlagenkurse. Speziellere oder tiefergehende Informationen zu einem bestimmten Thema sind weniger zahlreich und kaum kostenlos verfügbar. Den Lernenden muss bewusst sein, dass auch plausibel dargelegte und gut aufbereitete Inhalte auf externen Lernplattformen nicht immer aktuell oder richtig sein müssen. Um Lernende zu unterstützen muss in diesem Zusammenhang dem Thema Lernkompetenz, speziell auch in Verbindung mit Medienkompetenz , also dem Urteilsvermögen bzgl. der Inhalte, IT-Sicherheit bei Downloads, Installation von Freeware, Sensibilisierung bei eigenen Veröffentlichungen, Raum gegeben werden.

Kontext ist King

Aber die Art und Weise wie Corporate Learning sich entwickelt, beeinflusst auch diese angesprochen Themengebiete. Neue Lernformen, die Integration unterstützender Software und aktuelle Ansätze der Andragogik stehten nicht im Widerspruch zu digitalen Lerninfrastrukturen. Im Mittelpunkt steht unabhängig davon der Lernprozess der Mitarbeitenden.

Ein modernes LMS wie z. B. TCmanager® integriert beide Aspekte: es stellt relevante Inhalte sicher der richtigen Personengruppe zur Verfügung und bietet den Lernenden größtmögliche Freiheiten beim Zugriff. Dies kann durchaus in unterschiedlichen „Darreichungsformen“ erfolgen. Die Verwendung eines LMS schließt keinesfalls die Integration offener Austauschformate, Inhalte verknüpfter Lernplattformen oder auch einer LXP aus. Während LMS und LXP die Organisation durch das Veröffentlichen und (ver-)teilen, suchen, finden, gegebenenfalls auch Erstellen und Kuratieren von Inhalten unterstützen, ermöglichen Webinar-Software (z. B. Webex) und Kollaborationstools (z. B. Slack), die Kommunikation, das Lernen, Netzwerken und die Zusammenarbeit. Derart flexible Systeme lassen mit entsprechendem Berechtigungskonzept auch Terminveröffentlichungen für selbstgesteuerte Formate wie WOL-Circles, Communities of Practise etc. zu.

Mehrwert einheitliche Systemoberfläche?

Oberflächen von Lernportalen sind flexibel gestaltbar. Die Gestaltung kann nach Zielgruppe variieren, je nachdem ob die Plattform von Kunden, Mitarbeitern oder Servicepartnern über externe URLs angesteuert wird oder per Single-Sign-On aufgerufen werden oder nahtlos, quasi unsichtbar, ins Intranet integriert sein soll. Letzteres kann sinnvoll sein, da es die lernenden Mitarbeiter ja nicht interessiert, wie das System heißt, dass die Daten (Präsenzkurse, WBTs, Formulare zur Reisekostenabrechnung, Informationen zu aktuellen Marketingkampagnen, Lunch&Learn-Termine etc.) ausspielt, sondern nur, dass diese Informationen relevant und aktuell sind. Eine mächtige Suche „Over-all“ ist hier hilfreich, da so Inhalte aus diversen, auch externen Plattformen und Datenbanken integriert sein können. Eine Learning Experience Plattform kann hier als konsolidierende Darstellungsschicht dienen. Eine einheitliche gestaltete Oberfläche mit ausgefeilter Suchfunktion stellt für den Nutzer eine sehr bequeme Lösung dar.

Auf der anderen Seite ist es Lernenden aber durchaus zuzutrauen, in unterschiedlichen Systemen und Oberflächen zu navigieren. Soll aus wirtschaftlichen Gründen eine Entscheidung getroffen werden, so dürfte ein erweiterter Funktionsumfang, Integrationstiefe oder die Verbesserung von Inhalten im Gegensatz zu einer einheitlichen gestalteten Oberfläche meist als der höhere Mehrwert gesehen werden.

Stakeholder im Zentrum

Während die technischen Systemanforderungen notwendige Voraussetzungen für die Nutzung darstellen, so können erhoffte Mehrwerte auf der Businessseite nur dann generiert werden, wenn die Lernlandschaft von ihren primären Benutzern, also konkret Lernenden, Führungskräften und Administratoren aus Personalentwicklung und Corporate Learning effektiv, effizient und zur Zufriedenheit genutzt werden kann. Offensichtlich müssen sich die Verantwortlichen also unterschiedlicher Nutzergruppen und deren unterschiedlichen Prioritäten bewusst sein, z. B.:

Lernende: für Lernende ist eine gute User Experience relevant. Der Lerner möchte sich nicht mit der Lernplattform auseinandersetzen, für ihn stehen die Inhalte und Formate im Vordergrund. Deswegen wirkt eine bekannt anmutende, mit bildhaften Darstellungen in Kacheloptik designte Oberfläche „im Netflix-Design“ angenehm. Leicht aufzufindende Inhalte, womöglich über passgerechte Empfehlungen ersparen dem Lernenden eine Auseinandersetzung mit dem Lernportal. Dessen weitere Funktionen werden erst dann relevant, wenn sie benötigt werden.

Dennoch ist die Zeitspanne, in der sich Lernende mit der Lernplattform beschäftigt kaum vergleichbar und relevant hinsichtlich der Zeit und Intensität sein, in der sie sich mit dem Prozess des Lernens und den relevanten Inhalten beschäftigen. Entsprechend muss überlegt werden, welchen Mehrwert die Aktualisierung und Individualisierung von Inhalten, Lernformaten und Prozessen gegenüber der darstellenden Oberfläche hat.

User Experience (UX) umfasst die gesamte kognitive und emotionale Erfahrungswelt, die Benutzer mit einem System verbinden. Dazu wird auch die Erwartungshaltung vor der Nutzung mit der Nutzungserfahrung abgeglichen.

Trainingsadministratoren: Sie kümmern sich innerhalb von Akademie oder Personalentwicklung um die Planung, Organisation und Durchführung meist formeller Schulungen. Sie sehen nicht die Oberfläche der Lernplattform, sondern setzen sich in Detailtiefe mit der Logik, den Mechanismen, individuellen Prozessen und Funktionen auseinander. Sie verbringen viel Zeit mit den Funktionen des Learning Management Systems, wie Ressourcenplanung, Teilnehmermanagement, Abrechnung und Reporting. Sie setzen sich deutlich intensiver mit der Bandbreite der funktionalen Möglichkeiten, die das LMS bietet, auseinander. Eine gute Usability zur funktionalen Nutzung der LMS-Funktionen zur Aufgabenerfüllung, individuelle Anpassung an unternehmenseigene Prozesse und eine individualisierbare Konfiguration stehen hier im Vordergrund.

Usability ist das Maß, in dem ein System, Produkt oder Service von definierten Benutzern in einem definierten Kontext effizient effektiv und zufriedenstellend verwendet werden kann. (ISO 9241)

Usability ist also keine Eigenheit des Lernportals oder LMS, sondern eine Bewertung des Nutzungsergebnisses, also der Interaktion der Benutzer mit dem System. Relevant ist also die Zielstellung, mit der Benutzer bzw. Benutzergruppen das System, im Hinblick auf ihre jeweilige Aufgabe verwenden. Um diesen unterschiedlichen Benutzern gerecht zu werden, müssen zunächst die Anforderungen im jeweiligen Nutzungskontextanalysen geplant, die Nutzungskontextinformationen erhoben und dokumentiert werden. Aus den identifizierten Erfordernissen sind Nutzungsanforderungen abzuleiten, zu strukturieren und für die Umsetzung zu priorisieren (konsolidieren).

User Requirement Engineering

Die Nutzungsanforderungen beziehen sich grundsätzlich auf die Nutzungsqualität der Anwendung, also diejenigen Merkmale, mit denen ein Nutzer interagiert, um seine Nutzungsziele zu erreichen. Die zentrale Aufgabe von User Requirement Engineering ist es, die Voraussetzungen für die Zielerreichung im Nutzungskontext der Benutzergruppen zu verstehen und daraus Konzepte für Benutzerschnittstellen zu entwickeln. Es werden also primär Nutzungsanforderungen identifiziert, die als grundlegende Parameter bei der Gestaltung des Systems dienen. Im Rahmen der kontinuierlichen Weiterentwicklung eines Systems liegen oft schon zahlreiche validierte Informationen über Anforderungen und Nutzungskontext vor. Es ist also offensichtlich, dass eine komplette Neuerhebung von Daten weder notwendig, noch ökonomisch sinnvoll ist. Daher wird primär mit modellbasierten Nutzungskontextanalysen (Deltaanalysen) gearbeitet. Diese berücksichtigen schon vorhandenes Wissen über Aufgaben, Benutzer und Ressourcen der Benutzer der Systemlandschaft. Diese Methode fokussiert auf Lücken, Unklarheiten, Diskrepanzen und die Ableitung konkreter Fragestellungen zu neuen Nutzungsanforderungen. Gerade kulturelle Entwicklungen basieren oft auf subtilen Entwicklungen, die nicht leicht zu definieren sind.

Oft werden Daten durch Feedback- und Bewertungsbögen bzgl. der Lernerfahrung und des Trainingsbetriebs, (Online-)Tests als Wissensabfragen oder durch den Einsatz von Learning Analytics erhoben. Diese Informationen sind wertvoll, stellen aber nichtdestotrotz eine Sammlung subjektiver Eindrücke dar. Um produktiv und zielgerichtet zur Verbesserung von Inhalten, Lernformaten oder Lerninfrastruktur beizutragen müssen diese verifiziert, d. h. objektiviert werden. Es gilt also Wege zu finden, wie Stakeholder die Veränderung ihrer Anforderungen artikulieren und konsolidieren können. Dabei sind Kompetenzen, Fachwissen und Methodik gefragt. Kontinuierliche Reflexion ist bei der Identifizierung von Bedarfen wichtig.

Mehrwert Lean UX

Lean UX ist ein Vorgehen, dass unterschiedliche Ansätze, wie agile Entwicklung, Design Thinking und Lean Startup in sich vereint. Lean UX integriert Methoden zur Verbesserung der Usability und User Experience in einer agilen Entwicklung und erzielt vergleichsweise schnelle und präzise Erfolge – auch unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit.

Präzise definierte, übersichtliche Entwicklungspakete durchlaufen schnelle Testzyklen, deren Ergebnisse sofort in die nächste Iteration einfließen. Design Thinking-Ansätze ermöglichen dem Projektteam die Perspektive des Benutzers einzunehmen und so dessen Problemkontext im Auge zu behalten. Die Philosophie des Lean Startup sieht die Einzelaufgaben als Hypothesen, die ständig durch Experimente zu überprüfen sind. Dadurch, dass nicht alle Hypothesen verifiziert werden können und einige Versuche scheitern, wird eine positive Fehlerkultur geschaffen.

Die unvoreingenommene und professionelle Auseinandersetzung mit der Welt der Benutzer im Rahmen von Nutzungskontextanalysen ist unabdingbar, um nicht in Immunisierungsfallen zu laufen, also durch ganz konkrete Forderungen, die auf dem bisherigen System und nicht auf der Betrachtung der Erfordernisse basieren, für möglicherweise bessere Lösungen blind zu werden.

Agiles Mindset organisationsübergreifend

Agile Methoden, die ihren Ursprung in der Softwareentwicklung haben, sind heute nicht nur im Projektgeschäft akzeptiert, sondern auch im Corporate Learning tief verankert. Das Verständnis der Fachbereiche für agile Softwareentwicklung und Implementierung scheint trotz der Betonung ihrer agilen Mindsets nicht immer gegeben zu sein. Erwartet wird hinsichtlich der digitalen Lernlandschaft mitunter „Perfektion auf Knopfdruck“. Lernende erwarten, dass Lerninhalte und Lernplattform exakt auf ihren Bedarf zugeschnitten sind und darauf intuitiv zugegriffen werden kann. Dieser paradoxe Perfektionsanspruch geht zu Lasten individuell angepasster Lösungen. Um schnelle Erfolge nachweisen zu können wird oft auf populäre, standardisierte Softwarepakete zurückgegriffen. Ein vermeintlich perfekter Status ist allerdings bestenfalls eine Momentaufnahme und in absehbarer Zeit überholt, weswegen eine Priorisierung nach dem Mehrwert der Teillösungen notwendig ist. Die Nutzungsanforderungen, die für den jeweiligen Benutzergruppe den jeweils höchsten Wert liefern, werden mit Priorität behandelt, anderes vorerst zurückgestellt. Die Zielerreichung wird an der Nutzungsqualität gemessen, die anhand von Usability-Tests evaluiert wird.

Um digitale Lernlandschaften richtig zu entwickeln, die unternehmensindividuelle Merkmale, speziell Inhalte, Strukturen, Prozesse spiegelt, ist die inkrementelle Entwicklung von Lösungen der richtige Weg. Um für höhere Akzeptanz für die letztendlich nie abgeschlossenen Entwicklung der Lernlandschaft zu schaffen, ist eine transparente Kommunikation von Prioritäten, Zwischenzielen und Fortschritten, auch gegenüber Stakeholdern wie Lernenden, die nicht direkt im Entwicklungsprozess teilhaben, notwendig. Kontinuierliche Verbesserung und Umsetzung bedeutet einen Zeit- und Ressourcenaufwand. Das heißt auch den verantwortlichen Projektteams innerhalb und außerhalb der Organisation müssen Freiräume zugestanden werden, um zu experimentieren, Anpassungen zu testen und in Iterationen weiterzuentwickeln.

Basis für Entwicklungspartner

Elementare Basis für diese vertrauensvolle Zusammenarbeit müssen notwendigerweise agile Werte, sein. Agile Grundannahmen implizieren, dass Menschen unterschiedlichen Denk- und Handlungslogiken folgen und heterogene Teams viel mehr leisten können als der Einzelne. Die Werte, die es daher zu fördern gilt, sind also die Entwicklung auf der Individualebene und Unterschiedlichkeit auf Teamebene, sowie insbesondere der interdisziplinäre Dialog.

Ein solch enger Austausch, findet nicht nur zwischen Requirement Engineer und den Stakeholdern (Benutzergruppen) auf der einen Seite sowie dem Productowner und userorientiertes Entwicklungsteam auf der anderen Seite statt, sondern ebenso auf übergeordneter Ebene zwischen dem LMS-Hersteller und der auftraggebenden Organisation. Gegenseitiger Respekt, Vertrauen und ein agiles Mindset sind somit auch organisationsübergreifend essentiell. Die agile Zusammenarbeit, insbesondere die Rollenaufteilung und die Definition von Fertigstellungskriterien, sollte schon Thema der Vertragsverhandlungen sein.

Innovative Entwicklung funktioniert am besten im kontinuierlichen Dialog in kleinen, beweglichen und flexiblen Teams, die proaktiv Verantwortung für ihr Projekt übernehmen. Entwicklungen und Fortschritte, aber auch die Zusammenarbeit sollte regelmäßig reflektiert werden. Entsprechend sollten auch Dienstleister ausgewählt werden, die nicht nur mit Referenzen, Erfahrung und hoher Beratungskompetenz punkten, sondern die eine langjährige, engagierte Zusammenarbeit zu nachhaltigen Konditionen anstreben.


Zusammenfassung:

  • Organisation und Bedarfe der Nutzergruppen entwickelt sich weiter. Innerhalb einer ganzheitlichen und wachsenden Organisationskultur illustriert die Weiterentwicklung der Lernlandschaft die tatsächliche Bedeutung der Lernkultur des Unternehmens.
  • Es unterstützt den strukturierten Wissenserwerb für bestimmte Themengebiete durch formelles Lernen. Ein LMS schützt unternehmenseigene, wettbewerbsrelevante Inhalte vor unberechtigtem Zugriff und ist somit wichtiger Teil einer Lernlandschaft. Es ist nicht die Lösung für alle Herausforderungen, insbesondere der Lernkompetenz der Mitarbeitenden.
  • Die harmonische Integration von LMS, LXP, virtuellen Klassenzimmern und eines Enterprise Social Networks spiegelt die Vielseitigkeit der individuellen Lernräume im Corporate Learning wider.
  • User Requirement Engineering unterstützt das Design der Lernlandschaft. Die Anforderungen der unterschiedlichen Benutzergruppen sollen professionell erhoben werden. Fragebögen und Interviews sind in erster Linie subjektiv. Die erkannten Nutzungsanforderungen müssen ausgewertet, konsolidiert und für die Entwicklung priorisiert werden. Lean UX stellt dafür mit agilen Entwicklungsmethoden, Design Thinking und Lean Startup unterstützende Methoden zur Verfügung.
  • Iterative Entwicklungsschritte und kurze Implementierungszyklen der Inkremente stellen sicher, dass die Anforderungen der unterschiedlichen Benutzergruppen erfüllt werden.
  • Basisvoraussetzung hierfür sind flexible und individualisierbare Softwarelösungen sowie die nachhaltige Gestaltung von Lizenz- und Entwicklungskosten wichtig.
  • Das lernende Unternehmen ist gleichwertiger Entwicklungspartner. Die langangelegte und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer basiert nicht nur auf nachhaltigen Konditionen, sondern auf organisationsübergreifenden agilen Werten und einem agilen Mindset.

Die Autorin:

Annette A. Bouzo

Die Elearning-Managerin (CELM) und zertifizierte UX-Expertin (CPUX) betrachtet für die SoftDeCC Software GmbH die Nutzungsqualität digitaler Lernlandschaften aus Sicht von Lernenden und Learning Professionals. Sie studierte Personal und Organisation an der Universität Koblenz-Landau. Ihre Masterarbeit im Fachbereich Bildungswissenschaften fokussierte die Rahmenbedingungen agiler Lernszenarien in Unternehmen.

 


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