Was ist eigentlich Didaktik und welche Bedeutung hat sie für digitale Lernformate?

Didaktik, Didaktisches Design, Methodik, didaktische Modelle, didaktische Planung, Instruktionsdesign und mehr: Es gibt einen Begriffswirrwar darum, was unter Didaktik eigentlich verstanden wird. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich. Schaut man in das Buch von Peterßen (1998) – ein wichtiger Klassiker in der didaktischen Literatur –, dann bedeutet Didaktik auf den Punkt gebracht „die Wissenschaft des Lehrens und Lernens in Theorie und Praxis“. Darunter kann nun sehr viel verstanden werden.

Abb.1: Bausteine zur Entwicklung von mediengestützten Lernumgebungen (in Anlehnung an Euler & Wilbers, 2002).

Und es wird noch komplizierter: Bei vielen didaktischen Ansätzen werden noch weitere Theorien mit einbezogen: Lernpsychologie, Bildungstheorie oder Erziehungswissenschaft. Daraus leiten sich dann weitere didaktische Modelle je nach Kontext und Rahmenbedingungen ab, zum Beispiel die lerntheoretische Didaktik, die informationstheoretisch-kybernetische Didaktik, handlungs- und situationsbezogene Ansätze, das Berliner Modell (ein weiterer Klassiker in der Schuldidaktik) und mehr. Mit der Entwicklung von solchen speziellen Didaktik-Modellen wurde der Versuch unternommen, die vielen unterschiedlichen Realitäten des Unterrichts bzw. von Lehr-/Lernangeboten zu beschreiben (vgl. Peterßen: 1989).

Versucht man hier einen Überblick zu bewahren, dann kann man sagen, dass es im Kern aller didaktischen Ansätze immer darum geht, Lehr-/Lernangebote zu planen, zu analysieren, zu erforschen, zu beschreiben und zu evaluieren.

Diese Sicht auf didaktische Theorie ist in der praktischen Konzeptionsarbeit als „Wissenshintergrund“ zwar hilfreich – die meisten didaktischen Modelle geben aber keinen Handlungsrahmen vor, in welchen systematischen Schritten die Konzeption von digitalen Lernformaten sinnvollerweise durchlaufen werden sollte (Niegemann et al. 2004). Die konkrete Planung steht in der didaktischen Theorie oft erst an zweiter Stelle.

Daher ist es für die praktische Konzeptionsarbeit – vor allem, wenn es auch um digitale Lernformate geht – hilfreicher, sich an den Modellen des didaktischen Designs bzw. des Instruktionsdesigns zu orientieren und die didaktische Theorie als wichtiges Hintergrundwissen zu nutzen.

Was ist didaktisches Design/Instruktionsdesign?

Viele der neueren Ansätze, bei denen es mehr um die konkrete Anwendung geht und nicht um Bildungstheorie an sich, berufen sich auf Gagné: „Ihm ging es in erster Linie um die Ablösung der Vorstellung, von der richtigen Lernmethode durch eine Konzeption, die versucht, für unterschiedliche Kategorien von Lernaufgaben und unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Rahmenbedingungen die jeweils (relativ) bestgeeignete Lernumgebung zu finden“ (vgl. Niegemann et al: 2004, S. 19).

Oder einfacher formuliert: Man geht davon aus, dass es logische Zusammenhänge zwischen Lernzielen, Lernbedarfen der Zielgruppe, den Inhalten und Wissensformen, der Methoden und Medien gibt. Bringt man alles richtig zusammen, dann ergibt sich automatisch ein bestmögliches Lernkonzept (vgl. Jank/Meyer: 1994).

Auf den Punkt gebracht: Bei den Modellen und Ansätzen im didaktischen Design geht es um die konkrete Anwendung, bei der auf wichtige kognitions- und lernpsychologische Erkenntnisse zurückgegriffen wird (vgl. Ballstaedt 1997: S.12).

Alle bisherigen didaktischen Theorien, Ansätze und Modelle haben eine lange Tradition, wurden vor der Entstehung des Internets entwickelt und beschäftigen sich daher per se nicht mit den Besonderheiten von digitalen Lernformen.

Eine große Ausnahme bildet dabei der Ansatz von Euler & Wilbers (2002). Die Autoren haben bereits Anfang 2000 ein überaus interessantes Modell entwickelt, das hilft, digitale Lernformate sinnvoll einzuordnen und somit auch planen zu können. Bei ihrem Modell „Bausteine zur Entwicklung von mediengestützten Lernangeboten“ geht es um vier Felder, die sich gegenseitig bedingen.

  1. Sozialform (Einzel, Gruppe, Plenum): Das Lernen findet entweder individuell, in Gruppen/Teams oder im Plenum statt.
  2. E-Lehr-Aktionsform (Rolle des Trainers): E-Instruktion steht stellvertretend für die direkte Unterweisung der Lernenden über das Netz (z. B. mit Hilfe von Video- übertragung). E-Tutoring bedeutet, dass in einer Lern-umgebung die Lehrperson nur dann zur Verfügung steht, wenn der Lernende Hilfe und Unterstützung benötigt. Es geht hierbei also um eine 1:1-Betreung. E-Moderation oder E-Coaching bezieht sich auf Lernumgebungen, in denen kooperative Lerngruppen an einer Frage- oder Problemstellung arbeiten und die Lehrperson die Online-Moderation/-Betreuung übernimmt.
  3. Medien (traditionelle Medien und E-Medien): Neben den digitalen Medien bleiben die traditionellen Print-Medien wie Text und Buch auch weiterhin relevant, vor allem dann, wenn bestehende Lehr-/Lernformen wie Training, Seminar, Workshops durch digitale Medien nur ergänzt und erweitert werden.
  4. Sozialkommunikative Interaktionsformen: Das Lernen wird unterstützt durch die sozialen Aktivitäten eines Lehrenden/Trainers/e-Tutors. Er oder sie bietet Inhalte dar (Vortragstil), entwickelt diese im Dialog gemeinsam mit den Lernenden (Diskussion und Austausch) oder schafft die Voraussetzung für eigenständige Erarbeitung der Inhalte als Einzelaktivität, in Gruppen oder im Plenum (Projektarbeit, Offene Lernformen und Co.).

Man kann jetzt anhand dieses Modells die aktuellen digitalen Lernformate sehr leicht einordnen:

  1. Webinar: Hier kommen folgende Sozialformen zum Einsatz: Lernen im Plenum und Lernen in der Kleingruppe, der Lehrstil im Webinar ist meist darbietend oder auch im Dialog entwickelnd, die Rolle als Lehrperson ist die des E-Tutors und als Medium kommt ein synchrones Medium, ein virtueller Klassenraum zum Einsatz.
  2. Asynchrone Online-Kurse (Lernpfade und Co.): Hier kommen in der Regel alle drei Sozialformen zum Einsatz: Einzel, Kleingruppe und Plenum, der Lehrstil ist Erarbeiten-Lassen, die Rolle der Lehrperson ist die eines E-Moderators oder E-Coachs und als Medium kommt in der Regel eine Lernplattform zum Einsatz mit integrierten Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten.
  3. WBT (E-Learning): Ein klassisches Lernprogramm oder auch WBT (Web Based Training) hingegen zielt primär auf das Einzellernen, die meisten Programme sind im Lehrstil darbietend, meist erfolgt das Lernen unbetreut und das Medium ist asynchron. In der Regel werden die WBT über ein Lernmanagementsystem bereitgestellt, das auch die Nutzerdaten und die Zugriffe verwaltet.

Das Model von Euler und Wilbers (2002) dient primär als Beschreibungs- und Planungsmodell. Ein Schwachpunkt ist, dass die Vorgehensweise bei der Konzeption nicht enthalten ist. Als jemand, der digitale Lernformate konzipiert und plant, sollte ich nicht nur wissen, wie sich die einzelnen digitalen Lernformate einordnen lassen, sondern ich muss auch wissen, wie ich konkret bei der Planung vorgehen kann.

Im Folgenden soll es daher um praktische Tipps zum Umgang mit dem Wissen zur Didaktik und didaktischen Modellen gehen.

Didaktisches Design – praktische Tipps zur Vorgehensweise

Bei der Planung und Konzeption digitaler Lernformate ist es hilfreich, sich an Abläufen zu orientieren, die man auch aus anderen Zusammenhängen kennt (z.B. aus der Informatik, wenn eine neue Software entwickelt wird, Arnold: 2006). Es geht dabei um folgende sechs Schritte:

  1. Definition
  2. Analyse
  3. Konzeption
  4. Entwicklung
  5. Implementierung
  6. Evaluation und Revision

Diese sechs Schritte sind allerdings eher als Richtschnur zu verstehen (vgl. Reinmann: 2010, S. 32), „da die Gestaltung von Lehr-Lernangeboten wesentlich komplexer ist, als dass ein lineares Modell ausreichen würde, um alle Kontextfaktoren abdecken zu können.“

In Zeiten des digitalen Wandels braucht die Entwicklung von digitalen Lernformaten eine agile Vorgehensweise. Diese sechs Schritte dienen daher als Orientierung, man durchläuft diese aber nicht linear, sondern in Schleifen. Konkreter: Es braucht eine Offenheit im Gestaltungsprozess (vgl. Schulmeister: 2004).

Im Folgenden stellen wir eine pragmatische Vorgehensweise vor, die zwar auf didaktischer Theorie beruht, aber auch viele praktische Erfahrung aus unserer langjähriger Beratungsaktivitäten für digitale Lernformate integriert (Bett: 2018).

1. Definitionsphase

Zum Start ist es notwendig, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Dabei setzen wir als Methode ein Vier-Felder-Schema ein, das dabei hilft, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und letztendlich zu einem gemeinsamen Ziel zu kommen.

Es geht dabei um diese vier Fragen:

1. Warum tun wir das (Grund)?
Meistens sind mit der Einführung innovativer digitaler Lernformate verschiedene Erwartungen verbunden. Diese werden oft nicht klar kommuniziert, daher ist es hilfreich, in einem ersten Schritt nach den Gründen zu fragen. Warum brauchen wir ein neues Lernformat? Was war der Auslöser für die Neugestaltung? Welche Einflussfaktoren gibt es?

2. Was wollen wir erreichen (Ziele)?
Wichtig ist es bei dieser Frage, dass alle Personen mitreden können, die von einem neuen Konzept betroffen sind: der Digital Learning Designer, der Fachexperte, der HR-Verantwortliche, und im besten Falle sollte an dieser doch sehr frühen Stelle auch die Zielgruppe gehört werden.

3. Für wen tun wir das (wer sind die relevanten Zielgruppen, Beteiligte und Stakeholder)?
Meistens wird über diese Frage nicht ausreichend nachgedacht, soll ein innovatives neues Lernformat „fliegen“ dann braucht es Unterstützer und diese sollten bekannt sein.

4. Und woran merken wir, dass wir unsere Ziele erreicht haben (Prüfkriterien)?
Für viele ist es ungewöhnlich, schon so früh über Prüfkriterien nachzudenken. Es hilft aber ungemein, wenn man sich bereits zu Beginn überlegt, woran wir uns eigentlich messen lassen möchten.

Wichtig bei allen diesen vier Schritten ist, dass dieses Vier-Felder-Schema flexibel und agil bleibt. Verändert sich im Verlauf des Entwicklungsprozesses etwas, dann sollte das auch hier wieder eingetragen werden.

2. Analyse

In der Analysephase ist es absolut notwendig, die Bedarfe der Zielgruppe genau zu erheben. Welches Vorwissen, welche Vorerfahrungen, welche Kompetenzen bringt die Zielgruppe mit? Was benötigt diese, dass sie lernen und sich entwickeln kann? Darüber hinaus ist es aber genauso wichtig, die Wissensarten und Lernziele zu kennen: Was macht den Lerninhalt besonders? Welche Lernzielebenen werden angestrebt? Um welche Wissensformen geht es (Theorie, Praxis, Anwendung, Faktenwissen, Verfahrensweisen und Co.)? Daneben sollten noch die organisatorischen Rahmenbedingungen und die Ressourcen geklärt werden. Auch hier ist es im Sinne agiler Methoden wichtig, die Zielgruppe direkt zu hören. Ein kurzes Interview bringt oft mehr, als abstrakt über die Bedarfe der Zielgruppe nachzudenken.

3. Konzeption

In dieser Phase hat sich herausgestellt, dass es ungemein hilfreich ist, wenn man die Konzeption in zwei Schleifen entwickelt, zuerst ein didaktisches Grobkonzept beschreibt und dann in die Feinkonzeption einsteigt (Bett: 2018).

Ein didaktisches Grobkonzept ist beispielsweise die Beschreibung eines Lernpfades und die Definition der eingesetzten Lernformen (siehe auch das Modell von Eulers & Wilbers oben): Wenn Webinare mit Selbstlernen in Form von WBTs oder Learning Nuggets (Lernvideo, Quizzes und Co.) mit dem klassischen Präsenztraining kombiniert werden, dann ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor die zeitliche Taktung: Wann soll was in welchem Format passieren?

Im Feinkonzept geht es dann um die Entwicklung der Drehbücher und Trainerleitfäden.

In die Konzeptionsphase gehört auch die Entwicklung eines Moderations- und Betreuungskonzeptes, die zukünftigen E-Trainer müssen dafür fit gemacht werden. Wesentlich ist es auch, sich Gedanken über das Motivationsdesign zu machen: Welche Faktoren tragen dazu bei, dass die Lernenden mit hohem Engagement und mit einem hohen persönlichen Lernerfolg die zu konzipierende Maßnahme durchlaufen werden.

4. Entwicklung

In der Entwicklungsphase werden alle Lernmaterialien entwickelt. An dieser Stelle ist es wichtig, rechtzeitig zu erfahren, ob das entwickelte digitale Lernmaterial tatsächlich zur Zielgruppe passt. Spätestens hier wird deutlich, dass eine agile Vorgehensweise notwendig ist, damit der Aufwand für die multimediale Entwicklung nicht umsonst ist (weil man z.B. am Bedarf der Zielgruppe vorbei entwickelt).

5. Implementierung

Klassisch wird hier oft so vorgegangen, dass man als erstes ein Pilotprojekt umsetzt, dieses evaluiert und dann daraus das endgültige Konzept ableitet. Zur Implementierung gehören aber auch noch weitere Maßnahmen: Roll-Out-Konzept, Stakeholder abholen und mehr.

6. Evaluation und Revision

Dieser letzte Aspekt ist eigentlich kein letzter. Ein gutes Evaluationskonzept hat immer beides: eine summative (=abschließende) und eine formative (=begleitende) Evaluation. Die Ergebnisse der begleitenden Evaluation müssen immer wieder in die Konzeptions-, aber auch Entwicklungsphase rückgespiegelt werden.

Diese sechs Schritte helfen, Lehr- und Lernkonzept zu entwickeln. Wichtig dabei ist aber: Es bleibt ein kreativer Prozess und je näher man an die eigentliche Zielgruppe rückt, desto erfolgreicher sind die zu entwickelnden Maßnahmen.

Zusammenfassung

Kybernetische Didaktik, das Berliner Modell, lerntheoretische Didaktik und mehr sind alles sehr komplexe Theorien, die versuchen, Lernen und Lehren zu beschreiben. Die Modelle aus dem didaktischen Design (im angloamerikanischen Raum auch Instruktionsdesign) hingegen geben Vorgehensmodelle vor, die bei der Planung und Konzeption von modernen Lernformate hilfreich sind. Daher ist die Frage „Was ist Didaktik?“ nicht einfach zu beantworten. Es bleibt ein überaus komplexes Feld, da es immer auch um Menschen, deren persönliche Präferenzen, Bedarfe, Wünsche und Ziele geht. In Zeiten des immer schneller werdenden Wandels ist es umso wichtiger, die Menschen durch Bildungsmöglichkeiten zu unterstützen, die nah an ihren tatsächlichen Bedarfen sind. Das können durchaus immer noch formelle Angebote sein, aber auch informelles Lernen kann gezielt unterstützt werden. Wesentlich dabei ist, dass man – wie bei allen komplexen Themen – in der Lage ist, das Ganze fundiert und strukturiert anzugehen. Ob dabei das Berliner Modell, die sechs oben beschriebenen Schritte im didaktischen Design oder auch andere didaktische Theorien eingesetzt werden, ist gar nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass – egal in welchem Format (Blended Learning, WBT, Learning Nuggets, Social Learning und Co.) fundiertes didaktisches und lernpsychologisches Wissen für alle Beteiligten gewinnbringend genutzt wird.

Beitragsbild: © prasit2512 – stock.adobe.com


Die Autorin

Dr. Katja Bett

  • Geschäftsführerin der Corporate Learning & Change GmbH
  • Diplom-Pädagogin
  • Seit 1998 im Feld E-Learning unterwegs

Tätigkeitsfelder:
Consulting: Aufbau von Online-Akademien, Beratung zu innovativen Lernkonzepten, Strategieentwicklung, Konzeption, Beratung Tool-Auswahl und Co.
CLC-Campus: virtuelle Ausbildungen zum Live-Online-Trainer, Digital Learning Designer, Lernprozessbegleiter, Content-Designer, Learning next für Ausbilder
EdTech: iBeacon axon app, Quizchallenge, AEVO digital, EdTech Konferenz


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