Bioverträglichkeitsprüfung im bundeseinheitlichen Medikationsplan

Jeder Mensch ist individuell. Und genauso wie die Jüngsten der Gesellschaft, bedürfen auch betagte Menschen aufgrund unterschiedlichster charakteristischer Eigenschaften einer besonderen Beachtung im medizinischen Bereich. Im angloamerikanischen Sprachraum hat sich die folgende Einteilung älterer Menschen in drei Untergruppen etabliert, die das kalendarische Alter unberücksichtigt lässt und den Hauptfokus auf den funktionellen Aspekt legt (Wedding und Höffken 2002, Kurth und Schütt 2013).

  • Die ”Go-Gos“ mit gutem bis sehr gutem funktionellen Status.
  • Die ”Slow-Gos“ mit eingeschränkter Funktion.
  • Die ”No-Gos“ mit erheblich eingeschränkter Funktion.

Geriatrische Patienten definieren sich neben dem höheren Lebensalter auch noch durch die geriatrietypische Multimorbidität, die gewissermaßen den Rang des biologischen Alters einnimmt (Borchelt et al. 2004).
”Geriatrietypische Multimorbidität“ lässt sich als eine Verknüpfung von mindestens zwei behandlungsbedürftigen Erkrankungen mit Eigenschaften eines geriatrischen Syndroms und einem erhöhten Risiko sowohl für eine reduzierte Alltagsselbstständigkeit als auch für Krankheitskomplikationen beschreiben. Dies hat zur Folge, dass diese Patientengruppe unter Umständen mehrere Medikamente dauerhaft zu sich nehmen muss.

Wenn arzneimittelbezogene Probleme nicht als Folge der Medikation, sondern als eigenständiges Symptom betrachtet und mit weiteren Medikamenten (vermeintlich) behandelt werden, kann sich rasch ein Teufelskreis entwickeln. Die Folge davon ist, dass viele ältere Personen aufgrund von Medikationsfehlern, nicht angepasster Dosierung bzw. unerwünschter Nebenwirkungen, also arzneimittelbezogener Probleme, in die Notaufnahme eines Krankenhaus eingewiesen werden. Dies sind in Deutschland ca. 500.000 Menschen und beim überwiegenden Teil ist dies mit einer stationären Aufnahme verbunden.

Einer der ersten der darauf reagiert hat, war der amerikanische Geriater Beers, der 1991 mit seiner Forschergruppe die sogenannte ”Beers-Liste“ veröffentlichte und sie 1997 bzw. 2003 einer Überarbeitung unterzog. 2015 publizierte die American Geriatrics Society ein weiteres Update. Auf dieser Liste finden sich Wirkstoffe, die entweder bei über 65-Jährigen generell oder bei bestimmten Erkrankungen vermieden werden sollten (Beers et al. 1991, Beers 1997, Fick et al. 2003, Fick et al. 2015). In den folgenden Jahren zogen andere Länder weltweit mit jeweils angepassten PIM-Listen (Potentiell Inadäquate Medikamente) nach (Laroche et al. 2007, Gallagher und O’Mahony 2008a, Rognstad et al. 2009).

In Anlehnung an die seit einigen Jahren existierenden, bereits erwähnten internationalen Listen wie z. B. die amerikanische Beers- oder die französische LaRoche-Liste (Beers et al. 1991, Laroche et al. 2007) zur Identifizierung potenziell inadäquater Medikamente und wegen nur eingeschränkter Anwendbarkeit auf dem deutschen Arzneimittelmarkt und auf Grund unterschiedlicher Arzneistoffsortimente, wurde im August 2010 die PRISCUS-Liste (lat. priscus; alt oder altehrwürdig) veröffentlicht (Holt et al. 2010). Diese Negativliste für den deutschen Arzneimittelmarkt gibt dem behandelnden Arzt einen Überblick über 83 Wirkstoffe, die bei geriatrischen Patienten bzw. bei bestimmten Komorbiditäten vermieden werden sollten. Gleichzeitig enthält sie Therapiealternativen für die ungeeigneten Arzneimittel und therapeutische Hinweise, falls die Anwendung doch dringend indiziert ist. Diese Aspekte machen die PRISCUS-Liste zu einem schnell anwendbaren Instrument.

Eine weitere in Deutschland erarbeitete Liste, ist die Forta-Liste. Die Forta-Liste ist eine positiv/negativ Liste und beinhaltet eine Klassifikation für die Bewertung von Medikamenten nach ihrer Alterstauglichkeit (Fit for the aged, FORTA). Die Klassifikation richtet sich nach der Indikation, so dass ein Medikament in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden kann. Folgende Kategorien wurden in der Forta-Liste definiert:

  • A(bsolutely) – Arzneimittel schon an älteren Patienten in größeren Studien geprüft. Nutzenbewertung eindeutig positiv. Medikamente/Wirkstoffe dieser Kategorie werden im Medikationsplan ,,normal” dargestellt.
  • B(eneficial) – Wirksamkeit bei älteren Patienten nachgewiesen, aber Einschränkungen bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit. Diese Medikamente werden im Medikationsplan mit der Farbe ,,gelb” dargestellt.
  • C(areful) – Ungünstige Nutzen-Risiko-Relation für ältere Patienten. Erfordern genaue Beobachtung von Wirkung und Nebenwirkungen, sind nur ausnahmsweise erfolgreich. Bei größer 3 Arzneimitteln gleichzeitig als erste weglassen. Nach Alternativen suchen. Diese Medikamente werden im Medikationsplan mit der Farbe ,,orange” dargestellt.
  • D(on’t) – Diese Arzneimittel sollten fast immer vermieden werden. Nach Alternativen suchen. Diese Medikamente werden im Medikationsplan mit der Farbe ,,rot” dargestellt.

In der App CSPMEDI-Plan werden die Forta-Liste und die Priscus-Liste in einer eigenständigen Datenbank zusammengeführt. Ein Algorithmus überprüft beim Einlesen des Medikationsplanes, ob sich ein Medikament mit einem in diesen Listen aufgeführten Wirkstoff befindet und zeigt dies dem Patienten in Form eines Ampelsystems an. Die Erkennung eines inadäquaten Wirkstoffs erfolgt bei der Übernahme des Medikaments automatisch. Der Patient hat nun die Möglichkeit mit dem Medikationsplan zu interagieren indem er einen Touch-Event auf das farbig hinterlegte Feld Wirkstoff ausführt. Ihm wird dann in einer grafischen Übersicht angezeigt, für welche Symptome dieser Wirkstoff verantwortlich sein kann. Die Zuordnung des Wirkstoffes zu einem Symptom erfolgt ausschließlich auf Basis der in den genannten Listen aufgebenen Angaben.

Priscus Liste – http://priscus.net/download/PRISCUS-Liste_PRISCUS-TP3_2011.pdf
Forta-Liste – https://www.umm.uni-heidelberg.de/ag/forta/FORTA_Liste_2015_deutsche_Version.pdf

Näheres hierzu wird auch auf dem Thementag: Digitalisierung im Gesundheitswesen in Hamburg erörtert. https://www.xing-events.com/Thementag