Damit aus der Wahl keine Qual wird: Lernkuratoren machen E-Learning genießbar

Moderne Lernplattformen bieten eine reiche und bunte Auswahl. Trotzdem tun sich viele Menschen schwer, einen Einstieg ins digitale Lernen zu finden. Abhilfe schaffen Menschen, die ein Handwerk beherrschen, das in der digitalen Wissensgesellschaft immer wichtiger wird: das Kuratieren von Inhalten.

Je größer das Angebot, desto wichtiger ist die Auswahl, Zusammenstellung und Präsentation von Lerninhalten. (Quelle: Elnur stock.adobe.com)

Auf den ersten Blick hat E-Learning nicht viel mit Marmelade zu tun. Auf den zweiten Blick vielleicht doch. Große Auswahl kann dazu führen, dass wir uns im Zweifel dafür entscheiden, nichts zu tun: nichts zu kaufen, nichts zu lesen, nichts zu lernen. Konsumforscher sprechen vom Paradox of Choice: Je größer die Auswahl, desto größer die Qual. Belegt haben es die Psychologen Sheena Iyengar und Mark Lepper in ihrem berühmten Marmeladen-Experiment: In einem Supermarkt haben sie den Kunden kleine Marmelade-Kostproben in mehreren Geschmacksrichtungen angeboten. Einmal haben sie die Kunden aus sechs Varianten wählen lassen, das andere Mal aus 24. Ergebnis: Die große Auswahl hat zwar mehr Käufer angelockt, wirklich gekauft haben vor allem die Kunden, die nur eine kleine Auswahl hatten. Genau dieses Paradox of Choice erleiden auch vielen Lerner, wenn sie zum ersten Mal auf das große Angebot an Videos, Lern-Nuggets, Lernhappen etc. treffen: Die Größe des Angebots ist für sie kein Mehrwert. Im Gegenteil: Viele Menschen wünschen sich nicht mehr Auswahl, sondern mehr Hilfe bei der Entscheidung: für das richtige Angebot, das richtige Programm, den richtigen Kurs.

Kuratieren wird zur Kernkompetenz für Lernverantwortliche

Alle, die für das Lernen im Unternehmen verantwortlich sind, müssen kuratieren. Wie der Kurator einer Kunst-Ausstellung müssen sie Inhalte auswählen, zusammenstellen, kommentieren und kommunizieren. Diese Tätigkeiten unterscheiden sich stark vom Entwickeln, Konzipieren oder Durchführen von Seminaren oder E-Learnings. Um im Bild der Kunsthalle zu bleiben: Wer kuratiert, muss nicht selbst malen können. Aber man braucht den Überblick, ein gutes Händchen und Gespür für das, was die Kunden wirklich brauchen.

Ein Kurator für Lerninhalte ist nicht für die Qualität jeder Lernminute verantwortlich. Aber er sorgt dafür, dass die Inhalte den Weg zu den Lernern finden – und umgekehrt. Und dann gibt es noch ein höheres Ziel: An der Art und Weise, wie die Menschen lernen, lässt sich im Idealfall ablesen, was ein Unternehmen ausmacht und wohin es gehen will. Alexander Klar, seit Sommer 2019 Direktor der Hamburger Kunsthalle, hat sich selbst ein klares Kuratierungs-Ziel gesetzt: „Mein Ziel liegt darin, die einzelnen Sammlungsstücke künftig stärker auf einander zu beziehen, und auf das Haus selbst. Man soll erkennen können: Das ist eine Kunsthallen-Ausstellung“. An diesem Credo können sich auch Learning-Manager orientieren: Sie können mit einzelnen Lernpfaden und Curricula aufzeigen, welche Qualitäten ein Unternehmen für seine Kunden entwickeln möchte, welche Werte und welche Kompetenzen es als wichtig erachtet und welche Chancen es ergreifen möchte. Kurz: Was es unverwechselbar macht.

Netzwerk, Einblicke und Lust auf internes Marketing: Das müssen Lernkuratoren mitbringen

Kuratoren für Lerninhalte haben nicht nur ein klares Bild der Lernerfahrungen und Lernziele ihrer Zielgruppen vor Augen, sondern wissen auch, was sie bewegt, was sie motiviert und antreibt. Sie denken nicht nur daran, was ein Lernangebot enthalten muss, um erfolgreich zu sein. Mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit schenken sie der Frage, wie sie diese Angebote attraktiv machen, anpreisen und bewerben können. Sie sind gut im Unternehmen vernetzt und besitzen aus erster Hand Informationen und Hintergründe über langfristige Strategien und kurzfristige Manöver des Unternehmens.

Die vier As des Lernkurators: Auswählen, Arrangieren, Aktualisieren, Anpreisen

Unzählige Inhalte und unbegrenzter Zugang: Lernen was man will, wie man will, wo man will und wann man will. So lässt sich das große Versprechen der E-Learning-Anbieter und -Provider zusammenfassen. Aufgabe des Kurators besteht nun darin, dieses Vielfaltsversprechen zu individualisieren, zu kanalisieren und zu begrenzen. Genau das ist die Dienstleistung, die vielen Lerninitiativen in der ersten Boom-Phase des digitalen Corporate Learnings gefehlt hat. Lerner wünschen sich Empfehlungen, Ermutigungen und Überraschungen. Die Tätigkeiten des Lernkurators lassen sich in den 4As zusammenfassen: Auswählen, Arrangieren, Aktualisieren, Anpreisen.

Auswählen

Digitale Bibliotheken überzeugen wie das Internet mit der unbegrenzten Fülle des Angebots. Aber digitale Services wie Amazon, Spotify oder Netflix wären nicht so erfolgreich, wenn sie ihre Kunden mutterseelenallein dem Überangebot ausliefern würden. Sie bedienen sich der Künstlichen Intelligenz. Algorithmen sprechen Empfehlungen aus und treffen individualisierte Vorauswahl, um dem Kunden auf einen Click bieten zu können, was ihn am meisten interessiert. Corporate Learning dagegen verfolgt keine rein quantitativen, sondern vor allem qualitative Ziele: Nicht wieviel gelernt wird, ist entscheidend, sondern was gelernt wird. Während Amazon und Netflix ihre Geschäftspolitik ganz auf die Kundenwünsche ausrichten können, zeichnet sich ein intelligentes Corporate-Learning-Angebot durch die Abstimmung von Unternehmens- und Individualinteressen aus. Das können menschliche Kuratoren wahrscheinlich besser austarieren als Algorithmen.

Arrangieren

Gute Restaurantchefs wissen traditionell, dass eine gute gefüllte Speisekarte nicht ausreicht. Jeder Gast ist dankbar für einen Menüvorschlag vom Aperitif bis zum Dessert, am besten mit passender Weinempfehlung. Genau diese Auswahl übernimmt der Lernkurator – und die Lerner wissen, dass sie ihm vertrauen können.

Aktualisieren

Die Corona-Krise weckt das Interesse an Krisenmanagement-Themen, die bevorstehende Messe schärft die Sensibilität für Kommunikationskompetenz. Auch Lernthemen haben ihre Saison und ihre Moden. Deshalb müssen sie immer wieder aktualisiert und an aktuelle Diskurse, Diskussionen und Trends angepasst werden. Kein Kunstkurator würde eine Picasso-Ausstellung heute genauso zusammenstellen, wie vor zehn Jahren – vielleicht nicht mal wie vor zehn Monaten…

Anpreisen

Die Diskussion, ob Lernen im Unternehmen nun eine Bring- oder Holschuld sei, ist müßig. Pädagogen wie Hirnforscher zeigen immer wieder, dass Menschen besser und schneller lernen, wenn sie motiviert sind. Deshalb kümmern sich Lernkuratoren nicht nur um Verbreitung von Informationen über das Was, Wie und Wann des Angebots. Sie versuchen auch, Menschen vom Nutzen des Lernens zu überzeugen. Dazu ziehen sie in guter Zusammenarbeit mit der Unternehmenskommunikation alle Register und bespielen alle Kanäle: Sie emotionalisieren, sie dramatisieren, sie erzählen Geschichten und setzen Lernerlebnisse geschickt ins Bild.

Viel zu lange sind Corporate-Learning-Angebote entweder als IT-Projekte oder als didaktische Vorhaben verstanden und umgesetzt worden. Mit dem neuen Kuratieren, mit dem sich die Lernverantwortlichen als Dienstleister der Mitarbeiter und als Lernbotschafter verstehen, rücken die Vorlieben, Ansprüche und Interessen stärker in den Mittelpunkt. Lernen – und erst recht elektronisches Lernen – passiert nicht einfach. Wenn Lernen im Unternehmen einen größeren Stellenwert einnehmen soll, braucht es mehr Aufmerksamkeit, mehr Resonanz und mehr Sogwirkung. Genau dafür sorgen Lernkuratoren.


Der Autor:

Dr. Lars-Peter Linke

besitzt über zwanzig Jahre Erfahrung in der Erwachsenenbildung und in der Personalentwicklung. Heute berät er mit seiner Agentur für Bildungskommunikation CORPORATE LEARNING COMMUNICATION Akademien, Bildungsanbieter und Personalabteilungen in allen Fragen rund um Kommunikation, Vermarktung und Positionierung.

 

 


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