Durch die zunehmende Verbreitung und Relevanz von Künstlicher Intelligenz und „Smart Machines“ wird zukünftig das Zusammenspiel von Mensch und Maschine weiter an Bedeutung gewinnen. Welche Herausforderungen, aber auch Chancen Smart Machines bieten können und welche Rolle in diesem Kontext die Kompetenzen der Mitarbeiter und damit die Personalentwicklung spielt, thematisierte Dr. Christoph Meier von der Universität St. Gallen u.a. in seinem Vortrag auf der LEARNTEC 2020. In unserem Interview gibt er einen Einblick in dieses spannende und zukunftsrelevante Themenfeld.
eLearning Journal: Guten Tag Herr Dr. Meier. Können Sie zunächst sich und Ihre Tätigkeiten an der Universität St. Gallen kurz vorstellen?
Dr. Christoph Meier: Ja, gerne. Ich arbeite am Institut für Wirtschaftspädagogik der HSG und leite dort das Team „scil“. scil steht für swiss competence centre for innovations in learning. Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen die mit der Digitalisierung verbundenen Herausforderungen für das Bildungsmanagement. Dies betrifft z.B. die Ausrichtung der Bildungsorganisation, die Leistungsprozesse, die Bildungsprodukte, oder die Kompetenzen der Bildungsprofis. Wir sind dabei in drei Geschäftsfeldern unterwegs: Weiterbildung für Bildungsverantwortliche (z.B. unser Zertifikatsprogramm „Digitale Bildung“), Projektunterstützung (z.B. Analyse betrieblicher Lernkulturen), und Trendstudien (z.B. digitale Kompetenzen von Bildungsverantwortlichen).
eLearning Journal: In den vergangenen Monaten gab es regelmäßig Prognosen, wonach KI in den kommenden Jahren möglicherweise Millionen von Arbeitsplätzen obsolet machen könnte. Sollte man daher als Beschäftigter dem Thema KI kritisch gegenüberstehen oder gar mit Angst begegnen? Wie schätzen Sie die Beziehung von KI und Beschäftigten ein?
Dr. Christoph Meier: Dieser Aspekt wird kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die utopisch anmutende Szenarien einer neuen Überflussgesellschaft entwerfen; auf der anderen Seite diejenigen, die dystopische Szenarien von Massenarbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Desintegration sehen. Gesamtwirtschaftliche Entwicklungen sind allerdings nicht mein Thema und hierfür bin ich auch kein Experte. Aus meiner Sicht ist aber wichtig, dass dieser Diskussion häufig ein Missverständnis zugrunde liegt. KI und Smart Machines können einzelne Aufgaben übernehmen; Aufgaben, denen in der Regel hochgradig standardisierte Abläufe zugrunde liegen. Aber wir sind noch weit davon entfernt, dass Smart Machines so breit und flexibel handeln können wie wir Menschen und damit auch Arbeitsplätze ausfüllen können.
eLearning Journal: Welche Aufgaben können Smart Machines heute bereits übernehmen und welche dürften in den kommenden Jahren hinzukommen?
Dr. Christoph Meier: Smart Machines übernehmen Aufgaben beim Transport von Gütern und Fahrgästen, bei der Analyse von Verträgen, bei der Kundenberatung, bei der Vermögensverwaltung, bei der Umwandlung von Audio- und Videoaufzeichnungen in Text bzw. umgekehrt, beim Erstellen von Börsen- und Sportberichten, bei der Überwachung von Parkhäusern oder sie arbeiten als Roboter Hand in Hand mit Menschen in der Produktion. Smart Machines können aber auch Aufgaben in der Softwareentwicklung übernehmen, bei der Komposition von Musik oder beim Erstellen von Gemälden. Ich gehe davon aus, dass die Aufgaben die Smart Machines übernehmen können, nach und nach grösser werden und dass sie dabei flexibler verfahren können. Aber das ist letztlich nicht mein Fachgebiet, dazu können Informatiker, Robotiker und KI-Experten mehr sagen.
eLearning Journal: Ihr Vortag auf der LEARNTEC 2020 lautete „Augmentationsstrategien als Orientierungsrahmen für die Personalentwicklung im Zeitalter von Smart Machines“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Dr. Christoph Meier: Ja, damit kommen wir näher an mein Fachgebiet. Da Smart Machines bisher nur ganz eng umrissene Aufgaben übernehmen können, kommt dem Zusammenspiel von Menschen und Maschinen eine grosse Bedeutung zu. Und dieses wechselseitige Ergänzen der Stärken von Menschen und Maschinen wird als Augmentation bezeichnet.
Während Smart Machines eng umgrenzte Aufgaben hoch effizient, ausdauernd und fehlerfrei ausführen können, sind wir Menschen in der Lage, eine Gesamtsituation zu überblicken und zu interpretieren, Strategien zu entwickeln, unser Vorgehen flexibel anzupassen, Beziehungen zu anderen zu pflegen sowie auch Störungen zu beheben.
Für die strategische Personalplanung in Unternehmen und Organisationen sowie auch für die Personalentwicklung stellen sich damit wichtige Fragen: Wie werden sich die Kompetenzerfordernisse in unserer Belegschaft durch diese Entwicklungen verändern und wir können wir die (neu) erforderlichen Kompetenzen entwickeln?
eLearning Journal: Welche Kompetenzen brauchen Arbeitnehmer, um mit Smart Machines erfolgreich zusammenzuarbeiten zu können?
Dr. Christoph Meier: Hier sind aus meiner Sicht zwei Aspekte zu unterscheiden. Auf der einen Seite spezifische Kompetenz-Sets. Auf der anderen Seite Entwicklungsstrategien. Schauen wir zunächst einmal auf die Kompetenzen. Hierzu haben Daugherty / Wilson in ihrem Buch „Human + Machine“ gute Vorschläge gemacht. Damit wir Menschen und Smart Machines gut zusammenwirken können, braucht es auf unserer Seite besondere Fertigkeiten. Daugherty / Wilson bezeichnen diese als „fusion skills“, was man mit „Integrationsleistungen“ übersetzen könnte. Dazu gehören beispielsweise die folgenden: Smart Machines für andere verständlich machen; die richtigen Fragen an Smart Machines zu stellen bzw. sinnvolle Auswertungen zu erstellen; sich auf die Zusammenarbeit Hand in Hand einzulassen; oder zuzulassen, dass eine Smart Maschine mein eigenes Handeln beobachtet und von mir lernt.
Der zweite wichtige Aspekt sind Entwicklungsstrategien. Hierzu haben Davenport / Kirby einen hilfreichen Startpunkt gesetzt. Sie unterscheiden mit Blick auf die zunehmende Verbreitung von Smart Machines im Arbeitsfeld fünf Entwicklungsstrategien für uns Menschen: Step in (mit den Maschinen Hand in Hand produktiv arbeiten); Step aside (aufbauend auf dem Output der Maschinen anspruchsvolle nächste Aufgaben übernehmen); Step up (mitentscheiden / mitsteuern, wo und wie diese Maschinen eingesetzt werden sollen); Step forward (an der Weiterentwicklung von Smart Machines mitarbeiten); und schliesslich Step narrow (eine Nische suchen und sich dort spezialisieren).
eLearning Journal: In Ihrem Vortrag stellten Sie u.a. auch Ergebnisse eines einjährigen Innovationskreises mit Industrie-Partnern vor. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse diese Innovationskreises?
Dr. Christoph Meier: Ich denke, eine zentrale Einsicht aus der gemeinsamen Arbeit ist die, dass ein Gesamtprozess erforderlich ist, der nicht nur aus dem Aufgabenstrang Bedarfsanalyse – Entwicklungsplanung – Umsetzung besteht, sondern zwei weitere, parallel laufende Aufgabenstränge beinhaltet: zum einen verschiedenste Aufgaben des Veränderungsmanagements; zum anderen Aufgaben im Hinblick auf Quality Gates, Erfolgsbestimmung und Wirkungsüberprüfung.
Profil:
Dr. Christoph Meier
Universität St.Gallen