Die Idee hinter dem Ansatz „adaptives Lernen“ ist so simpel wie sie attraktiv ist: Wäre es nicht optimal, wenn Mitarbeiter nur die Lerninhalte bearbeiten, die sie auch wirklich brauchen? In der Praxis stellt diese Idee jedoch lange Zeit eine unlösbare Herausforderung dar. Dank der zunehmenden Marktreife von adaptiven Lernsystemen mit der Unterstützung von Künstlicher Intelligenz ist personalisiertes Lernen in greifbare Nähe gerückt. Um einen Einblick in das Potential solcher Lernsysteme zu geben, standen uns Stephanie Anton und Lennard Jerusalem von der Haufe Group für ein vertiefendes Interview zur Verfügung.
eLearning Journal: Guten Tag Frau Anton, Guten Tag Herr Jerusalem. Die Haufe Akademie GmbH & Co. KG hat zusammen mit der Haufe Group KG den eLearning AWARD in der Kategorie „Adaptives Lernsystem“ gewonnen. Was genau kann man sich unter einem adaptiven Lernsystem vorstellen? Welche Vorteile hat „adaptives Lernen“?
Lennard Jerusalem: Vereinfacht und technisch erklärt wertet ein adaptives Lernsystem die Aktivitäten der Lerner aus und passt sich dem entsprechenden Lerntyp bestmöglich an. So werden bspw. je nach individuellem Lernziel und Interesse unterschiedliche Lernformate und Lerninhalte angezeigt.
Adaptives Lernen hat dabei mehrere Vorteile. Zunächst einmal wissen wir heute, dass Lernen dann besonders effektiv ist, wenn es aus eigenem Antrieb erfolgt und zugleich von praktischen Erfahrungen begleitet wird. Ein adaptives Lernsystem wie die Haufe Learning Experience passt sich meinen individuellen Bedürfnissen an und ermöglicht mir als Mitarbeiter somit genau dieses intrinsisch motivierte und selbstgesteuerte Lernen. Einen weiteren Vorteil adaptiver Lernsysteme stellen die Lernenden selbst dar. Unserer Erfahrung nach wollen Mitarbeiter ihre Kompetenzen zunehmend eigenverantwortlich und im entsprechenden Bedarfsmoment weiterentwickeln. Also nicht Lernen auf Vorrat, sondern Lernen genau dann, wenn ich die entsprechenden Kompetenzen benötige. Im privaten Umfeld eigne ich mir benötigte Fähigkeiten ja auch im, bzw. kurz vor dem Bedarfsmoment an und lese bspw. nicht 6 Monate vor Weihnachten in einem Kochbuch, wie ich meine Weihnachtsgans zubereite. Diese Motivation der Mitarbeiter, sich im Bedarfsmoment mit Lösungsmöglichkeiten und entsprechendem Kompetenzaufbau zu beschäftigen, sollten Unternehmen nutzen und mittels eines adaptiven Lernsystems wie der Haufe Learning Experience unterstützen.
Stephanie Anton: Wir wollten unseren Mitarbeitenden eine Lösung zur Verfügung stellen, die sie im selbstbestimmten und -gesteuerten Lernen gut unterstützt und dafür hilfreiche Impulse liefert.
Wir sind überzeugt, dass Lernen aus eigenem Antrieb, intrinsisch motiviert besonders wirksam ist. Zudem kann zentral gar nicht gesteuert oder überblickt werden, wer wo mit welchem Talent und welcher Leidenschaft am besten seine Potenziale einsetzt.
Wenn man dann noch in den Blick nimmt, dass in der VUCA-Welt die Halbwertszeit von Wissen extrem kurz ist, wir dieses on-the-job aber ständig pragmatisch nutzen und weitergeben wollen – da wird so ein adaptives Lernsystem schnell ganz schön relevant.
eLearning Journal: Die Idee adaptiver Lernsysteme wie die „Haufe Learning Experience Plattform (HLX)“ ist nicht neu. In der praktischen Umsetzung solcher Systeme scheinen sich Unternehmen und Organisationen allerdings schwer zu tun, denn die Verbreitung ist zumindest im deutschsprachigen Raum recht überschaubar. Was sind Ihrer Erfahrung nach typische Hürden für den Einsatz eines adaptiven Lernsystems? Welches Potential sehen Sie für adaptives Lernen in den nächsten 2-3 Jahren?
Stephanie Anton: Die Anzahl der Collaboration Software, der Ablage- und Austauschmöglichkeiten für Wissen ist in den letzten Jahren schier explodiert. In dieser quasi “hysterisch gewachsenen” Tool-Landschaft mit einem adaptiven Lernsystem Relevanz und spürbaren Nutzen zu entfalten war/ist für uns eine Herausforderung. Wir erleben eine gewisse Toolmüdigkeit (“Nicht noch ein Tool…”).
Und damit haben wir gewissermaßen ein Henne – Ei Problem. Der Nutzen wird nämlich erst so richtig spürbar, wenn auch genug Traffic auf dem System ist.
Grundsätzlich gehen wir auch bei der Einführung eines adaptiven Lernsystems nach unserem dreidimensionalen Ansatz vor. Wir setzen auf organisationaler Ebene an und platzieren entsprechende Sinn- und Kultur-Botschaften, Erlaubnisse sowie formelle Rahmenbedingungen. Wir unterstützen auf persönlicher Ebene durch Enablement für Videoproduktion & Co. Und wir liefern mit der Software eben auch die technologische Unterstützung, um Wissen effektiv zu teilen und zu mehren.
Lennard Jerusalem: Eine weitere Hürde kann die Selbstlernkompetenz der Belegschaft sein. In diesem Zusammenhang wird auch gerne von Lernkultur gesprochen. Was damit gemeint ist: Sind die Mitarbeiter dazu in der Lage, sich selbstbestimmt weiterzuentwickeln und sich selbstgesteuert dann Unterstützung zu holen, wenn sie es brauchen? Wird Wissen in meinem Unternehmen als Macht- bzw. Hierarchieinstrument angesehen? Sind meine Mitarbeiter dazu befähigt, ihr eigenes Wissen in Form von kurzen Lernvideos mit der gesamten Belegschaft zu teilen? Bei den genannten Hürden liegt meist aber auch das größte Potential für adaptive Lernsysteme begraben. So haben bestimmte Mitarbeiter möglicherweise gar keinen Bedarf mehr nach Präsenzschulungen auf Vorrat und würden viel lieber on-the-job mit kurzen Microlearning-Nuggets im adaptiven Lernsystem lernen. Oder man holt sich die benötigte Expertise bei Kollegen aus einem anderen Fachbereich, die mir das adaptive Lernsystem als Mentor oder Coach vorschlägt (s. Abb. oben). Neben der von Stephanie bereits angesprochen rasant abnehmenden Halbwertszeit von Wissen, ist der stetig steigende Innovationsdruck und damit einhergehende steigende Wissensbedarf in Unternehmen einer der Gründe, warum ich das Potential für adaptive Lernsysteme in den nächsten Jahren als sehr groß einschätze.
eLearning Journal: Eine zentrale Innovation der HLX ist der auf KI-basierende Lernalgorithmus, der individualisierte Empfehlungen von Lerninhalten ermöglicht. Wie kann man sich konkret die Funktionsweise dieses Lernalgorithmus vorstellen? Wie ausgereift ist die Technik?
Lennard Jerusalem: Derzeit arbeiten wir mit einer initialen Abfrage, quasi mit einem Onboarding in der Plattform. Besuche ich als Mitarbeiter erstmals HLX, beantworte ich einige Fragen zu meinen Interessen und Fähigkeiten sowie zu meiner Berufs- und ggf. auch Führungserfahrung. So nimmt das System eine Erstkalibrierung vor und ist bereits dazu in der Lage, für den Nutzer relevante und seinen Fähigkeiten entsprechende Inhalte vorzuschlagen. Aufgrund der individuellen Nutzung und Bewertung der Inhalte, bspw. ob ein Element hilfreich oder nicht hilfreich war, lernt das System das jeweilige Lernverhalten kennen und passt sich immer besser an die eigenen Bedürfnisse an.
Wir arbeiten konsequent am Ausbau und der Verbesserung unseres Algorithmus‘. Auf der Inhaltsebene arbeiten wir mit sog. „Tags“. Bei einem Tag handelt es sich um einen thematischen Bezug, den ein bestimmtes Content Element aufweist. So weist bspw. ein Lern-Video zur Scrum-Methodik den Tag „Scrum“ auf. Ein Tag ist wiederum einer Kategorie, vereinfacht gesagt einem Themengebiet wie bspw. „agiles Arbeiten“ zugeordnet. Hat ein Mitarbeiter agiles Arbeiten als ein Interessengebiet in HLX angegeben, so kann das System den entsprechenden Inhalt, in diesem Fall das Video zu Scrum, vorschlagen. Einige Funktionen, wie bspw. die Erstellung von Verknüpfungen zwischen Tags und Kategorien sind derzeit noch teilautomatisiert, hier arbeiten wir mit Hochdruck an einer Vollautomatisierung. Wir lernen durch die Nutzung der Haufe Learning Experience bei unseren Kunden natürlich kontinuierlich dazu und arbeiten entsprechend auch täglich an der Weiterentwicklung der Technologie hinter der Haufe Learning Experience.
eLearning Journal: Die individuellen Lernempfehlungen der HLX sollen u.a. selbstbestimmtes Lernen unterstützen oder überhaupt erst ermöglichen. Welche Vorteile bietet selbstbestimmtes Lernen Ihrer Erfahrung nach sowohl aus Sicht von Unternehmen als auch der Mitarbeiter bzw. Lerner? Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit selbstbestimmtes Lernen in der Praxis auch funktioniert?
Lennard Jerusalem: Adaptives und selbstbestimmtes Lernen macht für uns den entscheidenden Unterschied, denn damit rücken wir den Lerner mit seinen Interessen und Herausforderungen in den Fokus. Mit selbstbestimmtem Lernen wird die Basis für eine ganz neue Lernkultur im Unternehmen geschaffen. Eine Lernkultur, die von den Mitarbeitern aktiv mitgestaltet wird. So können Wissensnetzwerke ausgebildet, Silos aufgebrochen und die Vernetzung im gesamten Unternehmen befeuert werden. Neben positiven Auswirkungen auf die Business Performance wird so auch die Innovationskraft eines Unternehmens gestärkt. Auch hier ist wieder der Vergleich mit dem privaten Umfeld naheliegend. Wenn ich daran denke, dass ich bei meinem Mountainbike bald die Scheibenbremsen wechseln muss, werde ich mir zunächst voraussichtlich ein Youtube Tutorial ansehen, auf Google zu Tipps zum Wechsel genau dieser Scheibenbremse suchen und bei Problemen einen Bekannten zu Rate ziehen, der selbst als Fahrradmechaniker arbeitet. Anders sollte auch Lernen im Unternehmen nicht funktionieren. Genau dieses selbstbestimmte Lernen wird durch adaptive Lernsysteme unterstützt, in der Haufe Learning Experience kann ich bspw. analog zu Google, das gesamte im Unternehmen vorhandene Wissen durchsuchbar und damit auffindbar machen. Der Clou an der Sache: Das benötigte Wissen und die entsprechenden Kompetenzen für die allermeisten Herausforderungen im Unternehmensalltag sind in den meisten Unternehmen bereits vorhanden, nur sind sich die Unternehmen und die Mitarbeiter darüber häufig nicht im klaren. Neben der technologischen Unterstützung ist die Selbstlernkompetenz der Mitarbeiter sicherlich eine weitere maßgebliche Rahmenbedingung, damit selbstbestimmtes Lernen in der Praxis funktioniert. Die persönliche Weiterentwicklung in die eigene Hand zu nehmen, erfordert gerade im organisationalen Umfeld eine gewisse Reife. Unternehmen müssen hier aktiv unterstützen und entsprechende Angebote machen.
Stephanie Anton: Eine weitere wichtige Rahmenbedingung ist, dass der Einzelne die Freiheit und Verantwortung für die eigene Weiterentwicklung übernehmen kann. Dafür braucht es kulturelle ebenso wie formeller Rahmensetzung, die erst über Jahre in Kraft tritt. Denn es handelt sich um einen grundlegenden Kultur- und Haltungswandel. In der Haufe Group schreibt die „Konzernbetriebsvereinbarung Qualifizierung“ Mitarbeitenden diese Freiheit und Verantwortung explizit zu. Ebenso sind auch z.B. Prozesse zur Freigabe etc. entsprechend gestaltet.
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen gesponsorten Beitrag der Firma Haufe Akademie GmbH & Co. KG .
Profil:
Lennard Jerusalem
ist seit anderthalb Jahren als Learning Experience Specialist im Team Neues Lernen bei der Haufe Akademie tätig. Mehrjährige Erfahrung im HR und Produktmanagement, ein Master in Business & Economics sowie ein Major in Organisationsentwicklung bilden sein Fundament für innovative Konzept- und Produktlösungen im Bereich Neues Lernen.
Stephanie Anton
ist als systemische Beraterin und Coach in der Personal- und Organisationsentwicklung tätig. Die Diplom-Psychologin begleitet Menschen bei ihrer Entwicklung und ist fasziniert von dem Potenzial, das sich durch bewusste Gestaltung von Kultur und Zusammenarbeit gemeinsam entfalten lässt.
Kontakt:
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Ansprechpartner:
Lennard Jerusalem
Learning Experience Specialist
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