LCMS vs. Autorentools – die passende Bildungstechnologie für die Eigenproduktion von eLearning

Immer öfter verfügen moderne LMS bzw. LCMS über die Möglichkeit, über eine Plattform nicht nur Lernprozess zu managen, sondern auch Lerninhalte zu produzieren und zu pflegen. Daher stellt sich die Frage, welche Daseinsberechtigung eigentlich dedizierte Autorentools haben, wenn doch LCMS auch die Eigenproduktion von eLearning ermöglichen. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, stand uns Tino Roth von der EOS Serviceline GmbH für ein Interview zur Verfügung.

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eLearning Journal: Guten Tag Herr Roth. Mit einem modernen Learning Content Management System (LCMS) sollen Unternehmen von der Produktion eigener Lerninhalte über die Verwaltung von Mitarbeitern und Kursen bis hin zum Bildungscontrolling alle relevanten Bildungsprozesse in einem einzigen System organisieren können. Können LCMS Ihrer Erfahrung nach diesem Anspruch in der Praxis gerecht werden? Was sind typische Stärken und Schwächen von LCMS?

Tino Roth: Zur ersten Frage ein klares Jain. Der Grund, warum LCMS oder auch LMS – wobei ich mich mit dieser terminologischen Differenzierung weiterhin schwer abfinde – dem Eigenanspruch nicht gerecht werden können, liegt in der genuinen Herkunft dieser Managementsysteme. Wenn ich den reinen Begriff des Managementsystems betrachte, dann reden wir von zu verwirklichenden Zielen wie Kosten- und Zeiteinsparung, Reduzierung des Verwaltungsaufwandes, Nutzung von Synergieeffekten und auch Vereinfachung der Prozessstrukturen durch diese Systeme. Somit liegen die Stärken von LCMS für mich klar in der Verwaltung von Mitarbeitern und Kursen, von Lerninhalten und Ressourcen. Im Teilbereich des Bildungscontrollings wurde diese in den vergangenen Jahren auch positiv weiterentwickelt. Die Produktion von Lerninhalten mittels LCMS hingegen wirkt auf mich häufig wie eine Art Abfallprodukt sowie die LMS einiger Softwareanbieter aus dem Bereich Personalwesen bei mir ähnliche Reflexe erzeugen. Und nicht selten gibt es keine oder nur eingeschränkte Möglichkeiten, die erstellten Inhalte in gängige Standardformate zu exportieren.

eLearning Journal: Etwas provokant gefragt: Wenn man mit einem LCMS ebenfalls eigene Lerninhalte produzieren kann, wofür braucht es dann überhaupt noch eigenständige Autorentools? Machen LCMS Autorentools nicht überflüssig? Falls nein, was zeichnet eigenständige Autorentools aus?

Tino Roth: Gute Autorentools werden auch weiterhin ihre Daseinsberechtigung haben. In dieser Aussage schwingt jedoch gleichzeitig die Feststellung und Hoffnung mit, dass Autorentools, welche Mindestanforderungen an moderne Designs und zukunftsfähige Technologien nicht erfüllen, den Gang der Dinosaurier gehen werden. Sicher kann mit in LCMS integrierten Editoren – ich weigere mich dafür den Terminus Autorentool zu verwenden – ein einfaches WBT quick and dirty erstellt werden. Für anspruchsvollere Lerninhalte – zum Beispiel ein Mix aus Video- und Audiosequenzen mit Testelementen und anspruchsvollen Designs – welche einmal erstellt in anderen Learnings weiterverwendet werden können – bleibt nur der Griff zu einem Autorentool. Eine goldene Grundregel habe ich mir über die Jahre zugelegt: Hinterfrage grundsätzlich jede Aussage zu den Fähigkeiten von LMS, LCMS, Autorentools und anderen Anwendungen, denn nicht selten übersteigen die Kompetenzen der Verkäufer jene der Programmierer.

eLearning Journal: Neben der Neuproduktion spielt auch die Aktualisierung von Lerninhalten eine wichtige Rolle. Können LCMS und Autorentools Unternehmen in diesem Aspekt ebenfalls unterstützen? Gibt es Ihrer Erfahrung nach bei der Aktualisierung von Lerninhalten typische Unterschiede zwischen LCMS und Autorentools?

Tino Roth: Die Unterschiede liegen für mich ebenfalls in den Kernkompetenzen der Anwendungen. Während mit den einfachen Editoren der LCMS Lerninhalte ebenso einfach aktualisiert werden können, spielen Autorentools ihre Stärke bei der Aktualisierung komplexerer Lerninhalte aus. Versionierungen lassen sich insbesondere im Hinblick auf mögliche regulatorische Anforderungen sehr gut mit qualitativ wertigen LCMS nachhalten. Für den Fall der Nutzung zugelieferter Inhalte durch Drittanbieter ist dies erfahrungsgemäß auch nützlich. Auch wenn mit xAPI alias Tin Can API ein Scormstandard etabliert wird, welcher noch mehr Informationen über das Nutzungsverhalten – hier mag ich bewusst nicht von Lernverhalten sprechen – liefern kann, wird zur Speicherung und Verarbeitung der Daten aus dem integrierten Learning Record Store ein LMS bzw. LCMS benötigt.

eLearning Journal: Für welche Unternehmen bzw. für welche Bedarfe ist Ihrer Ansicht nach die Anschaffung eines LCMS die richtige Antwort?

Tino Roth: Wenn ich mir selbst die Fragen nach den Zielgruppen, Bedarfen, Einsatzszenarien und Mehrwerten für die Nutzer beantwortet habe, kann ich mir die Frage nach der Notwendigkeit der Anschaffung eines LCMS selbst beantworten. Möchte das Unternehmen – dies hat auch für Verwaltungen und öffentliche Einrichtungen Gültigkeit – ganze Kursstrukturen abbilden, Lernstandsdaten zur besseren Planbarkeit und Unterstützung der Lernenden erheben und verarbeiten? Bin ich ein ausbildendes Unternehmen mit unterschiedlichen Ausbildungszweigen und möchte meine Auszubildenden zusätzlich zur Berufsschule – aufgrund des Lehrermangels sinkt die Qualität und Quantität teils dramatisch – mit einem modernen Lernangebot individuell unterstützen?

Sobald der Automatisierungsgrad in den Bereichen von HR und PE durch ein LCMS gesteigert werden kann und nur eine der vorhergehenden Fragen mit „Ja“ beantwortet wurde, ist ein LCMS sinnvoll. Nun sollte ermittelt werden, wie komplex die Anforderungen sind und welche Daten benötigt werden. International tätigen Unternehmen kann ich ein mehrmandatenfähiges LCMS wärmstens empfehlen. Dadurch wird die Verwaltung von Lerninhalten in unterschiedlichen Sprachen wesentlich vereinfacht. Außerdem wird die Gefahr verringert, dass in jedem Land eine „eigene Lösung“ verwendet wird. Solche Entwicklungen lassen sich im Nachgang nach meinen bisherigen Erfahrungen schwer harmonisieren.

eLearning Journal: Für welche Unternehmen bzw. Bedarfe ist im Umkehrschluss ein eigenständiges Autorentool die bessere Wahl?

Tino Roth: Ein eigenständiges Autorentool ist allein aufgrund meiner bisherigen Ausführungen eine sinnvolle Anschaffung. Mit einigen Autorentools lassen sich wunderbar Screencasts oder auch Click-Tutorials erstellen, welche als Performance-Support auch ohne ein LMS oder LCMS verwendet werden können. Diese können zum Beispiel in firmeneigene Intranets etwa auf Confluence-Basis oder in andere html- und php-basierte Anwendungen eingebunden werden. In jeder Projektphase sollte die Frage nach dem Mehrwert – sprich dem Nutzen-Aufwand-Verhältnis – gestellt werden.

eLearning Journal: Welches Zukunftspotential sehen Sie für LCMS und Autorentools für die kommenden Jahre? Wird sich Ihrer Vermutung nach etwas Grundlegendes an der Relevanz von LCMS bzw. Autorentools ändern?

Tino Roth: Ich wage die Prognose, dass wenige Anbieter von Autorentools den weiter steigenden Anforderungen gerecht werden können und am Markt bestehen bleiben. Gleichzeitig wird der Bedarf von Einzellösungen abnehmen, da die in LCMS integrierten Editoren weiterentwickelt werden und zunehmend über grundlegende Funktionen hinaus Lösungen anbieten. Die Vercloudisierung von Learningcontent Management Systemen – primär bei Closed Source-Anbietern – wird voranschreiten und Autorentools werden marktfähige Lösungen zur Contenterstellung von VR- und AR-Learnings beinhalten.

eLearning Journal: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben, Herr Roth.


Profil

Tino Roth

Nach einem Lehramtsstudium und einer Ausbildung in der Versicherungswirtschaft wirkte der 1973 geborene Autor viele Jahre als Fachtrainer für die Ausbildung von Versicherungs- und Finanzanlagenfachmann/-frau für die Swiss Life Deutschland Vertriebsservice GmbH und verantwortete die Aktualisierung, Weiterentwicklung und Professionalisierung der virtuellen Lernangebote sowie die Integration in bestehende Systeme des Personalmanagements. Seine Expertise bringt er seit Anfang 2019 in diversen Projekten innerhalb der EOS Group ein und freut sich, die Themen Digitalisierung, Change und Learning begleiten zu dürfen.


Kontakt:

Tino Roth

EOS Serviceline GmbH

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