Ein Projekt zur Unterstützung ,,funktionaler Analphabeten”
Förderung arbeitsplatzorientierter Lesekompetenz ausländischer Ärzte

v.l. Werner Povoden (Arbeitskreis für Information & Wissen AKI RP/Eifel), Frank Siepmann (eLearning Journal), Dr. Sabine Povoden (Chefärtin Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie) und Julia Stehlik (Sibyllas Lernoase)

Im Fachgebiet der Unfallchirurgie sehen sich die operativ tätigen Chirurgen vielfach mit der Notwendigkeit konfrontiert, anhand einer eingeschränkten Datenlage kurzfristig Entscheidungen bezüglich der operativen Vorgehensweise zu treffen. Deshalb sollte in diesem Fachgebiet der Medizin, in dem nicht jeder Eingriff elektiv planbar ist, das operative Vorgehen und der Weg, auf dem die getroffenen Entscheidungen basieren, für Dritte (Patienten, Gutachter, Juristen) gut nachvollziehbar sein. Da die unfallchirurgischen Behandlungen die zentrale Tätigkeit in diesem Fachgebiet sind, gilt ihrer Dokumentation ein besonderes Interesse. Vor allem aber auch deshalb, da der OP-Bericht die ökonomische Grundlage für die Abrechnung gegenüber den Kostenträgern ist und im juristischen Sinne als Privaturkunde gilt.

Um dieser Situation gerecht zu werden, muss entsprechend eine vollständige und wahrheitsgetreue Dokumentation der präoperativ zur Verfügung stehenden Informationen, der Diagnose, des operativen Vorgehens und der gewünschten Nachbehandlung schon im OP-Bericht berücksichtigt werden. Mit der zunehmenden Anzahl ausländischer Ärzte rückt der Aspekt der Lesekompetenz und der schriftsprachlichen Kompetenzen in den Fokus des Interesses. Die ausländischen Ärzte können in ihrer Muttersprache durchaus auf einem sehr hohen Niveau literalisiert sein. Je nach Herkunftsland schließt dieses Niveau in ihrer Muttersprache auch die Ebene der Schriftsysteme, wie etwa arabisch, kyrillisch und griechisch ein. Und doch lassen sich in Bezug auf die Lesekompetenz und in den schriftsprachlichen Kompetenzen der deutschen Sprache gravierende Mängel bei dem genannten Personenkreis feststellen. Dass Deutsch sprechen noch lange nicht bedeutet, auch gleichermaßen Deutsch lesen und schreiben zu können, ist zwischenzeitlich eine zentrale Erkenntnis im beruflichen Alltag an deutschen Kliniken.

Lernbedarfe

Die Erfahrungen in den Kliniken haben zwischenzeitlich gezeigt, dass selbst ein Sprachdiplom der Niveaustufe B2 beziehungsweise C1 im fachsprachlichen Bereich oft nicht ausreichend ist, um mit einem Patienten zu kommunizieren geschweige denn einen korrekten OP-Bericht zu verfassen. Vergleicht man die tatsächlich vorhandenen Lese- bzw. schriftsprachlichen Kompetenzen ausländischer Ärzte mit den Anforderungen in einer Klinik, dann stellt man fest, dass die Sprachprüfungen der Ärztekammern diese Kompetenzen nur rudimentär berücksichtigen.

Nicht nur bei den ausländischen Mitbürgern mit Einschränkungen im Bereich der genannten Kompetenzen, sondern auch bei den Personen, die Deutsch als Muttersprache haben, ist das Eingeständnis dieser Einschränkungen vielfach schambesetzt. Die Offenbarung dieser Einschränkungen bzw. der Besuch eines Förderprogrammes setzt für die betroffenen Menschen zumindest ein partielles Outing voraus. Für ausländische Ärzte ist dies vielfach gleichbedeutend mit fehlender Anerkennung und Akzeptanz in dem Hause, in dem sie arbeiten. Das Gesagte hat auch Gültigkeit für Erwachsene in anderen wirtschaftlichen Bereichen, ebenso für Schüler, unabhängig der Klassenstufe. Für den genannten Personenkreis sind diese Einschränkungen gleichzusetzen mit Ausgrenzung und Stigmatisierung. Das Eingestehen dieser Defizite ist also ein Schritt, der ein gewichtiges Hindernis für die Teilnahme an entsprechenden Kursangeboten darstellt. Ein weiteres Hindernis ist vielfach das Fehlen angemessener Angebote oder die fehlende Wahrnehmung der Notwendigkeit, in Bezug auf die Defizite, zu lernen. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der Bedarf, der ausländischen Ärzteschaft eine Anwendung zur Förderung der lese- und schriftsprachlichen Kompetenzen zur Verfügung zu stellen.

Projektergebnis

Mit der Sprach- und Lesekompetenzanwendung lassen sich im beruflichen Alltag reelle Szenarien abbilden wie Patientenvorstellung, Aufklärungsgespräch, Patientenaufnahme und das Erstellen von Arzt- und OP-Berichten. Die bedeutendste Innovation in diesem Projekt ist die Lesekompetenz-aufgabe. Sie stellt ein Diagnostikinstrument nicht nur für ein schnelles Screening der Lesekompetenz, sondern auch für die Lesegenauigkeit, dem Automatisierungsgrad und der phonologischen Bewusstheit dar. Das integrierte Sprachlabor ermöglicht es den Betroffenen, ihre phonologische Kompetenz selbstständig autonom zu festigen. Sie ist ein verbindungsgenerierendes Element zwischen der Lesekompetenz, der Schrift, der Aussprache und der sinnentnehmenden Bedeutungszuordnung des zu lesenden Kontextes. Der phonologischen Kompetenz wird eine prominente Rolle bei der Entstehung und der Förderung von Einschränkungen bezüglich der Lesekompetenz und somit auch der schriftsprachlichen Kompetenzen zugeschrieben.

Fazit

Mit der Anwendung, ,,Förderung arbeitsplatzorientierter Lesekompetenzen für ausländische Ärzte“, kann nun ein Online-Angebot zur Verfügung gestellt werden, in dem die von diesen Einschränkungen betroffenen Personen ihre schriftsprachlichen Kompetenzen selbstständig und autonom den gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen anpassen können. Bezogen auf die Hauptzielgruppe kann somit jeder ausländische Arzt bzw. Ärztin in der Klinik eigenständig Lerninhalte abrufen, die ihrem bzw. seinem Niveau in den Bereichen Lesekompetenz und schriftsprachlicher Kompetenz entsprechen. Man muss nicht mehr zusätzlich Fahrstrecken zu den Veranstaltungsorten in Kauf nehmen, sondern man kann die Fördermaßnahmen von Zuhause aus wahrnehmen. Dadurch bleibt ihnen mehr Zeit für die Familie und die Arbeitsbelastung stellt keinen gravierenden Hinderungsgrund mehr dar. Das einzige, das sie benötigen, ist ein Zugang zum Internet und zur Lernplattform. Das Wichtigste vor allem ist die Tatsache, dass die mit dem Eingeständnis der Einschränkungen zusammenhängende Stigmatisierung wegfällt. Die ausländischen Ärzte können somit quasi anonym die Angebote wahrnehmen.


Vorgaben & Besonderheiten

Vorgaben:
Das Projekt orientiert sich an der Empfehlung des Europäischen Rates vom 19. Dezember 2016, individuelle angepasste und bedarfsorientierte Lernangebote zur Förderung der Lesekompetenz mit virtuell-kollaborativen Lernszenarien zur Verfügung zu stellen.

Besonderheiten:

Grundlagen für die Aufgabengestaltung und Konzeption waren, neben der medizinischen Leitlinie, die Leo-Level-One Studie der Universität Hamburg sowie die Forschungsarbeiten von Prof. Naomi Baron von der American Universität Washington und Prof. Maryanne Wolf von der Tufts Universität Massachusetts. Damit begleitet der AKI RP/Eifel das Vorhaben der Digitalen Agenda der Bundesregierung.


Projektpartner

AKI RP/Eifel

Werner Povoden
Vorsitzender AKI RP/Eifel,
Wirtschafts- & Fachinformator,
MBA eLearning & Wissensmanagement
AKI RP/Eifel
Adolf-Meier-Str. 68
D-32758 Detmold
info@cspcampus.de
www.aki.cspcampus.de

Dr. med. Sabine Povoden

Dr. med. Sabine Povoden
Chefärztin Klinik für Orthopädie
und Unfallchirurgie,
HELIOS Klinikum Gifhorn
Dr. med. Sabine Povoden
Adolf-Meier-Str. 68
D-2758 Detmold
info@cspcampus.de
www.helios-kliniken.de/klinik/gifhorn

Sibyllas Lernoase

Julia Stehlik
Beraterin für den pädagogischen Einsatz von Medien

Sibyllas Lernoase
Wetzlarer Str. 33
D-35764 Sinn

stehlik@sibylla.de
www.sibylla.de